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  BFH-Urteil vom 24.1.1996 (I R 29/95) BStBl. 1997 II S. 183

1. § 17 KöStG-DDR erfaßt auch solche Gewinnausschüttungen für 1990, die nach dem 31. Dezember 1990 beschlossen wurden.

2. Die Ausschüttung der durch Aufwandsrückstellungen entstandenen stillen Reserven ist keine Kapitalrückzahlung.

3. Der ausgeschüttete Gewinn als Mindesteinkommen ist mit 36 % zu versteuern (entgegen BMF-Schreiben vom 30. September 1991 IV B 7 - S 1900 - 227/91, BStBl I 1991, 921).

KöStG DDR § 17; KStG § 54a; 1. Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes 1935 § 30; DBStÄndG DDR § 10.

Vorinstanz: FG Mecklenburg Vorpommern (EFG 1995, 542)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine aus einem VEB hervorgegangene und nach dem Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 (Gesetzblatt der DDR - GBl DDR - 1990, 300) zum 1. Juli 1990 entstandene GmbH (eingezahltes Stammkapital 50.000 DM). Sie stellte zum 1. Juli 1990 ihre Eröffnungsbilanz entsprechend dem D-Markbilanzgesetz (DMBilG) auf, wobei sie in der Handelsbilanz, nicht aber in der Steuerbilanz (vgl. § 50 Abs. 2 Satz 5 DMBilG) Aufwand i. S. des § 249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Abs. 2 des Handelsgesetzbuches zurückstellte. Der den Rückstellungen zugrundeliegende Aufwand minderte das Steuerbilanzergebnis, nicht aber den Handelsbilanzgewinn des 2. Halbjahres 1990.

Am 30. September 1991 beschloß die Klägerin, deren Steuerbilanzgewinn für das 2. Halbjahr 1990 unstreitig 24.082 DM betrug, aus dem durch die Rückstellungsbildung entstandenen Handelsbilanzgewinn 110.000 DM auszuschütten. Da somit die Ausschüttung das nach den allgemeinen Grundsätzen ermittelte Einkommen überstieg, unterwarf der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Klägerin der Mindestbesteuerung nach § 17 des Körperschaftsteuergesetzes i. d. F. vom 18. September 1970 - KöStG DDR (GBl DDR, Sonderdruck Nr. 671), wobei er dieses mit 36 % von 110.000 DM x 100/64 berechnete. Er lehnte es ferner ab, bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für das 2. Halbjahr 1990 den im 1. Halbjahr 1991 erwirtschafteten Verlust und die Rücklage nach § 3 Abs. 2 des Steueränderungsgesetzes vom 6. März 1990 - StÄndG DDR - (GBl DDR 1990, 136) zu berücksichtigen.

Nach teilweise erfolgreichem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, der das Finanzgericht (FG) in Sachen Gewerbesteuer voll und in Sachen Körperschaftsteuer nur zu einem ganz geringen Teil stattgab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1995, 542).

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision fehlerhafte Anwendung des § 54a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), § 17 KöStG DDR, § 5 Abs. 2 und § 11 StÄndG DDR sowie § 10 Abs. 2 der Durchführungsbestimmung zum Steueränderungsgesetz vom 16. März 1990 - DBStÄndG DDR - (GBl DDR 1990, 195) und beantragt, das angefochtene Urteil und den Bescheid über die Festsetzung der Steuerrate 1990 aufzuheben und die Steuerrate auf 11.005 DM festzusetzen. Außerdem beantragt sie, die Revision des FA zurückzuweisen.

Das FA beantragt mit seiner Revision, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid über die zusammengefaßte Steuerrate 1990 dahingehend zu ändern, daß die Steuerrate 1990 auf 65.850 DM festgesetzt wird. Es beantragt ferner die Zurückweisung der Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als das Mindesteinkommen nicht auf ein fiktives Einkommen von 100/64 hochzurechnen ist.

1. Das FA hat zu Recht als Besteuerungsgrundlage das Mindesteinkommen i. S. des § 17 Abs. 1 Nr. 1 KöStG DDR angesetzt.

a) Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 KöStG DDR werden als Mindesteinkommen der Besteuerung zugrunde gelegt die Ausschüttungen (auch verdeckte Gewinnausschüttungen), soweit sie mehr als 4 % des eingezahlten Grund- oder Stammkapitals oder, wenn ein solches nicht vorhanden ist, des bei der letzten Veranlagung zur Vermögensteuer festgestellten Vermögens betragen, ohne Rücksicht darauf, aus welchen Mitteln die Ausschüttungen stammen. Da das KöStG DDR gemäß Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 des Einigungsvertrages (EinigVtr) im Beitrittsgebiet für das Streitjahr 1990 fortgalt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Oktober 1994 I R 107/93, BFHE 176, 529, BStBl II 1995, 403) gilt dies mangels entgegenstehender Regelung auch für § 17 KöStG DDR.

Aus § 54a KStG ergibt sich nichts Abweichendes. Nach der Systematik des Körperschaftsteuerrechts der DDR ist - wie nach bundesdeutschem Recht - zwischen der Ermittlung des Einkommens einer Körperschaft (§§ 5 bis 17 KöStG DDR) und den Steuertarifen (§§ 18 ff. KöStG DDR, § 5 Abs. 2 StÄndG DDR) zu unterscheiden. Die Vorschrift über die Mindestbesteuerung ist, wie ihrem Wortlaut zu entnehmen ist, eine Einkommensermittlungsvorschrift. § 54a Nr. 2 KStG berührt aufgrund andersartigen Regelungsgegenstandes nicht die Einkommensermittlung. Er regelt nur die Weitergeltung des Körperschaftsteuerrechts der DDR "auf Gewinnausschüttungen". Da das (Mindest-)Einkommen und nicht Gewinnausschüttungen als solche Besteuerungsgrundlagen sind, kann § 54a Nr. 2 KStG nur die Anwendung der Körperschaftsteuersätze auf Gewinnausschüttungen betreffen. Auch die Mindestbesteuerung i. S. des § 17 Abs. 1 Nr. 1 KöStG DDR ist keine Steuer "auf Gewinnausschüttungen", sondern auf das "Mindesteinkommen". Dies ergibt sich, abgesehen vom Wortlaut der Norm, auch aus der Tatsache, daß zur Ermittlung des Mindesteinkommens die Gewinnausschüttung grundsätzlich noch um 4 % des Grund- oder Stammkapitals zu kürzen ist.

b) § 17 KöStG DDR erfaßt auch solche Gewinnausschüttungen für 1990, die nach dem 31. Dezember 1990 beschlossen werden.

Aus der Fortgeltung des KöStG DDR ergibt sich, daß die einzelne körperschaftsteuerrechtliche Norm mit ihrem gesamten Regelungsgehalt der Besteuerung zugrundezulegen ist. Auch ordentliche Gewinnausschüttungen, die typischerweise erst in einem dem Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahr beschlossen werden, werden von der Fortgeltung des § 17 Abs. 1 Nr. 1 KöStG DDR erfaßt. Eine andere Auffassung würde dem Sinn und Zweck der gewollten Fortgeltung des DDR-Steuerrechts widersprechen, wonach für die Veranlagung 1990 und damit insbesondere für die Bemessung des Einkommens noch DDR-Recht anwendbar bleibt.

Dem stehen die einschlägigen Erläuterungen zu Anlage I des EinigVtr nicht entgegen. Danach soll die Vorschrift über die weitere Anwendung des bis zum 31. Dezember 1990 geltenden Rechts zwar klarstellen, daß das Recht der bisherigen DDR "für vor 1991 verwirklichte Tatbestände im beigetretenen Teil Deutschlands weiter anzuwenden ist" (BTDrucks 11/7817, S. 108). Zum einen darf bezweifelt werden, ob bei Formulierung der Erläuterung an die Besonderheit der nachträglichen Tatbestandsverwirklichung in § 17 Abs. 1 Nr. 1 KöStG DDR gedacht wurde. Zum anderen wirkt die im Folgejahr beschlossene Gewinnausschüttung stets auf das Mindesteinkommen des Veranlagungszeitraums zurück, für den Gewinne ausgeschüttet wurden. Der Tatbestand wird sozusagen rückwirkend durch die das Einkommen übersteigende Gewinnausschüttung verwirklicht. So bestimmte § 30 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes vom 6. Februar 1935 (RGBl I 1935, 163) zu der entsprechenden Regelung des § 17 KStG 1934, daß die Ausschüttungen und Vergütungen bei der Besteuerung als Mindesteinkommen dem Kalenderjahr zuzurechnen sind, für das sie gewährt worden sind. Die Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung dürfte allerdings in der DDR spätestens mit Anordnung über die Aufhebung finanzrechtlicher Bestimmungen vom 24. November 1981 (GBl DDR 1981, 438) aufgehoben worden sein. Eine Auslegung des § 17 KöStG DDR führt aber zu demselben Ergebnis. § 17 KöStG DDR liegt, wie der Vorgängervorschrift des § 17 KStG 1934, der Rechtsgedanke zugrunde, Gewinnausschüttungen und Vergütungen an Organe der Geschäftsführung und -überwachung seien, wie der Verbrauch einer natürlichen Person, Ausdruck steuerlicher Leistungsfähigkeit (vgl. Blümich/Klein/Steinbring/Stutz, Körperschaftsteuergesetz, 4. Aufl., § 17 Anm. 1; Mirre/Dreutter, Körperschaftsteuergesetz 1939, § 17 Anm. 1; vgl. auch Gesetzesbegründung zum KStG 1934, wiedergegeben in Kennerknecht, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, Stand 1943, § 17 Rdnr. 3). Wird Gewinn für ein bestimmtes Geschäftsjahr ausgeschüttet, kommt zum Ausdruck, daß die Leistungsfähigkeit dieses Geschäftsjahres die Ausschüttung ermöglicht. Da die Mindestbesteuerung an die so verstandene Leistungsfähigkeit anknüpft, ist es konsequent, daß auch das Mindesteinkommen an die für dieses Geschäftsjahr ausgeschütteten Gewinne anknüpft.

c) Die Anwendung des § 17 KöStG DDR ist im Streitfall auch nicht durch die Verordnung über die Zahlung von Steuern der in Kapitalgesellschaften umgewandelten ehemaligen volkseigenen Kombinate, Betriebe und Einrichtungen im 2. Halbjahr 1990 vom 27. Juni 1990 (GBl DDR 1990, 618) ausgeschlossen.

Nach dieser Vorschrift unterlagen die von ihr erfaßten Betriebe der Körperschaftsteuer, ohne die Besteuerung nach dem Mindesteinkommen auszuschließen. § 2 Abs. 2 der Verordnung schreibt zwar eine Gewinnermittlung nach dem Bestandsvergleich vor. Es läßt sich aber nicht entnehmen, daß ausschließlich der Gewinn Besteuerungsgrundlage sein sollte. Unter Berücksichtigung des ab 3. Oktober 1990 auch im Beitrittsgebiet geltenden Gleichheitssatzes (Art. 3 des Grundgesetzes) bestünden auch verfassungsrechtliche Bedenken, die ehemaligen VEB von der Mindestbesteuerung auszunehmen.

d) Die Ausschüttung der durch Aufwandsrückstellungen entstandenen stillen Reserven ist keine Kapitalrückzahlung.

§ 17 Abs. 1 Nr. 1 KöStG DDR erfaßt nicht Kapitalrückzahlungen, weil sie begrifflich keine Gewinnausschüttungen sind (vgl. Kennerknecht, a. a. O., § 17 Rdnr. 8, m. w. N.; Mirre/Dreutter, a. a. O., § 17 Anm. 2 a). Die Ausschüttung von Rücklagen ist aber keine Rückzahlung von Nennkapital in diesem Sinne (s. Mirre/Dreutter, a. a. O.; Kennerknecht, a. a. O., § 17 Rdnr. 6).

Zur Abgrenzung der Gewinnausschüttung von der Kapitalrückzahlung darf bei Anwendung des § 17 KöStG DDR nicht auf die Systematik des KStG 1977 zurückgegriffen werden, wonach Ausschüttungen aus dem EK 04 wie Kapitalrückzahlungen behandelt werden (BFH-Urteil vom 16. März 1994 I R 70/92, BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527). Das Körperschaftsteuerrecht der DDR kannte vergleichbare Regelungen nicht. Aus § 54a Nr. 1 KStG, wonach eine Gewinnausschüttung für ein vor dem 1. Januar 1991 endendes Wirtschaftsjahr abweichend von § 28 Abs. 3 KStG mit dem Teilbetrag i. S. des § 30 Abs. 2 Nr. 4 KStG zu verrechnen ist, läßt sich daher für die Anwendung des § 17 KöStG DDR nichts ableiten.

2. Ausgeschütteter Gewinn ist mit 36 % zu versteuern. Da Rechtsgrund für die Besteuerung des Mindesteinkommens die Ausschüttung von Gewinn ist, gilt der Ausschüttungssteuersatz auch für die Besteuerung des Mindesteinkommens.

Das Einkommen einer Kapitalgesellschaft unterliegt nach dem KöStG DDR grundsätzlich den Steuersätzen lt. Anlage 1 des KöStG DDR bzw. ab dem 1. Januar 1990 lt. Anlage 3 des StÄndG DDR (§ 5 Abs. 1 Satz 1 StÄndG DDR). Einen besonderen Steuersatz für Gewinnausschüttungen (so z. B. § 19 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 KStG 1968) kannte das Körperschaftsteuerrecht der DDR ursprünglich nicht. Erst mit Inkrafttreten des StÄndG DDR zum 1. Januar 1990 beträgt die Körperschaftsteuer abweichend von den Steuertabellen 36 %, "wenn eine Ausschüttung des Gewinns der Kapitalgesellschaft erfolgt" (§ 5 Abs. 2 StÄndG DDR). Hierzu bestimmt § 10 Abs. 1 DBStÄndG DDR, daß der im Kalenderjahr ausgeschüttete Teil des Gewinns der Kapitalgesellschaft mit 36 % und der nicht ausgeschüttete Teil nach § 5 Abs. 1 StÄndG DDR nach den Steuertabellen zu versteuern ist. Für die Ausschüttung von Gewinnen, die in zurückliegenden Jahren erwirtschaftet wurden, erfolgt die "Besteuerung dieser Gewinnanteile" mit 36 % (§ 10 Abs. 2 DBStÄndG DDR). Abweichend vom Wortlaut des § 10 DBStÄndG DDR besteuert die Finanzverwaltung nicht den ausgeschütteten Gewinn(anteil), sondern das dem ausgeschütteten Gewinn zugrundeliegende zu versteuernde Einkommen mit 36 % (vgl. Zeile 23 a der Jahreserklärung 1990 für die Steuern der Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmaßen im Beitrittsgebiet AV 24/32; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. September 1991 IV B 7 - S 1909 - 227/91, BStBl I 1991, 921; s. auch Dötsch, Der Betrieb, DDR-Report, 1990, 3126, 3127). Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob dieser Gesetzesauslegung zuzustimmen ist. Keinesfalls kann das Mindesteinkommen auf 100/64 erhöht werden. Hierfür fehlt es in Anbetracht des Wortlauts des § 17 Abs. 1 Nr. 1 KöStG DDR an jeglicher Gesetzesgrundlage. Ist das Mindesteinkommen Besteuerungsgrundlage, weil es höher ist als das nach §§ 6 ff. KöStG DDR ermittelte Einkommen, so tritt es an dessen Stelle. Eine Erhöhung des Mindesteinkommens um Betriebsausgaben, wie nicht abzugsfähige Steuern gemäß § 12 Nr. 2 KöStG DDR, ist nach der Systematik des Gesetzes ausgeschlossen.

Die Körperschaftsteuer auf das Mindesteinkommen beträgt damit 38.880 DM.

III.

Die Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Mit Urteil vom 25. Oktober 1995 I R 138/94 (BFHE 179, 140, BStBl II 1996, 74) hat der Senat entschieden, daß bei Beginn der Gewerbesteuerpflicht zum 1. Juli 1990 das mutmaßliche Ergebnis der ersten 12 Monate des Gewerbebetriebs i. S. des § 10 Abs. 4 des Gewerbesteuergesetzes i. d. F. vom 18. September 1970 - GewStG DDR - (GBl DDR, Sonderdruck Nr. 672) im Prinzip unter Berücksichtigung der Ergebnisse des 1. Halbjahres 1991 zu schätzen ist. Der Senat hält hieran fest. Unschädlich ist dabei auch, daß die Klägerin das tatsächliche Buchführungsergebnis für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. Juli 1991 (statt: 30. Juni 1991) belegt. Da § 10 Abs. 4 GewStG DDR eine Schätzung erlaubt, ist es nicht zu beanstanden, wenn sie bei Ermittlung des mutmaßlichen Ergebnisses u. a. 6/7 des buchhalterischen Ergebnisses für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. Juli 1991 zugrunde legt.