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  BFH-Urteil vom 20.4.1999 (VIII R 38/96) BStBl. 1999 II S. 647

Übersteigt die Ausschüttung aus dem EK 04 einer Kapitalgesellschaft den Buchwert der Beteiligung an dieser Gesellschaft, so ist sie beim Gesellschafter in Höhe des übersteigenden Betrags als Beteiligungsertrag zu erfassen.

EStG §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1, 20 Abs. 1 Satz 2 (Satz 3).

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1996, 943)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine gewerblich tätige KG - war in den Jahren 1983 bis 1987 mit 52,94 v. H. des Grundkapitals an einer AG beteiligt. Die Beteiligung hatte sie an den jeweiligen Bilanzstichtagen mit einem Buchwert von 2.273.880 DM ausgewiesen.

Die AG schüttete Gewinne in Höhe von 1.987.858 DM (1983), 0 DM (1984), 444.660 DM (1985), 1.000.845 DM (1986) und 1.926.860 DM (1987) aus, die sie jeweils mit dem nach § 30 Abs. 2 Nr. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) verwendbaren Eigenkapital - vEK - (EK 04) verrechnete. Die Bescheide über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach § 47 KStG (vEK-Bescheide) wurden bestandskräftig.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) behandelte die Gewinnausschüttungen als Kapitalrückzahlungen, verrechnete sie in den Jahren 1983 bis 1985 mit den jeweils verminderten Buchwerten der Beteiligung und erfaßte sie mit dem die Buchwerte übersteigenden Betrag in den Streitjahren 1985 bis 1987 als Betriebseinnahmen.

Einspruch und Klage blieben erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1996, 943).

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1984).

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Gewinnfeststellungsbescheide 1985 bis 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 1992 dahingehend abzuändern, daß die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 6.273 DM (1985), 10.914 DM (1986) und 1.256.050 DM (1987) festgestellt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Ausschüttungen der AG sind, soweit sie aus dem EK 04 stammen und die Anschaffungskosten der Klägerin übersteigen, als Betriebseinnahmen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb zu erfassen (§§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

1. Das FG hat die Ausschüttungen der AG für die Jahre 1983 bis 1985 zutreffend zunächst mit den Anschaffungskosten der Beteiligung verrechnet.

Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG (Abs. 1 Satz 3 ab EStG 1987) gehören Bezüge aus Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nicht zu den Einnahmen, soweit sie aus Ausschüttungen stammen, für die EK 04 als verwendet gilt. Für die Einkünfte aus Kapitalvermögen bedeutet dies, daß der aus dem EK 04 stammende Gewinnanteil beim Gesellschafter als nicht steuerbare Einnahme zu behandeln ist. Die Regelung ist jedoch nicht auf diese Aussage beschränkt. Sie wirkt sich im Bereich der gewerblichen Einkünfte auch als eine den Anschaffungskostenbegriff des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG bzw. § 17 Abs. 2 EStG ergänzende Bewertungsvorschrift aus, die sicherstellt, daß alle stillen Reserven, die sich in der Beteiligung gebildet haben - aber auch nur diese -, steuerlich erfaßt werden. Bei den nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs zu ermittelnden Gewinneinkünften wird § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG deshalb dadurch vollzogen, daß der aus dem EK 04 stammende Gewinnanteil den Buchwert der Beteiligung mindert (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1990 I R 68/88, BFHE 162, 337, BStBl II 1991, 177; vom 16. März 1994 I R 70/92, BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527, und - zu § 17 Abs. 2 EStG - vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362).

Im Streitfall handelt es sich um eine Ausschüttung aus dem EK 04. Die vEK-Bescheide sind bestandskräftig. Sie sind damit für das vorliegende Verfahren bindend. Der Senat verweist insoweit auf sein Urteil in BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362 (dort unter II. 1. b der Gründe).

2. Das FG hat den die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigenden Betrag der Ausschüttungen auch zutreffend als steuerpflichtigen Beteiligungsertrag der Streitjahre erfaßt (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG, § 275 Abs. 2 Nr. 9 des Handelsgesetzbuches - HGB -).

a) Eine Entscheidung des BFH zu dieser Frage liegt noch nicht vor. Der I. Senat des BFH hat zwar in seinem Urteil in BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527 (dort unter II. 2. d der Gründe) ausgeführt, daß die in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 1981 getroffene - und auf die Gewinneinkünfte analog anzuwendende - Regelung zu "negativen Anschaffungskosten" führe. Er hat diesen Begriff jedoch nach dem zu entscheidenden Sachverhalt im Sinne einer "Minderung der positiven Anschaffungskosten" um die Ausschüttungen aus dem EK 04 verwendet; eine Entscheidung zu der Frage, ob "negative Anschaffungskosten" auch im Sinne eines 0 DM unterschreitenden Bilanzansatzes vorliegen können, enthält das Urteil entgegen der Ansicht der Klägerin nicht. Sie läßt deshalb die Aussage des Urteils in BFHE 169, 213, BStBl II 1993, 189 unberührt, daß bei bilanzierenden Steuerpflichtigen eine Kapitalrückzahlung nicht zu negativen Anschaffungskosten oder einem entsprechenden passiven Ausgleichsposten führt, sondern in Höhe des die Anschaffungskosten übersteigenden Betrages als Betriebseinnahme zu versteuern ist.

Im Schrifttum wird die Frage unterschiedlich beurteilt. Überwiegend wird die Vorstellung, eine Ausschüttung aus dem EK 04 könne auch zu negativen Anschaffungskosten oder zu einem passiven Ausgleichsposten führen, abgelehnt (vgl. u. a. Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 17 EStG Rz. 222, § 20 EStG Rz. 129 ff.; Glanegger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., § 6 Rz. 98, m. w. N.; Loos, Betriebs-Berater 1970, 72; Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnrn. C 104, D 10, 30; Westerfelhaus, Deutsche Steuer-Zeitung 1996, 481); ein entsprechender Passivposten wird aber auch befürwortet (vgl. z. B. Roser, Der Betrieb 1996, 1303, 1306; Felix/Strahl, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1996, 1514, 1517; zum Streitstand bei wesentlichen Beteiligungen im Privatvermögen vgl. Senatsurteil VIII R 44/96). Nach Ansicht der Finanzverwaltung sind die den Buchwert übersteigenden Bezüge gewinnerhöhende Betriebseinnahmen (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 9. Januar 1987 IV B 2 - S 2143 - 24/86, BStBl I 1987, 171, und Verfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main vom 9. April 1998 S 2143 A - 36 St II 20, Steuer-Eildienst 1998, 456).

b) Der erkennende Senat schließt sich dem Urteil des I. Senats des BFH in BFHE 169, 213, BStBl II 1993, 189 an. Die Entscheidung ist zwar zu Bezügen ergangen, die dem Gesellschafter anläßlich einer Kapitalherabsetzung der Gesellschaft zugeflossen sind. Für Ausschüttungen aus dem EK 04 müssen aber dieselben Grundsätze gelten. Es handelt sich in beiden Fällen um Kapitalrückzahlungen, die nach Einkommensteuerrecht gleich zu behandeln sind (vgl. - zu Beteiligungen im Betriebsvermögen - BFH-Urteil in BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527, und - zu Beteiligungen im Privatvermögen - Urteil vom 29. Juni 1995 VIII R 69/93, BFHE 178, 166, BStBl II 1995, 725, jeweils m. w. N.). Dies gilt auch für Ausschüttungen aus dem EK 04, die die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

aa) Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ist die Ausschüttung einer Kapitalgesellschaft unabhängig davon als Beteiligungsertrag zu erfassen, ob sie aus dem EK 04 oder aus anderen Teilen des vEK stammt (vgl. u. a. BFH-Urteile in BFHE 162, 337, BStBl II 1991, 177 unter II. 4.; in BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527 unter II. 2. c der Gründe). Der Ansatz in der Handelsbilanz ist - vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Einkommensteuerrecht - auch für die Steuerbilanz maßgeblich (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG).

bb) Einkommensteuerrechtliche Grundsätze stehen einer Aktivierung der Ausschüttungen aus dem EK 04 nur insoweit entgegen, als diese noch mit den Anschaffungskosten der Beteiligung verrechnet werden können (s. zu 1.). Im übrigen handelt es sich nach dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz um einen steuerbaren Ertrag des gewerblich tätigen Gesellschafters.

aaa) Der die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigende Betrag der Ausschüttung kann nicht als Wertberichtigungsposten zu den Anschaffungskosten (negative Anschaffungskosten) passiviert werden.

Nach § 5 Abs. 5 bzw. Abs. 6 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung ist der Maßgeblichkeitsgrundsatz durchbrochen, wenn und soweit die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften über die Bewertung vorrangig anzuwenden sind. Eine solche Bewertungsvorschrift enthält, wie ausgeführt, auch § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 (Satz 3) EStG mit der Folge, daß es nach Einkommensteuerrecht insoweit zu einer Minderung der Anschaffungskosten der Beteiligung kommt, als die Gewinnausschüttung aus dem EK 04 stammt. Die Modifizierung des Anschaffungskostenbegriffs i. S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG für Beteiligungen ist jedoch auf Anschaffungskosten mit einem positiven Betrag beschränkt. Wie das Handelsbilanzrecht kennt auch das Steuerbilanzrecht keine "negativen Anschaffungskosten". Es geht vielmehr mit dem Handelsbilanzrecht (§ 255 Abs. 1 HGB) davon aus, daß Anschaffungskosten Aufwendungen voraussetzen, die der Steuerpflichtige geleistet hat (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 24. August 1995 IV R 27/94, BFHE 178, 359, BStBl II 1995, 895; Glanegger in Schmidt, a. a. O., § 6 Rz. 81, m. w. N.). Demgemäß kommt auch eine Minderung der Anschaffungskosten (§ 255 Abs. 1 Satz 3 HGB) nur bis zur vollständigen Erstattung dieser Aufwendungen in Betracht.

Dieser Beurteilung stehen die Entscheidungen des erkennenden Senats nicht entgegen, daß der die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigende Betrag der Ausschüttungen aus dem EK 04 im Anwendungsbereich des § 17 EStG zu "negativen Anschaffungskosten" führt (s. Urteil in der Sache VIII R 44/96 vom heutigen Tage - Anlage -) und daß der Anschaffungskostenbegriff bei den Gewinn- und Überschußeinkünften auch hinsichtlich der Rechtsfolgen aus der entsprechenden Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 (Satz 3) EStG einheitlich auszulegen sei (BFH-Urteil in BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362 am Ende; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 174, 155, BStBl II 1994, 527 unter II. 2. d der Gründe). Der Begriff der "negativen Anschaffungskosten" hat nur Bedeutung für die Besteuerung von Beteiligungserträgen nach § 17 EStG; er übernimmt dort die Aufgabe eines Merkpostens, der die Versteuerung der stillen Reserven der Beteiligung im Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungsgewinns sicherstellen soll. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Versteuerung der bereits zugeflossenen Ausschüttungen aufgeschoben. Für den Bereich der Gewinneinkünfte bedarf es eines solchen Postens nicht. Der Gewinn wird hier nicht auf einen Stichtag, sondern laufend nach dem Betriebsvermögensvergleich ermittelt (zur Bedeutung der unterschiedlichen Gewinnermittlungsarten vgl. zuletzt Senatsurteil vom 8. April 1998 VIII R 21/94, BFHE 186, 194, BStBl II 1998, 660).

bbb) Die Klägerin durfte in ihren Steuerbilanzen auch keinen sonstigen passiven Ausgleichsposten bilden.

Der Senat läßt offen, ob ein solcher Posten in der Handelsbilanz zulässig wäre. Er kommt - von einzelgesetzlichen Regelungen abgesehen (vgl. etwa § 20 Abs. 1 Satz 2 des Umwandlungs-Steuergesetzes 1995, § 12 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze) - allenfalls aus bilanztechnischen Gründen und nur zu dem Zweck in Betracht, den Anschaffungsvorgang erfolgsneutral zu halten und damit dem Realisationsprinzip i. S. von § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB und § 255 Abs. 1 HGB zur Geltung zu verhelfen. So wird z. B. der Ansatz eines negativen Geschäftswerts bei einer nicht mehr abstockungsfähigen Differenz zwischen buchmäßigem Eigenkapital des Veräußerers und dem geleisteten Kaufpreis gefordert (Beck'scher Bilanzkommentar, 3. Aufl., § 247 HGB Rz. 407 und § 255 HGB Rz. 516, m. w. N.). Auf derselben Erwägung beruht auch der in der Steuerbilanz bzw. einer Ergänzungsbilanz zur Gesellschaftsbilanz einer Personengesellschaft anzusetzende Ausgleichs- bzw. Merkposten zu den Buchwerten der einzelnen Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens (zuletzt BFH-Urteil vom 19. Februar 1998 IV R 59/96, BFHE 185, 402, DStR 1998, 885). Bei der Ausschüttung einer Kapitalgesellschaft aus dem vEK muß die Erfolgsneutralität der Anschaffung der Beteiligung aber nicht sichergestellt werden. Es liegt weder ein Anschaffungsvorgang vor noch bezieht sich die Ausschüttung auf einen solchen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin zwingt auch § 20 Abs. 1 Satz 2 (Satz 3) EStG nicht zum Ansatz eines solchen Ausgleichspostens. Die Regelung zwingt lediglich dazu, Ausschüttungen aus dem EK 04 als Kapitalrückzahlungen zu behandeln. Solche Rückzahlungen sind im Privatvermögen nicht steuerbar. Dazu, wie sie sich im Rahmen des Betriebsvermögensvergleichs auswirken, besagt § 20 Abs. 1 Satz 2 (Satz 3) EStG nichts. Die Frage, wie durch diese Rückzahlungen aufgedeckte stille Reserven zu behandeln sind, beantwortet sich hier ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung.