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  BFH-Beschluß vom 3.12.1996 (I B 44/96) BStBl. 1997 II S. 306

1. Ein Haftungsbescheid ist nur dann nichtig i. S. des § 125 Abs. 1 AO 1977, wenn er nicht die ihn erlassende Behörde, den Haftungsschuldner und/oder die Art der Steuer angibt, für die der Haftungsschuldner haften soll. Die fehlende Angabe des Steuerschuldners ist kein schwerer Fehler i. S. des § 125 Abs. 1 AO 1977, solange die Haftungsschuld in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in anderer Weise ausreichend konkretisiert werden kann.

2. Die Inanspruchnahme eines inländischen Haftungsschuldners bedarf dann keiner besonderen Begründung bezüglich der Ermessensausübung, wenn ein gegen den Steuerschuldner zu richtender Nachforderungsbescheid im Ausland vollstreckt werden muß.

3. Ein Haftungsbescheid ist nicht schon deshalb rechtswidrig i. S. des § 121 AO 1977, weil er in der Begründung nicht den Namen des Steuerschuldners nennt.

AO 1977 §§ 119, 121, 125 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war in den Jahren 1990 bis 1992 Geschäftsführer der X-GmbH. Diese engagierte in der genannten Zeit ausländische Künstler und Künstlergruppen, ohne deren Namen im einzelnen festzuhalten und ohne die Einkommensteuer gemäß § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einzubehalten und abzuführen. Nach den Feststellungen einer Steuerfahndungs-Prüfung wurden Einkommensteuern in Höhe von 90.716,15 DM nicht abgeführt. Darüber erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) am 19. Oktober 1993 einen Haftungsbescheid gegenüber der X-GmbH und am 26. Januar 1995 einen solchen gegenüber dem Antragsteller. In dem gegenüber dem Antragsteller erlassenen Haftungsbescheid ist ausgeführt, daß dieser für Steuerschulden der X-GmbH gemäß § 50a Abs. 4 EStG ergehe. Die Haftungsschuld von 90.716,15 DM ist auf die Jahre 1990 bis 1992 aufgeteilt. In der Begründung wird auf den gegenüber der X-GmbH erlassenen Haftungsbescheid Bezug genommen. Dieser Bescheid weist die von der X-GmbH ausgezahlten, aber nicht angemeldeten Vergütungen nach Jahren und den einzelnen Konzertdaten getrennt aus. Die Namen der Mitglieder der aufgetretenen Künstlergruppen sind nicht angegeben. Die Abzugsteuern, die auf die gezahlten Vergütungen entfallen, sind mit 99.012,85 DM berechnet.

Der Antragsteller beantragte zunächst beim FA und später beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides. Das FG lehnte den Antrag im Verfahren 4 V 3220/95 wegen Fehlens ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides durch Beschluß vom 31. Oktober 1995 ab. Die Beschwerde wurde nicht zugelassen. Ein Rechtsbehelf wurde nicht eingelegt.

Am 20. Dezember 1995 beantragte der Antragsteller beim FG die Änderung des Beschlusses vom 31. Oktober 1995. Er berief sich auf § 69 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einerseits und den zwischenzeitlich ergangenen Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Juli 1995 I B 200/94 (BFH/NV 1996, 311) andererseits. Der BFH habe ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Nachforderungsbescheides geäußert, wenn der Steuerschuldner in ihm nicht ausreichend bezeichnet werde.

Das FG lehnte die Änderung seines Beschlusses vom 31. Oktober 1995 ab. Es ließ die Beschwerde zu.

Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, rügt der Antragsteller sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.

1. Nach § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ist ein Steuerbescheid nur dann nichtig, wenn er an einem besonders schweren Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Aus der Abgrenzung des § 125 Abs. 1 AO 1977 gegenüber §§ 118 Satz 1, 119 und 157 AO 1977 folgt, daß jeder Bescheid eine Regelung i. S. des § 118 AO 1977 enthalten muß. Andererseits muß er hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO 1977) und die erlassende Behörde angeben (§ 119 Abs. 3 AO 1977). Die hinreichende Bestimmtheit setzt die Angabe der festgesetzten Steuer nach Art und Betrag und der Person des Steuerschuldners voraus (§ 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Dagegen bildet die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen keinen mit Rechtsbehelfen anfechtbaren Teil des Steuerbescheides, soweit - wie im Streitfall - die Besteuerungsgrundlagen nicht gesondert festzustellen sind. Übertragen auf Haftungsbescheide bedeutet dies, daß ein besonders schwerer Fehler nur dann anzunehmen ist, wenn ein Haftungsbescheid nicht die ihn erlassende Behörde, den Haftungsschuldner, die Haftungsschuld und/oder die Art der Steuer angibt, für die der Haftungsschuldner haften soll. Die Angabe des Steuerschuldners ist keine zwingende Begründungsvoraussetzung, solange die Haftungsschuld in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in anderer Weise ausreichend konkretisiert werden kann. Entsprechend ist der gegenüber dem Antragsteller erlassene Haftungsbescheid schon deshalb nicht nichtig, weil er den Antragsteller als Haftungsschuldner, die Haftungsschuld der Höhe und der Art nach (Einkommensteuer gemäß § 50a Abs. 4 EStG für die Jahre 1990 bis 1992) und den Haftungsgrund in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausreichend erkennen läßt.

2. Der Haftungsbescheid ist auch nicht rechtswidrig. Insbesondere ist § 121 AO 1977 nicht verletzt.

a) Zwar ist der Erlaß eines Haftungsbescheides in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt (vgl. Halaczinsky in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, § 191 Rz. 11). Auch bedarf es deshalb einer Ermessenserwägung. Der Senat hat jedoch in seinem Urteil vom 20. Juli 1988 I R 61/85 (BFHE 154, 473, BStBl II 1989, 99) entschieden, daß es keiner weiteren Begründung für den Erlaß eines Haftungsbescheides bedarf, wenn ein gegen den Steuerschuldner zu richtender Nachforderungsbescheid im Ausland vollstreckt werden müsse. In einem solchen Fall versteht sich die Entscheidung zugunsten eines Haftungsbescheides von selbst. An dieser Rechtsauffassung hält er fest. Sie gilt erst recht, wenn der Erlaß eines Nachforderungsbescheides schon daran scheitert, daß die Person des Vergütungsgläubigers dem FA unbekannt ist. So gesehen reichte es im Streitfall zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme des Antragstellers aus, daß die Steuerschuldner mutmaßlich im Ausland ansässig waren und das FA vernünftigerweise keine Vollstreckungsmöglichkeit im Inland hatte. Damit schied der Erlaß von Nachforderungsbescheiden aus Gründen aus, die - wie noch auszuführen sein wird - die X-GmbH bzw. der Antragsteller zu vertreten hatten.

b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers gehört die Angabe des Namens des Steuerschuldners nicht in jedem Fall zum notwendigen Inhalt der Begründung eines Haftungsbescheides. Dies belegt schon § 41a Abs. 1 Nr. 1 EStG, der für den vergleichbaren Fall der Anmeldung von Lohnsteuer nur die Angabe der "Summe der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer" verlangt. Es ist kein Grund zu erkennen, weshalb für Haftungsbescheide einerseits und für die Anmeldung von Einkommensteuern i. S. des § 50a Abs. 4 EStG andererseits etwas unterschiedliches gelten soll. Entsprechend hat auch der VI. Senat des BFH für Lohnsteuerhaftungsbescheide entschieden, es sei für die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheides i. S. des § 119 Abs. 1 AO 1977 nicht erforderlich, daß aus ihm die Zuordnung der Höhe der nachgeforderten Lohnsteuer gegenüber konkreten Arbeitnehmern hervorgehe (vgl. BFH-Urteil vom 17. März 1994 VI R 120/92, BFHE 174, 89, BStBl II 1994, 536, m. w. N.). Die entsprechende Zuordnung ist nur eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides. Auf die Ermittlung der Vergütungsgläubiger kann jedoch verzichtet werden, wenn sie objektiv unmöglich oder dem FA nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit unzumutbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 20. Mai 1980 VI R 169/77, BFHE 130, 461, BStBl II 1980, 669). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitgeber dem FA die Namen der Vergütungsgläubiger vorenthält (vgl. BFH-Urteil vom 8. November 1985 VI R 237/80, BFHE 145, 363, BStBl II 1986, 274). So ist auch der Streitfall gelagert. Gemäß § 73e Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) waren die X-GmbH als Vergütungsschuldner und der Antragsteller als der gesetzliche Vertreter der X-GmbH (§ 34 Abs. 1 AO 1977) verpflichtet, dem FA u. a. eine Steueranmeldung "über den Gläubiger" zu übersenden. Dies bedeutete, daß sowohl die X-GmbH als auch der Antragsteller die Namen der Vergütungsgläubiger zu ermitteln und dem FA anzugeben hatten. Dieser Verpflichtung sind beide Personen schuldhaft nicht nachgekommen. Es wäre eine Pervertierung der an einen Haftungsbescheid zu stellenden Anforderungen, wenn ein solcher aus Gründen nicht ergehen dürfte, die ausschließlich vom Haftungsschuldner im Anmeldeverfahren schuldhaft herbeigeführt wurden.

3. Die demgegenüber vom Antragsteller geltend gemachten Bedenken greifen ausnahmslos nicht durch.

a) Der Senatsbeschluß in BFH/NV 1996, 311 ist auf den Streitfall unübertragbar. Er betrifft einen Nachforderungs- und keinen Haftungsbescheid. Der Unterschied besteht darin, daß der Nachforderungsbescheid nur in das Vermögen des Vergütungsgläubigers und der Haftungsbescheid in das Vermögen des Vergütungsschuldners zu vollstrecken ist. Entsprechend muß nur jeweils die Person, in deren Vermögen vollstreckt werden kann, hinreichend bestimmt sein.

b) Ob die X-GmbH und/oder der Antragsteller ein Interesse an der Angabe der Vergütungsgläubiger haben, ist für die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides gegenüber dem Antragsteller ohne Bedeutung. Nach § 73e Satz 2 EStDV war es Sache der X-GmbH bzw. des Antragstellers, die Namen der Vergütungsgläubiger zu ermitteln. Dann kann aber die Haftungsinanspruchnahme beider nicht daran scheitern, daß sie ihre steuerlichen Pflichten im Anmeldeverfahren verletzten.

c) Der gegenüber dem Antragsteller erlassene Haftungsbescheid enthält weder die Festsetzung einer Steuerschuld gegenüber den Vergütungsgläubigern noch ist das FA verpflichtet, den Vergütungsgläubigern eine Bescheinigung über geleistete Zahlungen zu erteilen. Etwas anderes folgt nicht aus der Möglichkeit der Vergütungsgläubiger, gegen eine Steueranmeldung bzw. einen Haftungsbescheid aus eigenem Recht Einspruch einzulegen. Dieses Recht folgt aus der Tatsache, daß sowohl die Steueranmeldung als auch der Haftungsbescheid Drittwirkung im Verhältnis zwischen Vergütungsgläubiger und -schuldner haben. Sie rechtfertigen die Einbehaltung der Qüllensteuer bzw. der Rückforderung im Verhältnis zwischen beiden. Soweit jedoch die Vergütungsgläubiger eine Veranlagung gemäß §§ 1a oder 50 Abs. 5 Satz 4 EStG beantragen sollten, ist es ihre Sache, die Zahlung von Quellensteuern durch eine Bescheinigung des Vergütungsschuldners nachzuweisen. Dies gilt auch für den Fall der Geltendmachung eines Anspruchs auf Erstattung gegenüber dem Bundesamt für Finanzen. Insoweit besteht keine Bindung an den Haftungsbescheid.

4. Angesichts dieser Rechtslage sind die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO nicht erfüllt. Die Vorentscheidung verletzt kein Bundesrecht.