| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 23.10.1996 (I R 71/95) BStBl. 1999 II S. 35

Der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist rechtswirksam von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit, wenn die Befreiung nach Abschluß von In-sich-Geschäften in der Satzung geregelt und im Handelsregister eingetragen wird. Die In-sich-Geschäfte sind dann als nachträglich genehmigt anzusehen. Das steuerrechtliche Rückwirkungsverbot steht dem nicht entgegen, vorausgesetzt, den In-sich-Geschäften liegen klare und von vornherein abgeschlossene Vereinbarungen zugrunde.

KStG § 8 Abs. 3 Satz 2, BGB § 181, GmbHG § 35 Abs. 4.

Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 1995, 849)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde am 2. Dezember 1985 gegründet. Alleiniger Gesellschafter war A als Treuhänder des Beigeladenen. A wurde zunächst auch zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Nach § 6 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages war er - als solcher persönlich benannt - von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) befreit. Am 8. Januar 1986 übernahm der Beigeladene die Gesellschaftsanteile an der Klägerin und beschloß, A von den Aufgaben des Geschäftsführers zu entbinden und sich selbst als solchen zu bestellen. Über diesen Beschluß wurde eine Niederschrift angefertigt. Zugleich schloß er mit der Klägerin einen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag sowie zwei Zusatzvereinbarungen hierzu ab, die er sowohl für sich selbst als auch für die Klägerin unterzeichnete. Nach § 2 dieses Anstellungsvertrages war auch er von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Eine Eintragung der Befreiung im Handelsregister erfolgte zunächst nicht. Durch notariell beurkundeten Gesellschafterbeschluß vom 15. August 1991 erhielt § 6 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages der Klägerin folgende Fassung: "Der oder die Geschäftsführer sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit". Diese Befreiung wurde am 6. September 1991 im Handelsregister eingetragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -), dem die Beschlüsse und Verträge aus den Jahren 1985 und 1986 seit 1986 vorlagen, minderte den Gewinn der Klägerin zunächst um die von dieser aufgrund des Anstellungsvertrages und der beiden Zusatzvereinbarungen vom 8. Januar 1986 an den Beigeladenen zu leistenden Geschäftsführervergütungen (monatliches Festgehalt, Weihnachtsgeld, Tantieme, PKW-Nutzung, Sozialversicherungsbeiträge, Versorgungszusage). Nach Durchführung einer Betriebsprüfung behandelte das FA diese Vergütungen, soweit sie bis zu dem Gesellschafterbeschluß vom 15. August 1991 geleistet worden waren, jedoch als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA). Der Anstellungsvertrag, den die Klägerin mit dem Beigeladenen am 8. Januar 1986 geschlossen hatte, sei unwirksam gewesen, weil letzterer zu diesem Zeitpunkt nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit worden sei. Der Abschluß eines unwirksamen Anstellungsvertrages führe steuerlich zu vGA.

Einsprüche und Klage blieben ohne Erfolg. Die Gründe des Urteils des Finanzgerichts (FG) sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 849 wiedergegeben.

Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Veranlagungen wie erklärt durchzuführen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist zum überwiegenden Teil begründet. FA und FG haben zu Unrecht in den an den Beigeladenen geleisteten Geschäftsführervergütungen und in den Zuführungen zu der Pensionsrückstellung vGA gesehen (1. bis 3.). Die Revision bleibt insoweit ohne Erfolg, als die Klägerin sich - im Hinblick auf das Streitjahr 1992 - gegen die Teilauflösung der Rückstellung für die Kanalgebühren aus Grundwasserentnahmen wendet (4.).

1. Unter einer vGA i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlaßt ist, sich auf die Höhe des Einkommens auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Dezember 1991 I R 49/90, BFHE 166, 545, BStBl II 1992, 434). Für den größten Teil der entschiedenen Fälle hat der BFH eine Veranlassung der Vermögensminderung durch das Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte (BFH-Urteil vom 16. März 1967 I 261/63, BFHE 89, 208, BStBl III 1967, 626). Ist der begünstigte Gesellschafter ein beherrschender Gesellschafter, so kann eine vGA auch dann anzunehmen sein, wenn die Kapitalgesellschaft eine Leistung an ihn erbringt, für die es an einer klaren und von vornherein abgeschlossenen Vereinbarung fehlt oder für die die entsprechende Vereinbarung entweder nicht durchgeführt ist oder zivilrechtlich unwirksam ist (vgl. BFH-Urteile vom 22. September 1976 I R 68/74, BFHE 120, 200, BStBl II 1977, 15; vom 14. März 1990 I R 6/89, BFHE 160, 459, BStBl II 1990, 795; vom 13. März 1991 I R 1/90, BFHE 164, 255, BStBl II 1991, 597).

2. Gemäß § 35 Abs. 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) i. d. F. des Gesetzes vom 4. Juli 1980 (BGBl I 1980, 836) ist auf In-sich-Geschäfte des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH seit dem 1. Januar 1981 § 181 BGB anzuwenden. Die Vertretungsmacht des Geschäftsführers als Organ der GmbH umfaßt somit bei Einmann-Gesellschaften derartige Geschäfte nur, wenn sie ihm "gestattet" sind. Eine einem Alleingesellschafter nach dem 31. Dezember 1980 erteilte allgemeine Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot bedarf einer Regelung in der Satzung und der Eintragung im Handelsregister (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 6. Oktober 1960 II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1960, 2285; BGH-Beschlüsse vom 28. Februar 1983 II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbH-Rundschau - GmbHR - 1983, 269; vom 8. April 1991 II ZB 3/91, BGHZ 114, 167, GmbHR 1991, 261, 262; Senatsurteile in BFHE 164, 255, BStBl II 1991, 597; vom 31. Mai 1995 I R 64/94, BFHE 178, 321, BStBl II 1996, 246; vom 30. August 1995 I R 128/94, BFH/NV 1996, 363, jeweils m. w. N.).

Schließt ein Alleingesellschafter-Geschäftsführer im Namen der Gesellschaft mit sich selbst Rechtsgeschäfte, ohne wirksam von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit zu sein, so handelt er insoweit ohne Vertretungsmacht. Die Rechtsgeschäfte sind zunächst schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB). Die im Rahmen eines solchen Vertrages an den alleinigen oder beherrschenden Gesellschafter geleisteten Zahlungen werden daher nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich als (verdeckte und andere) Gewinnausschüttungen i. S. der §§ 8 Abs. 3 Satz 2, 27 KStG beurteilt (vgl. z. B. BFH-Urteile in BFHE 120, 200, BStBl II 1977, 15; in BFHE 164, 255, BStBl II 1991, 597).

Daran hält der Senat fest. Die Forderung nach rechtswirksamen Verträgen zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem beherrschenden Gesellschafter dient dazu, Gewinnausschüttungen und Leistungen aufgrund schuldrechtlicher Verpflichtungen klar voneinander unterscheiden zu können, um auf diese Weise steuerliche Manipulationen des beherrschenden Gesellschafters zu vermeiden. Rechtsgeschäfte, die den an sie gestellten zivilrechtlichen Anforderungen entsprechen, verdeutlichen, daß den Leistungen der Kapitalgesellschaft ein schuldrechtlicher und nicht ein verdeckter gesellschaftsrechtlicher Anlaß zugrunde liegt. Zwar ist für die Beurteilung der schuldrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Veranlassung die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten maßgebend; einzelnen dieser Gegebenheiten kann als Beweisanzeichen eine unterschiedliche Bedeutung zukommen (vgl. auch Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluß vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34, und im Anschluß daran BFH-Urteil vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1996, 1359). Dies gilt im Grundsatz auch für die formalen Anforderungen, die an Abmachungen zwischen Kapitalgesellschaften und ihren Gesellschaftern zu stellen sind. Die zivilrechtliche Unwirksamkeit eines Vertrages, insbesondere zwischen Nahestehenden (Eheleuten, Angehörigen, beherrschenden Gesellschaftern und Kapitalgesellschaften) indiziert jedoch im allgemeinen eine mangelnde Ernsthaftigkeit schuldrechtlicher Leistungsverpflichtungen. Von diesen Grundsätzen kann nur ausnahmsweise in Einzelfällen abgewichen werden, in denen an der Ernsthaftigkeit der Verpflichtungen trotz fehlender oder fehlerhafter Befreiung vom Verbot des In-sich-Geschäfts keine Zweifel bestehen können. Der Senat hat dies vor allem dann angenommen, wenn die für die Befreiung maßgebliche Zivilrechtslage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ungeklärt gewesen ist oder sich erst nach diesem Zeitpunkt die Auslegung der einschlägigen bürgerlich-rechtlichen Rechtsnormen geändert hat (vgl. Senatsurteile vom 17. September 1992 I R 89-98/91, BFHE 169, 171, BStBl II 1993, 141; in BFHE 178, 321, BStBl II 1996, 246; in BFH/NV 1996, 363).

3. Die Klägerin macht geltend, vergleichbare zivilrechtliche Unklarheiten bestünden im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob sich das Erfordernis der Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens auch auf den Anstellungsvertrag erstreckt, den die GmbH mit ihrem Alleingesellschafter-Geschäftsführer schließt (vgl. zu dieser Frage einerseits z. B. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 16. Aufl., § 35 Rdnr. 95; Hüffer in Hachenburg, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 8. Aufl., § 47 Rdnr. 118; Böth/Harle, Die Steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1993, 199; siehe auch BGH-Urteil vom 16. Januar 1995 II ZR 290/93, NJW 1995, 1158 zum sog. faktischen Geschäftsführer; andererseits z. B. Schneider in Scholz, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 8. Aufl., § 35 Rdnr. 121; Mertens in Hachenburg, a. a. O., § 35 Rdnr. 227 f.). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob dem beizupflichten ist. Denn der Beigeladene war in den Streitjahren wirksam von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Die Vereinbarungen der Geschäftsführervergütungen und der Pensionszusage waren deshalb steuerrechtlich anzuerkennen; vGA liegen nicht vor.

Zwar waren die Voraussetzungen für die Befreiung nach § 181 BGB nach den Feststellungen des FG zunächst nicht erfüllt, insbesondere fehlte eine entsprechende Satzungsregelung. Dem Beigeladenen wurden In-sich-Geschäfte vielmehr nur durch einen in § 2 des Anstellungsvertrages aufgenommenen entsprechenden Passus gestattet. Der Abschluß dieses Vertrages (und der anschließenden Zusatzvereinbarungen) ist indes später genehmigt worden (§ 184 BGB). Eine solche Genehmigung wird immer dann anzunehmen sein, wenn der alleinige oder beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer nach Abschluß des Vertrages in rechtswirksamer Weise von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit wird. Dies ist im Streitfall durch die Änderung des Gesellschaftsvertrages der Klägerin aufgrund des Gesellschafterbeschlusses vom 15. August 1991 geschehen. Das steuerliche Rückwirkungsverbot, dem der alleinige oder beherrschende Gesellschafter einer GmbH unterfällt, steht dem nicht entgegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die eigentliche vertragliche Vereinbarung im Zuwendungszeitpunkt gefehlt hat und erst zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt wird. Darum handelt es sich jedoch nicht, wenn - wie im Streitfall in Gestalt des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages vom 8. Januar 1986 - im Zuwendungszeitpunkt eine klare und eindeutige vertragliche Abrede zwischen der Kapitalgesellschaft und dem alleinigen (oder ebenso dem beherrschenden) Gesellschafter-Geschäftsführer getroffen wurde und diese lediglich infolge der zunächst ausstehenden Befreiung vom Verbot des In-sich-Geschäfts noch schwebend unwirksam ist. Es ist auch steuerlich anzuerkennen, wenn der Schwebezustand im Einklang mit den zivilrechtlichen Vorgaben rückwirkend beendet wird und das Geschäft dadurch Wirksamkeit erlangt. - Soweit der Senat über den hier zu beurteilenden Sachverhalt in der Vergangenheit vielfach in abweichender Weise entschieden hat, hält er daran nicht länger fest.

4. Der Senat geht nach den vom FG getroffenen Feststellungen mit diesem davon aus, daß die von der Klägerin gebildete Rückstellung für ausstehende Kanalgebühren für Grundwasserentnahmen zum 31. Dezember 1992 insoweit aufzulösen war, als die entsprechende Verbindlichkeit - im Umfang von 6.750 DM - nach Maßgabe des kommunalen Abgabenrechts zu diesem Zeitpunkt verjährt gewesen ist. Die Bildung einer Rückstellung für eine nach Grund und/oder Höhe noch ungewisse Verbindlichkeit setzt im allgemeinen das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens der Verbindlichkeit und die wirtschaftliche Verursachung dieser Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag voraus. Ferner muß der Schuldner mit seiner Inanspruchnahme ernsthaft rechnen, d. h. es müssen mehr Gründe für als gegen die Inanspruchnahme sprechen (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456, BStBl II 1993, 891, m. w. N.). An letzterem fehlt es im Streitfall. Die Gebührenforderung ist verjährt. Es ist nichts dafür ersichtlich und auch von der Klägerin nichts dafür dargetan, daß der Gebührengläubiger seine Forderung gleichwohl noch geltend machen wird. Vielmehr ist eher anzunehmen, daß dies nicht erfolgen wird. In Anbetracht dessen kann es - anders als bei der Frage der Passivierung einer nach Grund und Höhe bereits gewissen Verbindlichkeit (BFH-Urteil vom 9. Februar 1993 VIII R 21/92, BFHE 170, 540, BStBl II 1993, 543) - auf eine etwaige Bereitschaft der Klägerin, die noch ausstehende Forderung zu erfüllen, wenn diese ihr gegenüber denn doch noch geltend gemacht werden würde, nicht ankommen. Der für die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung erforderliche Grad an Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ist nicht gegeben.

5. Die Vorinstanz hat ihrer Entscheidung im Hinblick auf die Frage nach den Voraussetzungen für das Vorliegen von vGA eine abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Ihr Urteil war deshalb aufzuheben. Der Senat kann durcherkennen. Die angefochtenen Bescheide sind dahin zu ändern, daß die in Rede stehenden Geschäftsführervergütungen als Betriebsausgaben anzusehen sind (§ 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 4 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG -; § 7 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes). Ebenso ist die für die dem Beigeladenen erteilte Pensionszusage gebildete Rückstellung als solche anzuerkennen (§ 8 Abs. 1 KStG 1977 i. V. m. § 6a EStG; § 95 Abs. 1 i. V. m. § 104 des Bewertungsgesetzes). Dem FA wird aufgegeben, die hiernach festzusetzenden und festzustellenden Beträge zu ermitteln (§ 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).