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  BFH-Urteil vom 10.6.1999 (IV R 25/98) BStBl. 1999 II S. 545

1. Die gesonderte und einheitliche Feststellung von Betriebsausgaben einer Praxisgemeinschaft ist bei einem Beteiligten, der daneben aus einer Einzelpraxis Einkünfte erzielt, die gesondert festzustellen sind, Grundlagenbescheid allein für die gesonderte Gewinnfeststellung, nicht aber für den Einkommensteuerbescheid.

2. Berücksichtigt das FA im Einkommensteuerbescheid das Ergebnis der gesonderten und einheitlichen Feststellung zu Unrecht neben dem um die anteiligen Betriebsausgaben geminderten, gesondert festgestellten Gewinn, weil es die gesonderte und einheitliche Feststellung bezüglich der Einkommensteuerfestsetzung für einen Grundlagenbescheid hält, so ist der Einkommensteuerbescheid gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern.

AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 180 Abs. 2, § 182 Abs. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten mit Wohnsitz in L. Sie wurden im Streitjahr (1988) vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Wohnsitz-FA) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Arzt. Seine Praxis, die er allein ausübt, befindet sich in B. Im Streitjahr bestand zwischen ihm und einem Berufskollegen, H, eine in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführte Praxisgemeinschaft, deren Gegenstand die gemeinsame Beschäftigung von Mitarbeitern und die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und -einrichtungen war.

Der Kläger und H gaben im Namen der Praxisgemeinschaft für das Streitjahr beim örtlich zuständigen FA B (Betriebs-FA) eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensbesteuerung ab, mit der sie einen Verlust von 483.473 DM erklärten. Auf den Kläger entfiel ein Verlustanteil von 331.738 DM. In der zur Verteilung der Einkünfte auf die Feststellungsbeteiligten vorgesehenen Anlage war als "zuständiges Finanzamt" des Klägers das Wohnsitz-FA angegeben. Das Betriebs-FA stellte die Betriebsausgaben der Praxisgemeinschaft erklärungsgemäß als negative Einkünfte fest und verteilte sie entsprechend den Angaben in der Anlage auf den Kläger und H. Der Bescheid vom 27. Juni 1989 wurde jedem Feststellungsbeteiligten einzeln bekanntgegeben. Das Betriebs-FA übersandte des weiteren dem Wohnsitz-FA eine behördeninterne Mitteilung (sog. ESt 4 B-Mitteilung) über den auf den Kläger entfallenden Verlustanteil.

Der Kläger gab beim Betriebs-FA für das Streitjahr ferner eine Erklärung zur gesonderten Feststellung der aus seiner Einzelpraxis erzielten Einkünfte ab. Nach der dieser Erklärung beigefügten Einnahmenüberschußrechnung wurde der als Gewinn erklärte Betrag von 1.011.767 DM unter Abzug des auf ihn entfallenden Verlustanteils aus der Beteiligung an der Praxisgemeinschaft ermittelt. Das Betriebs-FA stellte den Gewinn durch Bescheid vom 11. September 1989, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, gleichfalls erklärungsgemäß fest und teilte ihn dem Wohnsitz-FA mit. Aus der Mitteilung ging nicht hervor, daß der auf den Kläger entfallende Verlustanteil aus der Beteiligung an der Praxisgemeinschaft bei der Ermittlung des festgestellten Gewinns bereits berücksichtigt wurde.

Das Wohnsitz-FA setzte bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 1988 - unter Ergänzung der entsprechend den Angaben in der Erklärung zur gesonderten Gewinnfeststellung ausgefüllten Anlage GSE - den Verlustanteil aus der Beteiligung an der Praxisgemeinschaft neben dem Gewinn aus der Einzelpraxis als negative Beteiligungseinkünfte aus selbständiger Arbeit an. Im Einkommensteuerbescheid vom 2. April 1990, der ohne Nebenbestimmungen erging, wurden unter den Einkünften aus selbständiger Arbeit der Gewinn aus der Einzelpraxis als Einkünfte "aus freiberuflicher Tätigkeit" und der Verlustanteil aus der Beteiligung an der Praxisgemeinschaft als Einkünfte "aus Beteiligungen" aufgeführt. Die Einkünfte aus selbständiger Arbeit wurden demgemäß insgesamt nur mit einem Betrag von 680.029 DM angesetzt.

Das Betriebs-FA erließ nach einer hinsichtlich der Einzelpraxis des Klägers durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 1987 bis 1989, bei der der Prüfer den Gewinn für das Jahr 1988 u. a. unter Kürzung um Zahlungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung neu ermittelt hatte, einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für das Streitjahr vom 27. Februar 1991, in dem es den Gewinn mit einem Betrag von 879.355 DM feststellte. In der dazu ergangenen Mitteilung wies es darauf hin, daß der auf den Kläger entfallende Verlustanteil aus der Beteiligung an der Praxisgemeinschaft im festgestellten Gewinn enthalten sei. Das Wohnsitz-FA erließ daraufhin einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1988 vom 3. April 1991, in dem die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit entsprechend dem geänderten Gewinnfeststellungsbescheid mit einem Betrag von 879.355 DM angesetzt wurden. Beteiligungseinkünfte wurden nicht mehr angesetzt. Diese Änderung wurde auf § 174 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen, unter Aufhebung des Urteils des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 11. November 1997 I 52/94 und der Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 1994 den Einkommensteuerbescheid für 1988 vom 3. April 1991 dahin zu ändern, daß die Einkommensteuer um 106.139 DM niedriger festgesetzt wird.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Änderung hinsichtlich der Einkünfte aus selbständiger Arbeit rechtfertigt.

1. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.

Grundlagenbescheid war im Streitfall - bezogen auf den Kläger - allerdings nur der ursprüngliche bzw. der geänderte Gewinnfeststellungsbescheid betreffend die Einkünfte aus der Einzelpraxis und nicht der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Ergebnisses der Praxisgemeinschaft. Das von der Praxisgemeinschaft erzielte Ergebnis war lediglich aufgrund der besonderen Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO i. V. m. § 180 Abs. 2 AO 1977 gesondert festzustellen. Diese Feststellung war aber, was den Kläger angeht, nicht für seine Einkommensteuerveranlagung, sondern nur für die bezüglich seiner Einzelpraxis durchzuführende gesonderte Feststellung bindend, weil sich das von der Praxisgemeinschaft erzielte Ergebnis aus Betriebsausgaben zusammensetzte, die durch die Erzielung von Einkünften in der Einzelpraxis veranlaßt waren und deshalb in die dafür vorzunehmende Gewinnermittlung eingehen mußten (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 182 AO 1977 Rz. 6). Eine unmittelbare Bindung der Feststellung betreffend die Einkünfte aus der Praxisgemeinschaft für den den Klägern zu erteilenden Einkommensteuerbescheid ergibt sich weder aus der fälschlich dem Wohnsitz-FA übermittelten behördeninternen Mitteilung, noch aus der dem Bediensteten des Wohnsitz-FA unterlaufenen Fehleinschätzung, daß insoweit ein für den Einkommensteuerbescheid bindender Grundlagenbescheid ergangen sei. Eine Bindungswirkung kann sich nur aus einem Bescheid ergeben, bei dem es sich tatsächlich um einen Grundlagenbescheid handelt. Weder behördeninterne Mitteilungen noch Fehlvorstellungen der für den Erlaß des Folgebescheides zuständigen Bediensteten sind geeignet, eine Bindungswirkung zu begründen, die objektiv nicht vorhanden ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. September 1988 III R 253/84, BFH/NV 1989, 138, und vom 12. Juli 1989 X R 32/86, BFH/NV 1990, 366).

2. Die Bindungswirkung sowohl des ursprünglichen als auch des geänderten Gewinnfeststellungsbescheides beschränkte sich entgegen der Auffassung der Kläger - in der Terminologie des Einkommensteuerbescheides - nicht auf den Ansatz von Einkünften "aus freiberuflicher Tätigkeit", sondern bezog sich auf den Ansatz von Einkünften "aus selbständiger Arbeit" schlechthin. Die Kläger schränken die Bindungswirkung der Gewinnfeststellung in einer mit den §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 182 Abs. 1 AO 1977 unvereinbaren Weise auf rechnerische Einzelpositionen im Begründungsteil des Einkommensteuerbescheides ein. Diese Sicht wird der in den genannten Vorschriften zum Ausdruck kommenden materiellen Verknüpfung von Grundlagen- und Folgebescheid nicht gerecht.

Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheides beschränkt sich nicht auf eine bloße mechanische Übernahme seines Inhalts in den Folgebescheid (BFH-Urteil vom 11. April 1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143). Sie steht vielmehr - weitergehend - jedem Ansatz der gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlage im Folgebescheid entgegen, der dem Inhalt des Grundlagenbescheides widersprechen würde (Senatsurteil vom 9. Juli 1987 IV R 87/85, BFHE 150, 345, BStBl II 1988, 342; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, 11. Aufl., § 182 Anm. 7). Dies folgt daraus, daß es sich bei den gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen um solche handelt, die die für den Erlaß oder die Änderung des Folgebescheides zuständige Finanzbehörde selbst ermitteln müßte, wenn keine verselbständigte Feststellung in dem durch die §§ 179 ff. AO 1977 vorgesehenen besonderen Verfahren stattfände (v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 175 AO 1977 Anm. 5; Söhn, a. a. O., § 182 AO 1977 Rz. 7; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 182 AO 1977 Tz. 1). Der Grundlagenbescheid hat die Funktion, die in ihm festgestellten Besteuerungsgrundlagen in verbindlicher Weise dem Folgebescheid zuzuführen. Verfahrensrechtlich wird dies durch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gewährleistet. Die Folgeänderung steht deshalb nicht im Ermessen der dafür zuständigen Finanzbehörde. Diese ist vielmehr verpflichtet, die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen. Die materielle Richtigkeit des Folgebescheides hat demgemäß Vorrang vor seiner Bestandskraft (vgl. Senatsurteil vom 14. April 1988 IV R 219/85, BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711, und BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 II R 15/91, BFH/NV 1994, 1).

Danach war das Wohnsitz-FA verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid dahin gehend zu ändern, daß Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur noch im Umfang des gesondert festgestellten Gewinns angesetzt wurden. Der Ansatz des Verlustanteils aus der Beteiligung an der Praxisgemeinschaft neben dem für die Einzelpraxis festgestellten Betrag war mit dem Inhalt sowohl des ursprünglichen als auch des geänderten Gewinnfeststellungsbescheides unvereinbar. Der Verlustanteil war zwar nicht selbständiger Gegenstand dieser Feststellung in dem Sinne, daß er im Tenor des Bescheides besonders aufgeführt war. Dies war aber auch nicht erforderlich. Ein nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes ermittelter Gewinn ist regelmäßig ein Saldo aus Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. Soweit Betriebsausgaben bei der Gewinnermittlung abgezogen worden sind, nehmen sie an der Bindungswirkung der Gewinnfeststellung der Höhe nach in der Weise teil, daß eine nochmalige Berücksichtigung im Folgebescheid mit dem Grundlagenbescheid unvereinbar ist. Die von den Klägern vertretene Auffassung ist nur für den Fall zutreffend, daß die Einkünfte, die fehlerhaft als Beteiligungseinkünfte angesetzt sind, mit den aufgrund eines Grundlagenbescheides anzusetzenden Einkünften derselben Einkunftsart in keinem sachlichen Zusammenhang stehen. Ein Rechtsfehler dieser Art kann nur nach § 177 AO 1977 berichtigt werden, falls nicht eine andere Änderungsvorschrift als § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 eingreift. Eine solche Fallgestaltung liegt im Streitfall indes ebensowenig vor wie eine fehlerhafte doppelte Berücksichtigung des auf den Kläger entfallenden Verlustanteils im Gewinnfeststellungsbescheid bezüglich der Einkünfte aus der Einzelpraxis, welche ebenfalls nicht im Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid, sondern allenfalls - nach Maßgabe der Änderungsvorschriften - auf der Ebene des Feststellungsbescheides korrigiert werden könnte.

Keiner Erörterung bedarf danach die Frage, ob die Änderung auch auf § 174 Abs. 2 AO 1977 gestützt werden konnte. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides wird jedenfalls nicht dadurch berührt, daß das Wohnsitz-FA diese Vorschrift als Änderungsgrundlage angegeben hat. Maßgebend ist allein, ob die Änderung tatsächlich zu Recht erfolgt ist (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 24. März 1981 VIII R 85/80, BFHE 134, 1, BStBl II 1981, 778).