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  BFH-Urteil vom 16.10.1996 (II R 17/96) BStBl. 1997 II S. 228

1. Jede tatsächliche land- und forstwirtschaftliche Nutzung des für steuerbegünstigte Zwecke (§§ 3 und 4 GrStG) benutzten Grundbesitzes - mit Ausnahme des in § 6 Nrn. 1 bis 3 GrStG genannten Grundbesitzes - schließt nach § 6 GrStG eine Grundsteuerbefreiung aus. Dies gilt auch dann, wenn dieser Nutzung gegenüber der Verfolgung der steuerbegünstigten Zwecke (z. B. dem Naturschutz) eine nur untergeordnete Bedeutung zukommt.

2. Wirkt sich der angefochtene Einheitswert des Grundbesitzes ausschließlich auf die Grundsteuer aus, bemißt sich der Streitwert nach dem Sechsfachen der jährlichen Grundsteuer (Änderung der Rechtsprechung in BFHE 56, 736, BStBl III 1952, 283; BFHE 75, 250, BStBl III 1962, 358; BFHE 84, 262, BStBl III 1966, 95).

GrStG § 3 Abs. 1 Nr. 3; § 4; § 6; BewG § 19 Abs. 4; GG Art. 20a.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) - eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts - erwarb für Zwecke des Naturschutzes im Dezember 1986 sieben bis dahin land- und forstwirtschaftlich genutzte Flurstücke - darunter ca. 15 Hektar Grünland - in der Gemarkung B. Für den Erwerb dieser Grundstücke, die in einem geplanten Naturschutzgebiet lagen, hatte der Kläger eine finanzielle Zuwendung der Bezirksregierung erhalten mit der Auflage, vorerst keinerlei Veränderungen vorzunehmen und im Falle einer Verpachtung des Grünlandes Bewirtschaftungserschwernisse zugunsten des Naturschutzes durchzusetzen. Zufolge dieser Auflage überließ der Kläger die Grünflächen verschiedenen Landwirten, die sich ihm gegenüber verpflichteten, das Gras nur einmal jährlich zu mähen und abzutransportieren. Eine Beweidung war nicht zulässig.

Mit (geändertem) Nachfeststellungsbescheid vom 20. September 1989 bewertete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Flurstücke auf den 1. Januar 1988 als land- und forstwirtschaftliches Vermögen (Stückländerei) des Klägers mit einem Einheitswert in Höhe von 17.800 DM. Ein entsprechender Grundsteuermeßbescheid (Nachveranlagung auf den 1. Januar 1988) erging mit Datum vom selben Tage.

Hiergegen wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit seiner Klage, mit der er die Aufhebung des auf den 1. Januar 1988 festgestellten Einheitswerts und des Grundsteuermeßbescheids begehrte. Zur Begründung trug er vor, die vom FA durchgeführte Einheitsbewertung hätte gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 19 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht erfolgen dürfen, weil die Feststellungen für die Besteuerung seines Grundbesitzes nicht bedeutsam seien. Dieser sei nämlich nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 a des Grundsteuergesetzes (GrStG) steuerbefreit, da er der Förderung des Naturschutzes - einem als gemeinnützig anerkannten Zweck - diene und die den Landwirten zur Erreichung dieses Ziels aufgegebenen Pflegemaßnahmen nicht als eine die Steuerbefreiung nach § 6 GrStG ausschließende land- und forstwirtschaftliche Nutzung angesehen werden könnten.

Das Finanzgericht (FG) folgte den Ausführungen des Klägers nicht und wies seine Klage mit der Begründung ab, daß die Überlassung des Grünlandes an verschiedene Landwirte auch dann bei objektiver Betrachtung eine landwirtschaftliche Nutzung i. S. von § 6 GrStG darstelle, wenn - wie im Streitfall - keine Beweidung, sondern nur eine reine Mähnutzung stattfinde. Auf das Ausmaß der landwirtschaftlichen Nutzung komme es nicht an. Da § 6 GrStG der Vorschrift des § 8 GrStG als lex specialis vorgehe, trete auch keine teilweise Steuerbefreiung ein.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 a und § 6 GrStG sowie des § 24 Abs. 1 Nr. 2 BewG.

Er beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz sowie den Einheitswert- und den Grundsteuermeßbescheid auf den 1. Januar 1988 vom 20. September 1989 jeweils in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6. März 1990 aufzuheben, soweit diese landwirtschaftliche Flächen betreffen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Im Ergebnis zutreffend hat das FG entschieden, daß der streitige Grundbesitz auf den 1. Januar 1988 nicht gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 a GrStG von der Grundsteuer befreit gewesen ist und daß das FA die Aufhebung des Einheitswerts deshalb zu Recht abgelehnt hat.

1. Gemäß § 19 Abs. 4 BewG erfolgt die Feststellung des Einheitswerts für inländischen Grundbesitz nur, wenn und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung ist.

Der Kläger begründet sein Aufhebungsbegehren mit dem Vorliegen des in § 3 Abs. 1 Nr. 3 a GrStG normierten Befreiungstatbestands. Danach ist von der Besteuerung ausgenommen Grundbesitz, der von einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke benutzt wird. Ob diese Voraussetzungen zum 1. Januar 1988 erfüllt waren oder ob - wovon das FA ausgegangen ist - die Förderung des Naturschutzes nur dann als gemeinnützig angesehen werden kann, wenn sich der zu diesem Zweck benutzte Grundbesitz innerhalb eines am Stichtag bereits dafür ausgewiesenen Naturschutzgebietes (vgl. § 13 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege - BNatSchG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. März 1987, BGBl I 1987, 889) befindet, konnte das FG ohne Rechtsverstoß dahinstehen lassen. Denn selbst für den Fall, daß eine förmliche Ausweisung als Naturschutzgebiet nicht erforderlich wäre, träte eine Grundsteuerbefreiung der hier streitigen Flurstücke gleichwohl nicht ein, weil diese - wie das FG zutreffend erkannt hat - am Bewertungsstichtag (zumindest auch) landwirtschaftlich genutzt wurden.

2. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 6 GrStG, wonach die Grundsteuerbefreiung der §§ 3 und 4 GrStG - abgesehen von den in § 6 Nrn. 1 bis 3 GrStG ausdrücklich und abschließend aufgeführten, hier jedoch nicht einschlägigen Ausnahmen - nicht gilt, wenn der für steuerbegünstigte Zwecke benutzte Grundbesitz zugleich land- und forstwirtschaftlich genutzt wird.

a) Der Kläger verneint eine die Befreiung ausschließende landwirtschaftliche Nutzung, weil das einmal jährliche Mähen der Wiesen und der Abtransport des bei den Bauern verbleibenden Grases nicht Selbstzweck, sondern ein zur Erreichung der Naturschutzziele unerläßliches Mittel seien. Der Senat verkennt nicht, daß die Erhaltung und Pflege schutzwürdiger Kulturlandschaften vielfach den Einsatz land- und forstwirtschaftlicher Maßnahmen erfordern. Dies ändert aber nichts daran, daß die Durchführung derartiger (Pflege-)Maßnahmen die Grundsteuerfreiheit der betreffenden Flächen ausschließt.

Der Tatbestand des § 6 GrStG unterscheidet nämlich nicht danach, aus welchem Beweggrund und zu welchem (übergeordneten) Zweck Grundbesitz land- und forstwirtschaftlich genutzt wird. Ebensowenig setzt diese Vorschrift voraus, daß der zu beurteilende Grundbesitz bewertungsrechtlich als Betrieb der Land- und Forstwirtschaft (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BewG) zu qualifizieren ist (Urteil des BFH vom 31. Juli 1985 II R 236/81, BFHE 144, 271, BStBl II 1985, 632, 633; Troll, Grundsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl. 1991, § 6 Rdnr. 2; Halaczinsky, Grundsteuerkommentar, 2. Aufl. 1995, § 6 Rdnr. 3; Ostendorf, Grundsteuer, 2. Aufl. 1976, § 6 Abschn. 31). Erforderlich und genügend ist vielmehr, daß der Grundbesitz - ungeachtet der zugrundeliegenden Motive - tatsächlich land- und forstwirtschaftlich genutzt wird (BFH in BFHE 144, 271, BStBl II 1985, 632; Troll, a. a. O., § 6 Rdnr. 2; Halaczinsky, a. a. O., § 6 Rdnr. 3). Das aber ist entgegen der Einschätzung des Klägers hinsichtlich der in Streit stehenden Flächen zu bejahen.

b) Unter Land- und Forstwirtschaft versteht man die planmäßige und nachhaltige Ausnutzung der natürlichen Kräfte des Grund und Bodens zur Gewinnung pflanzlicher oder tierischer Erzeugnisse sowie deren unmittelbare Verwertung durch Verkauf und/oder Selbstverbrauch (BFH-Urteile vom 16. November 1978 IV R 191/74, BFHE 126, 220, BStBl II 1979, 246, 247, und vom 24. Januar 1989 VIII R 91/83, BFHE 156, 121, BStBl II 1989, 416). Eine solche Nutzung fand am maßgeblichen Bewertungsstichtag auf den zu beurteilenden Flurstücken statt, und zwar in der Weise, daß die Landwirte die ihnen zur (unentgeltlichen) Nutzung überlassenen Grünflächen, wenn auch nur in dem vertraglich festgelegten Rahmen, gemäht und das geschnittene Gras - ungeachtet seiner Qualität - verwertet haben.

c) Der Annahme einer (die Steuerbefreiung ausschließenden) landwirtschaftlichen Grundstücksnutzung steht nicht entgegen, daß - wie der Kläger vorträgt - eine ertragbringende Flächenbewirtschaftung wegen des hohen Grundwasserspiegels nicht möglich sei und die Verwertung der Produkte gegenüber den Belangen des Naturschutzes keine oder eine nur untergeordnete Rolle spiele. Denn landwirtschaftliche Grundstücksnutzung i. S. des § 6 GrStG setzt - anders als nach ertragsteuerrechtlichem Begriffsverständnis - eine Erzeugung des Erwerbs wegen (d. h. mit Gewinnerzielungsabsicht) nicht voraus. Insoweit gelten die von der Rechtsprechung zum Bewertungsgesetz entwickelten Beurteilungskriterien auch für die Auslegung des § 6 GrStG (vgl. zum landwirtschaftlichen Liebhabereibetrieb z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 17. Dezember 1931 III A 825/31, RStBl 1932, 330; BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1985 II B 35/85, BFHE 145, 440, BStBl II 1986, 282; Glier in Mönch/Glier/Knobel/Viskorf, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1995, § 33 BewG Rdnr. 4).

d) Ebenfalls unerheblich sind Ausmaß und Intensität der auf dem Grundbesitz ausgeübten landwirtschaftlichen Betätigung. Die Auffassung des Klägers, derzufolge eine nach §§ 3 oder 4 GrStG an sich eintretende Steuerbefreiung nur ausgeschlossen sei, wenn und soweit die landwirtschaftliche Nutzung des Grundbesitzes einen bestimmten Umfang überschreitet, läßt sich weder allgemein aus dem Begriff und Wesen der Landwirtschaft herleiten, noch ist sie der Regelung des § 6 GrStG zu entnehmen. Anders als § 8 Abs. 2 GrStG, der bei teilweiser Benutzung eines Steuergegenstands für einen nach §§ 3, 4 GrStG begünstigten Zweck auf dessen Überwiegen abstellt, in Fällen der land- und forstwirtschaftlichen Mitbenutzung jedoch hinter dem insoweit spezielleren § 6 GrStG zurücktritt (Troll, a. a. O., § 6 Rdnr. 2; Halaczinsky, a. a. O., § 6 Rdnr. 3, m. w. N.), hängt das Eingreifen der hierin angeordneten Sperrwirkung nicht davon ab, daß die anderweitige Nutzung des Grundbesitzes eine absolut oder relativ festgelegte Mindestgrenze übersteigt. Befreiungsschädlich ist vielmehr jede land- und forstwirtschaftliche Nutzung, mag ihr auch gegenüber der Verfolgung der steuerbegünstigten Zwecke eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zukommen.

e) Daß auch eine gemeinnützigen Zwecken dienende land- und forstwirtschaftliche Nutzung des Grundbesitzes die Steuerbefreiung ausschließt, bestätigt überdies die Entstehungsgeschichte des § 6 GrStG, dessen in § 25 der Grundsteuer-Durchführungsverordnung (GrStDV) geregelte Vorläuferbestimmung Fälle dieser Art noch ausdrücklich in ihren Anwendungsbereich einbezog. Hierin war angeordnet, daß land- und forstwirtschaftlich genutzter Grundbesitz grundsätzlich auch dann steuerpflichtig ist, wenn er einem der im (damaligen) § 4 des Gesetzes (= § 3 GrStG n. F.) bezeichneten Zwecke unmittelbar dient (vgl. hierzu die Begründung zu § 4 der II. GrStDV vom 29. März 1938, RStBl 1938, 386, 387, 388; BFH-Urteil vom 11. Januar 1957 III 274/56 S, BFHE 64, 140, BStBl III 1957, 54, 55, 56).

f) Die Auffassung des Klägers, eine der Förderung des Naturschutzes dienende landwirtschaftliche Nutzung falle nicht in den Regelungsbereich des § 6 GrStG, findet auch in der durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I 1994, 3146) eingefügten Staatszielbestimmung des Art. 20 a des Grundgesetzes (GG) keine Stütze. Danach schützt der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Art. 20 a GG enthält weder eine Festlegung auf die zur Erreichung des Staatsziels konkret heranzuziehenden Mittel (Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 8. Aufl. 1995, Art. 20 a Rdnr. 4), noch richtet sich sein Schutzauftrag primär an die rechtsprechende Gewalt. Normadressat ist vielmehr in erster Linie der Gesetzgeber, an dessen Stelle Exekutive und Judikative ihre Abwägungen nicht setzen dürfen (Schmidt-Bleibtreu/Klein, a. a. O., Art. 20 a Rdnrn. 15 und 16). Dieser aber hat den ihm erteilten Verfassungsauftrag bei der Besteuerung des Grundbesitzes bereits dadurch erfüllt, daß er den Schutz der Natur im Rahmen des § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG berücksichtigt hat. Da diese Regelung unabhängig von der Befreiungsvorschrift des § 3 GrStG besteht und infolgedessen auch nicht den Beschränkungen des § 6 GrStG unterliegt, kommt ein Anspruch auf Grundsteuererlaß auch dann in Betracht, wenn eine Grundsteuerbefreiung wegen der (zugleich) land- und forstwirtschaftlichen Grundstücksnutzung ausgeschlossen ist (Troll, a. a. O., § 32 Rdnr. 4 a. E.; Halaczinsky, a. a. O., § 32 Rdnr. 7 a. E.).

Bei der Festsetzung des Streitwerts waren wegen der Vermögensteuerbefreiung des Klägers nur die grundsteuerlichen Auswirkungen zu berücksichtigen. Diese hat der Senat mit dem Sechsfachen der streitigen Jahressteuer bemessen, da der regelmäßige Hauptveranlagungszeitraum bei der Grundsteuer (§ 16 Abs. 2 Satz 3 GrStG) sechs Jahre umfaßt und keine Anhaltspunkte für seine Verkürzung vorliegen. An der Rechtsprechung des BFH in den Urteilen vom 19. September 1952 III 159/52 U (BFHE 56, 736, BStBl III 1952, 283), vom 25. Mai 1962 III 60/62 U (BFHE 75, 250, BStBl III 1962, 358), vom 10. August 1962 III 211/61 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 151) und vom 12. November 1965 III 34/62 U (BFHE 84, 262, BStBl III 1966, 95) wird insoweit nicht mehr festgehalten.