| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 20.4.1999 (VIII R 63/96) BStBl. 1999 II S. 466

Die Zuordnung von (Devisen-)Termingeschäften zum gewillkürten Betriebsvermögen setzt neben einem eindeutigen, nach außen manifestierten Widmungsakt des Unternehmers voraus, daß die Geschäfte im Zeitpunkt ihrer Widmung zu betrieblichen Zwecken objektiv geeignet sind, das Betriebskapital zu verstärken. Die objektive Eignung solcher Geschäfte zur Förderung des Betriebes ist bei branchenfremden Unternehmen nicht ohne weiteres ausgeschlossen, unterliegt aber wegen der hohen Risikoträchtigkeit der Geschäfte strengen Anforderungen.

EStG § 4 Abs. 1 und 4.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1996, 1146)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob Verluste aus Devisentermingeschäften einer KG betrieblich veranlaßt sind.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, betreibt den Handel mit Textilien. Alleiniger Gesellschafter der Komplementär-GmbH der Klägerin, der K-GmbH, war im Streitjahr 1988 K, alleinige Kommanditistin der Klägerin war die K-GmbH & Co. KG. Alleiniger Gesellschafter der Komplementärin der K-GmbH & Co. KG und alleiniger Kommanditist dieser KG war wiederum K.

Seit 1984 tätigte die Klägerin mit der Kreissparkasse X Devisentermingeschäfte in US-Dollar, aus denen sie folgende Ergebnisse erzielte:

1984 (1 Geschäft) - 173.450 DM
1985 (2 Geschäfte) - 37.940 DM
1986 (4 Geschäfte) - 21.250 DM
1987 (4 Geschäfte) + 25.700 DM
1988 (7 Geschäfte) - 186.450 DM

Im Anschluß an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Ansicht, daß die Devisentermingeschäfte nicht als betriebliche Vorgänge behandelt werden könnten. Derlei Geschäfte führten nur dann zu den gewerblichen Einkünften, wenn sie von einem Börsenmakler oder berufsmäßigen Vermittler von Differenzgeschäften getätigt würden. Nur diese Personen seien imstande, aus solchen Geschäften auf Dauer Gewinne zu erzielen. Bei allen anderen Personen sei infolge der hohen Wahrscheinlichkeit von Verlusten "Liebhaberei" anzunehmen. Dementsprechend erließ das FA den angefochtenen Änderungsbescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung, in welchem die im Streitjahr 1988 erlittenen Verluste aus den Devisentermingeschäften nicht berücksichtigt wurden.

Die dagegen erhobene Sprungklage hatte im wesentlichen Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1996, 1146).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Recht hat das Finanzgericht (FG) angenommen, daß die streitigen Verluste aus den Devisentermingeschäften betrieblich veranlaßt waren.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellen Devisen- oder Warentermingeschäfte spekulative Geschäfte dar, die vorwiegend im privaten Bereich getätigt werden (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 5. März 1981 IV R 94/78, BFHE 133, 379, BStBl II 1981, 658; vom 24. Januar 1985 IV R 123/82, BFH/NV 1986, 15; vom 11. Juli 1996 IV R 67/95, BFH/NV 1997, 114; so auch schon das Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 12. Dezember 1935 VI A 858/35, RStBl 1936, 694). Sie können aber auch betrieblich veranlaßt sein. Dies erfordert, daß nach Art, Inhalt und Zweck des zu beurteilenden Geschäfts ein (wirtschaftlicher) Zusammenhang mit dem Betrieb besteht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 133, 379, BStBl II 1981, 658, unter 2.; in BFH/NV 1997, 114, unter 2. a). Ein solcher Zusammenhang mit dem Betrieb setzt nicht notwendigerweise voraus, daß es sich um ein branchentypisches Geschäft handelt. Bei branchenuntypischen Geschäften ist der betriebliche Zusammenhang allerdings sorgfältig zu prüfen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 114, unter 2. a). Derartige Geschäfte führen regelmäßig nicht zur Bildung von notwendigem Betriebsvermögen, sondern allenfalls zur Schaffung von gewillkürtem Betriebsvermögen. Die Zuordnung solcher Geschäfte zur betrieblichen Sphäre setzt daher neben einem eindeutigen, nach außen verbindlich manifestierten Widmungsakt des Steuerpflichtigen (vgl. hierzu z. B. BFH-Urteil in BFHE 133, 379, BStBl II 1981, 658, unter 2. a und b; Senatsbeschluß vom 8. Dezember 1995 VIII B 51/95, BFH/NV 1996, 474, unter 1. b, m. w. N.) voraus, daß die Geschäfte im Zeitpunkt ihrer Widmung zu betrieblichen Zwecken auch objektiv geeignet sind, den Betrieb (durch Verstärkung dessen Kapitals) zu fördern. Dies ist zu verneinen, wenn sich ein Verlust aus dem betreffenden Geschäft bereits im Zeitpunkt dessen Widmung zu betrieblichen Zwecken abzeichnet (vgl. z. B. BFH-Urteile in BFHE 133, 379, BStBl II 1981, 658, unter 2.; vom 8. Februar 1985 III R 169/82, BFH/NV 1985, 80, unter 2. b; vom 15. November 1978 I R 57/76, BFHE 126, 530, BStBl II 1979, 257, unter 1. b).

An der objektiven Eignung eines Geschäfts zur Förderung des Betriebes fehlt es indessen nicht schon allein deshalb, weil es Risiken in sich birgt; denn die mehr oder minder stark ausgeprägte Risikoträchtigkeit von Geschäften gehört zum Wesen einer jeden unternehmerischen Betätigung (vgl. z. B. BFH-Urteil in BFH/NV 1985, 80, unter 2. b, m. w. N.). Bei der Ausführung branchentypischer Geschäfte ist deshalb regelmäßig von deren objektiver Eignung zur Förderung des Betriebes auszugehen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 19. Januar 1977 I R 10/74, BFHE 121, 199, BStBl II 1977, 287). Je weiter sich jedoch Art und Inhalt des zu beurteilenden Geschäfts von der Haupttätigkeit des Unternehmens entfernen, um so größer erweist sich die Gefahr von Verlusten; denn um so weniger vermag der Unternehmer die Chancen und Risiken des Geschäfts und damit dessen objektive Eignung zur Förderung des Betriebes zutreffend einzuordnen. Die Anforderungen an die Feststellung der objektiven Eignung des Geschäfts zur Verstärkung des Betriebskapitals müssen deshalb in entsprechendem Maße steigen (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 114, unter 2. a).

2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe auf den Streitfall erweist sich die Revision des FA als unbegründet.

a) Nach den für den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG hat die Klägerin bereits bei den jeweiligen Abschlüssen der streitigen Devisentermingeschäfte unmißverständlich ihren Willen bekundet und in ihrem Rechnungswesen dokumentiert, die betreffenden Geschäfte ihrer betrieblichen Sphäre zuzuordnen (Widmung zu betrieblichen Zwecken). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

b) Schon aus den unter II. 1. dargelegten Grundsätzen erhellt, daß die streitigen Devisentermingeschäfte, wiewohl sie hoch spekulative (verdeckte) Differenzgeschäfte darstellten, nicht per se der Zuordnung zur betrieblichen Sphäre entzogen waren. So unterliegt es keinem Zweifel und wird auch vom FA nicht in Abrede gestellt, daß derartige Geschäfte zum betrieblichen Bereich von Kreditinstituten und branchenverwandten Unternehmen (z. B. Brokerhäusern) gehören - können - (vgl. z. B. BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 114, unter 2. a).

c) Aber auch bei branchenfremden Unternehmen - wie dem der Klägerin - erscheint eine gewillkürte Zuordnung derartiger Risikogeschäfte zum betrieblichen Sektor nicht von vornherein ausgeschlossen. Letzteres wäre allerdings dann zu erwägen, wenn die in Rede stehenden Geschäfte den "reinen" Glücksspielen, wie etwa Lotto, Toto oder Roulette, gleicherachtet werden könnten (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 16. September 1970 I R 133/68, BFHE 100, 199, BStBl II 1970, 865, unter 1.; vom 3. Oktober 1989 VIII R 184/85, BFHE 158, 385, BStBl II 1990, 319, unter 2. d). Das trifft indessen entgegen der Ansicht des FA nicht zu. Mit Recht hat das FG darauf hingewiesen, daß zwischen den hier zu beurteilenden Termingeschäften und den reinen Glücksspielen grundlegende Unterschiede bestünden. Reine Glücksspiele um Geld fänden außerhalb des Wirtschaftskreislaufs im gesellschaftlichen Bereich statt und schüfen sich ihre Risiken gleichsam selbst. Ihre Ergebnisse hingen meist vom Zufall ab. Sie erforderten regelmäßig weder eine nennenswerte geistige Tätigkeit, noch würden sie nach den anerkannten Prinzipien einer (professionellen) Vermögensanlage überwacht. Sie dienten dem Zeitvertreib, der Zerstreuung und dem "Nervenkitzel" des Spielers. Demgegenüber nehme sich der Terminspekulant der Risiken an, die im Wirtschaftskreislauf vorgegeben seien. Bei der seriösen, auf Kenntnissen beruhenden Terminspekulation handle es sich um eine geistige Tätigkeit, welche aus den Erfahrungen der Vergangenheit und aus der Beobachtung der gegenwärtigen Ereignisse die künftige Entwicklung prognostiziere, um durch entsprechende geschäftliche Handlungen wirtschaftliche Vorteile zu erzielen.

Diese Ausführungen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen (vgl. auch Senatsurteil vom 6. Dezember 1983 VIII R 172/83, BFHE 140, 82, BStBl II 1984, 132, unter 2. a, aa).

d) Entgegen der Ansicht des FA scheiterte die gewillkürte Zuordnung der streitigen Devisentermingeschäfte zur betrieblichen Sphäre der Klägerin auch nicht an der Erwägung, die betreffenden Geschäfte seien nach den konkreten Umständen des Streitfalls von Anfang an mit einem derartigen Verlustrisiko behaftet gewesen, daß deren objektive Eignung zur Förderung des Betriebes ausgeschlossen gewesen sei. Das FG hat hierzu - für den erkennenden Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) - festgestellt, der für die Klägerin handelnde Geschäftsführer ihrer Komplementärin sei nicht zuletzt aufgrund seit Jahren durchgeführter Devisentermingeschäfte zu Sicherungszwecken im Zusammenhang mit US-Dollar-fakturierten Wareneinkäufen als auch aufgrund der Spekulationsgeschäfte der Vorjahre sachkundig gewesen und habe die streitigen Geschäfte ernsthaft und unter ständiger Beobachtung des Devisenkurses getätigt. Die Verluste aus den seit 1984 betriebenen Differenzgeschäften hätten sich im Laufe der Jahre 1984 und 1986 stetig verringert. 1987 sei sogar ein positives Ergebnis erzielt worden. Daß dennoch im Streitjahr 1988 fünf der sieben getätigten Geschäfte mit Verlusten geendet hätten und insgesamt ein negatives Ergebnis erzielt worden sei, habe auf (nicht vorhersehbaren) unternehmerischen Fehleinschätzungen beruht. Schließlich habe auch der vom Gericht beauftragte Sachverständige bestätigt, daß nicht nur professionelle Devisenhändler, sondern auch branchenfremde Kaufleute im Falle einer genügenden Sachkunde sowie einer ständigen Kursbeobachtung und Information aus Devisentermingeschäften nachhaltig Gewinne erzielen könnten.

Aus diesen Feststellungen hat das FG den - selbst unter Anlegung des bei branchenfremden Risikogeschäften gebotenen strengen Maßstabs (vgl. oben II. 1.) - möglichen und daher für den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Schluß (vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118 Rz. 40, m. w. N.) gezogen, daß von einer die gewillkürte Zuordnung zum betrieblichen Bereich ausschließenden Abzeichnung von Verlusten bereits bei Abschluß der betreffenden Terminkontrakte nicht die Rede sein könne.

e) Dem FG ist schließlich auch darin zu folgen, daß die streitigen Verluste entgegen der Ansicht des FA nicht nach den Grundsätzen der einkommensteuerrechtlich irrelevanten "Liebhaberei" (vgl. dazu z. B. BFH-Urteil vom 21. Januar 1993 XI R 18-19/92, BFH/NV 1993, 475; Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., § 15 Rdnr. 25 ff., m. w. N.) außer Ansatz zu bleiben haben. Selbst wenn man den streitigen Bereich der Differenzgeschäfte innerhalb des gewerblichen Betriebes der Klägerin als gesondert zu beurteilendes Segment betrachtet, läßt sich eine Gewinnerzielungsabsicht der Klägerin in bezug auf diese Geschäfte nicht in Abrede stellen. Die Absicht zur Erzielung von Gewinnen ist eine innere Tatsache, die - wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge - nur anhand äußerlicher Merkmale beurteilt werden kann. Das Vorliegen oder Fehlen einer solchen Absicht ist daher aus den in der Außenwelt erkennbaren - objektiven - Umständen zu erschließen (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. IV. 3. c, bb der Gründe, m. w. N.).

Die aus den streitigen, erstmals 1984 von der Klägerin getätigten Differenzgeschäften erzielten Verluste hatten sich in den Folgejahren 1985 und 1986 kontinuierlich verringert; 1987 war sogar erstmals ein Gewinn erzielt worden. Daraus sowie aus dem Ergebnis des erhobenen Sachverständigenbeweises hat das FG gefolgert, daß die Organe der Klägerin auch im Streitjahr 1988 die Absicht verfolgt hätten, aus den in Rede stehenden Geschäften einen (Total-)Gewinn zu erzielen. Diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Schlußfolgerung ist verfahrensrechtlich fehlerfrei zustande gekommen und weder durch Denkfehler noch durch eine Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflußt. Sie ist möglich und deshalb für den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO; Gräber/Ruban, a. a. O., § 118 Rdnr. 40, m. w. N. aus der Rechtsprechung des BFH).