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  BFH-Urteil vom 13.11.1996 (XI R 6/95) BStBl. 1997 II S. 293

1. Die Steuerbegünstigung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 DBStÄndG DDR ist auch beim Wechsel von einer bisher nebenberuflich zu einer hauptberuflich ausgeübten selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit zu gewähren (Anschluß an das BFH-Urteil vom 6. Juli 1995 IV R 84/94, BFHE 178, 189, BStBl II 1995, 833).

2. Die Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift bedeutet den unmittelbaren Beginn des Tätigwerdens, bloße Vorbereitungshandlungen genügen nicht (Anschluß an das Senatsurteil vom 14. Dezember 1994 XI R 39/94, BFHE 176, 406, BStBl II 1995, 320; BFH-Urteile vom 20. April 1995 IV R 101/94, BFHE 178, 25, BStBl II 1995, 710; IV R 89/94, BFH/NV 1996, 24, m. w. N.).

3. Über die Gewährung der Steuerbegünstigung nach § 58 Abs. 3 EStG i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 3 DBStÄndG DDR kann auch im Verfahren die Steuerfestsetzung betreffend entschieden werden (Ergänzung des BFH-Urteils vom 6. März 1995 VI R 81/94, BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463).

AO 1977 § 218 Abs. 2; EStG § 58 Abs. 3; DB-StÄndG DDR § 9 Abs. 1 Satz 3.

Vorinstanz: FG des Landes Brandenburg

Sachverhalt

I.

1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger ist Zahnarzt. Bis zum 27. Dezember 1990 war er in einem Landesambulatorium angestellt. In dieser Zeit betreute er auch nebenberuflich Patienten. Im August 1990 beantragte der Kläger die Überlassung von zwei Gewerberäumen. Der Mietvertrag wurde im Februar 1991 unterzeichnet, als Mietbeginn war darin der 1. Januar 1991 angegeben. Im Oktober und November 1990 schaffte der Kläger Berufskleidung und Praxisbedarf an, ab November 1990 wurde er Pflichtmitglied bei der Ärztekammer. Er führte Einstellungsgespräche mit vorgesehenen Praxismitarbeitern und schloß im Dezember 1990 Arbeitsverträge auf den 1. Januar 1991 ab; bis dahin wurden die Mitarbeiter von ihren bisherigen Arbeitgebern entlohnt. Im Dezember 1990 renovierten die Kläger die angemieteten Praxisräume, gleichzeitig wurden behandlungstechnische Vorbereitungen für den Praxisbetrieb getroffen. Eine Zahnarzthelferin nahm bereits Patiententermine für Januar 1991 auf. Der Kläger nahm an Schulungen für die Abrechnung zahnärztlicher Leistungen teil, eröffnete Bankkonten und beauftragte seine Prozeßvertreterin mit der Wahrnehmung seiner steuerlichen Angelegenheiten. Im Dezember 1990 wurde an seiner bisherigen Beschäftigungsstelle ein Pappschild mit dem Hinweis auf die Niederlassung des Klägers und die Sprechzeiten angebracht. Zwischen Weihnachten 1990 und dem Jahreswechsel führte der Kläger bei jedenfalls 7 Patienten in Notfällen unentgeltlich schmerzstillende Behandlungen durch. Sie waren nach den Feststellungen der Vorinstanz erforderlich, weil das Landesambulatorium bereits geschlossen war.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1991 begehrte der Kläger die Berücksichtigung des Steuerabzugsbetrags gemäß § 58 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 3 der Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer (DB-StÄndG DDR) vom 16. März 1990 (Gesetzblatt I Nr. 21, S. 195) in Höhe von 10.000 DM. Dem entsprach der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nicht. Er vertrat die Auffassung, die hauptberufliche Tätigkeit des Klägers sei aus seiner ursprünglichen Nebenbetätigung hervorgegangen, dafür sei der Steuerabzugsbetrag nicht zu gewähren. Zudem habe der Kläger im Jahre 1990 lediglich vorbereitende Handlungen vorgenommen, es habe daher an einer nach außen in Erscheinung getretenen Geschäftstätigkeit gefehlt.

2. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Voraussetzungen des § 58 Abs. 3 EStG i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 3 DB-StÄndG DDR seien im Streitfall erfüllt. Der Kläger habe vor dem 1. Januar 1991 eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit aufgenommen. Die Aufnahme einer solchen Tätigkeit sei zu bejahen, wenn ein Steuerpflichtiger am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehme und mit seiner geschäftlichen Tätigkeit nach außen in Erscheinung trete. Der Kläger habe im Dezember 1990 durch Anbringung seines Praxisschildes der Öffentlichkeit zu erkennen gegeben, daß er sich als Zahnarzt niedergelassen habe und fortan Patienten behandeln werde. Er habe nach Weihnachten auch tatsächlich Notfallpatienten behandelt. Diese Aktivitäten seien nicht nur Vorbereitungshandlungen zur Eröffnung des Praxisbetriebes gewesen. Dem stehe nicht entgegen, daß der Kläger diese Notfallbehandlungen nicht abgerechnet habe und Abrechnungen überhaupt erst ab 1. Januar 1991 erstelle. Das Herantreten an den Markt sei ein tatsächlicher Vorgang, der von der Absicht der Gewinnerzielung unabhängig sei. Die Gewährung des Steuerabzugsbetrages scheitere auch nicht daran, daß der Kläger bereits während seiner Angestelltentätigkeit nebenberuflich Privatpatienten behandelt habe. Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 DB-StÄndG DDR werde die Steuerbefreiung ausdrücklich bei der Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit gewährt. Vorangegangene nebenberufliche Betätigungen seien daher unschädlich. Das FG setzte die Einkommensteuer der Kläger entsprechend vermindert fest.

3. Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 9 Abs. 1 DB-StÄndG DDR. Dem FG könne nicht gefolgt werden, wenn es das in der Vorschrift enthaltene Merkmal der "Aufnahme" lediglich auf die Hauptberuflichkeit, nicht dagegen auf die Tätigkeit als solche beziehe. Dies widerspreche dem Wortlaut, aber auch dem Sinn dieser Norm. Dieser sei es, wie sich auch aus der Entstehungsgeschichte ergebe, neu entstehenden Gewerbebetrieben bessere Startbedingungen zu verschaffen. Dieses Ziel könne aber nur bei Aufnahme einer neuen Tätigkeit, nicht dagegen bei bloßer Ausdehnung ihres Umfangs erreicht werden. Der Kläger unterscheide sich von dem zu begünstigenden Personenkreis vor allem dadurch, daß er die Schwierigkeiten, die bei der Aufnahme einer selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit typisch sind, nicht zu überwinden gehabt habe, da er seinen durch die vorherige Nebentätigkeit aufgebauten "guten Ruf" habe weiter nutzen und ausbauen können.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Streitfrage kann im vorliegenden Verfahren betreffend die Steuerfestsetzung entschieden werden. Zwar hat der VI. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 6. März 1995 VI R 81/94 (BFHE 177, 122, BStBl II 1995, 463) die Auffassung vertreten, daß über die Gewährung des Steuerabzugsbetrags nach § 58 Abs. 3 EStG i. V. m. § 9 Abs. 1 DB-StÄndG DDR im Abrechnungsverfahren gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu entscheiden sei. Demgegenüber hält der erkennende Senat eine Entscheidung im Festsetzungsverfahren für möglich. Auf Anfrage (vgl. Senatsbeschluß vom 21. März 1996 XI R 6/95, BFHE 180, 325) hat der VI. Senat mit Beschluß vom 20. September 1996 VI ER - S - 1/96 der vom erkennenden Senat beabsichtigten Abweichung von seinem Urteil mit der Maßgabe zugestimmt, daß über die genannte Steuerermäßigung sowohl durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977 als auch im Festsetzungsverfahren (mit)entschieden werden könne.

2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat § 58 Abs. 3 EStG i. V. m. § 9 Abs. 1 DB-StÄndG DDR unzutreffend angewendet.

Gemäß § 58 Abs. 3 EStG ist § 9 Abs. 1 DB-StÄndG DDR für Steuerpflichtige weiter anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1991 in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet eine Betriebstätte begründet haben, wenn sie von dem Tag der Begründung der Betriebstätte an zwei Jahre lang die Tätigkeit ausüben, die Gegenstand der Betriebstätte ist.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG DDR wird bei Neueröffnung eines Handwerks-, Handels- oder Gewerbebetriebes dem Inhaber eine einmalige Steuerbefreiung für zwei Jahre höchstens bis 10.000 M gewährt. Nach Satz 3 der Vorschrift wird die einmalige Steuerbefreiung auch bei Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit gewährt.

Zwar ist das FG zu Recht zur Auffassung gelangt, daß der Steuerbegünstigung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 DB-StÄndG DDR nicht entgegensteht, wenn der Steuerpflichtige wie im Streitfall von einer bisher nebenberuflich zu einer nunmehr hauptberuflich ausgeübten selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit wechselt. Der Wortlaut der Vorschrift schließt durch die Verwendung des Begriffes "hauptberuflich" diesen Übergang nicht aus. Die zusätzliche Verwendung des Wortes "auch" für die Ausdehnung der Steuerbefreiung auf die "Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit" zeigt, daß dieser Tatbestand besonders, und zwar abweichend von der Neueröffnung der in Satz 1 genannten Handwerks-, Handels- und Gewerbebetriebe geregelt werden sollte. Da auf die Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit abgestellt wird, ist es auch unerheblich, ob der Steuerpflichtige mit der eigentlichen Tätigkeit erstmalig beginnt oder sie vorher bereits nebenberuflich ausgeübt hat. Der Senat folgt insoweit dem BFH-Urteil vom 6. Juli 1995 IV R 84/94 (BFHE 178, 189, BStBl II 1995, 833), auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Zu Unrecht hat das FG aber entschieden, daß der Kläger diese hauptberufliche Tätigkeit im Sinne der genannten Vorschriften vor dem 1. Januar 1991 aufgenommen hat. Seinem Wortlaut nach setzt § 58 Abs. 3 EStG für die weitere Anwendung des § 9 Abs. 1 DB-StÄndG DDR voraus, daß der Steuerpflichtige vor dem 1. Januar 1991 eine Betriebstätte begründet und vom Tag ihrer Begründung die Tätigkeit ausgeübt hat, die Gegenstand der Betriebstätte ist. Daraus ist ersichtlich, daß im Jahr 1991 unter der Geltung des EStG nur noch die Steuerpflichtigen den Anspruch auf den Steuerabzugsbetrag erhalten sollen, die mit der eigentlichen Tätigkeit ihres Gewerbebetriebs oder ihres selbständigen Hauptberufes bereits im Jahr 1990 begonnen haben. Gleichermaßen macht § 9 Abs. 1 Satz 3 DB-StÄndG DDR die Steuervergünstigung von der Aufnahme der Tätigkeit abhängig, läßt also bloße, erst auf den unmittelbaren Beginn der hauptberuflichen selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit gerichtete Vorbereitungsmaßnahmen nicht genügen (vgl. im einzelnen Senatsurteil vom 14. Dezember 1994 XI R 39/94, BFHE 176, 406, BStBl II 1995, 320). Im Fall eines Arztes oder Zahnarztes bedeutet dies, daß er seine Leistungen bereits im Jahr 1990 angeboten, mit der Behandlung von Patienten also begonnen haben muß. Vorbereitungshandlungen, wie etwa das Herrichten der Praxis oder die Übernahme eines Patientenstammes sind nicht ausreichend (BFH-Urteile vom 20. April 1995 IV R 101/94, BFHE 178, 25, BStBl II 1995, 710; vom 20. April 1995 IV R 89/94, BFH/NV 1996, 24, m. w. N.).

Im Streitfall gingen die Tätigkeiten des Klägers über den Bereich typischer Vorbereitungshandlungen nicht hinaus. Dies gilt ohne weiteres für die vorbereitenden Maßnahmen rein technischer Art. Auch die Aufnahme von Patiententerminen für den Monat Januar 1991 begründet als solche noch keine zahnärztliche Tätigkeit bereits im ablaufenden Jahr, sondern dient ebenfalls lediglich der Planung und damit Vorbereitung der künftig aufzunehmenden Tätigkeit. Der Senat bewertet aber auch die Behandlung der Notfälle in der Zeit nach Weihnachten 1990 nicht als Aufnahme einer eigenen nach außen in Erscheinung tretenden zahnärztlichen Tätigkeit des Klägers. Nach den Feststellungen des FG sind diese Behandlungen nämlich erforderlich geworden, weil das Landesambulatorium als bisherige Beschäftigungsstelle des Klägers bereits geschlossen war. Die Patienten haben sich daher offenbar an den Kläger noch als Angestellten seines bisherigen Arbeitgebers gewandt. Der Kläger ist damit noch nicht mit einem eigenen Geschäftsbetrieb an den Markt herangetreten. Dies zeigt sich auch daran, daß er diese Behandlungen, die sich zudem auf schmerzstillende Maßnahmen beschränkt haben, wie bisher im Rahmen seines Angestelltenverhältnisses nicht abrechnete.

3. Da die Vorentscheidung insoweit auf einer abweichenden rechtlichen Beurteilung beruht, war sie aufzuheben. Die Feststellungen des FG lassen eine Entscheidung in der Sache zu. Die Klage war daher abzuweisen.