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  BFH-Urteil vom 18.2.1997 (VII R 96/95) BStBl. 1997 II S. 339

Bei der Auslegung eines mehrdeutigen Verwaltungsakts ist in analoger Anwendung der §§ 133, 157 BGB im Zweifel das für den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen. Dabei ist auf den Zeitpunkt des Zuganges der behördlichen Verfügung abzustellen; ohne Bedeutung ist es daher, ob ein anderes Auslegungsergebnis zu einem späteren Zeitpunkt zu einem für den Erklärungsempfänger günstigeren Ergebnis führen könnte, mit dem er im Zeitpunkt des Zuganges des Verwaltungsaktes nicht ernsthaft rechnen konnte.

BGB §§ 133, 157; AO 1977 §§ 237, 361 Abs. 2.

Vorinstanz: Hessisches Finanzgericht (EFG 1996, 635)

Sachverhalt

Als Geschäftsführer einer GmbH wurde der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) wegen Umsatzsteuerschulden, Kirchen-Lohnsteuer und Säumniszuschlägen mit Haftungsbescheid vom 19. Dezember 1985 als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Auf Antrag des Klägers setzte das FA die Vollziehung des Haftungsbescheids mit Verfügung vom 27. Januar 1986 aus. Hinsichtlich der Dauer der Aussetzung enthält das vom FA verwendete Formular folgende Bestimmung: "Die Aussetzung der Vollziehung gilt bis zum Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens, falls sie nicht widerrufen oder der Rechtsbehelf zurückgenommen wird. "

Nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 1989) erhob der Kläger zunächst Anfechtungsklage und beantragte dann - auf einen Hinweis des Gerichts auf eine möglicherweise eingetretene Zahlungsverjährung -, die Erledigung der Hauptsache festzustellen. Das Finanzgericht (FG) entschied, der Haftungsanspruch des FA sei durch Eintritt der Zahlungsverjährung erloschen, und stellte die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache fest. Zur Begründung führte das FG aus, die Unterbrechung der Zahlungsverjährung infolge der Aussetzung der Vollziehung habe mit der Einspruchsentscheidung geendet. Mit Ablauf des Jahres 1989 sei die fünfjährige Verjährungsfrist des § 228 der Abgabenordnung (AO 1977) erneut angelaufen, so daß der Haftungsanspruch seit dem 1. Januar 1995 verjährt sei.

Der unklare und mehrdeutige Wortlaut der Befristung in der Aussetzungsverfügung "bis zum Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens" sei entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auszulegen. Bei der Auslegung sei zu berücksichtigen, daß in den §§ 347 bis 368 AO 1977 ausschließlich das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren geregelt werde. Den Begriff "gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren" verwende weder die AO 1977 noch die Finanzgerichtsordnung (FGO); auch sei dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers eine einheitliche Verwendung des Begriffs "Rechtsbehelfsverfahren" in der Singularform als zusammenfassende Bezeichnung des außergerichtlichen und des gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens fremd. Für eine engere Auslegung spreche auch das natürliche Wortverständnis, nach dem ein Rechtsbehelfsverfahren mit der Rechtsbehelfsentscheidung seinen Abschluß finde.

Darüber hinaus habe der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Beschluß vom 3. Januar 1978 VII S 13/77 (BFHE 124, 22, BStBl II 1978, 157) entschieden, eine unbefristete Aussetzungsentscheidung durch das FG könne vom Steuerpflichtigen nur als Aussetzung bis zum Ergehen der finanzgerichtlichen Entscheidung verstanden werden. Übertrage man diese Grundsätze auf den Streitfall, bestünde für den Steuerpflichtigen kein Anlaß zu der Annahme, das FA wolle bereits zu Beginn des Rechtsbehelfsverfahrens eine Entscheidung für den Zeitraum nach Ergehen der Einspruchsentscheidung treffen. Der Kläger habe somit davon ausgehen können, die Aussetzung der Vollziehung ende mit dem Erlaß der Einspruchsentscheidung. Diese - zur Verjährung des Haftungsanspruchs führende - Auslegung sei deshalb geboten, weil bei Zweifeln über den Inhalt einer Erklärung das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen sei. Die Richtigkeit dieses Auslegungsergebnisses habe die Finanzverwaltung durch eine 1989 vorgenommene Änderung der Vordruckformulare bestätigt. Zur Vermeidung von Mißverständnissen werde in den neuen Formularen anstelle der bisherigen nunmehr die Formulierung "bis 1 Monat nach Zustellung der Rechtsbehelfsentscheidung" verwendet.

Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe die formularmäßige Bestimmung über die Befristung der Aussetzung der Vollziehung und insbesondere den dort verwendeten Begriff des Rechtsbehelfs unzutreffend ausgelegt. Ausweislich einer zu § 361 AO 1977 erlassenen Verwaltungsanweisung sei mit der Befristung eine Aussetzung der Vollziehung bis zur endgültigen, ggf. auch gerichtlichen Beendigung des Rechtsbehelfsverfahrens bezweckt worden. Aus diesem Grund enthalte das im Streitfall verwendete Formular den Vorbehalt des Widerrufs. Des weiteren werde die Auslegung des FG durch den tatsächlichen Geschehensablauf im Streitfall widerlegt. Der durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretene Kläger habe nach Zugang der Einspruchsentscheidung weder einen Antrag auf (erneute) Aussetzung der Vollziehung gestellt noch habe er die Haftungsschuld beglichen. Aus diesem Verhalten sei darauf zu schließen, daß der Kläger davon ausgegangen sei, die Aussetzung werde bis zur Beendigung des Klageverfahrens fortwirken.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Entgegen der Auffassung des FG wirkt im Streitfall die Unterbrechung der Verjährung infolge der Aussetzung der Vollziehung (§ 231 Abs. 1 AO 1977) über das Einspruchsverfahren hinaus; daher ist der vom FA gegen den Kläger geltend gemachte Haftungsanspruch noch nicht verjährt (vgl. nachfolgend 2. a).

1. Im Streitfall kommt der Auslegung des in der Aussetzungsverfügung verwendeten Begriffs des Rechtsbehelfsverfahrens entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die AO 1977 keine Definition dieses Begriffs enthält. Fehl geht jedoch die Annahme der Vorinstanz, die AO 1977 und FGO verwendeten im Gegensatz zur Regelung des "außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens" in den §§ 347 bis 368 AO 1977 weder den Begriff "gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren" noch eine zusammenfassende Bezeichnung für beide Rechtsbehelfsarten. So belegt die Vorschrift des § 237 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 über die Zinspflicht im Aussetzungsverfahren, daß der Begriff des gerichtlichen Rechtsbehelfs dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers nicht fremd ist, denn in dieser Vorschrift werden beide Rechtsbehelfsarten gegenübergestellt. Darüber hinaus deuten mehrere Vorschriften der AO 1977 und FGO darauf hin, daß der Gesetzgeber den Begriff "Rechtsbehelf" als Oberbegriff versteht. Nach § 256 AO 1977 sind Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen. Als solche kommen grundsätzlich außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe in Betracht (vgl. Szymczak in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 256 Anm. 5 und 11, und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 256 AO 1977 Tz. 2). Auch die vom Gesetzgeber in § 237 Abs. 5 AO 1977 aufgenommene Formulierung "nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens" (angefügt durch Art. 26 Nr. 31 des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1993, BGBl I, 2310) erfaßt außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe. Schließlich wird der Begriff "Rechtsbehelf" auch in § 136 Abs. 2 und § 144 FGO als Oberbegriff für einen Antrag, eine Klage oder ein Rechtsmittel verwendet.

Schon diese Beispiele rechtfertigen die Annahme, daß der Gesetzgeber die Begriffe "Rechtsbehelf" und "Rechtsbehelfsverfahren" als Oberbegriffe verstanden wissen will, die in ihrer Verwendung in der AO 1977 oder FGO nicht generell auf das außergerichtliche Verfahren beschränkt sind. Die Auffassung der Revision, die auch durch eine, den im Streitfall verwendeten Vordruck betreffende Verwaltungsanweisung der zuständigen Oberfinanzdirektion (OFD) bestätigt wird (vgl. Rundverfügung der OFD Frankfurt/Main vom 15. September 1989, AO-Kartei, § 361, Karte 2 N), findet damit auch eine Stütze in den gesetzlichen Bestimmungen. Im übrigen entspricht es allgemeiner Auffassung, daß der Begriff des Rechtsbehelfs grundsätzlich dahin zu verstehen ist, daß er auch prozessuale Mittel zur Rechtsverwirklichung im Wege gerichtlicher Verfahren, insbesondere auch Klage und Revision, erfaßt (vgl. Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor § 115 FGO Rz. 1; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 55. Aufl., Grundz. § 511 Rz. 1).

2. Unabhängig davon ist jedoch die Frage zu beurteilen, ob die zur formularmäßigen Abfassung der Aussetzungsverfügung gewählte Formulierung den inneren Willen des FA klar und unzweideutig wiedergibt, so daß der Kläger keinen Anlaß hatte, an der inhaltlichen Bedeutung der Verfügung zu zweifeln. Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, daß die Befristung der Aussetzung "bis zum Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens" aufgrund der Mehrdeutigkeit des Rechtsbehelfsbegriffs nicht zweifelsfrei und daher auslegungsbedürftig ist. Nach der zuvor dargestellten Rechtslage kann damit sowohl der Abschluß nur des außergerichtlichen als auch der des außergerichtlichen und des gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens gemeint sein.

a) Bei der Auslegung eines Verwaltungsakts sind die §§ 133, 157 BGB entsprechend anzuwenden. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, was die Behörde - subjektiv - mit ihrer Erklärung gewollt hat. Maßgebend für die in der Revisionsinstanz uneingeschränkt nachprüfbare und korrigierbare Auslegung (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1994 I R 31/93, BFH/NV 1995, 576, 577) ist der objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Senats vom 3. Dezember 1985 VII R 17/84, BFHE 145, 492, BStBl II 1986, 439, und Beschluß des Senats vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34). Weil der Verwaltungsakt gemäß § 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 mit dem bekanntgegebenen Inhalt wirksam wird, muß die Auslegung zumindest einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung haben (BFH-Urteil vom 28. November 1985 IV R 178/83, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293). Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1987 8 C 21.86, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 79 VwGO Nr. 23, und Beschluß des Senats in BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34, m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze ist davon auszugehen, daß sich die Befristung in der Aussetzungsverfügung nicht auf den Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens bezieht, sondern die Aussetzung der Vollziehung sich auch auf das finanzgerichtliche Verfahren erstreckt, wobei im Streitfall ohne Bedeutung ist, ob sie - entsprechend allgemeiner Auffassung - auch die Revision als "Rechtsmittel"-Verfahren (vgl. § 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO) erfaßt. Da das finanzgerichtliche Verfahren erst im Jahre 1995 durch Urteil abgeschlossen worden ist, hat frühestens mit Ablauf dieses Kalenderjahres, sofern in diesem Jahr die Unterbrechung geendet hat, eine neue Verjährungsfrist zu laufen begonnen (§ 231 Abs. 3 AO 1977), so daß - entgegen der Vorentscheidung - die Zahlungsverjährung noch nicht eingetreten ist.

Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, daß dem Kläger die von ihm beantragte Aussetzung der Vollziehung unter dem Vorbehalt des Widerrufs gewährt wurde. Damit war auch für den Kläger erkennbar, daß es zur Beendigung der Vollziehungsaussetzung einer Befristung bis zum Abschluß des Einspruchsverfahrens nicht bedurfte; denn im Falle der Erfolglosigkeit des Einspruchs hätte dem FA die Möglichkeit des Widerrufs zur Verfügung gestanden.

Des weiteren enthält das Formular für den Fall der Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs u. a. einen ausdrücklichen Hinweis auf § 237 AO 1977, dessen Wortlaut und Regelungsinhalt sich sowohl auf den außergerichtlichen als auch den gerichtlichen Rechtsbehelf erstreckt. Bei Wertung des objektiven Erklärungsinhalts konnte der Kläger davon ausgehen, daß eine Vollstreckung bis zur endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids, d. h. jedenfalls bis zur Entscheidung des FG, hinausgeschoben würde. Dies entsprach im Zeitpunkt des Zugangs der Aussetzungsverfügung nicht nur seinem Antrag, die Vollziehung bis zur Rücknahme des Haftungsbescheids auszusetzen, sondern auch seinem Interesse an einer dauernden Vollstreckungsverschonung und stellt daher das für ihn günstigere Auslegungsergebnis dar. Zu diesem Zeitpunkt war für keinen der Beteiligten vorhersehbar, daß es einige Jahre später hinsichtlich der Frage des Ablaufs der fünfjährigen Verjährungsfrist (§ 228 AO 1977) aus der Sicht des Klägers weniger belastend sein würde, nach Erfolglosigkeit des Einspruchs von einer Beendigung der Aussetzung der Vollziehung auszugehen. Mit einer Verjährung des Haftungsanspruchs konnte der Kläger im Zeitpunkt des Zugangs der Aussetzungsverfügung nicht rechnen.

Ihren unveränderlichen Erklärungswert entfaltet eine empfangsbedürftige Willenserklärung mit dem Augenblick ihres Wirksamwerdens. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), der der Senat folgt, ist der sich aus dem Erklärungswert erschließende Sinn unabhängig von späteren Ereignissen zu beurteilen; denn einer Willenserklärung kann nicht in dem Zeitpunkt, zu dem sie wirksam wird, der eine und später ein anderer Sinn beigelegt werden (vgl. Urteil des BGH vom 24. Juni 1988 V ZR 49/87, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 133 BGB Nr. 30). Für die Auslegung eines Verwaltungsakts ist es ohne Bedeutung, daß ein anderes Auslegungsergebnis zu einem späteren Zeitpunkt zu einem für den Erklärungsempfänger vorteilhafteren Ergebnis führen könnte, mit dem er im Zeitpunkt des Zugangs der Willenserklärung nicht ernsthaft rechnen konnte. Die Auffassung der Vorinstanz, die auf den Zeitpunkt des Verjährungseintritts abstellt, wird diesen Auslegungskriterien nicht gerecht.

b) Auch beruft sich das FG zu Unrecht auf die Entscheidung des Senats in BFHE 124, 22, BStBl II 1978, 157, nach der ein nicht befristeter Aussetzungsbeschluß des FG nur dahin verstanden werden kann, daß die Aussetzung der Vollziehung nur für das finanzgerichtliche Verfahren gilt.

Zweifelhaft ist bereits die Befugnis des FG, eine Aussetzung der Vollziehung anzuordnen, die zeitlich über seine Entscheidung in der Hauptsache hinausgeht (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 124, 22, BStBl II 1978, 157, m. w. N.). Daher ist die Ausgangslage, in der sich das FG befindet, mit der Entscheidungslage der Finanzbehörde, deren Aussetzungsbefugnis gemäß § 361 Abs. 2 AO 1977 keiner zeitlichen Beschränkung unterliegt, nicht vergleichbar.

Es kann auch - anders als in der Regel beim FG - nicht ausgeschlossen werden, daß das FA von vornherein vom Fortbestand ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts auch für den Fall einer späteren zurückweisenden Einspruchsentscheidung ausgeht. Für eine zeitlich unbefristete Aussetzungsverfügung der Finanzbehörde hat der BFH deshalb - anders als bei der Aussetzung durch das FG - entschieden, daß diese bis zu ihrer Aufhebung oder Änderung, jedoch längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Gültigkeit beanspruchen kann (vgl. BFH-Beschluß vom 14. März 1986 VI B 44/84, BFHE 146, 218, BStBl II 1986, 475). Bei der Auslegung der objektiven Bedeutung einer unbefristeten Aussetzungsverfügung des FA kann deshalb davon ausgegangen werden, daß das FA ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts über seine eigene Einspruchsentscheidung hinaus jedenfalls bis zum Abschluß des finanzgerichtlichen Verfahrens aufrechterhält und die Aussetzung der Vollziehung zeitlich nicht auf das Einspruchsverfahren beschränkt.

c) Die abweichende Auffassung der Vorinstanz findet auch keine Bestätigung durch den tatsächlichen Geschehensablauf im Streitfall. Träfe die Auslegung der Vorinstanz zu, hätte der Kläger nach dem Zugang der Einspruchsentscheidung erneut einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung - nunmehr für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens - stellen müssen. Dies hat er jedoch nicht getan, sondern Klage erhoben und seinen Klageantrag erst nach einem Hinweis des Gerichts auf eine möglicherweise eingetretene Zahlungsverjährung umgestellt. Auch das FA hat nach seiner zurückweisenden Einspruchsentscheidung weder einen Vollziehungsversuch unternommen noch die Vollziehung von sich aus (erneut) ausgesetzt.

3. Die Vorentscheidung, die zu einem von der Auffassung des Senats abweichenden Auslegungsergebnis kommt, ist danach aufzuheben und die Sache mangels Spruchreife an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Da der Haftungsanspruch - jedenfalls aus den vom FG angenommenen Gründen - noch nicht verjährt ist, wird das FG nunmehr die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids zu prüfen haben.