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  BFH-Urteil vom 11.2.1998 (I R 81/97) BStBl. 1998 II S. 485

Liegen die Voraussetzungen von § 54 Abs. 4 KStG i. d. F. des StRG 1990 nicht vor, findet § 8 Abs. 4 KStG i. d. F. des StRG 1990 erstmals auf den Veranlagungszeitraum 1990 Anwendung. Auch der Abzug von Verlusten, die vor diesem Veranlagungszeitraum entstanden sind, wird durch die Neuregelungen in § 8 Abs. 4 KStG eingeschränkt. Darin liegt kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

KStG i.d.F. des StRG 1990 § 8 Abs. 4, § 54 Abs. 1 und Abs. 4; GG Art. 20 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1997, 1052)

Sachverhalt

I.

Die Anteile am Stammkapital der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, in Höhe von seinerzeit insgesamt 2 Mio DM wurden - zuletzt und bis zum Dezember 1987 - von A mit 508.000 DM, seiner Ehefrau B mit 504.000 DM, deren gemeinsamen Sohn C mit 489.000 DM sowie D mit 499.000 DM gehalten. Am 10. Dezember 1987 erwarben E und dessen Ehefrau F Geschäftsanteile von 1.501.000 DM bzw. 499.000 DM. Durch Gesellschafterbeschluß vom 19. Oktober 1988 wurde das Stammkapital auf 100.000 DM herabgesetzt.

Die Klägerin hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Juli an. Die Veranlagungszeiträume 1984 bis 1986 sind zu einem steuerlichen Liquidationszeitraum zusammengefaßt worden (§ 8 Abs. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 und 6 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG -, § 10d des Einkommensteuergesetzes - EStG -).

Für das Streitjahr 1990 ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nach Durchführung einer Betriebsprüfung ein Einkommen von 458.189 DM und stellte bzw. setzte hiernach die Tarifbelastung und die Körperschaftsteuer fest. Dem Antrag der Klägerin, einen noch nicht verbrauchten Verlustvortrag in gleicher Höhe aus 1983 zu berücksichtigen, folgte das FA im Hinblick auf die durch das Steuerreformgesetz 1990 (StRG 1990) vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) neu eingefügte Regelung in § 8 Abs. 4 KStG wegen Fehlens der wirtschaftlichen Identität nicht (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. Juni 1990, BStBl I 1990, 252, Tz. 5).

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1052 wiedergegebenen Gründen ab.

Die Klägerin stützt ihre Revision auf Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben, den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid zu ändern und die Tarifbelastung und die Körperschaftsteuer 1990 jeweils auf 0 DM festzustellen bzw. festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Unter den Beteiligten besteht Einvernehmen darüber, daß die gemäß § 8 Abs. 4 KStG i. V. m. § 10d EStG für den Verlustabzug erforderliche wirtschaftliche Identität der Klägerin mit jener GmbH, die im Jahre 1983 den hier in Rede stehenden Verlust erlitten hat, nicht gewahrt ist. Streitig ist allein, ob die neugeschaffene Regelung des § 8 Abs. 4 KStG auf den Streitfall anwendbar ist und damit dem begehrten Verlustabzug entgegenstehen kann. Dies ist mit der Vorinstanz zu bejahen:

1. Die Neuregelung in § 8 Abs. 4 KStG ist erstmals auf den Veranlagungszeitraum 1990, also auf das Streitjahr, anzuwenden (§ 54 Abs. 1 KStG i. d. F. des Steuerreformgesetzes 1990). Abweichend hiervon bestimmt § 54 Abs. 4 KStG i. d. F. des Steuerreformgesetzes 1990 (= § 54 Abs. 6 KStG 1991), daß die Vorschrift "auch" für vor dem 1. Januar 1990 beginnende Veranlagungszeiträume anzuwenden ist, wenn die Rechtsgeschäfte, die zu dem Verlust der wirtschaftlichen Identität geführt haben, nach dem 23. Juni 1988 abgeschlossen worden sind. § 54 Abs. 4 KStG verlagert den erstmaligen Anwendungszeitpunkt sonach bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, die hier nicht gegeben sind, auf einen Zeitraum vor dem ansonsten maßgeblichen Veranlagungszeitraum 1990 vor. Weiteres läßt sich ihr nicht entnehmen. Die Vorschrift ist als Ausnahmeregelung zu § 54 Abs. 1 KStG konzipiert, ohne die darin enthaltene Grundregel prinzipiell in Frage zu stellen; durch das im Gesetzestext verwendete Adverb "auch" wird dies zweifelsfrei verdeutlicht. Insbesondere beinhaltet § 54 Abs. 4 KStG keine (einschränkenden) Regelungen für die Frage, welche Verluste aus den Vorjahren abzugsfähig sind. Diese Frage beantwortet sich nach wie vor allein nach Maßgabe des insoweit als Grundtatbestand fungierenden § 10d EStG.

Sind die besonderen Erfordernisse in § 54 Abs. 4 KStG nicht erfüllt, bleibt es deshalb bei der erstmaligen Anwendung von § 8 Abs. 4 KStG im Veranlagungszeitraum 1990. Die Abzugsbeschränkungen des § 8 Abs. 4 KStG sind folglich auch dann bedeutsam, wenn es um den Abzug solcher Verluste geht, die vor diesem Veranlagungszeitraum entstanden, jedoch bislang (bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums 1989) noch nicht durch Abzug verbraucht sind. Anlaß zu irgendwelchen Mißdeutungen gibt das Gesetz insoweit keine. Hätte der Gesetzgeber einzelne Tatbestandsmerkmale, wie bestimmte Verlustentstehungsjahre, von der Anwendungsregelung ausnehmen wollen, hätte er dies durch entsprechende Formulierungen zum Ausdruck bringen können (im Ergebnis einhellige Meinung, vgl. Blümich/Danelsing, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 15. Aufl., § 54 KStG Rz. 27 f.; Lohmar in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 54 Rz. 51; Schwebel in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 54 Rz. 43; Bott in Arthur Andersen, Körperschaftsteuergesetz, § 54 Rz. 81; Hörger/Kemper, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1990, 539 , 543; Krebs, GmbH-Rundschau - GmbHR - 1988, 228, 233; Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, § 8 Rz. 193; anders Streck, Körperschaftsteuergesetz, 5. Aufl., § 8 Anm. 151, sowie ders./Schwedhelm, Finanz-Rundschau 1989, 153, 158; Schmidt-Troje in Schöberle/Hofmeister, Handbuch der Körperschaftsteuer, § 8 Rz. 342; vgl. auch die gleichgelagerte Kontroverse infolge nunmehriger Änderung des § 8 Abs. 4 KStG durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997, BGBl I 1997, 2590, und der dazu ergangenen Übergangsvorschrift in § 54 Abs. 6 KStG i. d. F. des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Beitragszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997, BGBl I 1997, 3121; dazu Haritz, GmbHR 1998, 81 einerseits; Füger/Rieger, DStR 1998, 64 andererseits).

2. Die so zu verstehende Anwendungsregelung ist verfassungsrechtlich unbedenklich; sie verstößt nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) abgeleitete Rückwirkungsverbot.

a) Nach herkömmlicher Auffassung, der der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) folgt (BVerfG-Beschlüsse vom 13. Mai 1986 1 BvR 99, 461/85, BVerfGE 72, 175, 196, und vom 11. Oktober 1988 1 BvR 743/86, 1 BvL 80/86, BVerfGE 79, 29, 45 f.), ist zwischen echter und unechter Rückwirkung zu unterscheiden. Echte (retroaktive) Rückwirkung eines Gesetzes liegt vor, wenn das Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Demgegenüber wird als unechte (retrospektive) Rückwirkung bezeichnet, wenn ein Gesetz auf in der Vergangenheit begründete, auf Dauer angelegte, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt. Der 2. Senat des BVerfG legt seiner Beurteilung eine abgewandelte Definition zugrunde: Eine Rechtsnorm entfalte dann Rückwirkung - im Unterschied zur tatbestandlichen Rückanknüpfung, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betreffe - , wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Rechtsfolgen auf einen Zeitpunkt festgelegt sei, der vor dem Zeitpunkt liege, zu dem die Norm rechtlich existent, d. h. gültig geworden sei (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241 f., und vom 14. November 1990 2 BvF 3/88, BVerfGE 83, 89, 110).

Der erkennende Senat folgt dem rechtsfolgenbezogenen Rückwirkungsbegriff (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. September 1992 XI R 31/91, BFHE 169, 415, BStBl II 1993, 151). Danach ist eine Rückwirkung zu bejahen, wenn eine früher maßgebliche Regelung ersetzt und der Vergangenheit hinsichtlich der Rechtsfolgen fiktiv eine Regelung unterschoben wird, die seinerzeit nicht gegolten hat und daher auch nicht beachtet werden konnte. Dementsprechend ist im Streitfall von einer - unbedenklichen - tatbestandlichen Rückanknüpfung auszugehen. Die Entstehung der fraglichen Verluste aus früheren Jahren liegt zwar - naturgemäß - in der Vergangenheit, die Rechtsfolgen, nämlich die Beschränkung und ggf. der Ausschluß des Verlustabzugs, treten hingegen erst zu einem Zeitpunkt ein, der nach dem Zeitpunkt liegt, in dem § 8 Abs. 4 KStG i. d. F. des Steuerreformgesetzes 1990 gültig geworden ist (siehe auch Senatsurteil vom 12. Juli 1989 I R 46/85, BFHE 158, 224, BStBl II 1990, 113, unter 5.).

b) Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, können Grundrechte berühren, wobei in die erforderliche grundrechtliche Bewertung die Grundsätze des Vertrauensschutzes einfließen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 72, 200, 242 f., und in BVerfGE 79, 29, 46). Gegen diese Grundsätze wird verstoßen, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte und sein Vertrauen schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen; es ist abzuwägen zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 4. Aufl. 1997, Art. 20 Rdnr. 52 f, m. w. N.).

Bei dieser Abwägung hat im Streitfall das auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage gerichtete Vertrauen der Klägerin zurückzutreten. Zwar konnte sie im Dezember 1987, als ihre jetzigen Gesellschafter die Stammanteile von den zuvorigen Gesellschaftern erwarben, nach Lage der Dinge wohl davon ausgehen, die aufgelaufenen Verluste aus den Vorjahren steuerlich wirksam werden zu lassen. Dies entsprach dem Stand der Rechtsprechung des BFH, wonach es für den Verlustabzug lediglich auf die rechtliche Identität der Körperschaft ankam (vgl. Senatsurteile vom 29. Oktober 1986 I R 202/82, BFHE 148, 153, BStBl II 1987, 308, und I R 318 - 319/83, BFHE 148, 158, BStBl II 1987, 310). Gleichwohl konnte nicht darauf vertraut werden, daß der Gesetzgeber - dem folgend - den Verlustabzug künftig unter gegenüber der bisherigen Praxis erleichterten Umständen ermöglichen würde. Dieser war vielmehr darin frei, die Abzugsmöglichkeiten einzuschränken, ebenso wie er ungehindert gewesen wäre, den in § 10d EStG geregelten Verlustabzug überhaupt veränderten Konditionen zu unterwerfen. Der Vergangenheitsbezug der Verluste, dem auch § 10d EStG Rechnung trägt, ändert daran nichts. Daraus erwächst für den betreffenden Steuerpflichtigen weder dem Grunde noch der Höhe nach eine nicht oder geringer begrenzte zukünftige Ausgleichsfähigkeit mit späteren Gewinnen.

Gleiches gilt für die allgemeine Steuergerechtigkeit, insbesondere dem Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Zwar entspräche hiernach die steuerliche Erfassung allein des Totalgewinns eines Steuerpflichtigen der "idealen" Besteuerung (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, 15. Aufl., § 9 Rz. 44). Haushaltspolitisch und technisch läßt sich dies indes nicht bewältigen, da der Fiskus auf den sukzessiven Eingang der Steuern angewiesen ist. Der überperiodische Verlustabzug als Ausdruck des Leistungsfähigkeitsprinzips wird deshalb durch den Grundsatz der Periodizität als Ausdruck der Rechtssicherheit überlagert. Dies ist auch von Verfassungs wegen hinzunehmen, jedenfalls solange, wie - was für das Streitjahr nicht in Frage steht - die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen und gänzlich ausgeschlossen wird (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 8. März 1978 1 BvR 117/78, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1978, 293; vom 22. Juli 1991 1 BvR 313/88, HFR 1992, 423). Insbesondere erstarkt die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundgesetzlich geschützten Vermögensposition (Art. 14 Abs. 1 GG). Es bleibt dabei, daß die Ausgleichsfähigkeit unter dem Vorbehalt ihrer Beschränkung durch einfaches Recht (§ 10d EStG, aber auch § 8 Abs. 4 KStG) steht, und zwar gleichermaßen in materiell- wie in formalrechtlicher Hinsicht. Von daher gibt auch der Umstand, daß die entstandenen Verluste nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG bereits im Entstehungsjahr gesondert festzustellen sind, für die künftige Behandlung dieser Verluste nichts her. Der Gesetzgeber wird dadurch keineswegs - durch den Feststellungsbescheid - dahin präjudiziert, den in diesem Bescheid angelegten Vorgaben auch materiell entsprechen zu müssen. Der Regelungsgehalt der Feststellung begrenzt sich darin, die Höhe des jeweiligen Verlustbetrages für das spätere Abzugsjahr verbindlich festzulegen (vgl. § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG).