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  BFH-Urteil vom 15.7.1998 (II R 40/97) BStBl. 1999 II S. 337

Gibt eine Bank festverzinsliche Inhaberschuldverschreibungen zu einem unter dem Nennwert liegenden Ausgabebetrag aus, so führt die Differenz zwischen dem Nennwert und dem Ausgabebetrag (Emissionsdisagio) bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens für Stichtage vor dem 1. Januar 1993 regelmäßig weder zu einem Ansatz der verbrieften Kapitalschulden unter dem Nennwert noch zu einem Ansatz eines zum Gewerbebetrieb der Bank gehörenden (positiven) Wirtschaftsguts (Rechnungsabgrenzungspostens). Ein Ansatz unter dem Nennwert kommt nur in Betracht, wenn es sich um unverzinsliche oder außergewöhnlich niedrig verzinsliche Forderungen handelt.

BewG i.d.F. vor Inkrafttreten des StÄndG 1992 § 19 Abs. 1 Nr. 2, § 95, § 97 Abs. 1 Nr. 4, § 103; BGB § 803; EStG § 20 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG (EFG 1998, 20)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein Kreditinstitut und wird als Anstalt des öffentlichen Rechts betrieben (Kreditanstalt des öffentlichen Rechts). Zur Refinanzierung der von ihr ausgegebenen Kredite gibt sie festverzinsliche Inhaberschuldverschreibungen mit einer festen Laufzeit z.T. zu einem unter dem Nennwert liegenden Ausgabebetrag aus.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) stellte den Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auf dem 1. Januar 1977 auf ... DM fest. Hierbei berücksichtigte er die Differenz zwischen dem Ausgabe- und dem Nennwert der Wertpapiere (das sog. Emissionsdisagio) mit einem Betrag von ... DM als Besitzposten. Er vertrat hierzu die Auffassung, das Emissionsdisagio stelle wirtschaftlich und rechtlich eine Zinsvorauszahlung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses dar; dementsprechend sei es nach den Grundsätzen über die Behandlung schwebender Dauerschuldverhältnisse bewertungsrechtlich in dem Umfang zu berücksichtigen, wie es noch nicht durch die bisherige Dauer der Kapitalnutzung verbraucht sei.

Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat den Einheitswert auf ... DM herabgesetzt, denn das Emissionsdisagio sei zivilrechtlich nicht als laufzeitabhängiger Zins zu beurteilen und führe nicht zu einem bewertbaren Anspruch der Klägerin auf Kapitalnutzung. Ein solcher Anspruch ergebe sich weder aus den in der Inhaberschuldverschreibung verbrieften Rechten noch aus dem der Ausgabe zugrundeliegenden Rechtsverhältnis.

Auch ein Ansatz der in dem Wertpapier verbrieften Kapitalschuld unter dem Nennwert komme nach § 12 des Bewertungsgesetzes (BewG) nicht in Betracht, weil es sich weder um unverzinsliche noch um niedrig verzinsliche Kapitalschulden handele.

Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 20 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 95 Abs. 1 BewG. Das FG habe zu Unrecht die Emissionsdisagien nicht als Besitzposten angesehen. Das FG- Urteil stehe im Widerspruch zu den gleichlautenden Ländererlassen vom 25. Juni 1991 (BStBl I 1991, 701).

Der Bundesfinanzhof (BFH) habe ertragsteuerrechtlich stets auch solche besonderen Entgelte oder Vorteile zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gerechnet, die für die Nutzung von Kapital gewährt werden. Hierzu gehöre auch das Abgeld bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen (BFH-Urteil vom 13. Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252). Auch bewertungsrechtlich sei deshalb anzunehmen, daß das Ausgabedisagio nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise für die Kapitalnutzung gewährt werde. Es sei auf das der Ausgabe der Wertpapiere zugrundeliegende Darlehnsverhältnis abzustellen. Soweit es sich demnach um eine laufzeit- und kapitalabhängige Nutzungsvergütung handele, sei entweder eine aktive Rechnungsabgrenzung (Bruttomethode) oder eine Passivierung der Verbindlichkeit mit dem Ausgabebetrag und ratierlicher Zuschreibung des Unterschiedsbetrages während der Laufzeit (Nettomethode) vorzunehmen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG ist ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, daß die Differenz zwischen dem Nenn- und dem Ausgabebetrag der von der Klägerin ausgegebenen Inhaberschuldverschreibungen (Emissionsdisagio) weder einen Ansatz der verbrieften Kapitalschulden der Klägerin unter dem Nennwert noch den Ansatz eines zum Gewerbebetrieb der Klägerin gehörenden (positiven) Wirtschaftsguts rechtfertigt.

Für das Betriebsvermögen der Klägerin, einer Kreditanstalt des öffentlichen Rechts, ist gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 2, § 95, § 97 Abs. 1 Nr. 4 BewG i. d. F. vor dem Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I 1992, 944) - BewG a. F. - ein Einheitswert festzustellen. Dieser wird nach § 98a BewG a. F. in der Weise ermittelt, daß die Summe der Werte, die für die zu dem gewerblichen Betrieb gehörenden Wirtschaftsgüter (Rohbetriebsvermögen) ermittelt sind, um die Summe der Schulden des Betriebs (§ 103 BewG a. F.) und der sonstigen zulässigen Abzüge gekürzt wird.

1. Die in den Inhaberschuldverschreibungen verbrieften Schulden stellen Betriebsschulden i. S. von § 103 BewG a. F. dar, da diese der Refinanzierung des Kreditgeschäfts der Klägerin dienen und so mit dem gewerblichen Betrieb der Klägerin in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Es handelt sich um Geldschulden, die (auch) beim Betriebsvermögen - trotz der Regelung in § 109 BewG a. F. - nach der bis 1992 geltenden Rechtslage gemäß § 12 BewG zu bewerten sind (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 26. August 1955 III 133-134/55 S, BFHE 61, 207, BStBl III 1955, 278, und vom 2. Dezember 1960 III 22/59 U, BFHE 72, 157, BStBl III 1961, 59). Nach dieser Vorschrift sind (Geld- )Schulden mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Ausgabe der Wertpapiere unter ihrem Nennwert keinen besonderen Umstand in diesem Sinne darstellt, der zu einer niedrigeren Bewertung der Geldschulden der Klägerin führt (s. auch BFH-Urteil vom 14. Februar 1964 III 142/61 U, BFHE 79, 85, BStBl III 1964, 264). Denn diese ist verpflichtet, bei Fälligkeit der verbrieften Schuld die Forderung der Inhaber der Schuldverschreibungen zum Nennwert zu erfüllen. Der Ansatz eines unter dem Nennwert liegenden Betrages kommt im übrigen - im Hinblick auf die Verzinsung - erst in Betracht, wenn der Zinssatz bei einer unkündbaren oder langfristigen Forderung (Schuld) in einem nicht nur geringfügigen Umfang von dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Normalzinssatz (5,5 v. H.) abweicht; dies kann nur bei unverzinslichen oder außergewöhnlich niedrig verzinslichen Geldforderungen oder -schulden angenommen werden (vgl. Abschn. 56 Abs. 4 der Vermögensteuer-Richtlinien 1977). Hierzu hat das FG - für den Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindend - festgestellt, daß die von der Klägerin ausgegebenen Inhaberschuldverschreibungen weder unverzinslich noch in diesem Sinne niedrig verzinslich sind.

Entgegen der Auffassung des FA kommt eine Abweichung von der - für die bewertungsrechtliche Beurteilung allein maßgebenden - Regelung in § 12 BewG etwa aus bilanzrechtlichen Überlegungen nicht in Betracht.

2. Zutreffend hat das FG auch angenommen, daß die Ausgabe der Inhaberschuldverschreibungen unter ihrem Nennwert - anders als in der Steuerbilanz - den Ansatz eines aktiven Vermögenspostens in der Vermögensaufstellung nicht rechtfertigt.

Nach der bereits vom früher für die Einheitsbewertung zuständigen III. Senat begründeten (vgl. BFH-Urteile vom 17. Januar 1964 III 347/60 U, BFHE 79, 1, BStBl III 1964, 234, und vom 10. Juli 1970 III R 112/69, BFHE 100, 110, BStBl II 1970, 779) und vom II. Senat des BFH fortgeführten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 27. März 1985 II R 181/80, BFHE 143, 475, BStBl II 1985, 416) zum Ansatz von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten in der Vermögensaufstellung können diese nicht ohne weiteres für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens aus der Steuerbilanz übernommen werden. Vielmehr muß im Einzelfall geprüft werden, ob einem aktiven Rechnungsabgrenzungsposten unter dem Gesichtspunkt eines schwebenden Geschäftes ein bewertbarer (zivilrechtlicher) Anspruch gegenübersteht oder ob der Rechnungsabgrenzungsposten für sich betrachtet ein selbständig bewertbares Wirtschaftsgut darstellt. Der BFH hat dies für den Fall eines bei der Darlehnsauszahlung einbehaltenen bzw. verrechneten Disagios bejaht, soweit das Disagio zivilrechtlich als laufzeitabhängiger Zins zu beurteilen ist. Denn insoweit sei das Disagio als Zinsvorauszahlung zu beurteilen, welche erst durch die zukünftige Kapitalnutzung verbraucht werde (Senatsentscheidung vom 8. November 1989 II R 29/86, BFHE 159, 210, BStBl II 1990, 207).

Beim Emissionsdisagio liegen diese Voraussetzungen aber nicht vor, denn dieses stellt zivilrechtlich keinen laufzeitabhängigen Zins dar. Zwischen dem Emittenten und den Erwerbern von Inhaberschuldverschreibungen (Anlegern) besteht - entgegen der Auffassung des FA - zivilrechtlich kein (darlehnsähnliches) Rechtsverhältnis, bei dem eine eingeräumte Kapitalnutzung einer Zinszahlung gegenübersteht.

Die Ausgabe der Wertpapiere ist als solche vom Prinzip des Gebens und Nehmens der Urkunde gegen eine vereinbarte Vergütung, d. h. von einem (kaufvertragsähnlichen) Begebungsvertrag geprägt, der neben schuld- auch sachenrechtliche Elemente aufweist (vgl. Hüffer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., Vor § 793 BGB Rdnr. 24 ff.). Dies gilt sowohl für die Fälle der sogenannten Eigenemission, in denen die Wertpapiere von den Emittenten direkt bei den Anlegern plaziert werden, als auch für die Fälle, in denen Dritte, z. B. ein Emissionskonsortium eingeschaltet werden.

Das in dem Wertpapier verbriefte Recht und damit die sich daraus ergebenden schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Emittenten und dem Erwerber entstehen erst mit dem Vollzug des Begebungsvertrages, d. h. in dem Augenblick, in dem der Anleger das Wertpapier erwirbt (vgl. Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 1. Aufl. 1997, § 15 Rdnr. 96). Der Inhalt der schuldrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Emittenten und dem Anleger ergibt sich regelmäßig aus den Wertpapierbedingungen (vgl. hierzu auch Claussen, Bank- und Börsenrecht, 1. Aufl. 1996, § 9 Rdnr. 133 ff.). Danach hat sich im Streitfall die Klägerin verpflichtet, bei Endfälligkeit des Papiers einen bestimmten Betrag und die - ebenfalls wertpapiermäßig in Form von Zinsscheinen (vgl. § 803 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verbrieften - Zinsen zu den festgelegten Terminen zu zahlen. Die sich aus dem Wertpapier als solchem ergebenden Verpflichtungen des Emittenten stehen mit der sich aus dem Begebungsvertrag ergebenden Verpflichtung des Anlegers zur Zahlung des Kaufpreises für das Wertpapier nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis; insbesondere überlassen die Erwerber der Inhaberschuldverschreibungen dem Emittenten kein Kapital zur Nutzung, und zwar selbst dann nicht, wenn sie die Wertpapiere direkt von diesem erworben haben. Sie entrichten vielmehr den vereinbarten "Kaufpreis" lediglich für den Erwerb des Wertpapiers. Die Zinszahlungen des Emittenten erfolgen dementsprechend rechtlich nicht für die Überlassung von Kapital, sondern haben zivilrechtlich ihren Rechtsgrund ausschließlich in dem wertpapiermäßig verbrieften Versprechen. Wenn aber kein Kapital gegen Zinszahlungen überlassen wird, fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, das Emissionsdisagio stelle rechtlich ein "Entgelt" für eine Kapitalnutzung in Form einer Zinsvorauszahlung durch den Emittenten dar.

Eine andere (bewertungsrechtliche) Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der ertragsteuerrechtlichen Behandlung des Abgelds bei der Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen als Einnahme aus Kapitalvermögen beim Anleger (Erwerber), auf die das FA hinweist (vgl. z. B. BFH-Urteil in BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252). Denn diese beruht auf einer speziell ertragsteuerrechtlichen Gesetzeslage (vgl. § 20 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes). Im übrigen ist der auf wirtschaftlichen Gesichtspunkten beruhende Gedanke einer periodengerechten Rechnungsabgrenzung, wie er das Bilanzsteuerrecht beherrscht und der ertragsteuerrechtlichen Behandlung des Emissionsdisagios beim Emittenten zugrunde liegt, dem Bewertungsrecht fremd. Für die stichtagsbezogene Betrachtung des Bewertungsrechts kommt es vielmehr ausschließlich darauf an, ob eine schuldrechtliche Verpflichtung (hier des Emittenten gegen die Anleger) am Stichtag tatsächlich besteht (vgl. Senatsurteil in BFHE 159, 210, BStBl II 1990, 207).