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  BFH-Beschluß vom 26.10.1998 (I R 22/98) BStBl. 1999 II S. 60

1. Hat der BFH einen vom Einzelrichter entschiedenen Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen, ohne ausdrücklich eine Zurückverweisung an den Vollsenat auszusprechen, so ist im zweiten Rechtsgang ohne weiteres erneut der Einzelrichter zuständig.

2. Wird der Einzelrichter erfolgreich wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so wird sein geschäftsplanmäßiger Vertreter als Einzelrichter für das Verfahren zuständig. Das gilt auch dann, wenn in dem ursprünglichen Übertragungsbeschluß der Einzelrichter namentlich benannt war.

FGO § 6 Abs. 1, § 126 Abs. 3 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzgericht (FG) zu Recht durch den Einzelrichter entschieden hat.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhob im Jahre 1994 eine Klage, mit der sie vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erlassene Schätzungsbescheide anfocht. Nachdem der zunächst zuständige Senat des FG den Rechtsstreit dem Richter am FG X zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen hatte, wies dieser die Klage als unzulässig ab. Der erkennende Senat hat das klageabweisende Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Seine Entscheidung ist in BFH/NV 1996, 900 veröffentlicht; einen ausdrücklichen Ausspruch dazu, ob die Zurückverweisung an den Senat oder an den Einzelrichter erfolge, enthält sie nicht.

Im zweiten Rechtsgang führte X als Einzelrichter zunächst eine mündliche Verhandlung durch, aufgrund derer ein Beweisbeschluß erging. Im weiteren Verlauf lehnte die Klägerin X mit Erfolg wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Daraufhin wurde das weitere Verfahren von Richter am FG Y als Einzelrichter bearbeitet, der nach erneuter mündlicher Verhandlung die Klage wiederum abwies. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Die Klägerin hat das Urteil mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten, die der erkennende Senat mit Beschluß vom 26. Oktober 1998 als unbegründet zurückgewiesen hat. Zugleich hat sie die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Revision eingelegt, mit der sie eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des FG i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rügt.

Hierzu trägt die Klägerin vor, durch den seinerzeit ergangenen Beschluß sei der Rechtsstreit nicht dem jeweiligen Berichterstatter, sondern konkret dem X als Einzelrichter übertragen worden. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Beschlusses, in dem X namentlich benannt worden sei. Daraus folge, daß nach der erfolgreichen Ablehnung des X der allein zuständige Einzelrichter ausgeschieden sei. An seine Stelle sei nicht etwa Y getreten, dem der Rechtsstreit zu keinem Zeitpunkt übertragen worden sei. Die Zuständigkeit sei vielmehr an den Senat zurückgefallen, der allenfalls eine erneute Übertragung hätte beschließen können. Da dies nicht geschehen sei, sei der Rechtsstreit nicht durch den gesetzlichen Richter entschieden worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und das Verfahren zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO). Die Klägerin hat nicht schlüssig vorgetragen, daß das FG bei Erlaß der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Vielmehr ist diese Entscheidung zu Recht durch Richter am FG Y als Einzelrichter erlassen worden:

1. Durch den im ersten Rechtsgang ergangenen Übertragungsbeschluß war, was auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, Richter am FG X wirksam zum Einzelrichter i. S. des § 6 Abs. 1 FGO bestimmt worden. Seine hierdurch begründete Zuständigkeit hat sich nach der Zurückverweisung des Verfahrens an das FG fortgesetzt.

a) Die Zuständigkeit für ein Verfahren, das zunächst vom Einzelrichter entschieden und später vom Bundesfinanzhof (BFH) an das FG zurückverwiesen wurde, ist allerdings im Gesetz nicht eindeutig geregelt und bislang nicht abschließend geklärt.

Höchstrichterlich entschieden ist zwar, daß der BFH - zumindest unter bestimmten Voraussetzungen - berechtigt ist, einen vor dem Einzelrichter anhängig gewesenen Rechtsstreit ausdrücklich an den Vollsenat des FG zurückzuverweisen (BFH-Urteil vom 15. April 1996 VI R 98/95, BFHE 180, 509, BStBl II 1996, 478); in diesem Fall wird das zurückverwiesene Verfahren ohne weiteres bei dem zuständigen FG-Senat anhängig. Ob dasselbe gilt, wenn die zurückverweisende Entscheidung keinen ausdrücklichen Ausspruch zur Zuständigkeit enthält, ist jedoch streitig:

Im Schrifttum herrscht die Ansicht vor, daß sich im Fall der Zurückverweisung grundsätzlich die Zuständigkeit des Einzelrichters fortsetze (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 6 FGO Tz. 18; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 6 FGO Anm. 4; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 6 FGO Rz. 108, m. w. N.). Hiervon gehen auch die Kommentierungen zu der - mit § 6 FGO vergleichbaren - Regelung in § 348 der Zivilprozeßordnung (ZPO) überwiegend aus (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 56. Aufl., § 348 Rz. 4; Deubner in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 348 Rz. 16, m. w. N.). Dem gegenüber steht andererseits die Meinung, daß sich die Wirkung der Übertragung auf die Zeit bis zum (erstmaligen) Abschluß der Instanz beschränke, nach erfolgter Zurückverweisung also - vorbehaltlich einer erneuten Übertragung auf den Einzelrichter - der Vollsenat des FG zuständig sei (Rössler, Deutsche Steuer-Zeitung 1993, 97, 98; Stein/Jonas/Schumann, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 348 Rz. 3; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 6 Rz. 18, m. w. N.). Die Vorinstanz ist erkennbar von der erstgenannten Auffassung ausgegangen; der Senat schließt sich ihr ebenfalls an.

Für diese Lösung spricht vor allem, daß nach der Systematik des Gesetzes im Fall der Zurückverweisung an die Vorinstanz bei dieser nicht ein neues Verfahren beginnt, sondern vielmehr das ursprüngliche Verfahren fortgeführt wird (BFH-Urteile vom 14. August 1980 V R 142/75, BFHE 131, 440, BStBl II 1981, 71; vom 18. Februar 1997 IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409, 410; Gräber/Ruban, a. a. O., § 126 Rz. 14). Das zurückverwiesene Verfahren bildet mit dem früheren eine Einheit (Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 126 FGO Anm. 54; Zöller/Gummer, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 565 Rz. 2), so daß im ersten Rechtsgang erfolgte Handlungen des Gerichts (z. B. Beweisaufnahmen) und der Beteiligten (z. B. fristwahrende Anträge) im zweiten Rechtsgang fortwirken. Aus systematischer Sicht wird durch die Zurückverweisung das Verfahren letztlich genau in diejenige Lage versetzt, in der es sich vor dem Erlaß des aufgehobenen Urteils befand (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember 1962 III ZR 89/62, Neue Juristische Wochenschrift 1963, 444), und dies muß - ebenso wie für die Zuständigkeit des Gerichts als solchem (hierzu BFH in BFHE 131, 440, BStBl II 1981, 71) - auch für die Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers gelten. Das aber ist in der hier interessierenden Konstellation der Einzelrichter des FG, weshalb es allein systemgerecht erscheint, bei Fehlen einer abweichenden Bestimmung durch den BFH diesen für zuständig zu erachten.

b) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß nach verbreiteter Auffassung das Einverständnis der Beteiligten mit der Entscheidung durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3 FGO) - ebenso wie der Verzicht auf mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO (hierzu BFH-Urteil vom 26. April 1972 IV R 156/71, BFHE 105, 447, BStBl II 1972, 625) - nach erfolgter Zurückverweisung nicht fortwirkt (a. A. wohl Offerhaus, a. a. O., § 126 FGO Anm. 49). Denn jene Beschränkungen beruhen - ebenso wie im Fall des Verzichts auf mündliche Verhandlung bei anschließender Übertragung auf den Einzelrichter (hierzu BFH-Urteil vom 9. August 1996 VI R 37/96, BFHE 181, 115, BStBl II 1997, 77) - letztlich auf einer restriktiven Auslegung der von den Beteiligten abgegebenen Erklärungen: Diese werden so verstanden, daß sie sich nur auf die für den Beteiligten vorhersehbaren prozeßualen Rahmenbedingungen beziehen, nicht aber auch den eher atypischen Fall der Zurückverweisung abdecken sollen. Um eine solche Auslegungsfrage geht es aber in dem hier interessierenden Zusammenhang nicht, weshalb die genannten Überlegungen nicht auf die vorliegend zu beurteilende Konstellation übertragen werden können. Damit erübrigt sich zugleich eine Anrufung des IV. Senats, da im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der Rechtsfragen eine Abweichung von dessen Urteil in BFHE 105, 447, BStBl II 1972, 625 nicht vorliegt.

2. Nachdem der hiernach erneut zuständig gewordene Einzelrichter X wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war, mußte der Senat des FG über das Ablehnungsgesuch entscheiden (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Juli 1996 VI B 15/96, BFH/NV 1997, 130; Buciek, a. a. O., § 6 FGO Rz. 112 "Befangenheit"; Deubner, a. a. O., § 348 Rz. 18). Die von ihm getroffene Entscheidung, daß das Ablehnungsgesuch begründet sei, führte nicht - wie die Klägerin meint - zu einem Rückfall der Zuständigkeit auf den Senat. Vielmehr wurde hierdurch der geschäftsplanmäßige Vertreter des X, Richter am FG Y, als Einzelrichter für das weitere Verfahren zuständig:

a) Durch die Übertragung eines Rechtsstreits gemäß § 6 Abs. 1 FGO geht die Zuständigkeit für das übertragene Verfahren in vollem Umfang vom Kollegium auf den bestellten Einzelrichter über (BFH-Beschluß vom 28. April 1998 VII R 102/97, BFHE 186, 5, BStBl II 1998, 544, 545). Nur dieser ist fortan der gesetzliche Richter i. S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes; eine erneute Zuständigkeit des Kollegiums (Senats) kann nur durch eine Rückübertragung nach § 6 Abs. 3 FGO begründet werden. Deshalb ist namentlich im Fall einer Verhinderung des Einzelrichters nicht etwa der Senat, sondern allein der im Geschäftsverteilungsplan bestimmte gesetzliche Vertreter des Einzelrichters zur Bearbeitung und ggf. zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen (Buciek, a. a. O., § 6 FGO Rz. 103). Dasselbe muß bei erfolgreicher Ablehnung des Einzelrichters gelten, die letztlich nur einen Sonderfall der Verhinderung darstellt (vgl. Stein/Jonas/Schumann, a. a. O., § 36 Rz. 8).

b) Die vorstehenden Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie im Streitfall - in dem Übertragungsbeschluß der (ursprünglich) bestimmte Einzelrichter namentlich benannt worden ist. Denn unabhängig von der Formulierung des Beschlusses wird das Verfahren dem betreffenden Richter nicht ad personam übertragen, sondern vielmehr als demjenigen, den der maßgebliche Geschäftsverteilungsplan für den Fall der Übertragung als zuständigen Einzelrichter bestimmt (BFH in BFHE 186, 5, BStBl II 1998, 544, 545). Knüpft diese Bestimmung - wie im Streitfall - an die Stellung des Richters als Berichterstatter an, so erhält deshalb auch im Fall der namentlichen Benennung der Einzelrichter nicht eine unmittelbar auf seine Person bezogene, sondern eine aus seiner (früheren) Berichterstatterfunktion abgeleitete Zuständigkeit. Daraus folgt, daß auch in dieser Situation die Verhinderung des Einzelrichters nicht zum ersatzlosen Wegfall der Einzelrichter-Zuständigkeit führt, sondern vielmehr der geschäftsplanmäßige Vertreter des verhinderten Richters als Einzelrichter zuständig wird.

Jede andere Beurteilung wäre im übrigen schon deshalb verfehlt, weil durch eine Anknüpfung an die Formulierung des Übertragungsbeschlusses im Ergebnis zwei verschiedene Formen der Einzelrichter-Zuständigkeit geschaffen würden: Bei namentlicher Benennung wäre der bestellte Einzelrichter allein zuständig in dem Sinne, daß im Fall seiner Verhinderung das Verfahren ohne weiteres zum Senatsfall würde, während es in anderen Konstellationen (z. B. Bestimmung "des Berichterstatters" zum Einzelrichter) weiterhin Einzelrichter-Verfahren bliebe. Eine solche unterschiedliche Ausformung der Zuständigkeit, die zudem den FG eine bewußte Abstufung der Übertragungsentscheidung ermöglichen würde, ist dem Gesetz fremd. Überdies könnte die von der Klägerin befürwortete Handhabung speziell in denjenigen Fällen zu Schwierigkeiten führen, in denen ein namentlich benannter Einzelrichter nur vorübergehend verhindert ist: Fiele hier die Zuständigkeit auf den Senat zurück, so wären insbesondere Kollisionen mit dem allgemein anerkannten Grundsatz denkbar, daß der Senat dem einmal bestellten Einzelrichter das Verfahren nicht mehr entziehen kann (Buciek, a. a. O., § 6 FGO Rz. 104). Nicht zuletzt unter diesen Gesichtspunkten ist die Annahme vorzugswürdig, daß auch ein im Übertragungsbeschluß namentlich benannter Einzelrichter im Fall seiner Verhinderung von seinem geschäftsplanmäßigen Vertreter - als Einzelrichter - vertreten wird.

c) Ausweislich des angefochtenen Urteils war im Streitfall Richter am FG Y der geschäftsplanmäßige Vertreter des durch die Ablehnung ausgeschiedenen Richters am FG X. Daß diese Feststellung des FG unzutreffend wäre, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Aus ihrem Vortrag und dem sonstigen Akteninhalt ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, daß Y erst nach der Bestellung des X zum Einzelrichter zu dessen Vertreter bestellt worden wäre; die Frage, ob auch dann Y zur Vertretung des X berufen gewesen wäre oder ob in einem solchen Fall auf die zum Zeitpunkt des Übertragungsbeschlusses geltende Vertretungsregelung abzustellen ist, muß deshalb hier nicht erörtert werden. Im Streitfall ist nach der erfolgreichen Ablehnung des X jedenfalls Y in dessen Stellung als Einzelrichter eingetreten, weshalb sich aus dem Sachvortrag der Klägerin der von ihr gerügte Besetzungsmangel nicht ergibt.