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  BFH-Urteil vom 11.12.1997 (V R 44/96) BStBl. 1998 II S. 519

1. Im Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 UStG 1991 i. V. m. §§ 51 ff. UStDV hat der Leistungsempfänger für bestimmte Umsätze die Umsatzsteuer des leistenden Unternehmers einzubehalten und abzuführen. Der Leistungsempfänger ist als Haftender gemäß § 55 UStDV Gesamtschuldner mit dem Leistenden für diese Steuer.

2. Die sog. Null-Regelung gemäß § 52 Abs. 2 UStDV ist nicht anwendbar, wenn der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erteilt hat. Der Leistungsempfänger darf die Anmeldung und Abführung der Steuer nicht mit der Begründung unterlassen, eine entsprechende "Null-Situation" trete ein, wenn er zwar die Steuer einbehalte, aber den Vorsteuerabzug nicht geltend mache.

UStG 1991 § 18 Abs. 8; UStDV §§ 51 ff.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1996, 1009)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Hochbauunternehmen. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) bediente er sich zur Erfüllung seiner Verpflichtungen ausländischer Unternehmen, nämlich der D Ltd. und der R Ltd. Es handelte sich jeweils um Private Limited Companies britischen Rechts.

Im Streitjahr 1992 führten die beiden Ltd. Companies durch Subunternehmer (britische Staatsbürger - sog. "self employed persons" -) an den Kläger auf den Baustellen Arbeitsleistungen für insgesamt 187.716,02 DM aus. Sie stellten dem Kläger - abgesehen von Abschlagsrechnungen unter 10.000 DM - Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer aus.

In diesen Rechnungen wurde auf das Umsatzsteuer-Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1991) i. V. m. §§ 51 ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) hingewiesen (Rechnungen der D Ltd.: "Auftraggeber müssen MwSt. an Finanzamt abführen lt. § 18 UStG/§ 51 UStDV"; Rechnungen der R Ltd.: "Lt. § 51 UStDV 1980 zu verrechnen mit das für Sie zuständige Finanzamt").

Der Kläger zahlte lediglich die Nettobeträge - nach Abzug von Aufmaßdifferenzen - in Höhe von 162.455,11 DM. Den verbleibenden Umsatzsteuerbetrag meldete der Kläger weder an noch führte er ihn ab.

Mit Haftungsbescheid (vom 21. August 1995) nach § 55 UStDV nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Kläger hinsichtlich der nicht abgeführten Umsatzsteuerbeträge in Anspruch. Das FA stützte dies auf die Begründung, die sog. Null-Regelung nach § 52 Abs. 2 UStDV finde keine Anwendung, weil Rechnungen mit gesondertem Ausweis erteilt worden seien bzw. eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug mangels Identität zwischen Leistendem und Rechnungsaussteller nicht bestehe. Nach Ermittlungen des Bundesamts für Finanzen handle es sich bei D Ltd. und R Ltd. um sog. "Domizilgesellschaften", die lediglich als Briefkastenfirmen in den Niederlanden ansässig gewesen seien.

Mit der Klage wandte sich der Kläger (neben anderen, nicht mehr streitigen Einwendungen) gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids. Er macht geltend, daß Identität zwischen Leistendem und Rechnungsaussteller bestehe und er deshalb sowohl zum Vorsteuerabzug als auch zur Anwendung der Null-Regelung berechtigt sei. Das FG wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 1009 veröffentlichten Urteil ab.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung von § 18 Abs. 8 UStG 1991 i. V. m. §§ 51 ff. UStDV. Er beantragt, das Urteil und den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist zurückzuweisen.

Das FG hat den angefochtenen Haftungsbescheid gemäß § 55 UStDV zwar mit unzutreffender Begründung, aber im Ergebnis zu Recht bestätigt. Der Kläger haftet im Abzugsverfahren für die Umsatzsteuer auf die Leistungen der im Ausland ansässigen Ltd. Companies. Das FG hat dem Kläger zu Unrecht die Feststellungslast hinsichtlich der Frage auferlegt, ob die Ltd. Companies die leistenden Unternehmer waren.

1. Gemäß § 55 UStDV haftet der Leistungsempfänger "für die nach § 54 anzumeldende und abzuführende Steuer". Nach § 54 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStDV hat der Leistungsempfänger "die abzuführende Steuer binnen zehn Tagen nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums ..., in dem das Entgelt ganz oder teilweise gezahlt worden ist, nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem für ihn zuständigen Finanzamt anzumelden. Gleichzeitig hat der Leistungsempfänger die angemeldete Steuer an dieses Finanzamt abzuführen". Einzubehalten und abzuführen hat der Leistungsempfänger gemäß § 51 Abs. 1 UStDV die Steuer für steuerpflichtige Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers.

Der Leistende als Steuerschuldner und der Leistungsempfänger als Haftungsschuldner nach § 55 UStDV sind Gesamtschuldner i. S. von § 44 der Abgabenordnung - AO 1977 - (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. August 1994 XI R 94/92, BFHE 176, 78, BStBl II 1995, 188).

Das Abzugsverfahren nach §§ 51 ff. UStDV beruht auf der Ermächtigung gemäß § 18 Abs. 8 UStG 1991, derzufolge "zur Sicherung des Steueranspruchs" das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen kann, daß die Steuer für bestimmte Umsätze eines im Ausland ansässigen Unternehmers im Abzugsverfahren durch den Leistungsempfänger zu entrichten ist.

2. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt sind im Streitfall die Voraussetzungen gemäß §§ 51 ff. UStDV erfüllt, so daß der Kläger das Abzugsverfahren durchzuführen hatte.

a) § 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV bestimmt, daß der Leistungsempfänger für steuerpflichtige Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten und an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen hat.

aa) Für das (Hochbau-)Unternehmen des Klägers waren Werklieferungen oder sonstige Leistungen ausgeführt worden (§ 51 Abs. 1 Satz 1 UStDV). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger Leistungen anderer Art bezogen hätte, die nicht unter den Anwendungsbereich des Abzugsverfahrens fallen, bzw. Leistungen, deren Ort nicht im Inland liegt. Nach den Feststellungen des FG erbrachten die beiden Ltd. Companies "durch die Subunternehmer (self employed persons) ... für den Kläger Arbeitsleistungen ...". In den Rechnungen über die Leistungen, auf die das FG Bezug nahm, sind die Leistungen durch die D Ltd. z. B. - bezogen auf Bauvorhaben und Kalenderwoche - nach Positionen wie Verblendmauerwerk, Innenmauerwerk, Öffnungen, Dämmplatten u. ä., durch die R Ltd. - ebenfalls bezogen auf Bauvorhaben und Kalenderwoche - "lt. Aufmaß" beschrieben.

Handelte es sich um Bauleistungen bzw. andere "sonstige Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück", lag deren Ort gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG 1991 am Ort des Grundstücks - also der Baustelle im Inland. Handelte es sich hingegen um "reine" Arbeitnehmerüberlassung (Personalgestellung an einen Unternehmer im Inland), lag der Leistungsort gemäß § 3a Abs. 4 Nr. 7 i. V. m. Abs. 3 UStG 1991 ebenfalls im Inland. Nach dem FG-Urteil spricht im Zusammenhang mit der festgestellten Ausführung von Arbeitsleistungen durch Subunternehmer mehr für Werkleistungen am Bauwerk als für Personalgestellung. Der Senat braucht auf die Leistungsart im Streitfall aber nicht weiter einzugehen, zumal die wiedergegebene Leistungsbeschreibung den Anforderungen entspricht, die nach der Rechtsprechung des BFH an Rechnungen für den Vorsteuerabzugsanspruch im allgemeinen Besteuerungsverfahren gestellt werden (z. B. Urteil vom 24. September 1987 V R 50/85, BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688).

bb) Daß es für den Kläger zweifelhaft hätte sein müssen, ob seine beiden Auftragnehmer die Voraussetzung "im Ausland ansässiger" Unternehmer erfüllten (vgl. § 51 Abs. 3 UStDV), ergibt sich aus den vom FG festgestellten Umständen nicht. Selbst nach der Auffassung des FG, soweit es auf nicht weiter konkretisierte "dahinterstehende Personen" abstellt, scheidet ein Leistender mit Sitz im Inland aus.

b) Der Kläger konnte nicht nach der sog. Null-Regelung des § 52 Abs. 2 UStDV von der Anwendung der §§ 51 und 53 bis 58 UStDV auf die streitbefangenen Umsätze absehen.

Nach der Ausnahmebestimmung des § 52 Abs. 2 Nr. 1 UStDV ist der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, die Steuer für die Leistung des Unternehmers einzubehalten und abzuführen, wenn der Unternehmer "keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer" erteilt hat. Da dem Kläger für die in Anspruch genommenen Leistungen von den beiden Ltd. Companies Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt wurden, scheidet die Anwendung der Null-Regelung aus.

Angesichts des Wortlauts der Bestimmung greift der Einwand des Klägers nicht durch, das FG habe das Abzugsverfahren fehlerhaft - insbesondere entgegen Sinn und Zweck - angewendet. Die Ermächtigungsgrundlage des § 18 Abs. 8 UStG 1991 sieht (übereinstimmend mit Art. 21 Nr. 1 Buchst. a und b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG) jedenfalls keine generelle Ausgestaltung des Abzugsverfahrens als sog. Null-Regelung vor. Auf das Vorliegen einer sog. "Null-Situation" im Streitfall (der Kläger behielt die Umsatzsteuer aus den Gegenleistungen ein, machte aber den entsprechenden Vorsteuerabzug nicht geltend), kommt es nicht an. Insoweit gilt nichts anderes als im allgemeinen Besteuerungsverfahren des Umsatzsteuergesetzes, in dem das Steuerschuldverhältnis des Leistenden (Umsatzsteuer auf die Leistung) und das des Leistungsempfängers (Abzug der Steuer als Vorsteuer) ohne materielle Verknüpfung nebeneinander bestehen (BFH-Urteil vom 2. November 1989 V R 56/84, BFHE 159, 266, BStBl II 1990, 253). Darauf wies das FG zutreffend hin.

Der Kläger hätte durch Einbehaltung und Anmeldung der abzuführenden Steuer - und durch Inanspruchnahme des daraus folgenden Vorsteuerabzugsanspruchs - die von ihm angestrebte umsatzsteuerneutrale Behandlung der Umsätze in seinem Unternehmen erreichen können.