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  BFH-Urteil vom 8.7.1998 (I R 23/97) BStBl. 1998 II S. 628

Durch den Antrag auf "Aufhebung" eines Schätzungsbescheids wird der Gegenstand des Klagebegehrens jedenfalls dann nicht hinreichend bezeichnet, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Kläger tatsächlich nur eine Herabsetzung der festgesetzten Steuer begehrt.

FGO § 65.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gab für das Streitjahr 1992 keine Steuererklärungen ab. Deshalb erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) Steuerbescheide mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen. Diese Bescheide focht die Klägerin nach erfolglosen Einspruchsverfahren mit der Klage an, wobei sie in der Klageschrift beantragte, die - dort näher bezeichneten - angegriffenen Bescheide "aufzuheben". Der Klageschrift waren Ablichtungen der Einspruchsentscheidungen beigefügt, aus denen hervorging, daß das FA mangels Abgabe der Steuererklärungen an den Schätzungen festgehalten hatte.

Mit Verfügung des Senatsvorsitzenden des Finanzgerichts (FG) vom 7. September 1995 - zugestellt am 8. September 1995 - wurde der damalige und heutige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Wochen nach Zustellung der Verfügung den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Über die Folgen der Versäumnis der Ausschlußfrist und die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wurde belehrt.

Innerhalb der Ausschlußfrist beantragte die Klägerin zunächst eine Verlängerung der "Begründungsfrist" bis zum 31. Oktober 1995. In einem weiteren, ebenfalls innerhalb der Ausschlußfrist eingegangenen Schriftsatz beantragte sie sodann erneut eine "Aufhebung" der angefochtenen Bescheide. Zur Begründung wies sie darauf hin, daß die Steuererklärungen noch erstellt werden müßten. Sie könnten möglicherweise in drei Wochen eingereicht werden.

Das FG sah diese Angaben als unzureichend an und wies die Klage als unzulässig ab. Mit ihrer vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verfahrensfehler und die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG Köln vom 22. Februar 1996 13 K 5062/95 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, nachdem die Klägerin den Gegenstand des Klagebegehrens innerhalb der ihr gesetzten Ausschlußfrist nicht hinreichend bezeichnet hatte.

1. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muß die Klage u. a. den Gegenstand des Klagebegehrens enthalten. Genügt eine Klage diesem Erfordernis nicht, so kann der Senatsvorsitzende oder der Berichterstatter des FG dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen. Wird diese Frist versäumt, so ist die Klage - vorbehaltlich der Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) - endgültig unzulässig.

2. Im Streitfall hatte die Klägerin in der Klageschrift eine "Aufhebung" der angefochtenen Bescheide und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen beantragt. Durch diese Angabe ist das Klagebegehren nicht i. S. des § 65 Abs. 1 FGO bezeichnet worden:

a) Die von § 65 Abs. 1 FGO geforderte "Bezeichnung des Klagebegehrens" ist der Sache nach identisch mit der "Bestimmung des Streitgegenstandes", die § 65 Abs. 1 FGO in seiner früher - vor Inkrafttreten des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) - geltenden Fassung dem Kläger aufgab (BFH-Urteile vom 12. September 1995 IX R 78/94, BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16, 18; vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232, m. w. N.). Für die nähere Bestimmung derjenigen Angaben, durch die das Klagebegehren i. S. des § 65 Abs. 1 FGO ausreichend bezeichnet wird, kann folglich ohne weiteres auf die zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.

Deshalb ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Entscheidung des Großen Senats des BFH zu beachten, derzufolge der Kläger zur Bestimmung des Streitgegenstandes substantiiert darlegen muß, inwieweit der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze (BFH-Beschluß vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, 102). Zugleich sind damit diejenigen Regeln, die im Gefolge jener Entscheidung zu § 65 Abs. 1 FGO entwickelt worden sind, auf die neue Fassung der Vorschrift weiterhin anwendbar.

b) Welche Angaben hiernach für eine Bezeichnung des Klagebegehrens i. S. des § 65 Abs. 1 FGO ausreichen, bestimmt sich zwar immer nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (BFH in BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, 102; BFH-Urteil vom 13. Juni 1996 III R 93/96, BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483, 484, m. w. N.). Jedenfalls gilt aber, daß die bloße Ankündigung eines Sachvortrags hierfür ebensowenig ausreicht (Senatsurteil vom 16. März 1988 I R 93/84, BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895, 896; BFH-Beschluß vom 15. November 1994 VIII B 29/94, BFH/NV 1995, 886, 887, m. w. N.) wie der allgemeine Hinweis, die Besteuerungsgrundlagen seien zu hoch geschätzt worden (BFH in BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16). Dasselbe muß indessen dann gelten, wenn der Kläger in einem Schätzungsfall eine "Aufhebung" der Schätzungsbescheide beantragt, in der Sache aber erkennbar eine Herabsetzung der Steuer nach Maßgabe von noch abzugebenden Steuererklärungen begehrt.

Denn in dieser Situation liegt dem Gericht zwar der Form nach ein konkreter Antrag vor, der zugleich ein eindeutiges Klagebegehren beinhalten könnte (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1997 V R 65/96, BFH/NV 1998, 324 zur Anfechtung eines Zinsbescheids). Hierauf kann es jedoch nicht entscheidend ankommen, wenn das übrige Vorbringen des Klägers zeigt, daß der Wortlaut des Antrags das tatsächliche Klageziel nicht korrekt wiedergibt. Dann muß nämlich der anerkannte Grundsatz durchgreifen, daß die Auslegung einer Klageschrift sich vorrangig nicht an deren Wortlaut, sondern vor allem an dem erkennbaren tatsächlichen Ziel des Klägers orientieren muß (BFH-Urteile vom 23. Januar 1997 IV R 84/95, BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462, 463; vom 20. September 1996 VI R 43/93, BFH/NV 1997, 249). Genau darum aber geht es in der genannten Konstellation:

Eine Klage gegen einen Schätzungsbescheid, mit der dessen "Aufhebung" begehrt wird, kann zwar im Einzelfall - etwa weil die Steuerpflicht dem Grunde nach bestritten wird - genau dieses Ziel haben. Hierbei handelt es sich jedoch um eine atypische Konstellation, deren Vorliegen nur dann angenommen werden kann, wenn das "Aufhebungs-"Begehren durch entsprechende inhaltliche Ausführungen näher konkretisiert wird. Anderenfalls wird eine solche Klage in der Regel dahin zu verstehen sein, daß der Kläger - abweichend vom Wortlaut der Klageschrift - nicht eine (vollständige) Aufhebung, sondern (nur) eine inhaltliche Änderung des angefochtenen Bescheids begehrt. Zumindest bleibt dies offen, solange der Antrag auf "Aufhebung" des Bescheids nicht näher erläutert wird (BFH in BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462, 464, und in BFH/NV 1998, 324, 325; ähnlich BFH in BFH/NV 1995, 886, 887). Und andererseits ist auch der Umfang der ggf. begehrten Änderung unklar, solange der Kläger weder die ausstehende Steuererklärung abgibt noch auf andere Weise die von ihm angestrebte Steuerfestsetzung präzisiert. Damit ist das FG nicht in der Lage, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu bestimmen oder überhaupt zu erkennen, über welche Streitpunkte es nach dem Willen des Klägers entscheiden soll. Eine Klage, die hierüber keinen Aufschluß gibt, ist indessen unzulässig (BFH in BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, 102; BFH-Beschluß vom 10. August 1995 X B 283/94, BFH/NV 1996, 57).

c) Für die im Streitfall zu beurteilende Klage ergibt sich hieraus folgendes:

aa) In der Klageschrift hatte die Klägerin zwar eine "Aufhebung" der ihr gegenüber ergangenen Schätzungsbescheide beantragt. Aus ihrem Vorbringen ergaben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß sie tatsächlich eine (vollständige) Aufhebung der Bescheide erstrebte. Vielmehr war insbesondere aus den der Klageschrift beigefügten Einspruchsentscheidungen erkennbar, daß die Klägerin unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen veranlagt worden war; dies ließ mangels gegenteiliger Angaben der Klägerin den Schluß zu, daß ihrer Vorstellung nach nur die Schätzungsergebnisse korrigiert werden sollten. Das genügte indessen, da jegliche Angaben zum Umfang der begehrten Korrektur fehlten, den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO nicht.

bb) Der Senatsvorsitzende des FG war demgemäß nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO berechtigt, der Klägerin eine Ausschlußfrist zur Bestimmung des Klagebegehrens zu setzen. Dies konnte ohne eine vorgeschaltete formlose Fristsetzung (§ 65 Abs. 2 Satz 1 FGO) erfolgen, da das Gesetz eine solche nicht verlangt. Die demgemäß gesetzte Ausschlußfrist von drei Wochen war angemessen (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Oktober 1996 V B 75/96, BFH/NV 1997, 415, 416), und zwar insbesondere angesichts des Umstandes, daß es bei ihr letztlich um die Abgabe von Steuererklärungen für das Streitjahr 1992 ging und daß die hierfür vorgesehenen gesetzlichen Fristen (vgl. § 149 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) bereits im Zeitpunkt der Fristsetzung um mehrere Jahre überschritten waren. Innerhalb der Ausschlußfrist hat die Klägerin ihr Klagebegehren nicht weiter präzisiert; im Gegenteil wurde durch ihren Hinweis auf die noch abzugebenden Steuererklärungen der aus der Klageschrift resultierende Eindruck bestätigt, daß es ihr um eine inhaltliche Änderung der Veranlagungen ging und daß sie den Umfang der begehrten Änderung nach wie vor nicht konkret angeben konnte. Im Ergebnis ist mithin die Ausschlußfrist abgelaufen, ohne daß es zu einer ausreichenden Bestimmung des Klagebegehrens gekommen wäre. Damit wurde die Klage endgültig unzulässig; der Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vermochte diesen Mangel nicht mehr zu heilen.

3. Diese Beurteilung entspricht - entgegen der Annahme der Klägerin - in vollem Umfang der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Diese geht nämlich - im Anschluß an die vom Großen Senat aufgestellten Grundsätze - dem Grunde nach dahin, daß der Kläger zur Bestimmung des Klagebegehrens angeben muß, inwieweit er den angefochtenen Bescheid für rechtswidrig hält (Senatsurteil in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895, 896; BFH in BFH/NV 1995, 886, 887; BFH-Urteil vom 31. Januar 1996 II R 95/93, BFH/NV 1996, 564). Dafür kann es zwar im Einzelfall ausreichen, daß die anderweitig anzusetzenden Besteuerungsgrundlagen dem Betrag nach bezeichnet werden (Senatsurteile vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242; vom 21. Mai 1997 I R 50/96, BFH/NV 1997, 870; BFH-Urteil vom 23. Januar 1997 IV R 84/85, BFHE 182, 273, BStBl II 1997, 462) oder das mit der Klage verfolgte Begehren durch Angabe von Umsatz, Vorsteuer und Gewinn präzisiert wird (Senatsurteil vom 17. April 1996 I R 91/95, BFH/NV 1996, 900). Das gleiche gilt dann, wenn die Präzisierung durch Bezugnahme auf das Einspruchsverfahren (BFH in BFHE 180, 247, BStBl II 1996, 483, und in BFH/NV 1997, 415) oder auf zwischenzeitlich beim FG eingereichte Unterlagen erfolgt. All dies ist indessen im Streitfall nicht geschehen. Die Klägerin hat vielmehr bis zum Ablauf der Ausschlußfrist lediglich einen weiteren Sachvortrag - in Gestalt der Steuererklärungen - angekündigt, was nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO nicht genügt und deshalb nicht zur Zulässigkeit der Klage führt.