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  BFH-Urteil vom 11.3.1999 (V R 57, 58/96) BStBl. 1999 II S. 331

Ein Verein, der satzungsgemäß einem gemeinnützigen Zweck dient, verfolgt diesen auch dann ausschließlich, wenn in der Satzung neben dem gemeinnützigen Zweck als weiterer Vereinszweck "Förderung der Kameradschaft" genannt wird und sich aus der Satzung ergibt, daß damit lediglich eine Verbundenheit der Vereinsmitglieder angestrebt wird, die aus der gemeinnützigen Vereinstätigkeit folgt.

AO 1977 § 52 Abs. 1 Satz 1, §§ 56, 59, 60 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1997, 186)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein eingetragener Verein. In § 2 der in den Streitjahren (1985 bis 1988, 1990) geltenden Satzung war der Vereinszweck wie folgt bezeichnet:

"Der Verein dient zur Förderung der Kameradschaft, der musikalischen Betätigung und der kulturellen Bestrebungen. Er dient insbesondere der Förderung der Bildung und Erziehung der Jugend auf dem Gebiet der Musik, darüber hinaus auch der musikalischen Verständigung der Menschen miteinander. Sämtliche Einnahmen werden zur Erfüllung dieses Zweckes verwandt. Der Satzungszweck wird verwirklicht durch die Pflege des Vereinslebens, Ausbildung der jugendlichen Vereinsmitglieder, Konzerte, Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen im In- und Ausland...".

Der Kläger erzielte Umsätze aus der Darbietung von Musik. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes mit der Begründung, der Kläger verfolge nicht ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Das FA unterwarf deshalb in den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre die Umsätze des Klägers dem Regelsteuersatz von 14 v. H. Die Einsprüche des Klägers blieben in diesem Punkt erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen insoweit als unbegründet zurück, als der Kläger die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes begehrte. Die Entscheidung des FG ist auszugsweise abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 186. Das FG führte aus, dem Kläger fehle die sog. formelle Gemeinnützigkeit gemäß § 59 der Abgabenordnung (AO 1977). In seiner Satzung sei mit dem Vereinszweck "Förderung der Kameradschaft" ein nicht gemeinnütziger Zweck, der die Pflege der Geselligkeit betreffe, benannt. Dieser neben anderen Vereinszwecken angeführte, nicht gemeinnützige Vereinszweck verstoße gegen den Ausschließlichkeitsgrundsatz gemäß § 56 AO 1977 und führe dazu, daß die gesamten Umsätze des Klägers dem allgemeinen Steuersatz unterlägen. Zur näheren Begründung verwies das FG auf das Urteil des FG Köln vom 25. November 1993 13 K 4864/92, das zwischen den Beteiligten ergangen ist. Darin heißt es: "Kameradschaft bezeichnet die zwischen Mitgliedern einer meist überschaubaren Gruppe bestehende soziale, stärker sachbezogene als emotional bestimmte Beziehung, die sowohl durch ein gemeinsames Ziel als auch durch das Eintreten für die Interessen der Kameraden und für deren Schutz gekennzeichnet sein kann ... Die so umschriebene Beziehung zwischen Vereinsmitgliedern entsteht als "Nebenprodukt" bei jeglicher Art von Vereinswesen, gleich welche Zielrichtung der Verein hat. Darüber hinaus wird diese soziale Beziehung nach der Lebenserfahrung insbesondere durch die geselligen Veranstaltungen der Vereine gefördert. Die Kontakte der Vereinsmitglieder auf rein fachlich-thematischer Ebene führen erfahrungsgemäß eher zu einer Art "Kollegialität" als zur Kameradschaft. Die Nennung eines Zwecks, der hauptsächlich von Geselligkeit lebt, als gleichberechtigtem Zweck neben anderen, an sich gemeinnützigen Zwecken verstößt gegen den Ausschließlichkeitsgrundsatz und schließt damit die Gemeinnützigkeit aus."

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 52 AO 1977. Der in der Satzung bezeichnete Vereinszweck "Förderung der Kameradschaft" sei ein gemeinnütziger Zweck im Sinne dieser Vorschrift. Kameradschaft sei eine geistig-sittliche Haltung, deren Förderung im allgemeinen Interesse liege. Es werde das Bewußtsein des einzelnen für Solidarität, Mitverantwortung und Verbundenheit gefördert. Diese geistige Haltung entstehe durch jahrelange gemeinsame Pflichterfüllung, bei der jedes Mitglied bereit sei, für sich und den anderen verantwortlich zu handeln. Kein Gemeinwesen könne ohne diese geistigen Einstellungen gedeihen. Von den Menschen, die Solidarität und Mitverantwortung in ihrem täglichen Leben praktizieren, gingen Impulse an die Mitmenschen, die für das Wohlergehen der Allgemeinheit unverzichtbar seien.

Im übrigen beruft sich der Kläger auf die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1980 (im folgenden UStG). Er bittet das FA, das entsprechende Bescheinigungsverfahren einzuleiten.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des FA die Umsatzsteuer nach dem ermäßigten Steuersatz festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das FA vertritt die Auffassung, über die Frage der Gemeinnützigkeit des Klägers sei bereits rechtskräftig entschieden. Das FG habe bei der Entscheidung über die Körperschaftsteuer des Klägers für die Streitjahre mit Bindungswirkung für die Umsatzsteuer ausgesprochen, daß dem Kläger bereits die formelle Gemeinnützigkeit gemäß § 59 AO 1977 fehle.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Ansicht des FG kann die Gemeinnützigkeit des Klägers nicht mit der Begründung verneint werden, er verfolge nicht ausschließlich einen gemeinnützigen Zweck.

1. Die Revision ist allerdings entgegen der Ansicht des Klägers nicht deshalb begründet, weil seine Umsätze gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG steuerfrei wären. Die Anwendung der Vorschrift würde eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde voraussetzen, daß der Kläger die gleichen kulturellen Aufgaben wie von der öffentlichen Hand getragene Orchester, Kammermusikensembles oder Chöre erfüllt. Eine derartige Bescheinigung lag im Zeitpunkt der Vorentscheidungen nicht vor und war damals auch nicht beantragt.

2. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG ermäßigt sich die Umsatzsteuer für die Umsätze der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgen. Eine Körperschaft verfolgt gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Nach §§ 59, 60 AO 1977 muß sich - neben weiteren Voraussetzungen - der begünstigte Zweck aus der Satzung ergeben und er muß - ebenso wie die Art seiner Verwirklichung - so genau bestimmt sein, daß aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für Steuervergünstigungen gegeben sind.

a) Entgegen der Ansicht des FA ist dem Kläger die Steuervergünstigung nicht deshalb zu versagen, weil das FG im Rahmen seiner Entscheidung zur Körperschaftsteuer der Streitjahre die Gemeinnützigkeit des Klägers verneint hat. Ein besonderes Verfahren für die Anerkennung einer Körperschaft als steuerbegünstigt und für den Umfang der Steuerbegünstigung besteht nicht. Über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung oder Steuervergünstigung aufgrund der Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke ist allein im Veranlagungsverfahren für die jeweilige Steuer und den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu entscheiden. Daß die Gemeinnützigkeit des Klägers im Verfahren wegen Körperschaftsteuer verneint worden ist, hat mithin keine Bindungswirkung für den vorliegenden Rechtsstreit (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1995 V R 29/91, BFHE 179, 447, BStBl II 1997, 189, unter II.2.a).

b) Aus der Satzung des Klägers ergibt sich nicht, daß er nicht ausschließlich einen gemeinnützigen Zweck verfolgt.

Gemäß § 52 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist - unter weiteren Voraussetzungen - die Förderung von Kunst und Kultur als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen. Diese Anforderung erfüllt der Kläger, da er nach seiner Satzung der Förderung der musikalischen Betätigung dient. Es ergibt sich aus der Satzung des Klägers, daß er diesem Zweck ausschließlich dient. Die Erwähnung der "Förderung der Kameradschaft" im Zusammenhang mit der Beschreibung des Satzungszwecks bedeutet nicht, daß der Kläger neben der musikalischen Betätigung einen weiteren, nicht begünstigten Zweck fördert.

aa) Unter Kameradschaft ist - wie das FA in der Einspruchsentscheidung ausgeführt hat - die sich aus gemeinsamem Erleben innerhalb einer Gruppe von Menschen ergebende gegenseitige Verbundenheit zu verstehen, aufgrund derer jeder für den anderen einzutreten bereit ist (vgl. dazu auch die Wörterbücher von Wahrig, Brockhaus/Wahrig, Sprachbrockhaus sowie Meyers Großes Universallexikon jeweils unter dem Stichwort Kameradschaft). Kameradschaft entsteht durch ein gemeinsames Tun oder das gemeinsame Verbringen eines Zeitabschnitts. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes Kamerad in Zusammensetzungen des allgemeinen Sprachgebrauchs: Spielkamerad, Schulkamerad, Sportkamerad, Arbeitskamerad, Kriegskamerad. Diese und andere Kameradschaften können - ebenso wie Freundschaft oder Kollegialität - aus der Sicht der Allgemeinheit positiv oder negativ zu bewerten sein, denn Kameradschaft kann auch bei sozialschädlichem Verhalten, etwa durch kriminelle Handlungen, entstehen. Unter dem Gesichtspunkt der Gemeinnützigkeit ist Kameradschaft daher wertneutral. Für die Frage der Gemeinnützigkeit kommt es allein darauf an, ob das Verhalten, auf dessen Grundlage Kameradschaft sich entwickeln oder gepflegt werden kann, dem allgemeinen Besten i. S. des § 52 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 dient.

bb) Dementsprechend hat der BFH im Urteil vom 31. Oktober 1963 I 320/61 U (BFHE 78, 54, BStBl III 1964, 20) entschieden, daß ein Verein, dessen satzungsgemäßer Zweck in Kameradenhilfe und Kameradschaftspflege unter den Angehörigen eines ehemaligen Wehrmachtstruppenteils besteht, keinen gemeinnützigen Zweck verfolgt. Es ging um Kameradschaft, die bereits aus früherem gemeinsamen Erleben entstanden war und im wesentlichen nur durch die Veranstaltung von Zusammenkünften aufrechterhalten werden konnte, bei denen Geselligkeit und Unterhaltung eine ausschlaggebende Rolle spielten. Das der Förderung der Kameradschaft dienende Verhalten, nämlich geselliges und unterhaltsames Zusammentreffen, stellt sich jedoch nicht als gemeinnütziger Zweck dar.

Hingegen hat der BFH im Urteil vom 14. September 1994 I R 153/93 (BFHE 176, 229, BStBl II 1995, 499) die Erwähnung der Förderung der Kameradschaft für die Gemeinnützigkeit des betreffenden Vereins als unschädlich erachtet. Der Verein diente den gemeinnützigen Zwecken Modellbau und Modellsport. Es beeinträchtigte die Gemeinnützigkeit des Vereins nicht, daß nach der Satzung als mittelbares Ziel die Förderung der Kameradschaft verfolgt werden sollte.

cc) Aus der Satzung des Klägers ist (noch) hinreichend genau erkennbar, daß er ausschließlich der musikalischen Betätigung dient und die Förderung der Kameradschaft nur als mittelbare Folge dieser Betätigung angestrebt wird. Zwar müssen gemäß § 60 Abs. 1 AO 1977 die Satzungszwecke so genau beschrieben sein, daß aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für Steuervergünstigungen gegeben sind (sog. formelle Satzungsmäßigkeit). Dieser formellen Satzungsmäßigkeit ist jedoch genügt, wenn sich die satzungsmäßigen Voraussetzungen aufgrund einer Auslegung aller Satzungsbestimmungen ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 13. August 1997 I R 19/96, BFHE 183, 371, BStBl II 1997, 794).

Hierzu ist von Bedeutung, daß sich der Kläger "Musikverein" nennt; dieser Name konkretisiert den Vereinszweck. Ferner ist aus § 2 Satz 2 der Satzung ersichtlich, daß die Vereinstätigkeit schwerpunktmäßig ("insbesondere") in der musikalischen Ausbildung der Jugend besteht. Schließlich soll gemäß Satz 3 der genannten Vorschrift der Vereinszweck durch Konzerte und Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen verwirklicht werden. Die Gesamtschau dieser Satzungsbestimmungen zeigt (noch) hinreichend klar, daß der Kläger ausschließlich der musikalischen Betätigung, d. h. einem gemäß § 52 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gemeinnützigen Zweck, dient.

3. Da das FG von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen ist, waren die Vorentscheidungen aufzuheben. Die Sachen sind nicht spruchreif. Das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - nicht die weiteren Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit des Klägers geprüft und die erforderlichen Feststellungen getroffen. Die Sachen gehen zurück, damit das FG diese Prüfung nachholen kann.