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  BFH-Urteil vom 18.5.1999 (I R 38/98) BStBl. 1999 II S. 674

1. Wird im Rahmen der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags 1990 das "mutmaßliche Ergebnis der ersten 12 Monate des Gewerbebetriebs" nach § 10 Abs. 4 GewStG-DDR durch Addition des Gewerbeertrags 1990 und des (anteiligen) Gewerbeertrags 1991 ermittelt (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1995 I R 138/94, BFHE 179, 140, BStBl II 1996, 74) und ist der (anteilige) Gewerbeertrag 1991 negativ, so mindert er das mutmaßliche Ergebnis der ersten 12 Monate des Gewerbebetriebs.

2. Offen bleibt für diesen Fall die Frage, ob für 1990 ein vortragsfähiger Gewerbeverlust festzustellen ist, wenn sich dieser ausschließlich aus dem (anteiligen) negativen Ergebnis des Jahres 1991 ergibt.

GewStG DDR § 10 Abs. 4.

Vorinstanz: FG des Landes Sachsen-Anhalt (EFG 1998, 1278)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine im Beitrittsgebiet zum 1. Juli 1990 gegründete Aktiengesellschaft. Bei Ermittlung ihres Gewerbeertrags für 1990 erhöhte sie entsprechend den bundesdeutschen Grundsätzen der gewerbesteuerlichen Organschaft zunächst den von ihr erwirtschafteten Gewerbeertrag um positive Gewerbeerträge von Tochtergesellschaften. Mit dem Hinweis, daß das Gewerbesteuergesetz der DDR (GewStG DDR) vom 18. September 1970 (Gesetzblatt der DDR Sonderdruck 672) keine Regelungen für Organschaften enthalte, lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) es ab, bei der Klägerin die Gewerbeerträge ihrer Tochtergesellschaften anzusetzen. Auf der Grundlage des Gewerbeertrags der Klägerin setzte er die Gewerbesteuer auf 674.300 DM fest.

Während des Einspruchsverfahrens beantragte die Klägerin, gemäß § 10 Abs. 4 GewStG DDR sowohl bei der Ermittlung ihrer Gewerbeerträge 1990 als auch die ihrer Tochtergesellschaften die negativen Ergebnisse des 1. Halbjahres 1991 miteinzubeziehen. Danach ergaben sich nunmehr sowohl für die Klägerin allein als auch per Saldo unter Berücksichtigung der Gewerbeerträge der Tochtergesellschaften Gewerbeverluste.

Nach Zurückweisung des Einspruchs erhob die Klägerin Klage und beantragte Aufhebung der Vollziehung. Diesem Antrag entsprach das Finanzgericht (FG) mit Beschluß vom 18. August 1994. Im Anschluß hieran erließ das FA am 14. November 1994 einen Änderungsbescheid für 1990, indem es die Gewerbesteuer auf 30.604 DM festsetzte.

Das der Klage stattgebende Urteil des FG (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1995, 683) hob der erkennende Senat aus verfahrensrechtlichen Gründen auf. Während des zweiten Rechtsgangs erließ das FA einen weiteren Änderungsbescheid, in dem es nunmehr die Gewerbesteuer auf 252.110 DM erhöhte. Diesen Bescheid hat die Klägerin fristgerecht zum Gegenstand des Verfahrens erklärt. Das FG gab der Klage der Klägerin statt, mit der diese beantragt hatte, die Steuerrate 1990 allein unter Berücksichtigung der Körperschaftsteuer in Höhe von 920 DM festzusetzen. Dabei erkannte es die gewerbesteuerliche Organschaft an und bezog die Verluste der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaften im 1. Halbjahr 1991 in die Gewerbeertragsermittlung mit ein (EFG 1998, 1278).

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung der §§ 2, 10 Abs. 4 GewStG DDR und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Anfechtungsklage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hat einen während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens erklärt. Die Beteiligten haben mitgeteilt, daß sich hierdurch der Streitstoff nicht geändert hat.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Gewerbeertrag der Klägerin beträgt für das Streitjahr 1990 null DM.

1. Der Gewerbeertrag 1990 ist für die zum 1. Juli 1990 gegründete Klägerin nach § 10 Abs. 4 GewStG DDR zu ermitteln, da im Streitjahr 1990 noch das GewStG DDR anzuwenden war (vgl. Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 des Einigungsvertrages). Danach ist das mutmaßliche Ergebnis der ersten zwölf Monate des Gewerbebetriebes als Gewerbeertrag anzusetzen, wenn im Laufe des Erhebungszeitraumes ein Gewerbebetrieb neu gegründet oder ein bereits bestehender Gewerbebetrieb infolge Wegfalls eines Befreiungsgrundes gewerbesteuerpflichtig wird. Hierzu hat der erkennende Senat im Urteil vom 25. Oktober 1995 I R 138/94 (BFHE 179, 140, BStBl II 1996, 74) entschieden, daß das "mutmaßliche Ergebnis der ersten zwölf Monate des Gewerbebetriebes" methodisch durch Addition des Gewerbeertrages 1990 und des anteiligen Gewerbeertrages 1991 oder durch Hochrechnung des Gewerbeertrages 1990 geschätzt werden kann und es grundsätzlich Sache der FG sei, die für den jeweiligen Streitfall sachgerechte Schätzmethode zu finden. Kein Raum für eine Schätzung liegt nach der bezeichneten Entscheidung im Prinzip vor, wenn das tatsächliche Ergebnis der ersten zwölf Monate buchhalterisch festliegt. In diesem Fall ist das konkret ermittelte Ergebnis dem Gewerbeertrag des Jahres, in dem die Gewerbesteuerpflicht begann, anteilig zugrunde zu legen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung Bezug genommen.

a) Eine abschließende Entscheidung darüber, ob der mutmaßliche Gewerbeertrag der Klägerin aufgrund bilanzieller Ermittlung feststeht oder zu schätzen ist, ist im Streitfall entbehrlich. Das FG ist in seinem Urteil davon ausgegangen, daß im Streitfall eine irgendwie geartete Schätzung nicht nötig sei, da das tatsächliche Ergebnis der ersten zwölf Monate feststehe. Da sich in den dem Senat vorliegenden Akten keinerlei Unterlagen über eine konkrete Gewerbeertragsermittlung für den Zeitraum 1. Januar 1991 bis 30. Juni 1991 befinden, bestehen Zweifel, ob danach eine Schätzung bereits dem Grunde nach ausgeschlossen ist. Sollten die Angaben der Klägerin im Einspruchsschreiben vom 8. März 1993 auf einer konkreten Gewerbeertragsermittlung für den Zeitraum 1. Juli 1990 bis 30. Juni 1991 beruhen, so wäre das FG zu Recht von der Unzulässigkeit einer Schätzung ausgegangen.

Aber auch für den Fall einer Schätzung des mutmaßlichen Ergebnisses der ersten zwölf Monate des Gewerbebetriebes ergibt sich nichts anderes. Der Sache nach ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß das Ergebnis der Klägerin im 1. Halbjahr 1991 mit oder ohne Einbeziehung der Ergebnisse ihrer Tochtergesellschaften negativ ist und dieser Halbjahresverlust den positiven Gewerbeertrag des 2. Halbjahres 1990 übersteigt.

b) Über die Frage, ob und in welcher Höhe für 1990 ein vortragsfähiger Verlust nach § 36 Abs. 5 a i. V. m. § 10a Satz 2 GewStG festzustellen ist, ist im anhängigen Verfahren nicht zu entscheiden, da die gesonderte Verlustfeststellung nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist.

2. Die Grundsätze der Entscheidung in BFHE 179, 140, BStBl II 1996, 74 gelten auch, wenn sich für das 1. Halbjahr 1991 ein Gewerbeverlust errechnet. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik des § 10 Abs. 4 GewStG DDR.

a) Nach § 10 Abs. 4 GewStG DDR ist das mutmaßliche Ergebnis der ersten zwölf Monate des Gewerbebetriebes zu ermitteln. Damit gehen in die Berechnung zwangsläufig Gewerbeerträge mit ein, die im Folgejahr bzw. im folgenden Erhebungszeitraum erwirtschaftet werden. § 10 Abs. 4 GewStG DDR macht keinen Unterschied danach, ob sich für das folgende Jahr bzw. für den folgenden Erhebungszeitraum ein positiver oder negativer Gewerbeertrag errechnet.

b) Die doppelte Berücksichtigung der Gewerbeerträge des 1. Halbjahres 1991 entspricht der Systematik des § 10 Abs. 4 GewStG DDR. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich den Fall einer zum 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet gegründeten Kapitalgesellschaft vor Augen hält, die sowohl im 2. Halbjahr 1990 als auch im 2. Halbjahr 1991 jeweils einen Gewerbeertrag in Höhe von null DM, im 1. Halbjahr 1991 aber einen positiven Gewerbeertrag erzielt. In diesem Fall geht der positive Gewerbeertrag des 1. Halbjahres 1991 - zur Hälfte - in die Gewerbeertragsermittlung des Jahres 1990 und - voll - in die Gewerbeertragsermittlung des Jahres 1991 ein (vgl. hierzu z. B. Dunz/Rohde, Das Gewerbesteuergesetz, 2. Aufl., 1939, § 10 Anm. 3; Oeftering/Herzler/Gebert, Das Gewerbesteuergesetz vom 1. Dezember 1939, Stand 1943, § 10 Anm. 6). In dem bezeichneten Umfang werden somit einmal erzielte Gewinne doppelt berücksichtigt. Da § 10 Abs. 4 GewStG DDR nicht nach positiven oder negativen Gewerbeerträgen unterscheidet, kann für den spiegelbildlichen Fall des Verlustes im 1. Halbjahr 1991 nichts anderes gelten.

c) Die Vortragsfähigkeit der 1990 anzusetzenden Gewerbeverluste schließt die Berücksichtigung der Ergebnisse des 1. Halbjahres 1991 im Rahmen des § 10 Abs. 4 GewStG DDR nicht aus, auch wenn das GewStG DDR ebenso wenig wie das GewStG 1936, dem § 10 Abs. 4 GewStG DDR entnommen wurde, einen Verlustvortrag kannte. Soweit der Verlust des 1. Halbjahres 1991 den Gewerbeertrag des 2. Halbjahres 1990 mindert, liegt gesetzestechnisch kein Verlustrücktrag vor, der ohnehin im GewStG nicht vorgesehen ist, sondern eine Gewerbeertragsermittlung für einen zwölfmonatigen Ermittlungszeitraum. Der Verlust des 1. Halbjahres 1991 ist somit - wie das FG zutreffend ausführt - nur eine Berechnungsgröße für das mutmaßliche Jahresergebnis 1990.

Wenn der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 179, 140, BStBl II 1996, 74 besondere Schätzmethoden für den Fall anerkannt hat, daß Besonderheiten des Einzelfalles zu Verzerrungen führen, so hat er damit nicht solche Fälle im Auge gehabt, in denen - wie im Streitfall - im 1. Halbjahr 1991 Verluste erzielt wurden. Zu Verzerrungen im aufgezeigten Sinn wird es nur in Einzelfällen kommen, so z. B. bei Umstellung eines Volljahresbetriebes auf einen Saisonbetrieb und umgekehrt.

d) Eine andere Frage ist, ob ein vortragsfähiger Verlust nach § 36 Abs. 5 a i.V.m. § 10 a GewStG für 1990 festzustellen ist, wenn dieser allein darauf zurückzuführen ist, daß im 1. Halbjahr 1991 ein Gewerbeverlust erwirtschaftet wurde, oder ob insoweit eine teleologische Reduktion des § 36a GewStG geboten ist. Mit Urteil vom 29. September 1966 IV R 16/66 (BFHE 87, 36, BStBl III 1966, 684) hat der Bundesfinanzhof für einen vergleichbaren Fall entschieden, daß der nach § 10a GewStG vortragsfähige Verlust nicht höher sein kann als der tatsächlich entstandene.

Da die Feststellung eines vortragsfähigen Verlustes nicht Streitgegenstand ist, kann über diese Frage im anhängigen Verfahren nicht entschieden werden. Der Senat lehnt eine teleologische Reduktion des § 10 Abs. 4 GewStG DDR dergestalt, daß ein Verlust des 1. Halbjahres 1991 bei der Gewerbeertragsermittlung für 1990 stets unberücksichtigt bleibt, ab. Sie hätte eine mit dem Wortlaut und der Systematik des § 10 Abs. 4 GewStG DDR nicht zu vereinbarende überschießende Tendenz, da Verluste des 1. Halbjahres 1991 nicht notwendigerweise gemäß § 10 Abs. 4 GewStG DDR zu einem Verlust im Jahr 1990 führen müssen.

2. Da somit der Gewerbeertrag der Klägerin 1990 mit oder ohne Anerkennung einer gewerbesteuerlichen Organschaft null DM beträgt, ist über die Frage der gewerbesteuerlichen Organschaft im Beitrittsgebiet im anhängigen Verfahren nicht mehr zu entscheiden. Mit Urteil vom 18. Februar 1999 I R 58/98 (BFHE 188, 116, BStBl II 1999, 309) hat der Senat im übrigen über diese Rechtsfrage im Sinne des FA entschieden.