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  BFH-Urteil vom 27.8.1997 (I R 22/97) BStBl. 1997 II S. 817

Der Zinsabschlag gemäß § 43 Abs. 1 EStG ist auch bei einem Holdingunternehmen vorzunehmen, dessen Unternehmensgegenstand der Erwerb und die Veräußerung von Aktien und von anderen Vermögensbeteiligungen ist. Auch wenn bei einem solchen Unternehmen die Kapitalertragsteuer und die anrechenbare Körperschaftsteuer auf Dauer höher wären als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer (sog. Überzahler), beruht die Überzahlung nicht auf der "Art seiner Geschäfte" i. S. von § 44a Abs. 5 EStG.

EStG § 43 Abs. 1, § 44a Abs. 5; KStG § 49 Abs. 1.

Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 1997, 617)

Sachverhalt

I.

Bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) handelt es sich um eine GmbH, deren satzungsmäßiger Gegenstand der Erwerb und die Veräußerung von inländischen börsennotierten Aktien für eigene Rechnung, insbesondere von Bankwerten und von anderen Vermögensbeteiligungen sowie die Verwaltung eigenen Vermögens und die Vornahme aller zur Erreichung und Förderung dieser Zwecke dienlichen Geschäfte ist. Dabei sind Bankgeschäfte i. S. des § 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) ausgenommen. Die Klägerin hält als einzige Beteiligung Aktien einer Großbank.

Für die jährlich von ihr vereinnahmten Kapitalerträge beantragte sie gemäß § 44a Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Freistellung vom Abzug der Kapitalertragsteuer. Der Antrag wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) abgelehnt.

Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 617 auszugsweise wiedergegeben.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 44a Abs. 5 EStG.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Freistellungsbescheinigung zu erteilen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

a) Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i. V. m. § 44a Abs. 5 EStG liegen nicht vor.

Nach dieser Vorschrift ist bei Kapitalerträgen i. S. des § 43 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 EStG der Steuerabzug nicht vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragsteuer und die anrechenbare Körperschaftsteuer bei ihm aufgrund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher wären als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer. Auf dieses tatbestandliche Merkmal, daß die Zinsabschlagsteuer bei dem Gläubiger "aufgrund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher" wäre als die gesamte festzusetzende Körperschaftsteuer, kommt es im Streitfall an. Nach den Feststellungen des FG sind diese Merkmale bei der Klägerin nicht erfüllt.

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 44a Abs. 5 EStG und nach der Gesetzeskonzeption soll nur bei solchen Gläubigern vom Zinsabschlag Abstand genommen werden, bei denen die Überbesteuerung auf der Geschäftsstruktur beruht (vgl. die Gesetzesbegründung, BTDrucks 12/2501, S. 20). Zu solchen Dauerüberzahlern gehören in erster Linie Lebensversicherungsunternehmen und Verwertungsgesellschaften im Sinne des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes, die einerseits über große Wertpapierbestände verfügen, die andererseits aufgrund der Art ihrer Geschäfte aber ihre Kapitalerträge größtenteils an ihre Kunden weitergeben (BTDrucks, 12/2501, S. 20). Das Tatbestandsmerkmal "aufgrund der Art seiner Geschäfte" ist im Einklang hiermit also immer dann als erfüllt anzusehen, wenn die Überbesteuerungssituation der ausgeübten Geschäftstätigkeit derart wesensimmanent ist, daß ein wirtschaftlich besseres Ergebnis zwangsläufig nicht erzielt werden kann. Das Tatbestandsmerkmal "aufgrund der Art seiner Geschäfte" ist jedoch nicht schon dann erfüllt, wenn die Überzahlung auf der jeweiligen Marktsituation beruht (also beispielsweise auf Gewinnlosigkeit, auf Preisverfall, Konkurs, schlechter Marktlage) oder auf individuellen Gegebenheiten und wenn sich hieraus zeitweise keine Einkommen- oder Körperschaftsteuer ergeben sollte (Senatsurteile vom 20. Dezember 1995 I R 118/94, BFHE 179, 396, BStBl II 1996, 199; vom 20. Dezember 1995 I R 166/94, BFH/NV 1996, 665; vom 10. Juli 1996 I R 84/95, BFHE 181, 152, BStBl II 1997, 38).

b) So verhält es sich bei der Klägerin. Die "Art" der von ihr ausgeübten Geschäfte ist die Verwaltung jeweils großer Aktienbestände. Die Verfolgung dieses Unternehmensgegenstandes mag zwar über lange Perioden hinweg tendenziell und tatsächlich zu einer Überzahlersituation führen. Denn auch dann, wenn sie erwirtschaftete Gewinne thesaurieren und diese nicht an ihre Anteilseigner ausschütten sollte, wären bei ihr die Kapitalertragsteuer und anrechenbare Körperschaftsteuer nach Lage der Dinge höher als die aufgrund der Dividendenerträge festzusetzende Körperschaftsteuer. Im Ergebnis zutreffend weist das FG jedoch darauf hin, daß diese Überzahlersituation nicht auf die Art der von der Klägerin ausgeübten Geschäfte zurückzuführen ist, sondern auf die Art und Weise, in der sie sich entscheidet, diesen Geschäften konkret nachzugehen. Denn ebenso wie es ihr unbenommen ist, die Aktienpakete über längere Zeiträume zu halten, ist es ihr - tatsächlich und auch nach ihrem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand - möglich, diese Aktien zu veräußern und/oder umzuschichten. Die Veräußerung der von ihr gehaltenen Beteiligungen würde zur Aufdeckung stiller Reserven und zur Erzielung von Veräußerungsgewinnen führen. Folge hiervon wäre, daß die in § 44a Abs. 5 EStG vorausgesetzte Situation der Überbesteuerung nicht mehr gegeben wäre. Daß die Klägerin üblicherweise nur Holdingfunktionen ausübt und kein operatives Geschäft betreibt, ändert daran nichts, sondern ist Ergebnis individueller unternehmerischer Entscheidungen (vgl. auch Bullinger/Radke, Handkommentar zum Zinsabschlag, 1994, Rz. 672, für den - hier nicht vorliegenden - Fall eines entsprechend eingeschränkten Satzungszwecks).

Der demgegenüber von der Klägerin gemachte Einwand, auch bei Lebensversicherungsunternehmen oder Urheberrechtsverwertungsgesellschaften könnte es zu entsprechenden Gewinnen kommen, führt insoweit nicht weiter. Zum einen sind entsprechende Veräußerungen bei solchen Unternehmen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur Vermögensbindung und der dadurch gegebenen strukturellen Bedingtheiten weitgehend ausgeschlossen. Zum anderen kann bei solchen Unternehmen die Überbesteuerungssituation deshalb nicht verlorengehen, weil die betreffenden Kapitalerträge die Unternehmen in jedem Fall auch steuerlich erfolgswirksam als Betriebsausgaben wieder verlassen (BTDrucks 12/2501, S. 20). Daran fehlt es bei Holdinggesellschaften (zutreffend Riegler in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 44a EStG Rz. 24).