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  BGH-Urteil vom 19.10.1999 (5 StR 178/99) BStBl. 1999 II S. 854

Bedeutung des Kenntnisstandes der Finanzbehörden für die Tatbestandsmäßigkeit der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

1. Der Schuldspruch wegen (vollendeter) Steuerhinterziehung wird entgegen der Auffassung der Revision nicht dadurch in Frage gestellt, dass behauptet wird, den zuständigen Finanzbehörden seien Tatsachen bekannt gewesen, die einen Anfangsverdacht begründet hätten, der Angeklagte verkürze Umsatzsteuern mit Hilfe von Scheinrechnungen.

Zwar wird in der Literatur auch die Ansicht vertreten, in den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO sei das ungeschriebene Merkmal der "Unkenntnis" der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt hineinzulesen (z. B. Kohlmann, Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 370 AO Rdn. 44 m.w.N.; Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 4. Aufl. § 370 AO Rdn. 201). Da unter einer "Steuerverkürzung" eine Gefährdung des Steueraufkommens zu verstehen sei, läge die geforderte Kausalität dann nicht mehr vor, wenn die Behörde die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen kenne, da sie es dann selbst in der Hand habe, die Steuer zutreffend festzusetzen und beizutreiben (vgl. Kohlmann a. a. O.).

Dem ist bereits angesichts der Regelbeispiele in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AO entgegenzuhalten, dass das Gesetz gerade solche Fälle für besonders strafwürdig erachtet, in denen ein Amtsträger bewusst an den Steuerverkürzungen eines Steuerpflichtigen mitwirkt (so auch Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung 10. Aufl. § 370 AO Rdn. 379). Eine etwaige Einschränkung dieser Merkmale in dem Sinne, dass § 370 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 AO nur auf den unzuständigen Amtsträger anwendbar wären, der unter Überschreitung seines Aufgabenbereichs die Steuerfestsetzung vornimmt oder auf den entscheidungsbefugten Beamten einwirkt oder einzuwirken bereit ist, nicht aber auf den zuständigen Amtsträger, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (so aber Kohlmann a. a. O. § 370 AO Rdn. 331. 1; Franzen/Gast/Joecks a. a. O. § 370 AO Rdn. 272; Weyand wistra 1988, 180, 183; zur Steuerhinterziehung durch Finanzbeamte vgl. auch BGH NStZ 1998, 91).

Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob die Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Unkenntnis der Finanzbehörde voraussetzt, bisher offengelassen (vgl. BGH wistra 1989, 29). Er hat bisher lediglich ausgesprochen, dass die für eine Tatbestandsverwirklichung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erforderliche objektive kausale Verknüpfung zwischen den unrichtigen Angaben gegenüber dem Finanzamt und dem Eintritt der Steuerverkürzung keine gelungene Täuschung mit Irrtumserregung beim zuständigen Finanzbeamten voraussetze. Es genüge vielmehr, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung ursächlich werden (vgl. BGHSt 37, 266, 285). Auch im vorliegenden Fall bedarf die Frage keiner abschließenden Entscheidung. Keinesfalls schließt der hier allein vorliegende Anfangsverdacht die Erfüllung des Tatbestands der Steuerhinterziehung aus (vgl. auch Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler a. a. O. § 370 AO Rdn. 51b; BayObLG wistra 1982, 238, 239; 1990, 159, 162).

Falls es überhaupt auf die Kenntnis der Finanzbehörden ankommen sollte, wäre zu differenzieren, worauf sich der Kenntnisstand der Finanzbehörden beziehen muss: So kommen zum einen Tatsachen in Betracht, die den bloßen Verdacht begründen, dass die Angaben unrichtig sind, zum anderen Tatsachen, welche die positive Kenntnis vermitteln, dass die Angaben falsch sind, oder schließlich die positive Kenntnis aller Tatsachen, die für eine zutreffende Steuerfestsetzung erforderlich sind. Nur in der zuletzt genannten Konstellation könnte die Kenntnis der Finanzbehörden bedeutsam sein. In einem solchen Fall müssten darüber hinaus die Beweismittel im Sinne von § 90 AO bekannt und verfügbar sein. Hierzu gehört bei Umsatzsteuererklärungen (einschließlich der Umsatzsteuervoranmeldungen) grundsätzlich auch die Kenntnis sämtlicher für den jeweiligen Besteuerungszeitraum zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuern. Diese umfassende Kenntnis müsste zudem bei dem für die Steuerfestsetzung zuständigen Beamten des Finanzamts vorliegen (BGHSt 34, 272, 293). All dies ist hier nicht gegeben.

2. Das Urteil hält auch insoweit rechtlicher Nachprüfung stand, als das Landgericht in den Urteilsgründen darauf verzichtet hat, hinsichtlich der Steuerverkürzungen aufgrund falscher Umsatzsteuervoranmeldungen neben dem unrechtmäßigen Vorsteuerabzug auch noch den hierdurch entstandenen Zinsschaden genau zu berechnen. Zwar führt die Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen lediglich zu einer Steuerverkürzung auf Zeit; erst die Abgabe einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung bewirkt die endgültige Steuerverkürzung auf Dauer (st. Rspr., vgl. dazu BGHSt 38, 165, 171; 43, 270, 276; BGH wistra 1996, 105, 106; 1997, 262, 263). Das Landgericht hat jedoch rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte von Anfang an beabsichtigte, keine zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärungen abzugeben, und es mit seinen Hinterziehungshandlungen vielmehr darauf angelegt hatte, die zunächst bewirkte Hinterziehung auf Zeit später in eine solche auf Dauer übergehen zu lassen. Das Landgericht durfte daher den gesamten jeweils monatlich erlangten Vorteil als vom Vorsatz umfasstes Handlungsziel bei der Strafzumessung erschwerend berücksichtigen (st. Rspr., vgl. dazu im Einzelnen: BGHSt 43, 270, 276; BGH NStZ-RR 1998, 148;1998, 185, 186; Harms NStZ-RR 1998, 97, 100 m.w.N.; 1999, 130, 131). Der konkreten Höhe der Hinterziehungszinsen kommt somit in diesem Fall für die Entscheidung des Gerichts keine bestimmende Bedeutung mehr zu.

3. Auch die Strafzumessung hält der Nachprüfung im Ergebnis stand.

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle des Revisionsgerichts ist ausgeschlossen (vgl. BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320; BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 1). Die von der Revision gegen die Strafzumessung erhobenen Beanstandungen greifen nicht durch.

Der Tatrichter ist nicht verpflichtet, sämtliche mögliche Strafzumessungserwägungen ausdrücklich abzuhandeln (vgl. BGHSt 3, 179; 24, 268); es ist ausreichend, in den Urteilsgründen die bestimmenden Zumessungsgründe anzuführen (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO). Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht. Auch die sehr kurz gehaltene Begründung des Landgerichts für die Gesamtstrafenbildung hält rechtlicher Überprüfung noch stand. Zwar erfordert der Strafzumessungsvorgang der Gesamtstrafenbildung grundsätzlich eine zusammenfassende Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten (§ 54 Abs. 1 Satz 3 StGB), bei der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 24, 268; BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 1, 4 m. w. N.) bei der erforderlichen Gesamtschau der Taten namentlich das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander, insbesondere ihr Zusammenhang, ihre größere oder geringere Selbständigkeit, ferner die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweise sowie das Gesamtgewicht des abzurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen ist. Ferner ist in einer Würdigung der Person des Täters seine Strafempfindlichkeit, seine größere oder geringere Schuld im Hinblick auf das Gesamtgeschehen und seine innere Einstellung zu den Taten zu erörtern (vgl. BGH a. a. O.).

Hierbei ist es aber nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter bei ohne Unterbrechung aneinandergereihten gleichartigen Serienstraftaten, wie z. B. der fortlaufenden Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen, die Strafzumessungserwägungen für alle Einzeltaten zusammengefasst darstellt und bei der Gesamtstrafenbildung die bereits bei der Einzelstrafenbildung erörterten Strafzumessungsgründe nicht mehr im Einzelnen, sondern nur noch zusammenfassend anführt und hierbei insbesondere dem Gesamtgewicht der Taten besondere Bedeutung beimisst (vgl. BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 3).

Nach diesen Grundsätzen ist die vom Landgericht festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe angesichts der hohen, mit dem Willen zu dauerhafter Steuerverkürzung vom Angeklagten zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerbeträge rechtlich nicht zu beanstanden.