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  BFH-Urteil vom 17.6.1998 (XI R 64/97) BStBl. 1998 II S. 727

Der für die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht maßgebliche erzielbare Totalgewinn setzt sich aus den in der Vergangenheit erzielten und künftig zu erwartenden laufenden Gewinnen/Verlusten und dem sich bei Betriebsbeendigung voraussichtlich ergebenden Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn/-verlust zusammen.

Der Aufgabegewinn läßt sich durch Gegenüberstellung des Aufgabe-Anfangsvermögens und des Aufgabe-Endvermögens ermitteln. Da die Verbindlichkeiten im Anfangs- und Endvermögen jeweils - mangels stiller Reserven - mit denselben Werten auszuweisen sind, wirken sie sich auf die Höhe des Aufgabegewinns nicht aus.

EStG § 15 Abs. 2; AO 1977 § 162.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt seit 1977 nebenberuflich eine Fremdenpension; er ermittelt den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Hauptberuflich war er - zumindest seit 1987 - als Feinmechaniker-Meister nichtselbständig tätig und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte zwischen 83.400 DM (1989) und 110.060 DM (1992). Aus dem Betrieb der Fremdenpension erzielte der Kläger nur Verluste (von 1977 bis 1993 insgesamt 725.091 DM). In den Streitjahren betrugen die Verluste 69.137 DM (1989), 64.825 DM (1990), 56.370 DM (1991) und 44.299 DM (1992). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte diese Verluste nicht.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Verlustperiode des Klägers lasse auf das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht schließen. Das Unternehmen des Klägers sei von Anfang an wirtschaftlich aus sich selbst heraus nicht lebensfähig gewesen. Der für eine gesunde Entwicklung des Betriebs notwendige Ertrag sei in den ersten 10 Jahren lediglich im Jahr 1985 fast erreicht worden. Lege man die Zahlen des Klägers zugrunde, sei ein Totalgewinn nicht erzielbar. Bei der Berechnung des Totalgewinns setzte das FG den Veräußerungserlös für die unbeweglichen Wirtschaftsgüter entsprechend einem vom Kläger vorgelegten Gutachten mit 1.250.000 DM und die stillen Reserven in den beweglichen Wirtschaftsgütern mit 15.000 DM, zusammen 1.265 000 DM an. Diesem Betrag stellte es die Verluste bis einschließlich 1993 von 725.091 DM und die Kreditverbindlichkeiten von 844.769 DM gegenüber, so daß sich insgesamt eine Unterdeckung von 304.860 DM ergab.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Bei der Art des Betriebs spreche der Beweis des ersten Anscheins für die Absicht der Gewinnerzielung. Zur Feststellung einer Liebhaberei müßten weitere Umstände vorliegen, die es als ernsthaft möglich erscheinen ließen, daß der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden Gründen oder Neigungen ausübe. Das angefochtene Urteil stelle hierzu lediglich fest, daß ein solcher Umstand darin zu sehen sei, daß er - der Kläger - im Jahr 1986 eine Eigentumswohnung erworben habe. Das FG habe nicht begründet, warum dieser Erwerb als persönliches Motiv zu verstehen sei. Der Kauf der Eigentumswohnung deute nicht auf persönliche Motive zur Fortführung des Pensionsbetriebs hin.

Die Betriebsergebnisse seien - wenn man die neutralen Aufwendungen (Zinsen) absetze - generell positiv gewesen. Auch sei die Betriebsführung im Laufe der Jahre kontinuierlich verbessert worden.

Die Kreditverbindlichkeiten (844.796 DM) hätten bei der Berechnung des fiktiven Aufgabegewinns zum 31. Dezember 1993 nicht berücksichtigt werden dürfen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1989 IV R 86/87, BStBl II 1989, 456). Nehme man die Kreditverbindlichkeiten aus der Berechnung heraus, ergebe sich insgesamt ein Überschuß, selbst wenn man den Wert der Wirtschaftsgüter nur mit 1.100.000 DM beziffere.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung der Vorentscheidungen die Einkommensteuer 1989 bis 1992 unter Berücksichtigung der erklärten Verluste festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

1. Im Jahr 1993 seien die Betriebsausgaben und der Verlust wieder angestiegen.

2. Das von dem Kläger vorgelegte Gutachten habe nicht berücksichtigt, daß ein Teil des Gebäudes S-Weg 1 von dem Kläger privat genutzt worden sei. Gehe man davon aus, daß nur 128 qm (von 212,48 qm) betrieblich genutzt worden seien, ergebe sich insgesamt (zusammen mit dem S-Weg 3) eine betriebliche Nutzfläche von 179 qm und damit ein gedachter Verkaufswert von nur 860.000 DM. Lege man diesen Wert der Berechnung zugrunde, ergebe sich ein Aufgabeverlust von 135.000 DM anstelle des vom Kläger ermittelten Totalgewinns von 251.000 DM.

3. Der Kläger habe nicht mit Gewinnerzielungsabsicht gehandelt. Spätestens nachdem er erkannt habe, daß auch der Zukauf der Wohnung nicht zu einer Steigerung der Ertragskraft führe, hätte er den Betrieb aufgeben müssen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG hat den von dem Kläger erzielbaren Totalgewinn fehlerhaft berechnet. Der vom FG festgestellte Sachverhalt reicht nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob der Kläger mit Gewinnerzielungsabsicht gehandelt hat.

1. Gemäß § 15 Abs. 2 EStG setzt eine gewerbliche Tätigkeit u.a. voraus, daß die Tätigkeit in der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird. Gewinnerzielungsabsicht als Tatbestandsmerkmal gewerblicher Tätigkeit ist das Streben nach Betriebsvermögensmehrung in Gestalt eines Totalgewinns (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 434, BStBl II 1984, 751, 766, unter C. IV. 3. c; BFH-Urteil vom 7. August 1991 X R 10/88, BFH/NV 1992, 108). Angestrebt werden muß ein positives Ergebnis zwischen Betriebsgründung und Betriebsbeendigung, und zwar aufgrund einer Betätigung, die, über eine größere Zahl von Jahren gesehen, auf die Erzielung positiver Ergebnisse hin angelegt ist. Das für den Tatbestand der Einkünfteerzielung notwendige Gewinnstreben ist anhand äußerer Merkmale zu beurteilen.

Zu den äußeren Kriterien, an denen die Gewinnerzielungsabsicht zu messen ist, gehört nicht nur der Erfolg, sondern auch die Art der auf diesen Erfolg hin ausgerichteten Tätigkeit. Dazu bedarf es einer in die Zukunft gerichteten, langfristigen Prognose, für die die Verhältnisse eines bereits abgelaufenen Zeitraums wichtige Anhaltspunkte bieten. Anzeichen für das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht kann eine Betriebsführung sein, bei der der Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung auf die Dauer gesehen dazu geeignet und bestimmt ist, mit Gewinn zu arbeiten. Schlüsse können auch daraus gezogen werden, wie der Steuerpflichtige darauf reagiert, daß er längere Zeit hindurch Verluste erwirtschaftet hat (BFH-Urteil in BFH/NV 1992, 108, m. w. N.).

Längere Verlustperioden reichen für sich allein gesehen nicht aus, um eine Betätigung als "Liebhaberei" anzusehen und dem Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen. Bei längeren Verlustperioden muß aus weiteren Anzeichen die Feststellung möglich sein, daß der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt (BFH-Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. IV. 3. c bb (1)).

2. Im Streitfall ist das FG davon ausgegangen, daß der Kläger kein positives Ergebnis habe erzielen können. Dem voraussichtlichen Veräußerungserlös hat es die bis einschließlich 1993 erzielten Verluste und die noch bestehenden Kreditverbindlichkeiten gegenübergestellt und eine Unterdeckung in Höhe von 304.860 DM errechnet.

Die Schätzung des Totalgewinns durch das FG ist fehlerhaft; es hat zu Unrecht vom zugrunde gelegten Veräußerungserlös die Kreditverbindlichkeiten, nicht aber den Buchwert der vorhandenen Wirtschaftsgüter, abgezogen.

Der für die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht maßgebliche erzielbare Totalgewinn setzt sich aus den in der Vergangenheit erzielten und künftig zu erwartenden laufenden Gewinnen/Verlusten und dem sich bei Betriebsbeendigung voraussichtlich ergebenden Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn/-verlust zusammen. Kann - wie im Streitfall - nicht davon ausgegangen werden, daß der Betrieb veräußert wird, so ist der Schätzung des Totalgewinns ein (fiktiver) Aufgabegewinn/-verlust gemäß § 16 Abs. 3 EStG zugrunde zu legen.

Der Aufgabegewinn, in dem die stillen Reserven des Betriebsvermögens erfaßt werden, läßt sich durch Gegenüberstellung des bis zum Aufgabegewinn fortentwickelten letzten Betriebsvermögens als sog. Aufgabe-Anfangsvermögen und des sich durch Ansatz der Werte des § 16 Abs. 3 EStG ergebenden sog. Aufgabe-Endvermögens ermitteln (BFH-Urteil vom 7. März 1996 IV R 52/93, BFHE 180, 302, BStBl II 1996, 415).

Im Aufgabe-Anfangsvermögen sind die Wirtschaftsgüter mit ihrem Buchwert auszuweisen, während sie im Aufgabe-Endvermögen mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen sind. Der Aufgabegewinn besteht in der Differenz zwischen dem gemeinen Wert und dem Buchwert der einzelnen Wirtschaftsgüter.

Da die Verbindlichkeiten im Anfangs- und Endvermögen jeweils - mangels stiller Reserven - mit denselben Werten auszuweisen sind, können sie bei der Gewinnermittlung außer Betracht bleiben; sie wirken sich auf die Höhe des Aufgabegewinns nicht aus (BFH-Urteil in BFHE 180, 302, BStBl II 1996, 415; so auch Schmidt, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., 1998, § 16 Rz. 290 a. E., 314).

Die Berechnung des Aufgabegewinns durch das FG, das von dem von ihm angenommenen Veräußerungserlös für das Aktivvermögen die Verbindlichkeiten, nicht aber den Buchwert der entsprechenden Wirtschaftsgüter abgezogen hat, entspricht den vorgenannten Grundsätzen nicht.

3. Die Sache ist nicht spruchreif; das FG hat die maßgeblichen Buchwerte nicht festgestellt.

Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG den Einwendungen des FA, daß sich auch bei Nichtberücksichtigung der Kreditverbindlichkeiten ein Totalverlust ergebe, da das FG von falschen Berechnungsgrundlagen ausgegangen sei, nachgehen müssen. Darüber hinaus wird es möglicherweise auch zu berücksichtigen haben, daß längere Verlustperioden für sich allein gesehen nicht ausreichen, um eine Betätigung als "Liebhaberei" anzusehen und dem Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen. Bei längeren Verlustperioden muß aus weiteren Anzeichen die Feststellung möglich sein, daß der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt (BFH-Beschluß in BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. IV. 3. c bb (1)).