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  BFH-Urteil vom 26.11.1997 (I R 77/97) BStBl. 1998 II S. 406

1. Der BFH hält an seiner im Urteil vom 14. März 1990 I R 79/87 (BFHE 160, 241, BStBl II 1990, 651) vertretenen Rechtsauffassung fest, wonach mehrere Ausschüttungen, für die § 28 Abs. 2 KStG eine Verrechnung mit demselben festgestellten vEK vorschreibt, zu addieren und zusammengefaßt zu verrechnen sind. Die sich aus der Verrechnung ergebende Körperschaftsteuerminderung und/oder -erhöhung ist im Verhältnis der Ausschüttungen zueinander anteilig auf die betroffenen Veranlagungszeiträume aufzuteilen.

2. § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG sieht die einheitliche Verrechnung zumindest für alle auf einem einheitlichen Gewinnverteilungsbeschluß beruhenden Gewinnausschüttungen vor.

3. § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG sieht die einheitliche Verrechnung der Gewinnausschüttungen mit einem bestimmten festgestellten vEK vor.

4. Die in § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG vorgeschriebene Verrechnung setzt nicht voraus, daß sie handelsrechtlich nachvollziehbar ist.

KStG § 28 Abs. 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1997, 1405)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland. Die Gesellschafterversammlung der Klägerin beschloß am 8. Februar 1993 eine (offene) Gewinnausschüttung für das Jahr 1991 in Höhe von 2,2 Mio. DM. Die Ausschüttung wurde alsbald durchgeführt. Am 21. Dezember 1993 beschloß die Gesellschafterversammlung eine Ausschüttung für das Geschäftsjahr 1992 in Höhe von 1,3 Mio. DM, die noch im Geschäftsjahr 1993 vorgenommen wurde.

Das verwendbare Eigenkapital (vEK) der Klägerin wurde zum 31. Dezember 1992 durch Bescheid vom 8. August 1994 wie folgt festgestellt:

EK 56

EK 50

EK 36

EK 02

1.563.934 DM

4.858.375 DM

963 DM

./. 30 DM

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ am 23. April 1993 einen Körperschaftsteuerbescheid 1991 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, der später mehrfach - zuletzt am 8. August 1994 - geändert wurde. In dem zuletzt geänderten Bescheid, den die Klägerin in das damals schon anhängige Klageverfahren überleitete, wurde die Körperschaftsteuer 1991 auf 1.315.327 DM festgesetzt. Dieser Betrag ergibt sich unter Ansatz einer Körperschaftsteuerminderung in Höhe von (nur) 636.695 DM auf die in 1993 beschlossene (offene) Ausschüttung. Zeitgleich erließ das FA einen geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1992, in dem die Körperschaftsteuer 1992 auf 1.878.688 DM festgesetzt wurde. Der Steuerbetrag errechnet sich unter Berücksichtigung einer Körperschaftsteuerminderung in Höhe von 376.229 DM. Dabei verfuhr das FA entsprechend der Anweisung in Abschn. 78 Abs. 2 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1990 - KStR 1990 - (Abschn. 78 Abs. 3 KStR 1995). Es addierte die in 1993 vorgenommenen Ausschüttungen und setzte den addierten Betrag von dem zum 31. Dezember 1992 festgestellten vEK ab, und zwar zunächst vom EK 56 und den Restbetrag vom EK 50. Die sich daraus ergebende Körperschaftsteuerminderung teilte es anteilig auf die Veranlagungszeiträume 1991 und 1992 auf. Das FA lehnte es ab, die Ausschüttung für 1991 vorrangig mit dem EK 56 zu verrechnen. Hätte es diesem Antrag entsprochen, so hätte sich für 1991 eine höhere und für 1992 eine geringere Körperschaftsteuerminderung ergeben.

Der geänderte Körperschaftsteuerbescheid 1991 führte zu einer Erstattung von (nur) 272.539 DM an die Klägerin. Für diesen Betrag setzte das FA Erstattungszinsen in Höhe von 14.029 DM ebenfalls durch Bescheid vom 8. August 1994 fest.

Die Klägerin legte erfolglos Einspruch ein. Das Finanzgericht (FG) gab ihrer Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1405 veröffentlicht.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von § 29 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) a. F. (= § 28 Abs. 2 KStG n. F.).

Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 27 Abs. 1 KStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung mindert oder erhöht sich im Falle einer Ausschüttung die Körperschaftsteuer um den Unterschiedsbetrag zwischen der eingetretenen Belastung des Eigenkapitals (Tarifbelastung), das nach § 28 KStG als für die Ausschüttung verwendet gilt, und der Belastung, die sich hierfür bei Anwendung eines Steuersatzes von 36 v. H. des Gewinns vor Abzug der Körperschaftsteuer ergibt (Ausschüttungsbelastung). Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG sind Gewinnausschüttungen, die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluß für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr beruhen, mit dem vEK zum Schluß des letzten vor dem Gewinnverteilungsbeschluß abgelaufenen Wirtschaftsjahres zu verrechnen. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt, daß die Klägerin am 8. Februar 1993 eine Ausschüttung für 1991 und am 21. Dezember 1993 eine solche für 1992 beschloß. Beide Ausschüttungen flossen noch in 1993 bei der Klägerin ab. Beide sind solche i. S. von § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG, weil sie auf einem Gewinnverteilungsbeschluß für ein bereits abgelaufenes Wirtschaftsjahr beruhen. Für beide Ausschüttungen sieht deshalb § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG eine Verrechnung mit dem zum 31. Dezember 1992 festgestellten vEK vor.

2. Der Senat hält an seiner im Urteil vom 14. März 1990 I R 79/87 (BFHE 160, 241, BStBl II 1990, 651) vertretenen Rechtsauffassung fest, wonach mehrere Ausschüttungen, für die § 28 Abs. 2 KStG eine Verrechnung mit demselben festgestellten vEK vorschreibt, zu addieren und zusammengefaßt zu verrechnen sind. Die sich aus der Verrechnung ergebende Körperschaftsteuerminderung und/oder -erhöhung ist im Verhältnis der Ausschüttungen zueinander anteilig auf die betroffenen Veranlagungszeiträume aufzuteilen. Die gegenüber dieser Auffassung in der Vorentscheidung einerseits und von der Klägerin bzw. im Schrifttum andererseits (vgl. Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 28 KStG Rdnr. 38; Mössner/Seeger/König, Körperschaftsteuergesetz, § 28 Rdnr. 47 ff.) vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch. Dazu merkt der Senat im einzelnen folgendes an:

a) Es ist allenfalls eingeschränkt richtig, daß sich § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG auf einzelne Ausschüttungen beziehe. Nach der Vorschrift sind Gewinnausschüttungen zu verrechnen. Das Gesetz verwendet den Plural. Der Senat läßt offen, ob sich der Ausdruck "Gewinnausschüttungen" auf alle bezieht, die innerhalb eines bestimmten Wirtschaftsjahres beschlossen werden, oder ob er sich auf die Ausschüttungen bezieht, die auf demselben Gewinnverteilungsbeschluß beruhen. Selbst wenn man letzteres zugunsten der Klägerin unterstellt, so sind dennoch Ausschüttungen an mehrere Gesellschafter aufgrund eines einheitlichen Gewinnverteilungsbeschlusses nach der Gesetzeskonzeption mehrere Gewinnausschüttungen. Der Unterscheidung kommt deshalb Bedeutung zu, weil die auf einem einheitlichen Gewinnverteilungsbeschluß beruhenden Ausschüttungen an mehrere oder auch nur an einen Gesellschafter zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder gar in Teilbeträgen abfließen können. Die in der Vorentscheidung vertretene Rechtsauffassung führt deshalb zu dem unauflösbaren Widerspruch, daß § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG einerseits zumindest die gemeinsame Verrechnung aller einheitlich beschlossenen Ausschüttungen mit einem bestimmten festgestellten vEK zwingend vorschreibt und andererseits das Abstellen auf die Reihenfolge des (unter Umständen unterschiedlichen) tatsächlichen Abflusses die einheitliche Verrechnung ausschließt.

b) Entscheidend ist deshalb, daß nach § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG (bezogen auf den Streitfall) alle in 1993 beschlossenen (offenen) Ausschüttungen mit dem zum 31. Dezember 1992 festgestellten vEK zu verrechnen sind. Die in der Vorentscheidung vertretene Rechtsauffassung wird diesem Rechtsbefehl nicht gerecht. Sie führt dazu, daß nur die am 8. Februar 1993 beschlossenen Ausschüttungen mit dem zum 31. Dezember festgestellten vEK verrechnet werden. Die am 21. Dezember 1993 beschlossenen Ausschüttungen werden dagegen mit dem Saldo verrechnet, der sich aus der Minderung des zum 31. Dezember 1992 festgestellten vEK um die am 8. Februar 1993 beschlossenen Ausschüttungen ergibt. Diese Rechtsfolge steht mit dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG nicht mehr im Einklang.

c) Schließlich ist § 29 Abs. 1 KStG zu beachten. Dort wird das vEK als das in der Steuerbilanz ausgewiesene Betriebsvermögen definiert, das sich ohne Änderung der Körperschaftsteuer nach § 27 Abs. 1 KStG und ohne Verringerung um die im Wirtschaftsjahr abgeflossenen anderen Ausschüttungen ergeben würde. § 29 Abs. 1 KStG fingiert mit anderen Worten für andere Ausschüttungen, daß sie abweichend von der handelsrechtlich gebotenen Betrachtungsweise erst nach Ablauf des Wirtschaftsjahres, in dem sie tatsächlich abfließen, das vEK mindern. In Ermangelung einer anderen gesetzlichen Regelung ist davon auszugehen, daß alle anderen Ausschüttungen, die in demselben abgelaufenen Wirtschaftsjahr abfließen, in derselben logischen Sekunde nach Ablauf des Wirtschaftsjahres das festzustellende vEK mindern. Dem entspricht die Regelung in § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG. Danach werden offene Ausschüttungen ebenfalls abweichend von der handelsrechtlichen Betrachtungsweise mit einem vEK verrechnet, das sie handelsrechtlich nicht mindern konnten und nicht gemindert haben, weil zu dem maßgebenden Stichtag noch keine Ausschüttungsverbindlichkeit bestand. Sowohl die Regelung in § 29 Abs. 1 KStG als auch das verrechnungsmäßige Vorziehen offener Ausschüttungen in § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG beruhen auf einer gesetzlichen Fiktion. Mag die gesetzliche Fiktion auf Vereinfachungsüberlegungen beruhen, so ändert dies nichts daran, daß sie als solche zu behandeln und anzuwenden ist. Die gesetzliche Fiktion gilt in Ermangelung einer gesetzlichen Differenzierung einheitlich und in gleicher Weise für alle Gewinnausschüttungen, die gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG mit dem zum 31. Dezember 1992 festgestellten vEK zu verrechnen sind.

d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Rechtsgedanken des § 38 der Abgabenordnung (AO 1977). Die im Streitfall interessierenden Gewinnausschüttungen wurden erst am 8. Februar 1993 bzw. am 21. Dezember 1993 beschlossen. Handelsrechtlich minderten sie erst und nur das an diesen Tagen vorhandene Eigenkapital. Dies hindert jedoch den Gesetzgeber nicht, steuerlich gesehen eine fiktive gemeinsame Verrechnung mit dem zum 31. Dezember 1992 festgestellten vEK vorzuschreiben. Es ist in sein gesetzgeberisches Ermessen gestellt, ob die Verrechnung in einer bestimmten Reihenfolge oder nach der Summe der Ausschüttungen vorzunehmen ist. Da § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG die Fiktion für alle Ausschüttungen einheitlich vorschreibt und eine bestimmte Verrechnungsreihenfolge nicht vorsieht, läßt sich nur die einheitliche Verrechnung mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der Senat folgt deshalb auch nicht der von Wrede und König (a. a. O.) vertretenen Auffassung, wonach die Entscheidung in BFHE 160, 241, BStBl II 1990, 651, sich nur aus Vereinfachungsgesichtspunkten rechtfertigen lasse. Die Gerichte können keine Entscheidungen nur auf Vereinfachungsgesichtspunkte stützen. Auch ist die Annahme einer Vereinfachung fraglich, wenn man bedenkt, daß die gesetzliche Regelung früher gefaßten Gewinnverteilungsbeschlüssen ihre gliederungsrechtliche Grundlage nehmen kann. Tatsächlich war die getroffene Entscheidung ausschließlich aus Rechtsgründen geboten. Für eine Verrechnung von Ausschüttungen in der Reihenfolge ihres Abflusses bzw. in der zeitlichen Reihenfolge der Gewinnverteilungsbeschlüsse fehlt die erforderliche Rechtsgrundlage.

e) Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, daß die vom erkennenden Senat vertretene Rechtsauffassung zu einer möglichen Verrechnung einer offenen Gewinnausschüttung mit einem vEK führt, das bei Ablauf des Geschäftsjahres, für das ausgeschüttet wird, noch nicht bestand. Dennoch greift dieser Einwand schon deshalb nicht durch, weil der (Steuer-)Gesetzgeber sich in § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG bewußt von der handelsrechtlich gebotenen Betrachtungsweise gelöst hat. Er hat bewußt eine entsprechende gliederungs- und körperschaftsteuerliche Verrechnungsmöglichkeit eröffnet. Daran sind sowohl die Beteiligten als auch der erkennende Senat gebunden. Die steuerrechtlich bestehende Verrechnungsmöglichkeit setzt nicht voraus, daß sie handelsrechtlich nachvollziehbar ist.

3. Im Ergebnis entspricht deshalb die Vorentscheidung nicht der sich aus § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG ergebenden Rechtslage. Sie war aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der mit der Klage angefochtene Körperschaftsteuerbescheid 1991 ist rechtmäßig. Die Klage ist unbegründet. Sie war deshalb abzuweisen.