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  BFH-Urteil vom 10.11.1998 (I R 91, 102/97) BStBl. 1999 II S. 306

Eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, aber Geschäftsleitung im Inland kann als inländisches gewerbliches Unternehmen Organträger i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG sein. Auf die Voraussetzungen in § 14 Nr. 3 KStG kommt es nicht an (entgegen Abschn. 17 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GewStR i. V. m. Abschn. 48 Abs. 1 Satz 3 KStR).

GewStG § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 2 Sätze 2 und 3, Abs. 3; KStG § 14 Nr. 3.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1997, 1128)

Sachverhalt

I.

Die Anteile an den beiden in der Rechtsform der GmbH geführten Klägerinnen und Revisionsbeklagten (Klägerinnen) zu 1. und 2. wurden in den Streitjahren 1989 bis 1991 zu über 99 v. H. (Klägerin zu 1.) bzw. zu 100 v. H. (Klägerin zu 2.) von der B, einer am 13. Oktober 1988 gegründeten US-Kapitalgesellschaft mit Sitz in Delaware/USA und Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik), gehalten. Gegenstand der B sind alle gesetzmäßigen Akte und Handlungen, für welche Gesellschaften nach dem Gesellschaftsrecht von Delaware gegründet werden dürfen, insbesondere der Erwerb, das Halten und die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen an andere Unternehmen, das Management von Unternehmen und die Dienstleistung an Unternehmen. Am 6. März 1989 wurde unter der Firma der B eine Zweigniederlassung mit Sitz in der Bundesrepublik in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand dieser Zweigniederlassung ist die Übernahme der Funktion einer geschäftsleitenden Holding für die weltweiten Aktivitäten der B.

Die Klägerinnen, die abweichende Geschäftsjahre vom 1. Dezember bis zum 30. November hatten, waren in den Streitjahren 1989 (Klägerin zu 2.) und 1989 bis 1991 (Klägerin zu 1.) finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der B eingegliedert. Sie hatten zudem mit der B am 30. November 1988 Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge abgeschlossen, die am 8. bzw. 9. Mai 1989 notariell bestätigt und am 13. Juli bzw. 18. Oktober 1989 in das Handelsregister eingetragen wurden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte die gewerbesteuerlichen Organschaftsverhältnisse - unter Hinweis auf den Senatsbeschluß vom 13. November 1991 I B 72/91 (BFHE 166, 238, BStBl II 1992, 263) und Abschn. 17 Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Gewerbesteuer-Richtlinien (GewStR) i. V. m. Abschn. 48 Abs. 1 Satz 3 der Körperschaftsteuer-Richtlinien (KStR) - nicht an. Es fehle bei der B an den auch für das Gewerbesteuerrecht maßgeblichen Voraussetzungen in § 14 Nr. 3 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), wonach ein Organträger über Sitz und Geschäftsleitung im Inland verfügen müsse.

Die dagegen gerichteten Klagen hatten Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) in der Sache betreffend die Klägerin zu 1. ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1128 wiedergegeben; es stimmt mit dem Urteil in der Sache betreffend die Klägerin zu 2. überein.

Seine Revisionen stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt, die FG-Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen, die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) - Revisionen sind unbegründet.

Das FG hat zu Recht angenommen, daß eine gewerbesteuerrechtliche Organschaft auch zu einem Unternehmen bestehen kann, dessen Geschäftsleitung zwar im Inland, dessen Sitz sich aber im Ausland befindet.

1. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung erfordert die Anerkennung einer gewerbesteuerlichen Organschaft, daß eine Kapitalgesellschaft in ein anderes inländisches gewerbliches Unternehmen in der Weise eingegliedert ist, daß - wie in den Streitfällen - die Voraussetzungen des § 14 Nr. 1 und 2 KStG erfüllt sind. Das Gesetz läßt unbeantwortet, was unter einem "inländischen gewerblichen Unternehmen" zu verstehen ist. Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 20. Februar 1974 I R 8/71 (BFHE 111, 345, BStBl II 1974, 616), an dem festzuhalten ist, sind die Begriffe "gewerbliches Unternehmen" in § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG (= § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG a. F.) einerseits und "Gewerbebetrieb" in § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG allerdings aufeinander abgestimmt und identisch (vgl. auch Senatsurteil vom 28. März 1979 I R 81/76, BFHE 127, 420, BStBl II 1979, 447). Aus dieser Identität ergibt sich, daß zwischen dem (inländischen) Unternehmen als tauglichem Organträger i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG und der von diesem im Inland unterhaltenen Betriebsstätte, mit der es der Gewerbesteuer unterliegt (vgl. § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 9 Nr. 3 GewStG), zu unterscheiden ist. Diese Unterscheidung wird durch die Regelungen in § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG bestätigt, die ergänzend zu Satz 2 der Vorschrift bestimmen: "Dies gilt sinngemäß, wenn die Eingliederung im Sinne der vorbezeichneten Vorschriften im Verhältnis zu einer inländischen im Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung eines ausländischen gewerblichen Unternehmens besteht", also zu einer inländischen Betriebsstätte (vgl. § 12 Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) des ausländischen Unternehmens als des eigentlichen Organträgers.

2. a) Nach Ansicht der Finanzverwaltung (vgl. Abschn. 17 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GewStR i. V. m. Abschn. 48 Abs. 1 Satz 3 KStR; ebenso z. B. Popp in Meyer-Scharenberg/Popp/Woring, Gewerbesteuergesetz, § 2 Rz. 581; Schmidt/Müller/Stöcker, Die Organschaft, 4. Aufl., Rz. 910) folgt daraus zugleich, daß inländisches Unternehmen und damit Organträger i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG nur ein solches Unternehmen sein könne, das die tatbestandlichen Voraussetzungen in § 14 Nr. 3 KStG erfüllt. Der Organträger müsse sonach eine unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person oder eine nicht steuerbefreite Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmaße i. S. des § 1 KStG mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland oder eine Personenvereinigung i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland sein (vgl. § 14 Nr. 3 Satz 1 KStG).

b) Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Inländisches gewerbliches Unternehmen i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG ist vielmehr ein solches, das sich "in seiner betrieblich-organisatorischen Substanz" im Inland befindet (so - in bezug auf § 7a KStG a. F. - Hübl, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1972, 81; s. auch Gassner in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz. 26; Winter in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 14 KStG Rz. 38). Das ist regelmäßig der Fall, wenn das Unternehmen seine tatsächliche Geschäftsleitung im Inland und nicht im Ausland hat. Umgekehrt handelt es sich bei einem ausländischen gewerblichen Unternehmen um ein solches mit Geschäftsleitung im Ausland. Wo sich der Unternehmenssitz befindet, ist unbeachtlich.

aa) Die Regelungen über die tatbestandlichen Voraussetzungen einer gewerbesteuerlichen Organschaft in § 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GewStG knüpfen zwar hinsichtlich der Eingliederung an die entsprechenden Vorschriften für die körperschaftsteuerliche Organschaft in §§ 14 ff. KStG (= § 7a KStG a. F.) an und greifen diese für das Gewerbesteuerrecht auf. Der Gesetzgeber hat jedoch darauf verzichtet, besondere Bedingungen zu verlangen, die erfüllt sein müssen, um Organträger zu sein. Insbesondere fehlt in § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG der Bezug auf § 14 Nr. 3 KStG (vgl. auch bereits Senatsurteil vom 14. April 1993 I R 128/90, BFHE 171, 223, BStBl II 1994, 124). Das Gesetz begnügt sich statt dessen mit der Eingliederung der Organgesellschaft in ein "inländisches gewerbliches Unternehmen". Daß ein derartiges Unternehmen aber nicht zwangsläufig ein solches mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland sein muß, verdeutlicht nicht zuletzt § 14 KStG, der in seinem einleitenden Satz einerseits und in Nr. 3 Satz 1 andererseits ebenfalls zwischen beiden Inlandsbezügen differenziert (gleicher Ansicht Gassner, a. a. O.; Winter, a. a. O.; Walter in Arthur Andersen, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz. 196; Schwarz in Mössner/Seeger, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz. 25; Streck, Körperschaftsteuergesetz, 5. Aufl., § 14 Anm. 11; Jurkat, Die Organschaft, Rz. 211; Winter, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1974, 8 f.; a. A. Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz. 14).

bb) Die gesetzgeberische Entscheidung in § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG ist eindeutig. Sie kann nicht im Wege des Rückschlusses von Abs. 2 Satz 3 der Vorschrift in ihr Gegenteil verkehrt werden. Zwar läßt sich nicht annehmen, daß der Regelung in Abs. 2 Satz 3 lediglich klarstellende Bedeutung zukommen und daß sie im Ergebnis leerlaufen soll (so jedoch Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 3. Aufl., § 2 Rz. 193; Obermeier in Blümich, Einkommensteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, § 2 GewStG Rz. 685; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Rz. 8.10). Es ist vielmehr davon auszugehen, daß § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG zusätzliche Eingliederungsvoraussetzungen für den (Sonder-)Fall beinhaltet, daß das ausländische Unternehmen im Inland lediglich über eine Zweigniederlassung, nicht jedoch über ihre Geschäftsleitung (als den Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung, vgl. § 10 AO 1977) verfügt. (Nur) für diesen Fall verlangt das Gesetz, daß die Eingliederungsvoraussetzungen im Verhältnis zu der im inländischen Handelsregister eingetragenen Zweigniederlassung (und nicht nur hinsichtlich irgendeiner inländischen Betriebsstätte) erfüllt sein müssen (s. a. Sarrazin in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, 9. Aufl., § 2 Anm. 127 - Altkommentierung -). Verlegt das im Ausland ansässige Unternehmen hingegen - wie in den Streitfällen - seine Geschäftsleitung und damit seine "organisatorische Substanz" (Jurkat, a. a. O., Rz. 213) in das Inland, ist der erforderliche Inlandsbezug regelmäßig gewahrt. Es handelt sich dann um ein inländisches Unternehmen i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG. Daß die Stätte der Geschäftsleitung zugleich immer auch eine Betriebsstätte des Unternehmens (i. S. von § 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 und damit auch von § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG) ist, widerspricht dem nicht. Auf den Ort seines Sitzes (vgl. § 11 AO 1977) kommt es demgegenüber nicht an, ebensowenig wie bei natürlichen Personen, die ihren Wohnsitz im Ausland unterhalten und dennoch Träger einer gewerbesteuerlichen Organschaft sein können (im Ergebnis ähnlich Jurkat, a. a. O.; Winter, StBp 1974, 8, 9; Orth, GmbH-Rundschau 1996, 33, 36).

cc) Dieses Gesetzesverständnis steht in Einklang mit Sinn und Zweck der gewerbesteuerlichen Organschaft, die - abweichend vom Körperschaftsteuerrecht - dazu dient, durch eine Zusammenfassung der Gewerbeerträge und Gewerbekapitalien der Organschaftsbeteiligten die am Aufkommen der Gewerbesteuer beteiligten Gemeinden davor zu schützen, daß eng verbundene Unternehmen ihren Gewinn willkürlich verlagern. Dadurch wird der Gemeinde der Organgesellschaft der entsprechende Anteil an der vom Organträger zu zahlenden Gewerbesteuer gesichert (Senatsurteile vom 6. Oktober 1953 I 29/53 U, BFHE 58, 101, BStBl III 1953, 329; vom 6. November 1985 I R 56/82, BFHE 145, 78, BStBl II 1986, 73). Diesem Zweck wird aber unabhängig davon entsprochen, wo sich der statutarische Sitz des Organträgers befindet.

dd) Es bleibt darauf hinzuweisen, daß Organträger im Rahmen einer gewerbesteuerlichen Organschaft jeder Gewerbebetrieb als gewerbliches Unternehmen sein kann, gleich welcher Rechtsform. In Betracht käme sonach auch die Tätigkeit einer sonstigen juristischen Person des privaten Rechts und der nichtrechtsfähigen Vereine i. S. von § 2 Abs. 3 GewStG, soweit diese einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten. Der Senat kann unbeantwortet lassen, ob diese Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 GewStG für die B erfüllt sind, sollte diese eine ausländische Kapitalgesellschaft sein, die im Ausland lediglich über einen statutarischen Sitz verfügt, ihre Geschäftsleitung und damit ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aber im Inland hätte (so im Ergebnis - bezogen auf die körperschaftsteuerrechtliche Parallelvorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG - Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. Juni 1992 IX R 182/87, BFHE 168, 285, BStBl II 1992, 972, m. w. N.; ablehnend Wassermeyer in Widmann, Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft, Bd. 20, 82 ff., 87 f.). Wäre dies zu bejahen (vgl. aber auch Senatsurteil vom 24. März 1998 I R 49/96, BFHE 185, 460, BStBl II 1998, 649), so spräche jedenfalls auch dieser Umstand für das hier gefundene Ergebnis, daß die B Organträgerin sein kann (ebenso Hildesheim, Neue Wirtschafts-Briefe Fach 5, 1389, 1392).

3. Auf die zwischen den Beteiligten im übrigen umstrittenen Fragen, insbesondere danach, ob die Eintragung der von der B im Inland errichteten Zweigniederlassung in das Handelsregister zu Recht besteht und ob es auf die materielle Rechtslage insoweit überhaupt ankommt, und welche Bedeutung dem Diskriminierungsverbot in Art. XI Abs. 1 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA vom 29. Oktober 1954 (BGBl II 1956, 488) beizumessen ist (vgl. dazu Ebenroth/Willburger, Recht der Internationalen Wirtschaft, Beilage 3 zu Heft 8/1995), braucht nicht mehr eingegangen zu werden.