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BFH-Beschluß vom 26.1.1999 (I R 136/97) BStBl. 1999 II S. 305

Der zuständige Spruchkörper des FG ist hinreichend bestimmt, wenn die maßgebliche Zuständigkeitsregelung an die Endnummer der für das betreffende Verfahren angelegten gerichtsinternen Zählkarte anknüpft. Das gilt auch dann, wenn die Zählkartennummern nicht streng nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs der Verfahren vergeben, sondern die im Tagesverlauf eingehenden Verfahren zunächst ohne Registrierung gesammelt und erst am Folgetag numeriert werden.

FGO § 4, § 6; GVG § 21g; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzgericht (FG) bei seiner erstinstanzlichen Entscheidung ordnungsgemäß besetzt war.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhob mit Schriftsatz vom 29. November 1996, der am selben Tag beim FG einging, Klage gegen einen Haftungsbescheid. Zum Berichterstatter für das Klageverfahren bestimmte der Senatsvorsitzende des FG den Richter am FG Y. Grundlage hierfür war der Geschäftsverteilungsplan des Senats für das Jahr 1996, in dem es u. a. heißt:

Der Berichterstatter einer Sache wird bestimmt durch die letzte Ziffer der Nummer der Zählkarte, die für jede Sache durch die Geschäftsstelle angelegt wird:

1, 4, 7 Richter Dr. X

2, 5, 8 Richter Y

3, 6, 9 Richter Z

        0 Vorsitzender Richter V

...

Ist Gegenstand eines Verfahrens eine Sache, die als zusammenhängende Sache i. S. Abschnitt III Ziffer 7 GVPl anzusehen ist, so richtet sich die Zuständigkeit nach der Zuständigkeit, die durch das bereits anhängige Verfahren begründet ist.

Gehen zusammenhängende Sachen gleichzeitig ein, so wird die Zuständigkeit für alle Sachen durch die erste Zählkarten-Nummer bestimmt.

...

Soweit Sachen dem Einzelrichter zugewiesen werden, wird der Berichterstatter Einzelrichter.

Mit Beschluß vom 19. September 1997 hat der Senat des FG den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Richter am FG Y hat sodann als Einzelrichter nach mündlicher Verhandlung die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision, mit der sie rügt, daß Richter am FG Y nicht zuständig gewesen und sie - die Klägerin - deshalb ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden sei.

Hierzu trägt sie vor, nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats richte sich die Person des Berichterstatters und damit auch des Einzelrichters nach der von der Senatsgeschäftsstelle vergebenen Zählkartennummer. Diese Nummer bestimme sich aber nicht - wie im Geschäftsverteilungsplan vorgesehen - nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs der Verfahren. Vielmehr würden die im Laufe eines Tages eingehenden Sachen zunächst ohne Vergabe der Zählkartennummern gesammelt und die Zählkartennummern erst am folgenden Tag vergeben. Bei einem solchen Verfahren hänge die Bestimmung des zuständigen Richters letztlich vom Zufall ab, was nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vereinbar sei, nach der der gesetzliche Richter im voraus bestimmt sein müsse. Im übrigen könne eine weitere Aufklärung der Zuständigkeitsfrage inzwischen auch anhand der Zählkarten nicht mehr erfolgen, da diese nach Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens zunächst für statistische Zwecke edv-mäßig erfaßt und anschließend vernichtet worden seien.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unzulässig. Die Klägerin hat nicht schlüssig vorgetragen, daß das FG bei Erlaß der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Vielmehr ist diese Entscheidung zu Recht durch Richter am FG Y als Einzelrichter erlassen worden:

1. Nach § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann der Senat des FG einen bei ihm anhängigen Rechtsstreit, wenn nicht bestimmte im Gesetz genannte Hinderungsgründe (§ 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 FGO) vorliegen, einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Die Übertragung erfolgt durch Beschluß, in dem das zum Einzelrichter bestimmte Senatsmitglied nicht namentlich benannt werden muß (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Dezember 1997 IX R 22/95, BFH/NV 1998, 720). Welcher Richter des Senats im Übertragungsfall Einzelrichter wird, ergibt sich vielmehr aus dem Geschäftsverteilungsplan des betreffenden Senats, den der Senatsvorsitzende gemäß § 4 FGO i. V. m. § 21g des Gerichtsverfassungsgesetzes vor Beginn eines jeden Geschäftsjahres aufstellen muß (BFH-Urteil vom 28. April 1998 VII R 102/97, BFHE 186, 5, BStBl II 1998, 544, 545). Im Streitfall ist hiernach Richter am FG Y, der nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan zunächst Berichterstatter für das in Rede stehende Verfahren war, durch die Übertragung der für das Verfahren zuständige Einzelrichter geworden.

Diese Einschätzung gilt ungeachtet der Tatsache, daß nach dem einschlägigen Geschäftsverteilungsplan die Bestimmung des Berichterstatters - und damit mittelbar auch diejenige des Einzelrichters - auf die Endziffer der im FG angelegten Zählkarte abstellte und daß die im Streitfall maßgebliche Zählkarte nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin inzwischen vernichtet worden ist. Zwar kann vor diesem Hintergrund die Beurteilung des FG hinsichtlich der Zuständigkeit nicht mehr überprüft werden. Auch mag es zweckmäßig sein, im Fall der Anknüpfung der Zuständigkeit an Zählkartendaten die jeweilige Zählkarte nicht nur bis zum Abschluß des erstinstanzlichen Verfahrens, sondern bis zur Rechtskraft der Entscheidung aufzubewahren. Andererseits bieten jedoch weder der Vortrag der Klägerin noch der sonstige Akteninhalt irgendwelche Anhaltspunkte dafür, daß dem FG bei der Beurteilung der maßgeblichen Zählkartennummer ein Fehler unterlaufen sein könnte. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keinen Zweifel daran, daß im konkreten Streitfall Richter am FG Y ursprünglich Berichterstatter war, so daß die Besetzung des FG bei Erlaß des angefochtenen Urteils im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.

2. Der Senat vermag nicht der Ansicht der Klägerin zu folgen, die Anknüpfung der Zuständigkeit an die Endziffer der Zählkartennummer führe dazu, daß der für den Streitfall zuständige Einzelrichter nicht hinreichend bestimmt gewesen sei. Die von der Klägerin beanstandete Zuständigkeitsregelung wird insbesondere der verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes - GG -) in vollem Umfang gerecht:

a) Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Hieraus folgt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (Beschluß vom 8. April 1997 1 PBvU 1/95, BVerfGE 95, 322, m. w. N.) das Gebot, den im Einzelfall zuständigen Spruchkörper im voraus nach objektiven Merkmalen zu bestimmen. Zu denjenigen Merkmalen, die für eine solche Bestimmung geeignet sind, zählt das BVerfG (BVerfGE 95, 322, 331) u. a. das Aktenzeichen des jeweiligen Verfahrens. Für die im Streitfall in Rede stehende Anknüpfung an die gerichtsinterne Zählkartennummer kann nichts anderes gelten.

Denn durch die Garantie des gesetzlichen Richters soll lediglich verhindert werden, daß durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl des zur Entscheidung berufenen Richters das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt wird (BVerfGE 95, 322, 327). Eine solche Manipulation droht, wenn die Zuständigkeit von einer gerichtsinternen Zählkartennummer abhängt, ebensowenig wie bei der Anknüpfung an das gerichtliche Aktenzeichen: Sowohl die Zählkartennummer als auch das Aktenzeichen werden gemeinhin alsbald nach Eingang eines Verfahrens durch die Gerichtsverwaltung erteilt; sowohl vom Zeitpunkt her als auch in Ansehung der zuständigen Stelle besteht mithin zwischen beiden Vorgängen kein Unterschied, der es rechtfertigen könnte, die Gefahr einer Einflußnahme in dem einen Fall zu bejahen und im anderen nicht. Vor diesem Hintergrund kann, wenn nach Ansicht des BVerfG die Maßgeblichkeit des Aktenzeichens eine hinreichend abstrakte und objektive Zuständigkeitsbestimmung gewährleistet, eine auf die Zählkartennummer abstellende Zuständigkeitsregelung nicht abweichend beurteilt werden.

b) Der Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 95, 322, 327) kann auch nicht etwa entnommen werden, daß eine gerichtliche Zuständigkeitsregelung nur dann an das Aktenzeichen des Verfahrens anknüpfen darf, wenn die Aktenzeichen streng nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs bei Gericht vergeben und zu diesem Zweck insbesondere die Uhrzeit des Eingangs für alle Verfahren festgehalten wird. Das BVerfG selbst verfährt zwar in dieser Weise. Es muß ihm jedoch bekannt sein, daß eine genaue Erfassung der Eingangszeit bei den übrigen Gerichten - insbesondere bei den Instanzgerichten - eher unüblich ist und schon wegen des hiermit verbundenen technischen Aufwands kaum durchführbar wäre. Wenn das Gericht gleichwohl ohne erkennbare Einschränkung eine Anknüpfung an das Aktenzeichen für hinreichend bestimmt erklärt hat, so kann dies deshalb nur heißen, daß eine nur am Eingangstag orientierte Vergabe der Aktenzeichen ebenfalls Grundlage für eine hinreichend bestimmte Zuständigkeitsregelung sein kann. In diesem Sinne ist die Rechtsprechung des BVerfG auch von anderen Senaten des BFH verstanden worden (BFH-Beschlüsse vom 30. August 1995 VIII R 83/93, BFH/NV 1996, 223; vom 14. November 1995 VIII R 84/93, VIII R 1/94, BFH/NV 1996, 416; vom 15. Oktober 1996 IX B 7/96, BFH/NV 1997, 413; in BFH/NV 1998, 720). Für eine tageweise Vergabe von Zählkartennummern, wie sie im Streitfall - auch nach dem Vortrag der Klägerin - vorliegt, muß dasselbe gelten.

Der Klägerin ist zuzugeben, daß bei einer solchen Handhabung nicht jedwede Manipulationsmöglichkeit vollständig ausgeschlossen ist. So ist rein theoretisch vorstellbar, daß der Geschäftsstellenbedienstete des FG in Kenntnis der bestehenden Zuständigkeitsregelung einem Verfahren gerade deshalb eine bestimmte Kennziffer zuteilt, um auf diese Weise die Zuständigkeit eines bestimmten Spruchkörpers herbeizuführen. Diese Möglichkeit besteht jedoch bei einer Anknüpfung an das Aktenzeichen und an die Zählkartennummer gleichermaßen; sie ist in beiden Fällen so fernliegend, daß sie im Zusammenhang mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG außer Betracht bleiben muß. Daß es speziell im Streitfall zu einer entsprechenden Zuständigkeitsmanipulation gekommen sein könnte, behauptet auch die Klägerin nicht.