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  BFH-Urteil vom 8.5.1996 (XI R 47/95) BStBl. 1997 II S. 151

Das Merkmal "zugute kommen" in § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 setzt nicht die Übernahme der Kosten durch die Träger der Sozialleistungen voraus.

UStG 1980 § 4 Nr. 16 Buchst. c; Richtlinie 77/388/ EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Kursanatorium in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Sie wurde 1970 gegründet und in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb von Sanatorien, Kurhotels und ähnlichen Wirtschaftsbetrieben. Den über 150 Gesellschaftern der Klägerin wurde die Konzession zum Betrieb einer Privatkrankenanstalt - Sanatorium für Regenerationstherapie bei stationärer Kurbehandlung - erteilt.

Die Klägerin unterwarf ihre im Rahmen des Sanatoriumsbetriebs erzielten Leistungen zunächst der Umsatzsteuer. Erstmals mit Schreiben vom 15. Oktober 1984 vertrat sie die Auffassung, daß die von ihr erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) steuerfrei seien. Bei einer anschließend durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, daß die Klägerin ausnahmslos mit den Gästen selbst abgerechnet hatte (sog. Selbstzahler) und diese nicht durch Sozialversicherungsträger eingewiesen worden waren.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat die Meinung, daß die Klägerin weder eine Diagnoseklinik noch eine andere Einrichtung i. S. des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 sei und daß nicht mindestens 40 % der Leistungen dem in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG 1980 genannten Personenkreis zugute gekommen seien. Das Finanzgericht (FG) zog zur Ermittlung der Abrechnungsgrundlagen einen Gerichtsprüfer hinzu. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wies das FG die Klage - im ersten Rechtsgang - ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 186 veröffentlicht. Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) diese Entscheidung durch Urteil vom 13. Juli 1994 XI R 49/93 aus formellen Gründen aufgehoben hatte, wies das FG die Klage erneut ab und führte im wesentlichen aus: Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin eine Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung betreibe. Die Voraussetzung des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980, daß im vorausgegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der unter ärztlicher Aufsicht erbrachten Leistungen den in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG 1980 genannten Personen zugute gekommen seien, sei nur erfüllt, wenn die Leistungen auch von den Sozialversicherungsträgern bezahlt oder zumindest bezuschußt würden; im Streitfall seien nur 11,74 % der Leistungen den überprüften Kassenpatienten erstattet worden. Entscheidender Gesichtspunkt sei, daß die Leistung an ein Mitglied der Sozialversicherungsträger gewährt werde. Es komme nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger formal Mitglied der gesetzlichen Sozialversicherung sei, sondern ob er die konkrete Leistung als Mitglied, d. h. zu Lasten der Sozialversicherungsträger erhalte. Dies stimme mit dem Zweck der Vorschrift überein, der in der Entlastung der Sozialversicherungsträger liege. Daß der Gesetzgeber bei der durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1992 eingefügten Nr. 16 Buchst. c (richtig: Buchst. e) eine klarere Formulierung gewählt habe, stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Unerheblich sei, ob die Krankenkassen die Kosten hätten erstatten müssen. Diese Auslegung bedeute keine Schlechterstellung der Klägerin gegenüber der für Krankenhäuser geltenden Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980. Die Klägerin habe in den Jahren 1984 und 1985 sämtlichen Patienten die ärztlichen Leistungen und die Unterkunft mit Verpflegung getrennt in Rechnung gestellt. Die Klägerin würde daher gegenüber Krankenhäusern i. S. des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980 bevorzugt, wenn man die Anwendung des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 allein davon abhängig mache, daß mindestens 40 % der Leistungen von in Nr. 15 Buchst. b genannten Personen in Anspruch genommen worden seien.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts und trägt im wesentlichen vor:

1. Die vom FG vorgenommene Auslegung des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 verletze Bundesrecht. Der Wortlaut der Norm stelle lediglich auf den Personenkreis ab, dem gegenüber die Leistungen erbracht würden.

2. Die Auslegung des FG werde auch durch die Systematik des § 4 Nr. 16 UStG 1980 widerlegt. In § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG werde ausdrücklich verlangt, daß - so die Klägerin - Kosten für die Leistungen in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden seien.

3. Es gebe sachliche Gründe, daß § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 nicht darauf abstelle, daß der Sozialversicherungsträger die Kosten übernehme. Im Unterschied zu Krankenhäusern (§ 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980), bei denen die Kostenübernahme die Regel sei, sei das bei Diagnosekliniken nicht der Fall. Da nach der Gesetzesbegründung auch Diagnosekliniken weitgehend von der Umsatzsteuer hätten entlastet werden sollen, sei es nur folgerichtig, daß der Gesetzgeber die Kostentragung durch Sozialversicherungsträger nicht als Voraussetzung für die Umsatzsteuerbefreiung normiert habe.

4. Gegen die Auslegung des FG spreche ferner § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG 1980; dieser Tatbestand entspreche in seinem Aufbau ganz der in Buchst. c getroffenen Regelung. Es komme nur darauf an, daß der genannte Personenkreis unter § 68 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) falle, nicht darauf, ob auch ein entsprechender Anspruch auf Sozialhilfeleistungen bestehe.

5. Die Auffassung des FG, § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 habe die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer entlasten sollen, treffe nicht zu. In der amtlichen Begründung zu § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 sei von einer Entlastung der Sozialversicherungsträger nicht die Rede, sondern von einer weitgehenden Entlastung der im Gesundheitsbereich tätigen Einrichtungen wie Diagnosekliniken und andere Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung. Die Zielsetzung dieser Regelung, diejenigen, die eine solche Einrichtung aufsuchen müßten, nicht auch noch mit Umsatzsteuer zu belasten, entspreche auch Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).

6. Durch die 40%-Grenze werde erreicht, daß z. B. reine Luxussanatorien bzw. deren Patienten nicht in den Genuß der Umsatzsteuerbefreiung gelangten.

Die Klägerin beantragt, den Umsatzsteuerbescheid 1985 aufzuheben und die Umsatzsteuer auf 0 DM festzusetzen, hilfsweise, die in dem Jahressteuerbescheid 1985 für Oktober enthaltene Umsatzsteuer von ... DM auf 0 DM herabzusetzen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen, den Rechtsstreit auszusetzen und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen, und führt im wesentlichen aus:

1. Das FG habe den Begriff "zugute kommen" zutreffend ausgelegt. Die Leistungen müßten an Mitglieder der Sozialversicherungsträger in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der gesetzlichen Sozialversicherung erbracht werden.

2. Es sei nicht entscheidungserheblich, ob die Klägerin als Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung anzusehen sei.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das angefochtene Urteil verstößt gegen § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980; die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um in der Sache selbst entscheiden zu können.

1. Gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 sind die mit dem Betrieb anderer Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden und im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen den in Nr. 15 Buchst. b genannten Personen zugute gekommen sind. Zu diesen Personen gehören die Sozialversicherten, die Empfänger von Sozialhilfe und die Versorgungsberechtigten.

a) Entgegen der Auffassung des FG setzt das Merkmal "zugute kommen" nicht voraus, daß die Leistungen durch die Träger der Sozialleistungen (ganz oder teilweise) übernommen werden. Der Wortlaut der Norm verlangt lediglich, daß die Leistungen den Empfängern der Sozialleistungen zugute kommen. Die Sozialleistungsempfänger müssen in den Genuß der Maßnahmen gekommen sein; die Übernahme der Kosten durch die Träger der Sozialleistungen hat der Gesetzgeber hingegen nicht für erforderlich gehalten.

Insoweit unterscheidet sich der Tatbestand des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 von § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG 1991 i. d. F. des StÄndG 1992. Dieser Tatbestand setzt ausdrücklich voraus, daß die Kosten von den Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen worden sind. Wenn aber in einem Befreiungstatbestand (hier § 4 Nr. 16 UStG) für die einzelnen Befreiungen unterschiedliche Voraussetzungen verlangt werden, dürfen diese unterschiedlichen Voraussetzungen nicht miteinander vermengt werden. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß dem Merkmal "zugute kommen" in Buchst. c dieselbe Bedeutung beizumessen ist wie dem Merkmal der Kostentragung in Buchst. e.

Auch § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG 1980 verlangt nur, daß bei Altenheimen usw. ein Teil der Leistungen den in § 68 Abs. 1 BSHG genannten Personen oder den in § 53 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) genannten Personen zugute kommt. Auch in diesem Fall ist letztlich ohne Bedeutung, wer die Kosten getragen hat.

b) Ursprünglich bezweckten die § 4 Nr. 16 UStG 1980 vorgehenden Regelungen die Entlastung der Träger der Sozialversicherung. Durch § 2 Nr. 9 UStG 1926 wurden Heilanstalten und Krankenhäuser von der Steuer befreit, soweit sie das Heilverfahren im Auftrag von reichsgesetzlichen Versicherungsträgern durchführten; § 2 Nr. 9 UStG 1926 wurde in das Gesetz aufgenommen, weil man eine Erhöhung der den Ärzten von den Krankenkassen zugebilligten Gebührensätze und damit neue Tarifkämpfe befürchtete und die finanzielle Lage der reichsgesetzlichen und knappschaftlichen Krankenkassen besonders schlecht sei (vgl. Popitz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz i. d. F. vom 8. Mai 1926, 3. Aufl., 1928, S. 567). Diese Regelung wurde im wesentlichen in § 4 Nr. 11 UStG vom 16. Oktober 1934 (RGBl I 1934, 942, RStBl 1934, 1166) beibehalten.

Doch bereits nach § 4 Nr. 15 UStG i. d. F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 30. Juli 1952 (BGBl I, 393) waren die Umsätze aus der Tätigkeit von Krankenanstalten steuerfrei, die von öffentlich-rechtlichen Körperschaften betrieben wurden oder die in besonderem Masse der minderbemittelten Bevölkerung dienten. Diese Regelung wurde in § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1967 fortgeführt. Nach Auffassung des V. Senats bezweckt § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1980, der nunmehr an § 67 AO 1977 anknüpft, die Begünstigung der Sozialversicherungsträger als Kostenträger für ihre Versicherten und (typisierend) der selbstzahlenden Privatpatienten, nicht aber des Trägers eines Krankenhauses (BFH-Urteil vom 25. November 1993 V R 64/89, BFHE 173, 242, BStBl II 1994, 212).

Umsätze anderer Einrichtungen i. S. des § 4 Nr. 16 Buchst. c wurden erstmals durch das UStG 1980 von der Steuer befreit. Mit dieser Regelung wurde Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG in das nationale Recht umgesetzt. Sie bezweckt, die im Gesundheitsbereich tätigen Einrichtungen weitgehend von der Umsatzsteuer zu entlasten (so ausdrücklich die Begründung der Bundesregierung zu § 4 Nr. 16 des Entwurfs des UStG 1980, BTDrucks. 8/1779, S. 34).

Nach alledem läßt die Entwicklung der Regelungen zur umsatzsteuerrechtlichen Befreiung von Krankenanstalten und ähnlichen Einrichtungen deutlich erkennen, daß die Begünstigung der Träger der Sozialleistungen nicht alleiniger Zweck dieser Regelungen war und ist, sondern daß - abhängig vom jeweiligen Tatbestand - auch die betroffenen Bevölkerungskreise und - wie im Streitfall - die im Gesundheitsbereich tätigen Einrichtungen von der Befreiungsvorschrift begünstigt sein können.

c) Im Ergebnis setzt nach allen für die Auslegung des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 in Betracht kommenden Auslegungskriterien das Merkmal "zugute kommen" nicht die Übernahme der Kosten durch die Träger der Sozialleistungen voraus. Bei dieser Auslegung des Merkmals "zugute kommen" ist im Streitfall nach den Ermittlungen des FG-Prüfers davon auszugehen, daß der Anteil der von der Klägerin an die in § 4 Nr. 15 Buchst. b UStG 1980 genannten Personen erbrachten Leistungen höher als 40 % lag.

2. Ob die weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG 1980 gegeben sind, kann der Senat auf der Grundlage der vom FG festgestellten Tatsachen nicht beurteilen. Es ist nicht bekannt, ob die Klägerin ihre Leistungen als andere Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung unter ärztlicher Aufsicht erbracht hat (vgl. Birkenfeld, Das Große Umsatzsteuer-Handbuch, Teil II Rz. 484; Klenk in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 16 Bem. 22; Abschn. 97 der Umsatzsteuer-Richtlinien).