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  BFH-Beschluß vom 26.5.1998 (VI R 58/97) BStBl. 1998 II S. 517

Das Bundesministerium der Finanzen wird zum Beitritt in einem Revisionsverfahren aufgefordert, in dem es um die Frage geht, ob die 1996 eingeführte Verpflichtung des privaten Arbeitgebers zur Auszahlung des Kindergeldes an seine Arbeitnehmer verfassungsgemäß ist.

EStG 1996 § 73; KAV § 3.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1997, 762)

Sachverhalt

1. Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beschäftigt etwa 1.000 Arbeitnehmer. Sie beantragte beim zuständigen Arbeitsamt - Familienkasse -, von der durch § 73 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1996 eingeführten Pflicht zur Auszahlung des Kindergeldes für ihre Arbeitnehmer befreit zu werden. Der Antrag wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Voraussetzungen des § 3 der Kindergeldauszahlungs-Verordnung (KAV) nicht erfüllt seien, da mehr als 50 Arbeitnehmer auf Dauer beschäftigt würden.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage brachte die Klägerin vor, § 73 EStG sei wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt § 73 EStG für verfassungsgemäß. Es führte im wesentlichen aus, die entschädigungslose Inanspruchnahme des Arbeitgebers durch den Staat bei der Auszahlung des Kindergeldes sei - als Regelung der Berufsausübung - durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Bei einer Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe sei die Grenze der Zumutbarkeit noch nicht überschritten. Das Eigentumsrecht der Arbeitgeber werde nicht verletzt. Die Neuregelung greife nicht in die Substanz des Eigentums ein, sondern halte sich im Bereich der Inhaltsbestimmung des Eigentums. Es liege auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor. Die Arbeitgeber stünden in einer bestimmten Sachnähe zu dem mit der Belastung verfolgten Zweck, da sie ohnehin zum Lohnsteuerabzug verpflichtet seien.

Ihre Revision gegen das klageabweisende Urteil begründet die Klägerin damit, § 73 EStG sei wegen Verletzung der Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Die Auszahlung des Kindergeldes, das eine allgemeine Leistung des Staates sei, könne nicht in Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit gebracht werden. Die Verknüpfung von Lohnsteuer und Kindergeld sei durch Art. 12 GG nicht gerechtfertigt. Eine besondere Sachnähe der Arbeitgeber zu der ihnen auferlegten Verpflichtung bestehe beim Kindergeld nicht, da es unabhängig von der Lohnsteuer zu zahlen sei und dabei weder die Tätigkeit als Arbeitnehmer noch die Merkmale des Arbeitsverhältnisses maßgebend seien. Durch die Auferlegung öffentlicher Lasten erfolge ein Eingriff in das Eigentumsrecht. Dabei führe allein das Fehlen einer Entschädigungsregelung nach Art. 14 Abs. 3 GG zur Verfassungswidrigkeit. Durch die Regelung des § 3 KAV würden Arbeitgeber tatsächlich ungleich behandelt.

Entscheidungsgründe

2. Rechtsfragen

Die Entscheidung über das Klagebegehren - festzustellen, daß keine Pflicht zur Auszahlung des Kindergeldes bestehe - ist davon abhängig, ob die Vorschrift des § 73 EStG mit dem GG vereinbar ist. Trifft dies zu, hat das FG die Klage zu Recht abgewiesen und die Revision ist unbegründet. Kommt der Senat zu dem entgegengesetzten Ergebnis, hat er nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Die Vorentscheidung hält - ebenso wie das FG Rheinland-Pfalz in dem rechtskräftigen Urteil vom 31. Juli 1997 1 K 1686/96 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1997, 367) - § 73 EStG für verfassungsgemäß. Demgegenüber werden im Schrifttum Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem GG geäußert, z. B. von Kanzler (Finanz-Rundschau - FR - 1996, 473), Depenheür (Betriebs-Berater - BB - 1996, 1218) und Pelka/Balmes (Deutsches Steuerrecht - DStR - 1997, 1309). Dabei wird insbesondere argumentiert, daß die gegenwärtige Regelung mangels Sachnähe der Arbeitgeber zum Kindergeld ihrer Arbeitnehmer ungeeignet und im übrigen wegen anderer Lösungsmöglichkeiten nicht erforderlich sei. § 73 EStG enthalte eine unzulässige Regelung zur Berufsausübung und erfordere deshalb eine Entschädigung der Arbeitgeber.

Neben den in der Rechtsprechung der FG und im Schrifttum bereits erörterten verfassungsrechtlichen Problemen stellen sich dem Senat folgende Fragen, die bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 73 EStG von Bedeutung sein könnten:

a) Sind aus dem Umstand, daß "weit über eine Million der insgesamt 1,8 Millionen privaten Arbeitgeber in Deutschland" sich von der Pflicht zur Auszahlung des Kindergeldes haben befreien lassen (Mitteilung des Bayerischen Finanzministeriums, s. Handelsblatt vom 21. Januar 1998 S. 3), Anhaltspunkte dafür herzuleiten, daß § 73 EStG i. V. m. § 3 KAV mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht in Einklang steht?

b) Die als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfolgte Änderung des § 361 Abs. 2 Satz 4 der Abgabenordnung (AO 1977), § 69 Abs. 2 Satz 8 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (keine vorläufige Erstattung von Vorauszahlungen und Abzugsbeträgen aufgrund einer Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von Steuerbescheiden) wurde insbesondere damit begründet, daß anderenfalls die zusätzliche Arbeitsbelastung bei den Finanzämtern einen Personalmehrbedarf von etwa 500 Arbeitskräften erfordere (BTDrucks 13/5952 S. 57). Wie ist vor diesem Hintergrund die Belastung der privaten Arbeitgeber durch die entschädigungslose Pflicht zur Auszahlung des Kindergeldes zu rechtfertigen? Wurden im Zusammenhang mit der Einführung des § 73 EStG oder mit neuesten Gesetzesinitiativen Untersuchungen über die Belastung der Arbeitgeber angestellt?

c) Ist von seiten des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) beabsichtigt, die derzeitige Regelung auf Dauer beizubehalten? Gibt es Gründe, die dafür sprechen, die Inanspruchnahme des privaten Arbeitgebers jedenfalls für eine Übergangszeit als verfassungskonform anzusehen?

d) Nach der Rechtsprechung verstößt zwar die sich aus §§ 38 ff. EStG ergebende Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs nicht gegen Verfassungsrecht (BFH, Urteil vom 5. Juli 1963 VI 270/62 U, BFHE 77, 408, BStBl III 1963, 468; BVerfG, Beschlüsse vom 18. Dezember 1963 1 BvR 514/63, Der Betrieb 1964, 204; vom 17. Februar 1977 1 BvR 33/76, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977, 296). Auch im Hinblick auf die grundsätzliche Kritik an der Indienstnahme des Arbeitgebers (vgl. z. B. Trzaskalik, in: Friauf (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht, VDStJG Bd. 12 S. 157; Hendel, Die Belastung der Arbeitgeber durch die Lohnsteuer, IFSt-Schrift Nr. 359) stellt sich indessen die Frage, ob jedenfalls die zusätzliche Belastung der Arbeitgeber mit den Leistungspflichten bei der Auszahlung des Kindergeldes noch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren ist. Diese Frage kann sich insbesondere vor dem Hintergrund stellen, daß die Familienkassen die Kindergeldbescheinigungen auszustellen haben und eine zusätzliche Auszahlung des Kindergeldes durch die Familienkasse keinen erheblichen Verwaltungsaufwand erfordern dürfte.

3. Beitritt des BMF

Der Senat regt an, daß das BMF dem Revisionsverfahren beitritt (§ 122 Abs. 2 Satz 3 FGO) und zu den angesprochenen oder sonstigen Fragen, die nach Meinung des BMF erheblich sind, Stellung nimmt.