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  BFH-Urteil vom 15.4.1997 (VII R 74/96) BStBl. 1997 II S. 600

Der objektive Tatbestand einer Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen kann bereits dann erfüllt sein, wenn der Steuerpflichtige durch unrichtige Angaben in der Jahressteuererklärung bewirkt, daß neben der Jahreseinkommensteuer für den vergangenen Veranlagungszeitraum auch die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum (§ 37 Abs. 3 Satz 2 EStG) von der Finanzbehörde nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden.

EStG § 37 Abs. 1 und 3; AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1996, 1135)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war für G, Inhaber mehrerer Imbissbetriebe, als Geschäftsführer tätig. G traf mit verschiedenen Lieferanten Vereinbarungen, nach denen nur über etwa die Hälfte der gelieferten Waren ordnungsgemäße Rechnungen ausgestellt werden sollten. Nach Absprache und mit Wissen des G gab der Kläger nur die ordnungsgemäßen Rechnungen und die daraus folgenden Umsätze dem Steuerberater des G zur Verbuchung an, so daß falsche Umsatzsteuer-Voranmeldungen erstellt und abgegeben wurden. Die durch die Schwarzeinkäufe und Schwarzumsätze erwirtschafteten Gewinne nahm G auch nicht in seine Einkommensteuererklärungen auf. Aufgrund der am 29. März 1990 abgegebenen Einkommensteuererklärung des G für 1988 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mit Bescheid vom 21. Juni 1990 die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1990, die durch Bescheid vom 20. Juni 1989 bisher auf X DM pro Quartal festgesetzt worden waren, mit Wirkung vom dritten Quartal 1990 auf Y DM herab.

Im Januar 1991 wurden sowohl G als auch der Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft genommen. Das anschließende Strafverfahren führte zu einer Verurteilung des G wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in den Jahren 1985 bis 1990 und Hinterziehung von Einkommensteuer in den Jahren 1985 bis 1988 und zur Verurteilung des Klägers wegen dazu geleisteter Beihilfe.

Mit Haftungsbescheid vom 15. März 1995 nahm das FA den Kläger wegen nicht entrichteter Einkommensteuer-Vorauszahlungen nach § 191 i. V. m. § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch. Zur Begründung führte das FA aus, der Kläger habe mit der Beihilfe zur Hinterziehung der Einkommensteuer für 1988 zugleich auch Beihilfe zur Hinterziehung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1990 geleistet. Auf den Einspruch des Klägers wurde die Haftungssumme herabgesetzt.

Die gegen die Verwaltungsentscheidungen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, das FA habe den Kläger zu Unrecht wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Im Streitfall fehle es bereits an einer rechtswidrigen Vortat, denn die Voraussetzungen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 seien nicht gegeben. Hinsichtlich der Hinterziehung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1990 sei eine eigenständige Verkürzungshandlung des G nicht bereits in der Abgabe der unzutreffenden Jahressteuererklärung für 1988 zu sehen. Bei den Vorschriften über die Festsetzung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen handle es sich lediglich um steuerliche Berechnungsvorschriften, so daß sich die unzutreffende Festsetzung der Vorauszahlungen als unmittelbare gesetzliche Folge der ursprünglichen Steuerhinterziehung darstelle. Die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen i. S. von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 erfordere - über die unrichtigen Angaben in der Steuererklärung hinaus - noch weitere eigenständige Handlungen, wie z. B. einen unzutreffend begründeten Antrag auf Herabsetzung der Vorauszahlungen. Da G in bezug auf die Vorauszahlungen bereits den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung nicht erfüllt habe, liege tatbestandsmäßig auch eine Beihilfe des Klägers nicht vor, so daß seine Haftung nach § 71 AO 1977 ausscheide. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 1135 veröffentlichte Urteil der Vorinstanz Bezug genommen.

Mit der Revision rügt das FA die unrichtige Auslegung von § 370 AO 1977. Entgegen der Ansicht des FG sei eine zusätzliche, allein auf die Vorauszahlungen gerichtete Tathandlung für die Vollendung des objektiven Tatbestands des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht erforderlich. Vielmehr reiche es für die Erfüllung des objektiven Tatbestands der Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen aus, daß der Täter eine unrichtige Einkommensteuererklärung abgebe, die zu einer unzutreffenden Festsetzung von Vorauszahlungen führe. Das FG verkenne bei seiner Betrachtungsweise den Charakter von Vorauszahlungen als Fälligkeitssteuern, bei denen der Verkürzungserfolg bereits dann eintrete, wenn sie - wie im Streitfall - nicht in der richtigen Höhe festgesetzt worden seien. Dies gelte gemäß des § 370 Abs. 4 AO 1977 auch dann, wenn eine Steuer unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werde. Die Abgabe der unrichtigen Einkommensteuererklärung für 1988 erfülle die Voraussetzungen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bezüglich der Einkommensteuer 1988 und gleichzeitig hinsichtlich der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1990.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

I.

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß der objektive Tatbestand einer Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen dann nicht erfüllt werden könne, wenn der Täter lediglich unrichtige Angaben in seiner Jahressteuererklärung mache, ohne weitere eigenständige Tathandlungen im Hinblick auf die Vorauszahlungen vorzunehmen. Die Erfüllung der in § 370 AO 1977 normierten Hinterziehungstatbestände setzt voraus, daß durch eine Tathandlung Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt werden. Für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 reicht es danach aus, daß aufgrund unvollständiger oder unrichtiger Angaben in einer Steuererklärung die tatsächlich geschuldeten Einkommensteuer-Vorauszahlungen nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden.

1. Entgegen der Auffassung des Klägers erfaßt der Begriff "Steuern" in § 370 Abs. 1 AO 1977 auch die als Steuerschulden zu qualifizierenden Einkommensteuer-Vorauszahlungsschulden. Der Anwendungsbereich der Strafvorschrift erstreckt sich auf alle Geldleistungen, denen nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 eine Steuereigenschaft zukommt. Auch die in § 370 Abs. 1 AO 1977 nicht ausdrücklich erwähnten Vorauszahlungen weisen sämtliche in § 3 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 festgelegten Wesensmerkmale einer Steuer auf.

Ebenso wie die Einkommensteuer selbst ist die nach § 37 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu entrichtende Vorauszahlung eine Geldleistung, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellt.

Die Vorauszahlung wird auch von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.

Der die Vorauszahlungspflicht begründende Tatbestand ist § 37 Abs. 1 Satz 2 EStG zu entnehmen. Danach entsteht die Einkommensteuer-Vorauszahlung dem Grunde nach jeweils mit Beginn des Kalendervierteljahres, in dem die Vorauszahlungen zu entrichten sind, oder mit der Begründung der Steuerpflicht, wenn diese erst im Laufe des Kalendervierteljahres entsteht. Die Höhe der Vorauszahlungen bemißt sich gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 EStG grundsätzlich nach der verbleibenden Einkommensteuerschuld, die sich bei der letzten Veranlagung ergeben hat.

Diese gesetzlichen Vorgaben stehen der in der Literatur (vgl. Beker, Einkommensteuer-Vorauszahlungen und Steuerstrafrecht, Der Betrieb - DB - 1985, 1868) und vom Kläger vertretenen Auffassung entgegen, die Einkommensteuer-Vorauszahlungen seien keine Steuerschulden, weil ihnen kein gesetzlich festgelegter Steuerentstehungstatbestand zugrunde liege. Wie aufgezeigt entsteht jedenfalls die an der letzten Einkommensteuerveranlagung orientierte Vorauszahlungsschuld gemäß § 38 AO 1977 kraft Tatbestandsverwirklichung (vgl. Stolterfoth in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 37 Rdnr. A 9; ähnlich Brandis, Zinsen bei Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1990, 510). Die herrschende Meinung im Schrifttum geht daher auch davon aus, daß es sich bei den Einkommensteuer-Vorauszahlungsschulden um eigenständige Steuerschulden bzw. um eine besondere Art der Einkommensteuer handelt (vgl. Schwarz, Abgabenordnung, § 370 Rdnr. 15; Drenseck in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 37 Rdnr. 2; Stolterfoth in Kirchhof/Söhn, a. a. O., § 37 Rdnr. A 39; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 38 AO 1977 Rdnr. 4 b, und Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 370 AO 1977 Rdnr. 166).

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Vorauszahlungsschulden als Steuerschulden einzustufen. In einem Urteil zur Vermögensteuer hat der BFH entschieden, daß die Vorauszahlungsschuld eine durch die endgültige Festsetzung der Vermögensteuer bedingte Steuerschuld darstelle (Urteil vom 13. März 1979 III R 79/77, BFHE 127, 550, BStBl II 1979, 461). In der Rechtsprechung der FG wird unter Bezugnahme auf diese Entscheidung ebenfalls die Auffassung vertreten, daß Einkommensteuer-Vorauszahlungen Steuern darstellen, die infolgedessen auch Gegenstand einer Steuerhinterziehung sein können (Urteil des FG Düsseldorf vom 24. Mai 1989 4 K 397/83 AO, EFG 1989, 491, und Urteil des FG Nürnberg vom 24. März 1993 V 168/90, EFG 1993, 698).

Schließlich belegt die Regelung in § 164 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, nach der die Festsetzung einer Vorauszahlung stets eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ist, daß auch der Gesetzgeber davon ausgeht, daß mit der Festsetzung von Vorauszahlungen Steuern i. S. von § 3 Abs. 1 AO 1977 erhoben werden. Bei diesem Befund bedarf es keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob die hinsichtlich ihrer Entstehung und Festsetzung den - gegenüber der Jahreseinkommensteuerschuld - abweichenden Regelungen des § 37 EStG unterliegenden Einkommensteuer-Vorauszahlungen als eigentliche Einkommensteuern, als besondere Art der Einkommensteuer oder als eigenständige Steuern anzusehen sind. Für den Streitfall ist es allein entscheidend, daß Einkommensteuer-Vorauszahlungen Steuern darstellen, die als solche Gegenstand einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO 1977 sein können.

2. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung bereits dann erfüllt sein, wenn der Steuerpflichtige durch unrichtige Angaben in der Jahressteuererklärung bewirkt, daß die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum (§ 37 Abs. 3 Satz 2 EStG) von der Finanzbehörde zu niedrig festgesetzt werden. Weiterer eigenständiger auf die Vorauszahlungen bezogener Tathandlungen bedarf es zur Verwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht.

a) Nach dem in § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 normierten Hinterziehungstatbestand ist wegen Steuerhinterziehung strafbar, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nichtgerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Der danach zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Verkürzungserfolg tritt gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 AO 1977 nicht nur bei einer endgültigen Steuerfestsetzung, sondern auch dann ein, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Hinsichtlich der streitbefangenen Einkommensteuer-Vorauszahlungen, deren Festsetzung nach § 164 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung darstellt, und die infolgedessen auch vom Anwendungsbereich des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 erfaßt werden, werden diese Voraussetzungen dadurch erfüllt, daß sich der Täter bis zur endgültigen Festsetzung der Jahreseinkommensteuer einen ungerechtfertigten Zins- und Liquiditätsvorteil verschafft.

Die vorläufige Steuerfestsetzung und die Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung wurden im Zuge der AO-Reform 1977 in den Katalog der Regelbeispiele aufgenommen. Mit der Gesetzesänderung wurde die unter Geltung des § 392 der Reichsabgabenordnung (AO) umstrittene Frage, ob der Eintritt des Verkürzungserfolgs die endgültige Festsetzung der Steuer erfordere, einer abschließenden Klärung zugeführt (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO 1977 Rdnr. 140, m. w. N., und Scheurmann-Kettner in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 370 Rdnr. 32). Der Gesetzgeber hat mit dieser Änderung deutlich zum Ausdruck gebracht, daß bereits der konkreten Gefährdung des Steueranspruchs gegenüber der endgültigen Vorenthaltung der geschuldeten Geldleistung ein eigenständiger und strafrechtlich relevanter Unrechtsgehalt zukommt.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die gemäß § 37 Abs. 1 EStG zum jeweiligen Entrichtungstermin zu leistenden Vorauszahlungen der Sicherung eines stetigen Steueraufkommens dienen (Drenseck in Schmidt, a. a. O., § 37 Rdnr. 1). Entsprechend diesem Ziel wird nach der Rechtsprechung und herrschenden Meinung im Schrifttum durch den Straftatbestand der Steuerhinterziehung nicht nur der Anspruch des Staates auf den vollen, sondern auch auf den rechtzeitigen Ertrag aus der jeweiligen Steuer geschützt (Scheurmann-Kettner, a. a. O., § 370 Rdnr. 8, m. w. N.). Damit stellt auch das Bewirken einer Steuerverkürzung auf Zeit ein von der Rechtsordnung ausdrücklich mißbilligtes und in § 370 AO 1977 unter Strafe gestelltes Verhalten dar.

b) Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte vermag sich der Senat nicht der Auffassung der Vorinstanz anzuschließen, der objektive Tatbestand einer selbständigen Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen sei nur dann erfüllt, wenn der Täter über die unrichtigen Angaben in seiner Steuererklärung hinaus noch weitere eigenständige Tathandlungen vornehme. Diese Betrachtungsweise läßt außer acht, daß es sich bei den Ansprüchen des Staates auf Festsetzung und Entrichtung der zutreffenden Einkommensteuer-Vorauszahlungen und der durch den Jahressteuerbescheid endgültig festzusetzenden Einkommensteuerschuld um zwei unterschiedliche Rechtsgüter handelt, die zwar jedes für sich von § 370 AO 1977 gleichermaßen geschützt werden, die aber durch dieselbe Tathandlung verletzt werden können. Werden aufgrund einer unrichtigen Einkommensteuererklärung sowohl die Jahreseinkommensteuer für den vergangenen Veranlagungszeitraum als auch die Einkommensteuer-Vorauszahlungen für das laufende Jahr zu niedrig festgesetzt, so ist demzufolge der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung hinsichtlich beider Steuerschulden erfüllt, denn die Abgabe der unrichtigen Einkommensteuererklärung stellt eine Bedingung dar, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Verkürzungserfolg (auch hinsichtlich der Vorauszahlungen) entfiele.

Der Senat folgt nicht der vereinzelt im Schrifttum vertretenen Ansicht, daß sich die durch die Abgabe einer unrichtigen Einkommensteuererklärung bewirkte Hinterziehung der Vorauszahlungsschulden lediglich als eine auf steuerlichen Berechnungsvorschriften beruhende Fortwirkung und gesetzliche Folge der auf die Einkommensteuer bezogenen Steuerhinterziehung darstelle (vgl. Dietz in Leise, Steuerverfehlungen, § 370 AO 1977 Rdnr. 55, und Kohlmann, a. a. O., § 370 AO 1977 Rdnr. 141). Diese Rechtsauffassung, der sich auch die Vorinstanz angeschlossen hat, stützt sich insbesondere auf Entscheidungen, die zu § 392 AO ergangen sind (vgl. Urteil des Reichsgerichts - RG - in Strafsachen vom 1. Februar 1943 3 D 469/42, RGSt 76, 334, RStBl 1943, 460, und Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Frankfurt vom 5. März 1968 1 Ss 1092/67, zitiert bei Leise, Die Verkürzung nächstjähriger Vorauszahlungen ist nicht Bestandteil der Steuerverkürzungshandlung, Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht, 1969, 136). Diese Vorschrift hat in ihrer damaligen Fassung Steuerverkürzungen in Form von zu niedrigen Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung noch nicht als eigenständige Tatbestandsalternative erfaßt. Darüber hinaus ist dem Urteil des RG in RGSt 76, 334, RStBl 1943, 460 eine Aussage zu der Frage, ob Einkommensteuer-Vorauszahlungen allein durch die Abgabe einer unrichtigen Einkommensteuererklärung hinterzogen werden können, nicht zu entnehmen. Im Rahmen seiner Entscheidung über die Anwendbarkeit eines Gnadenerlasses mit Stichtagsregelung hatte das RG lediglich über den Beendigungszeitpunkt einer Einkommensteuerhinterziehung zu befinden, wobei es davon ausging, daß sich der durch die Straftat verursachte Schaden durch deren "Fortwirken" auch auf die unzutreffend festgesetzten Vorauszahlungen erstrecke.

Für die Erfüllung des objektiven Tatbestands der Hinterziehung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen ist es nach der Neufassung der Vorschriften über die Steuerhinterziehung durch § 370 AO 1977 als ausreichend zu erachten, wenn eine Tathandlung bewirkt, daß die tatsächlich geschuldeten Vorauszahlungen im Vorauszahlungsbescheid in unzutreffender Höhe festgesetzt werden. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die zu niedrige Festsetzung der Vorauszahlungen auf einer unrichtigen Einkommensteuererklärung oder auf den unrichtigen Angaben in einem Antrag auf Herabsetzung der Vorauszahlungsschulden (vgl. hierzu Urteil des OLG Stuttgart vom 21. Mai 1987 1 Ss 221/87, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht 1987, 263, und Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 28. Februar 1964 231 - 292/62, Deutsche Steuer-Zeitung 1964, 336) beruht. Entscheidend für die Tatbestandsverwirklichung ist allein, daß in beiden Fällen durch die Tathandlung eine Bedingung gesetzt wird, die ursächlich für den Verkürzungserfolg ist. Vollendet ist die Hinterziehung der Vorauszahlungen mit der Festsetzung der Steuer im Vorauszahlungsbescheid. Dagegen ist eine Beendigung erst dann anzunehmen, wenn der Erfolg der Tat durch die Festsetzung der Jahreseinkommensteuer auf Dauer gesichert ist (Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 370 AO 1977 Rdnr. 166).

II.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif, da das FG das Vorliegen einer strafbaren Vortat verneint und deshalb den Tatbeitrag des Klägers strafrechtlich noch nicht gewürdigt hat. Im zweiten Rechtsgang wird das FG nunmehr Feststellungen über den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung sowohl in bezug auf G als auch hinsichtlich des Tatbeitrags des Klägers zu treffen und auf dieser Grundlage erneut über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids zu befinden haben.