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  BFH-Urteil vom 6.7.1999 (VIII R 11/97) BStBl. 1999 II S. 722

Die Freigrenze von 1 v. H. i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ist bei Kapitaländerungen zwischen den Anteilsveräußerungen innerhalb desselben Veranlagungszeitraums durch Addition der Prozentsätze zu ermitteln, die sich jeweils aus dem Verhältnis der verkauften Anteile zum Kapital der Gesellschaft im Zeitpunkt der Veräußerung ergeben.

EStG § 17 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: FG Münster (EFG 1996, 227)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Erben des X (Erblasser). Dieser war an der Y-AG (AG) wesentlich i. S. des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beteiligt. Er veräußerte im Streitjahr 1984 zu einem Zeitpunkt, als das gezeichnete und eingezahlte Gesellschaftskapital der AG 200.000 DM betrug, Anteile im Nominalwert von 1.500 DM. Nach einer Kapitalerhöhung auf 360.000 DM veräußerte er im Streitjahr weitere Anteile im Nominalwert von 2.094 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) war der Ansicht, daß die Anteilsveräußerungen die Freigrenze von 1 v. H. i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1984 gültigen Fassung vom 24. Januar 1984 (BGBl I, 113, BStBl I, 51) überschritten hätten. Er berücksichtigte in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid einen Veräußerungsgewinn.

Das FA stützte seine Entscheidung, daß die Freigrenze von 1 v. H. überschritten sei, auf die folgende Berechnung im Wege der sog. Prozentsatz-Addition:

 

Erste

Zweite

 

Veräußerung

Veräußerung

   

Grundkapital

200.000

360.000

Anteilsveräußerung

1.500

2.094

Anteilsveräußerung

   

in v.H. des Stammkapitals

0,75

0,58

Summe der Prozentsätze

   

der veräußerten Anteile

0,75

1,33

Demgegenüber meinten die Kläger unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten, daß die Freigrenze nicht überschritten und im Wege der sog. modifizierten Anteils-Addition wie folgt zu berechnen sei:

 

Erste

Zweite

 

Veräußerung

Veräußerung

   

Grundkapital

200.000

360.000

Anteilsveräußerung

1.500

2.094

Summe der

   

veräußerten Anteile

1.500

3.594

Prozentsatz

0,75

0,998

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es gab der Berechnung im Wege der sog. Prozentsatz-Addition den Vorzug, weil bei dieser Methode sichergestellt sei, daß spätere Kapitalveränderungen sich nicht auf eine frühere Veräußerung auswirkten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 227 veröffentlicht.

Die Kläger rügen mit der Revision eine Verletzung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. Sie machen insbesondere geltend, daß die sog. Prozentsatz-Addition in bestimmten Fällen zu dem rechnerischen Ergebnis führen könne, daß mehr als 100 v. H. der Anteile veräußert worden seien.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid dahin zu ändern, daß die Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. des § 17 EStG um ... DM herabgesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die vom Erblasser veräußerten Anteile an der AG haben entgegen der Auffassung der Kläger die Freigrenze von 1 v. H. i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1984 gültigen Fassung überschritten. Das FG hat die Freigrenze zutreffend durch Addition der Prozentsätze ermittelt, die sich jeweils aus dem Verhältnis der veräußerten Anteile zu dem Kapital der Gesellschaft im Zeitpunkt der jeweiligen Veräußerung ergeben haben.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört bei einem wesentlich beteiligten Gesellschafter zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an der Kapitalgesellschaft, wenn die innerhalb eines Veranlagungszeitraums veräußerten Anteile 1 v. H. des Kapitals der Gesellschaft übersteigen.

Auch bei mehreren Anteilsverkäufen innerhalb eines Veranlagungszeitraums ist die Anwendung dieser Vorschrift unproblematisch, wenn das Kapital der Gesellschaft während des Veranlagungszeitraums unverändert geblieben ist. Denn bei diesem Sachverhalt kommt für den in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG bestimmten Prozentsatz von 1 nur eine Bezugsgröße, nämlich das unveränderte Kapital, in Betracht. Hat sich hingegen das Kapital während des Veranlagungszeitraums verändert und haben sowohl vor der Veränderung als auch danach Anteilsverkäufe stattgefunden, ergibt sich ein mathematisches Problem daraus, daß sich ein Prozentsatz immer nur auf eine bestimmte Bezugsgröße - im Falle des § 17 Abs. 1 EStG: ein bestimmtes Kapital - beziehen kann (vgl. dazu auch Niemann, Institut für Finanzen und Steuern, 1992, Grüner Brief Nr. 312: Die Bagatellgrenze des § 17 EStG bei Nennkapitaländerungen innerhalb eines Veranlagungszeitraums, S. 34).

Bei der Ermittlung der Freigrenze im Falle einer Kapitaländerung zwischen den Anteilsverkäufen ist davon auszugehen, daß dann, wenn die erste Veräußerung die Freigrenze überschritten hat, die dadurch eingetretene Steuerpflicht bestehen bleibt. Sie entfällt bei einer späteren Kapitalerhöhung nicht rückwirkend, wenn die veräußerten Anteile weniger als 1 v. H. des später erhöhten Kapitals ergeben. Dementsprechend gehen auch die Kläger von dem Fortbestehen der einmal eingetretenen Steuerpflicht aus.

Soll danach dann, wenn die Freigrenze durch die erste Veräußerung überschritten ist, aufgrund einer späteren Kapitalerhöhung keine rückwirkende Änderung derjenigen Beurteilung eintreten, die für den Zeitpunkt der Veräußerung richtig war, dann ist auch kein Grund dafür erkennbar, dies anders zu sehen, wenn die Freigrenze bei der ersten Veräußerung nicht erreicht worden ist. Dabei ist zu bedenken, daß die Freigrenze von 1 v. H. eine sog. Bagatellgrenze sein soll und der Gesetzgeber damit unbedeutende Anteilsveräußerungen von der Steuerpflicht ausnehmen wollte (vgl. BTDrucks IV/2400, S. 70). Bei der Gewichtung, welche Veräußerung er als unbedeutend ansieht, hat der Gesetzgeber nicht - was auch denkbar gewesen wäre - auf einen absoluten Betrag abgestellt, sondern unabhängig von der Höhe der absoluten Beträge, die aus der Veräußerung erzielt werden, das Verhältnis der verkauften Anteile zum Kapital der Gesellschaft als Maßstab bestimmt. Dies führt dazu, daß die vom Gesetzgeber bestimmte Bagatellgrenze durch die erste Veräußerung insoweit verbraucht ist, als es ihrem Gewicht im Zeitpunkt der Veräußerung - ausgedrückt durch den Prozentsatz - entsprochen hat. Für weitere Veräußerungen steht dann folgerichtig nur noch der nicht verbrauchte Teil der Freigrenze zur Verfügung, dessen Gewicht sich nach dem im Zeitpunkt dieser Veräußerungen vorhandenen - erhöhten oder herabgesetzten - Kapital der Gesellschaft bestimmt.

Diesen Überlegungen entspricht die Methode der sog. Prozentsatz-Addition, für die sich auch die ganz überwiegende Meinung in der Literatur ausgesprochen hat (vgl. Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 17 EStG Anm. 66; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 17 Rn. 122; Ebling in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 17 EStG Rn. 158; Hörger in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 17 EStG Anm. 43; Jäschke in Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 17 Rn. 151; Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 17 Rn. 72; Morsbach in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 17 Rn. 91; Boochs in Dankmeyer/Giloy, Einkommensteuer, Kommentar, § 17 Rn. 49; Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 17 EStG - Lieferung November 1993 - Rn. 77; Biergans, Einkommensteuer, 6. Aufl., S. 759; Kupfer, Kölner Steuerdialog 1994, 9807).

Bei der von den Klägern unter Berufung auf das Privatgutachten für richtig gehaltenen Berechnung im Wege der sog. modifizierten Anteils-Addition geben spätere Veränderungen des Kapitals der früheren Veräußerung von Anteilen ein anderes Gewicht, als sie es im Zeitpunkt der Veräußerung hatten. Zwar wird eine Ausnahme insoweit anerkannt, als auch bei dieser Berechnungsmethode eine spätere Kapitalerhöhung nicht bewirken soll, daß eine einmal eingetretene Steuerpflicht entfällt. Die zugelassene Ausnahme verdeutlicht aber gerade, daß die Methode an sich nicht überzeugend ist. Denn es wird keine methodisch plausible Erklärung dafür gegeben, weshalb bis zum Erreichen der Freigrenze spätere Veränderungen des Kapitals eine Rückwirkung auf die Gewichtung der früheren Veräußerungen haben sollen und weshalb diese Rückwirkung dann nicht mehr gelten soll, wenn die Freigrenze bereits überschritten war.