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  BFH-Urteil vom 8.10.1997 (XI R 8/86) BStBl. 1997 II S. 840

Der Umsatz darf nicht gemäß § 10 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 UStG 1980 bemessen werden, wenn das vereinbarte niedrigere Entgelt marktüblich ist.

UStG 1980 § 10 Abs. 5; Richtlinie 77/388/EWG Art. 27.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1986, 314)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Eigentümer eines von ihm errichteten Mehrfamilienhauses und mehrerer Eigentumswohnungen. Er vermietete diese Objekte an eine GmbH, deren Gesellschafter sein volljähriger Sohn und seine Ehefrau mit Anteilen zu je waren. Die Ehefrau war auch die alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der GmbH. Die vereinbarten Mieten entsprachen unstreitig den ortsüblichen Vergleichsmieten.

Der Kläger verzichtete gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 a UStG. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte die Zwischenmietverhältnisse an. Er erstattete dem Kläger im wesentlichen die auf die Herstellungskosten in den Jahren 1978 und 1979 entfallenden Vorsteuerbeträge. Die Versteuerung der Mieteinnahmen führte ab 1980 im Hinblick auf nur noch geringfügige Vorsteuerbeträge zur Zahlung von Umsatzsteuer.

Aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung setzte das FA für die Berechnung der Umsatzsteuer statt der vereinbarten Miete die sog. Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 Nr. 1 i. V. m. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980 als Entgelt an.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage - wegen Umsatzsteuer 1980 bis 1982 und Umsatzsteuervorauszahlungen 1 bis 12/1983 und 1 bis 6/1984 hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben. Es führt im wesentlichen aus, es handle sich bei der GmbH nicht um eine dem Kläger nahestehende Person i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1980. Darüber hinaus sei die Vorschrift einschränkend dahingehend auszulegen, daß sie dann nicht zur Anwendung komme, wenn für die Leistungen ein marktübliches Entgelt vereinbart worden sei. Wie sich aus der Regierungsbegründung zum Entwurf des UStG 1980 ergebe (vgl. BRDrucks 145/78, 38), solle die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG 1980 dann eingreifen, wen Unternehmer Lieferungen und sonstige Leistungen an bestimmte Personen "zu unangemessen niedrigen Entgelten" ausführten. Dann liege nämlich eine Mischung aus Leistungsaustausch und Eigenverbrauch vor, mit der Folge, daß die für den Eigenverbrauch vorgesehene Bemessungsgrundlage Anwendung finden solle, um einen teilweise unversteuerten Verbrauch auszuschließen. Diesem Gesetzeszweck entspreche es nicht, durch § 10 Abs. 5 UStG 1980 auch solche Leistungen zu erfassen, die zu einem marktüblichen Entgelt erfolgten und sich von Umsätzen an andere Leistungsempfänger in keiner Weise unterschieden.

Das FA hat gegen das Urteil die vom FG zugelassene Revision eingelegt. Diese betraf zunächst Umsatzsteuer 1980 bis 1982; nach Abtrennung des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 1981 und 1982 ist nunmehr nur noch die Umsatzsteuer 1980 streitig.

Das FA rügt Verletzung des § 10 Abs. 5 UStG 1980. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Streitsache an das FG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Umsatzsteuer 1980 auf ... DM festzusetzen.

Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten.

Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 13. Dezember 1995 XI R 8/86 (BFHE 179, 457) den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zwecks Vorabentscheidung der Frage angerufen, ob eine vom Rat erteilte Ermächtigung zur Einführung einer zur Verhütung von Steuerumgehungen von der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) abweichenden Sondermaßnahme, wonach bei entgeltlichen Leistungen zwischen nahestehenden Personen als Mindestbemessungsgrundlage die Ausgaben i. S. des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG anzusetzen sind, auch insoweit durch Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG gedeckt ist, als das vereinbarte Entgelt marktüblich, aber niedriger als die Mindestbemessungsgrundlage ist, mithin eine Steuerumgehung nicht vorliegt. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 29. Mai 1997 Rs. C 63/96 verneint.

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des FA wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Recht hat das FG zwar die Umsätze des Klägers nach der vereinbarten marktüblichen Miete bemessen. Die Vorentscheidung ist aber aufzuheben, weil das FG nicht geprüft hat, ob die Zwischenmietverhältnisse rechtsmißbräuchlich waren, und deshalb die Möglichkeit der Saldierung außer Betracht gelassen hat.

1. Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1980 gilt als Bemessungsgrundlage für Lieferungen und sonstige Leistungen, die u. a. Einzelunternehmer an ihnen nahestehende Personen ausführen, die Bemessungsgrundlage für den Eigenverbrauch (§ 10 Abs. 4 UStG 1980), wenn diese das vereinbarte Entgelt übersteigt. Bemessungsgrundlage für den Eigenverbrauch sind die bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Kosten (§ 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980).

Im Streitfall haben der Kläger und die GmbH die marktübliche Miete vereinbart. Diese ist niedriger als die nach den entstandenen umsatzsteuerbelasteten Kosten (vgl. Urteil des EuGH vom 25. Mai 1993 Rs. C 193/91, BStBl II 1993, 812) ermittelte sog. Kostenmiete, welche die Mindestbemessungsgrundlage i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 i. V. m. § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980 bildet.

Wie der EuGH in seinem Urteil vom 29. Mai 1997 Rs. C 63/96 entschieden hat, ist die Vorschrift des § 10 Abs. 5 UStG 1980 als von der Richtlinien-Regelung des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Sondermaßnahme insoweit nicht durch Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG gedeckt, als das vereinbarte Entgelt marktüblich, aber niedriger als die Mindestbemessungsgrundlage ist. Denn abweichende nationale Maßnahmen, die - wie § 10 Abs. 5 UStG 1980 - Steuerhinterziehungen oder -umgehungen verhüten sollten, seien eng auszulegen und dürften von der in Art. 11 der Richtlinie 77/388/EWG geregelten Besteuerungsgrundlage nur insoweit abweichen, als dies für die Erreichung dieses Ziels unbedingt erforderlich sei. Eine Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung bestehe in den Fällen, in denen das vereinbarte Entgelt der marktüblichen Miete entspreche, nicht. Als Vereinfachungsregelung für die Steuererhebung sei die Vorschrift nicht rechtmäßig, weil die Ermächtigung für die abweichende Maßnahme - dem Antrag der deutschen Regierung entsprechend - zur Verhütung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen erteilt worden sei.

Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem Kläger und der GmbH um nahestehende Personen i. S. des § 10 Abs. 5 UStG handelt (vgl. zur Problematik Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 10 Rdnr. 418 f., m. w. Hinw.), ist die Vorschrift bei richtlinienkonformer Auslegung auf den Streitfall nicht anwendbar. Der Kläger hat mit der GmbH den marktüblichen Mietzins vereinbart. Die Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung besteht nicht. Der vom Kläger vereinbarte Mietzins ist der Umsatzbesteuerung als Entgelt zugrundezulegen (§ 10 Abs. 1 UStG 1980).

2. Das FA hat zwar zu Unrecht die Mindestbemessungsgrundlage angesetzt. Die Umsatzsteuerfestsetzung 1980 kann sich aber im Hinblick auf die möglicherweise gebotene Saldierung mit zu Unrecht abgezogenen Vorsteuerbeträgen und bisher nicht berücksichtigten Vorsteuerberichtigungsbeträgen als rechtmäßig erweisen; Streitgegenstand ist - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern - betragsmäßig im Rahmen der von den Prozeßbeteiligten gestellten Anträge - die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344).

Da der Kläger Wohnungen an die GmbH vermietete, könnte die Vermietung an den gewerblichen Zwischenvermieter wegen Umgehung (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -) des Vorsteuerabzugsausschlusses bei steuerfreien Grundstücksvermietungen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 12 a UStG 1980) nicht anzuerkennen sein (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. August 1987 V B 16/87, BFHE 150, 478, BStBl II 1987, 756, und vom 29. Oktober 1987 V B 109/86, BFHE 151, 247, BStBl II 1988, 96). Ob das FA an seine Anerkennung der Zwischenvermietung nach Treu und Glauben gebunden war, vermag der Senat aufgrund der bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) nicht zu beurteilen. Sollte die Zwischenvermietung rechtsmißbräuchlich und ihre Anerkennung durch das FA nicht bindend gewesen sein, wäre die dem Kläger im Streitjahr für Leistungen an sein Vermietungsunternehmen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehbar, und in den Vorjahren abgezogene Vorsteuerbeträge wären - falls 1980 nicht das Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung war - gemäß § 15a Abs. 1 UStG 1980 zu berichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 19. Februar 1997 XI R 51/93, BFHE 182, 420, BStBl II 1997, 370, und vom 12. Juni 1997 V R 36/95, BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589).

Die Sache geht zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen und zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.