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  BFH-Urteil vom 14.1.1997 (VII R 47/96) BStBl. 1997 II S. 481

1. Die Beurteilung, ob "künstliche Gelenke" oder Teile davon i. S. der entsprechenden Codenummern des DGebrZT vorliegen, richtet sich allein nach (einfuhr-)umsatzsteuerlichen Gesichtspunkten.

2. Einzelkomponenten für Hüft- und Kniegelenkprothesen sind einfuhrumsatzsteuerermäßigte künstliche Gelenke, keine nicht begünstigten Teile.

KN Unterpos. 9021 1100 und 3090; DGebrZT Codenrn. 9021 1100 0001 und 0009; UStG 1993 § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, § 26 Abs. 2, Anl. Nr. 52 Buchst. a; UStG 1980 Anl. Nr. 46 Buchst. a; UStDV 1980 § 27; FGO § 100 Abs. 1 Satz 4.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1997, 22)

Sachverhalt

I.

Der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die von ihr aus den USA eingeführte Hüft- und Kniegelenkprothesen an Krankenhäuser zur Implantation in den menschlichen Körper liefert, wurden von der Beklagten und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) unter dem 8. August 1990 für die einzelnen Komponenten - Femur-Schaft und -Kopf sowie Acetabulum der Hüftgelenkprothese; Tibia- und Femur-Teil der Kniegelenkprothese - fünf verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) mit jeweiliger Zuweisung zur Codenummer 9021 1100 0009 des Deutschen Gebrauchszolltarifs (DGebrZT) - (nichteinfuhrumsatzsteuerermäßigte) Teile von künstlichen Gelenken für Menschen - erteilt (bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 16. Juni 1993). Die Klage, mit der die Klägerin die Einreihung als unvollständige oder unfertige künstliche Gelenke der Codenummer 9021 1100 0001 oder als "andere" Prothesen der Codenummer 9021 3090 0901 DGebrZT - einfuhrumsatzsteuerermäßigt nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 mit Nr. 52 Buchst. a oder c der Anlage dazu (i. d. F. der Verordnung vom 7. März 1988, BGBl I 1988, 204, BStBl I 1988, 117) - begehrte, wurde abgewiesen. Zolltariflich seien die Waren - so das Finanzgericht (FG) - innerhalb der Position 9021 der Kombinierten Nomenklatur (KN) der Unterposition (künstliche Gelenke, hier in Gestalt von Teilen), nicht der Unterposition 3090 (andere Prothesen) zuzuweisen; einfuhrumsatzsteuerrechtlich handele es sich, wie von der OFD entschieden, um "Teile" von künstlichen Gelenken, nicht um unvollständige Gelenke selbst. Wegen der Begründung der Vorentscheidung im einzelnen wird auf deren Abdruck in Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1996, 352 verwiesen.

Mit der Revision wendet sich die Klägerin gegen diese Entscheidung. Teile i. S. von Anm. 2 b zu Kap. 90 lägen wegen der eigenständigen Funktion der Waren nicht vor. Aufgrund dieser Funktion seien sie entweder unvollständige künstliche Gelenke (Allgemeine Vorschrift - AV - 2 a) oder - ebenfalls "Hauptsache"-Prothesen. Umsätze der tarifierten Waren seien früher umsatzsteuerermäßigt gewesen; die bloße Anpassung an den neuen Zolltarif rechtfertige keine Verdoppelung der Steuerlast, die Ermächtigung in § 26 Abs. 2 UStG decke eine solche nicht ab. Bei verfassungskonformer Auslegung unter Berücksichtigung des gesetzlichen Zwecks - Umsatzsteuerbegünstigung für Körperersatzstücke - seien die Waren nicht als Teile bzw. Zubehör einzureihen.

Auf gerichtliche Anfrage hat die Klägerin erklärt, sie beabsichtige auch weiterhin, die Waren unter Inanspruchnahme der Einfuhrumsatzsteuerermäßigung aus den USA einzuführen.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision ist zulässig.

Sie ist zulassungsfrei statthaft gemäß § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da mit der Vorentscheidung auch über die zolltarifliche Einordnung der Waren - Unterposition 9021 1100 oder 3090 KN - erkannt worden ist; ob die Entscheidung auch im übrigen, soweit sie die einfuhrumsatzsteuerrechtliche Zuweisung zu den aus umsatzsteuerlichen Gründen geschaffenen Abgaben-Linien betrifft, als "Urteil in Zolltarifsachen" anzusehen wäre, kann offenbleiben.

Die Revision ist auch nicht, wie die OFD meint, wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unzulässig. Zwar sind die angefochtenen vZTA mit Ablauf ihrer gesetzlich festgelegten Gültigkeitsdauer im August 1996 ungültig geworden (§ 23 Abs. 3 Satz 2 des Zollgesetzes, Art. 18 der Verordnung (EWG) Nr. 1715/90 des Rates vom 20. Juni 1990, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 160/1; Art. 15 der Zollkodex-Durchführungsverordnung), womit sie sich i. S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO (anderweitig) erledigt haben, mit der Folge, daß nach den Hauptanträgen der Revision nicht mehr erkannt werden kann. Die Klägerin ist aber im Revisionsverfahren - hilfsweise - zum Feststellungsbegehren übergegangen (zur Zulässigkeit als Hilfsbegehren Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. April 1986 I R 92/84, BFHE 147, 14, 16, BStBl II 1986, 736). Hierzu war sie auch im Anschluß an ihren Verpflichtungsantrag berechtigt (vgl. §§ 67, 123, FGO; BFH-Urteil vom 12. Juni 1996 II R 71/94, BFH/NV 1996, 873, mit Nachweisen). Das erforderliche berechtigte Interesse für die nunmehr begehrte Feststellung, daß die vZTA rechtswidrig waren, liegt vor; die Voraussetzungen dafür (zu ihnen Senat, Urteil vom 5. April 1990 VII K 1/89, BFHE 161, 217, 219, BStBl II 1990, 990) sind, auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin auf Anfrage des Senats eingereichten Erklärung, gegeben. Für Einfuhrumsatzsteuerzwecke könnten - neue - vZTA über die zoll- und einfuhrumsatzsteuerrechtliche Tarifierung der Waren erteilt werden (vgl. Lux in Dorsch, Zollrecht, B. I/12 Rz. 10), unbeschadet dessen, daß Auskünfte nur für Zwecke der inneren Umsatzsteuer nicht in Betracht kämen (Senat, Urteil vom 20. Juni 1995 VII R 17/95, BFHE 178, 262; vgl. auch Anmerkung hierzu in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 23).

2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zum Ausspruch der von der Klägerin begehrten Feststellung. OFD und FG haben über die Einreihung der Waren zolltariflich richtig, einfuhrumsatzsteuerrechtlich aber rechtsfehlerhaft entschieden.

a) Zolltariflich gehören die "Prothesen" nicht zu Unterposition 9021 3090 - "andere" Prothesen -, sondern, nach ihrer festgestellten Beschaffenheit und Verwendung, als "künstliche Gelenke" zu Unterposition 9021 1100 KN. Diese Unterposition enthält, wie insbesondere der französische Wortlaut bestätigt ("protheses articulaires"), die genauere Warenbezeichnung für Kunstgelenke als Prothesen besonderer Art und geht somit der allgemeiner gehaltenen Unterposition 9021 3090 vor (AV 6, 3 a Satz 1). Dies hat das FG jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden; hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Soweit die Erläuterungen zu Position 9021 (Harmonisiertes System Rz. 42.0) künstliche Gelenke zu den anderen Waren der Prothetik zählen, kann darin kein tarifierungserheblicher Hinweis gesehen werden. Zolltariflich ohne Bedeutung ist auch, ob die Erzeugnisse bereits (unvollständige) Waren der Unterposition 9021 1100 sind (vgl. AV 2 a Satz 1) oder nur "Teile" von solchen. Auch als bloße Teile wären sie der Position der Hauptware zuzuweisen (vgl. Anm. 2 b zu Kap. 90). Letzteres würde im übrigen auch gelten, wenn statt der Unterposition 9021 1100 die Unterposition 9021 3090 anwendbar wäre. Diese Unterposition erfaßt gleichermaßen Teile und Zubehör.

b) Von den derzeit und zur Zeit der Erteilung der vZTA für künstliche Gelenke vorgesehenen beiden DGebrZT-Codenummern 9021 1100 0001 - künstliche Gelenke für Menschen, ausgenommen Teile und Zubehör - und ... 0009 - andere - ist, anders als von OFD und FG entschieden, die erstere und nicht die letztere einschlägig. Die Waren sind künstliche Gelenke (aus Unterposition 9021.11) i. S. von Nr. 52 Buchst. a UStG-Anlage, nicht Teile oder Zubehör.

Vor Inkrafttreten des neuen Zolltarifsystems (1. Januar 1988), auf das die UStG-Anlage umgestellt worden ist, gehörten, wie vom FG näher begründet, Erzeugnisse der vorliegenden Art als Prothesen aus Tarifnummer 90.19 A (Tarifstelle 90.19 A III) des damaligen Gemeinsamen Zolltarifs, der "künstliche Gelenke" noch nicht besonders anführte, zu den umsatzsteuerermäßigten Gegenständen (Nr. 46 Buchst. a der damaligen UStG-Anlage; vgl. BStBl I 1983, 567, 591, Abschn. B Tz. 151: andere Prothesen, z. B. Hüftgelenkprothesen; Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, 10. Aufl., § 12 Abs. 2 Nr. 1 Rz. 437); sie waren keine nicht begünstigten "Teile" i. S. des (inzwischen weggefallenen) § 27 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Diese Rechtslage wirkt sich weiterhin aus. Das gilt unabhängig von der Frage, ob die Verweisung auf den Zolltarif "gleitenden" (dynamischen) Charakter hat oder statischer Art ist. Denn die mit der Verordnung vom 7. März 1988 erfolgte Änderung der UStG-Anlage, die auf der dem Bundesminister der Finanzen in § 26 Abs. 2 UStG erteilten Ermächtigung zur Anpassung an den Wortlaut des Zolltarifs beruht (vgl. Schlienkamp, Umsatzsteuer-Rundschau 1988, 109 f.), sollte keine materiell-rechtlichen Auswirkungen haben, insbesondere war keine Veränderung der Steuerermäßigung nach Inhalt und Umfang oder durch die Übernahme neuer zolltariflicher Warenbegriffe beabsichtigt (amtliche Begründung der Verordnung, BRDrucks. 28/88 S. 16). Dieser Zweck muß bei der Anwendung des neuen Rechts und seiner Auslegung berücksichtigt werden (vgl. auch Plückebaum/Malitzky, a. a. O., Rz. 59/5). Hier bestimmt er bereits die Auslegung des Begriffs "künstliche Gelenke (nicht Teile) in Nr. 52 Buchst. a UStG-Anlage. Zwar hat der Senat entschieden (u. a. Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BFHE 160, 342, BStBl II 1990, 760), daß es bei der Auslegung der Einzelregelungen der UStG-Anlage allein auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe ankommt. Dies gilt jedoch nur, soweit auf solche Begriffe verwiesen ist. Die Ausnahme von Teilen und Zubehör aus der Umsatzsteuerbegünstigung für künstliche Gelenke ist aber rein umsatzsteuerlicher Art (vgl. auch den früheren § 27 UStDV, der in der jetzigen Ausnahmeregelung aufgegangen ist); zolltariflich ist die Unterscheidung zwischen entsprechenden Hauptwaren und Teilen, wie ausgeführt (vorstehend Buchst. a), ohne Belang. Es ist somit geboten, bei der hier erforderlichen Abgrenzung nur auf umsatzsteuerliche Gesichtspunkte abzustellen. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Neufassung der Anlage - bloße Anpassung unter Wahrung des geltenden Rechtszustandes - ergeben sie, daß der Teile-Begriff in Nr. 52 Buchst. a UStG-Anlage in einem engen Sinne verstanden werden muß. Dabei bedarf es keiner Klärung, wie er im einzelnen zu umschreiben ist. Hier genügt die aus Regelungszweck und -zusammenhang abzuleitende Folgerung, daß dieser spezifisch umsatzsteuerliche Begriff jedenfalls bislang als begünstigt geltende Prothesen besonderer Art, wie vorliegend, nicht erfaßt, somit als künstliche Gelenke, nicht Teile, anzusehen sind. Es ist nicht ersichtlich, daß der Begriff mit dieser Einschränkung seinen Sinn verlöre. Eine Abweichung von einer zolltariflichen Abgrenzung liegt im übrigen nicht vor. Der Zolltarif unterscheidet innerhalb der maßgebenden Zollinie gerade nicht zwischen Hauptwaren und Teilen. Die Verweisung reicht nur bis zur Unterposition 9021 11(00).

Im Hinblick auf dieses Auslegungsergebnis erübrigt es sich, der Frage nachzugehen, ob eine zu materiell-rechtlichen Änderungen führende "Anpassung" unbeachtlich zu bleiben hätte.