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  BFH-Urteil vom 4.2.1999 (IV R 57/97) BStBl. 1999 II S. 602

1. Eine unverzinsliche, durch eine Wiederaufbauklausel beschränkte Brandentschädigungsforderung ist nicht abzuzinsen.

2. Eine Rücklage für Ersatzbeschaffung ist bei Gewinnschätzung unzulässig (gegen R 35 Abs. 6 EStR).

EStG § 4 Abs. 1; AO 1977 § 141, § 162.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1997, 1423)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) beziehen Einkünfte aus einem gemeinsam geführten land- und fortwirtschaftlichen Betrieb. Da sie der Aufforderung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -), Bücher zu führen, nicht folgten, wurde der Gewinn seit Jahren nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geschätzt.

Am 29. Juni 1990 brannte das alte Stall- und Scheunengebäude ab und wurde nicht wiedererrichtet. In der Feststellungserklärung 1989 teilten die Kläger dem FA am 10. Januar 1991 mit, daß sie infolge des Brandschadens und mangelnden Interesses an der Landwirtschaft das Pachtland und den Tierbestand reduziert hätten. Im Februar 1991 erklärten sie, die Versicherungsanstalt habe einstweilen nur einen Vorschuß in Höhe von 70.000 DM auf die Entschädigung gezahlt, der zur Begleichung von Rechnungen in Höhe von 63.280,14 DM verwendet worden sei.

Auf Grund einer Vereinbarung mit der Badischen Gebäudeversicherung vom 14. November 1991 erhielten die Kläger unter Abgeltung aller Ansprüche aus dem Schadensfall eine Gesamtentschädigung von 430.000 DM "im Hinblick auf den veränderten Wiederaufbau". Dieser Betrag wurde zu 100.000 DM der Wiederherstellung des landwirtschaftlichen Gebäudes und zu 330.000 DM - bereits gemindert um einen Abzug von 20 % wegen wirtschaftlichen Vorteils - der "veränderten Wiederherstellung (Wohnhaus)" zugeordnet. Unter Angabe des Verwendungszwecks erhielten die Kläger folgende Teilzahlungen:

 

DM

 
     

21. August 1990

40.000

Abbruch

   

und Instandsetzung

19. Dezember 1990

30.000

Instandsetzung Stall

2. September 1991

150.000

Wohnhausneubau

11. Dezember 1991

20.000

Wohnhausneubau

2. April 1992

50.000

Wohnhausneubau

29. April 1992

70.000

Wohnhausneubau

6. August 1992

15.000

Wohnhausneubau

19. April 1993

45.000

Instandsetzung Stall

   

und Wohnhaus

23. Juli 1993

10.000

Wohnhaus

Die Kläger beglichen damit Reparaturen und erwarben mit der Entschädigung am 30. Juli 1991 im übrigen eine Doppelhaushälfte, mit der sie seit 1992 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung beziehen.

Im Anschluß an eine abgekürzte Außenprüfung schätzte das FA die Brandschadensersatzforderung auf 430.000 DM und ermittelte die durch den Vorfall aufgedeckten stillen Reserven mit 353.337 DM, die den Gewinn des Wirtschaftsjahrs 1989/90 erhöhten. Dabei wurden Reparaturkosten in Höhe von 60.000 DM zum Abzug zugelassen. Die auf dieser Grundlage ergangenen Feststellungsbescheide fochten die Kläger mit dem Einspruch an und erklärten im August 1992, außer den Reparaturen seien keine Ersatzbeschaffungen geplant.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1423 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Eine nur betragsmäßig nicht bekannte unverzinsliche betriebliche Brandschadensersatzforderung sei zu schätzen und im Zeitpunkt des Schadenseintritts zu bilanzieren. Mangels Verkehrsfähigkeit dürfe ein Zinsabschlag nicht vorgenommen werden. Werde die Forderung zur Anschaffung oder Herstellung eines betriebsfremden Wirtschaftsguts verwendet, so könne eine Rücklage für Ersatzbeschaffung nicht gebildet werden.

Mit ihrer dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie tragen vor, die begehrte Teilwertabschreibung von 6 v. H. auf den Forderungsbetrag sei zu gewähren, weil jeder Erwerber des Betriebs zum 30. Juni 1990 nicht den vollen Betrag für die Brandschadensforderung gezahlt hätte. Insgesamt sei wegen der verzögerten Auszahlung der Entschädigung eine Abzinsung der Forderung um mindestens 36.788 DM vorzunehmen. Darüber hinaus sei eine weitere Teilwertminderung um 10 v. H. geboten, weil jeder Erwerber des Betriebs mit der eingeschränkten Verwendbarkeit der Forderung rechnen müsse. Im übrigen sei nach dem Stichtagsprinzip in der Bilanz zum 30. Juni 1990 eine Rücklage für Ersatzbeschaffung in Höhe von 150.000 DM zu bilden. Zwar sei eine Ersatzbeschaffung tatsächlich nicht durchgeführt worden, eine solche Absicht habe am Bilanzstichtag aber bestanden. In der mündlichen Verhandlung sei vorgetragen worden, daß man eine Maschinenhalle habe errichten wollen. Das FG habe diesen Vortrag übergangen und damit den Grundsatz rechtlichen Gehörs verletzt.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Feststellungsbescheide 1989 und 1990 in der Weise zu ändern, daß der Gewinn des Wirtschaftsjahrs 1989/90 um 229.788 DM gemindert wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Rüge, das FG habe Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt, ist unbegründet. Gemäß Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Dies verlangt einerseits, daß der Prozeßbeteiligte ausreichend Gelegenheit erhalten muß, sich zur Streitsache zu äußern, und andererseits, daß das Gericht die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt. Art. 103 Abs. 1 GG schützt aber nicht davor, daß das Gericht den behaupteten tatsächlichen Umständen nicht die richtige Bedeutung beimißt (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. März 1994 I R 53/93, BFH/NV 1995, 210).

Die Kläger beanstanden, daß das FG ihr Vorbringen ignoriert habe, wonach zumindest die Errichtung einer Maschinenhalle geplant gewesen sei. Das ist unzutreffend. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, hat das FG dieses Vorbringen durchaus zur Kenntnis genommen und dazu ausgeführt, die Kläger hätten eine Ersatzbeschaffung nicht ernstlich geplant. Zwar hätten sie in der mündlichen Verhandlung erstmals Gegenteiliges vorgetragen; dies stehe jedoch im Widerspruch zu ihrem bisherigen Vortrag und Verhalten.

Auch soweit man das Vorbringen der Kläger, das FG habe ihnen die Möglichkeit der Beweisführung zur Ersatzbeschaffungsabsicht genommen, als Aufklärungsrüge versteht, kann es keinen Erfolg haben. Insoweit wird gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung abgesehen.

2. Zu Recht hat das FG sowohl die begehrte Teilwertabschreibung auf die Brandschadensforderung als auch die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung versagt.

a) Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß Forderungen zum Umlaufvermögen gehören und nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit den Anschaffungskosten oder dem niedrigeren Teilwert anzusetzen sind. Im Unterschied zu § 94 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag ist die Brandschadensforderung im Streitfall zwar unverzinslich (§ 44 Abs. 2 des Badischen Gebäudeversicherungsgesetzes - BGVG - vom 29. März 1852, Badisches Regierungsblatt S. 85 i. d. F. der Bekanntmachung vom 30. Januar 1934, Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1934, 95, und weiteren Änderungen). Gleichwohl können sich die Kläger nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung zur Bewertung unverzinslicher Forderungen berufen. Die Rechtsprechung läßt zwar bei unverzinslichen Darlehen im Grundsatz eine Teilwertabschreibung auf den Barwert zu (vgl. BFH-Urteile vom 23. April 1975 I R 236/72, BFHE 116, 16, BStBl II 1975, 875; vom 30. November 1988 I R 114/84, BFHE 155, 337, BStBl II 1990, 117). Die Zulässigkeit einer solchen Abzinsung liegt in der Natur der Geldforderung, die darauf gerichtet ist, durch Zinsen Ertrag zu erwirtschaften. Die gegenüber einer öffentlich-rechtlichen Sachversicherungseinrichtung bestehende Entschädigungsforderung wird aber nicht in gleicher Weise "verzinst" wie etwa eine Darlehensforderung. Denn diese Forderung ist nicht verkehrsfähig. Bis zum Wiederaufbau des zerstörten Gebäudes kann diese Forderung nur eingeschränkt an solche Gläubiger des Eigentümers übertragen werden, die unmittelbar Arbeiten oder Lieferungen zur Wiederherstellung des Gebäudes übernommen haben (§ 46 BGVG); nur unter diesen engen Voraussetzungen kann die Forderung auch Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein. Ein Erwerber des ganzen Betriebs würde die Entschädigungsforderung im Rahmen des Gesamtkaufpreises mit dem Wert ansetzen, den auch das FA im Wege der Schätzung zugrunde gelegt hat (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 und Nr. 2 Satz 2 EStG).

Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich eine Teilwertabschreibung auch nicht aus der Einschränkung, daß die Brandentschädigung nur zum Wiederaufbau der Betriebsgebäude habe verwendet werden dürfen. Diese in § 45 Abs. 1 BGVG enthaltene Wiederaufbauklausel hat die Versicherungsanstalt bereits zum Anlaß eines Abschlags von 20 v. H. auf die Entschädigungsforderung genommen. Nur diese geminderte Forderung aber hat das FA angesetzt. Anhaltspunkte für einen weiteren Abschlag von 10 v. H. aufgrund der Wiederaufbauklausel bestehen im Streitfall nicht. Der Teilwert der Brandschadensforderung ist jedenfalls nicht dadurch gemindert, daß die Versicherungsanstalt auf eine Anwendung der Wiederaufbauklausel und die damit verbundene Leistungsfreiheit verzichtet (s. auch § 48 BGVG).

b) Im Ergebnis zutreffend haben FA und FG auch die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung abgelehnt.

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten und von der Finanzverwaltung in Abschn. 35 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - (in den für die Streitjahre geltenden Fassungen der EStR 1987/90 jetzt R 35 EStR) übernommenen Grundsätzen zur sog. Rücklage für Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise dann vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird (s. BFH-Urteile vom 12. März 1969 I 97/65, BFHE 95, 178, BStBl II 1969, 381; vom 18. September 1987 III R 254/84, BFHE 151, 70, BStBl II 1988, 330, und vom 17. Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392).

Es kann dahinstehen, ob die Kläger am Bilanzstichtag zum 30. Juni 1990 die für eine Rücklagebildung erforderliche Absicht der Ersatzbeschaffung hatten, obwohl sie später tatsächlich ein anderes nicht funktionsgleiches Wirtschaftsgut, nämlich eine fremdvermietete Doppelhaushälfte, hergestellt haben. Eine Rücklage konnten die Kläger nicht bilden, weil ihr Gewinn geschätzt worden ist und sie aus diesem Grund weder eine Bilanz aufgestellt noch eine Buchführung eingerichtet hatten, in der sich die Bildung und Auflösung einer solchen Rücklage hätte verfolgen lassen. Wie der I. Senat des BFH in seinem Urteil vom 24. Januar 1990 I R 152-153/85 (BFHE 159, 464, BStBl II 1990, 426) entschieden hat, kann das Bilanzierungswahlrecht gemäß § 6b Abs. 3 EStG nur durch Ausweis der Rücklage in der Bilanz ausgeübt werden. Nach Auffassung des erkennenden Senats gilt für das Bilanzierungswahlrecht nach Abschn. 35 EStR nichts anderes. Es setzt voraus, daß der Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermittelt wird (§ 6b Abs. 4 Nr. 1 EStG), denn seine Ausübung wirkt sich auf die Bilanzansätze aus. Ein solches Wahlrecht haben die Kläger nicht ausgeübt. Mangels einer Bilanz konnten sie dies auch nicht. Allerdings waren die Kläger nicht daran gehindert, dieses Bilanzierungswahlrecht in Anspruch zu nehmen, denn das FA hatte sie zur Buchführung aufgefordert. Ihr Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft wurde nur deshalb geschätzt, weil die Kläger ihrer Buchführungspflicht seit Jahren nicht nachgekommen sind.

Allerdings sieht die Finanzverwaltung in Abschn. 35 Abs. 9 Satz 3 EStR 1990 aus Billigkeitsgründen vor, daß bei Schätzung des Gewinns die ebenfalls für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG getroffene weitere Billigkeitsregelung entsprechend anzuwenden sei; danach können sowohl der Schaden als auch die Entschädigungsleistung erst im Wirtschaftsjahr der Schadensbeseitigung bzw. Ersatzbeschaffung berücksichtigt werden (Abschn. 35 Abs. 8 Satz 5 EStR 1990; jetzt R 35 Abs. 5 Satz 4 EStR). Ob die Voraussetzungen für eine solche abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auch im Streitfall gegeben sind, kann der Senat in dem Verfahren gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1989, 1990 nicht entscheiden.