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  BFH-Urteil vom 1.3.2000 (VI R 19/99) BStBl. 2000 II S. 462

1. Die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruchs für ein volljähriges Kind ergeben sich aus § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 EStG. Demgegenüber regelt § 66 Abs. 2 EStG Rechtsfolgen.

2. Einkünfte und Bezüge des Kalendermonats, in dem das Kind von der Ausbildung in den Beruf wechselt, bleiben außer Ansatz und führen deshalb nicht zum rückwirkenden Wegfall des Kindergeldanspruchs für die vorhergehenden Monate.

EStG 1997 § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a, § 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 66 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1999, 391)

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob Einkünfte und Bezüge eines Kindes aus einer Berufstätigkeit, die im Anschluss an die Berufsausbildung im letzten Ausbildungsmonat aufgenommen wird, zum rückwirkenden Verlust des Kindergeldanspruchs führen.

Die im Februar 1977 geborene Tochter (T) der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beendete am 8. Juli 1997 ihre Berufsausbildung. T bezog für die Monate von Januar bis Juni 1997 Ausbildungsvergütungen in Höhe von insgesamt 5.892 DM. Ab dem 9. Juli 1997 wurde sie von ihrem bisherigen Ausbildungsbetrieb als Angestellte übernommen. Für den Monat Juli 1997 erhielt sie keine Ausbildungsvergütung mehr, sondern bereits ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 2.952 DM.

Das Arbeitsamt - Familienkasse - (Beklagter und Revisionsbeklagter - Beklagter -) ermittelte die Einnahmen der T für die Monate Januar bis Juli 1997 mit 8.844 DM (5.892 DM Ausbildungsvergütungen zuzüglich 2.952 DM für Juli). Unter Berücksichtigung eines zeitanteiligen Arbeitnehmer-Pauschbetrages von 1.167 DM (sieben Zwölftel von 2.000 DM) ergaben sich nach Ansicht des Beklagten anzurechnende Einkünfte und Bezüge in Höhe von 7.677 DM. Den nach § 32 Abs. 4 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) maßgeblichen anteiligen Jahresgrenzbetrag ermittelte der Beklagte mit 7.000 DM. Daraufhin setzte er das Kindergeld rückwirkend ab Januar 1997 auf 0 DM fest und forderte das für die Monate Januar bis Juli 1997 gezahlte Kindergeld in Höhe von 2.100 DM zurück.

Mit der Klage focht die Klägerin die rückwirkende Änderung der Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar bis Juni 1997 und die Rückforderung des insoweit gezahlten Kindergeldes an. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 391 veröffentlichten Gründen ab. Es führte im Wesentlichen aus: Der anteilige Jahresgrenzbetrag von 7.000 DM sei überschritten, weil auch die im Juli 1997 bezogenen Einkünfte einzubeziehen seien. Denn aus § 66 Abs. 2 EStG ergebe sich, dass im letzten Ausbildungsmonat die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG vorlägen.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, eine Rückforderung des Kindergeldes für die Monate Januar bis Juni 1997 allein auf Grund des höheren Gehalts im Juli verkehre die Begünstigungsvorschrift des § 66 Abs. 2 EStG in ihr Gegenteil.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz und die angefochtenen Bescheide aufzuheben, soweit sie die Monate Januar bis Juni 1997 betreffen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Für die Monate Januar bis Juni 1997 habe kein Kindergeldanspruch bestanden. Es blieben nur die Einkünfte der Monate außer Ansatz, in denen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG an keinem Tage vorlägen. Seien die Voraussetzungen dagegen auch nur an einem Tag eines Monats erfüllt, müssten die Einkünfte dieses Monats in voller Höhe einbezogen werden, wie sich aus § 66 Abs. 2 EStG ergebe. Deshalb seien auch die Einkünfte des letzten Ausbildungsmonats einzubeziehen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht das Kindergeld wie beantragt zu, weil die auf den letzten Ausbildungsmonat (Juli 1997) entfallenden Einkünfte nicht einzubeziehen sind.

1. Der Kindergeldanspruch für die Monate Januar bis Juni 1997 beruht auf § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

2. Der Kindergeldanspruch ist nicht wegen der Einkünfte und Bezüge des Kindes zu versagen.

a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein über 18 Jahre altes Kind in Berufsausbildung nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12.000 DM im Kalenderjahr hat (Jahresgrenzbetrag). Dieser Betrag ermäßigt sich nach § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG für jeden Kalendermonat um ein Zwölftel, in dem die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 nicht vorliegen (Kürzungsmonate). Bei der Prüfung, ob der sich danach ergebende anteilige Jahresgrenzbetrag überschritten ist, bleiben nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG diejenigen Einkünfte und Bezüge des Kindes außer Ansatz, die auf die Kürzungsmonate entfallen.

b) Die Vorinstanz leitet die Einbeziehung des im letzten Ausbildungsmonat bezogenen Gehalts aus § 66 Abs. 2 EStG her (ebenso FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Februar 1999 2 K 346/97, EFG 1999, 563; FG Münster, Urteil vom 25. Februar 1998 7 K 5074/96 Kg, EFG 1998, 960; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Mai 1998 4 K 3050/97, EFG 1999, 33, und FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. Dezember 1998 5 K 1796/98, EFG 1999, 904; ferner Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 32 Rz. 29). Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Denn § 66 Abs. 2 EStG regelt Rechtsfolgen eines bestehenden Kindergeldanspruchs. Dem Grunde nach bestimmen sich die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruchs demgegenüber abschließend nach § 32 EStG.

c) Bei der Ermäßigung des Jahresgrenzbetrags gemäß § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG wird nicht auf eine Berechnung nach Tagen, sondern auf volle Monate abgestellt. Kürzungsmonate sind danach in jedem Falle diejenigen Monate, in denen an keinem Tage die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG vorliegen (im Streitfall August bis Dezember).

Auslegungsbedürftig ist der Satz 6 des § 32 Abs. 4 EStG jedoch für solche Monate, in denen die Voraussetzungen (z.B. Berufsausbildung) nur zeitweise vorgelegen haben. Denn die Worte "nicht vorliegen" erlauben sowohl die Auslegung "an keinem Tag vorliegen" als auch "nicht an allen Tagen vorliegen". Endet die Ausbildung beispielsweise wie im Streitfall am 8. Juli, so liegt bis zu diesem Zeitpunkt Berufsausbildung mit der Folge vor, dass der Juli nicht als Kürzungsmonat angesehen werden könnte. Andererseits haben ab dem 9. Juli die Voraussetzungen der Berufsausbildung nicht mehr vorgelegen, so dass der Juli deshalb als Kürzungsmonat in Betracht käme. Beide Auslegungen sind möglich, denn die Typisierung nach Monaten könnte sowohl an den ersten Teil als auch an den zweiten Teil des Monats anknüpfen. Der Senat gibt der Auslegung den Vorzug, wonach als Kürzungsmonat ein solcher Monat anzusehen ist, in dem die Voraussetzungen "nicht an allen Tagen" vorgelegen haben. Dies bedeutet für den Monat der Beendigung der Berufsausbildung, dass er als Kürzungsmonat anzusehen ist. Deshalb bleiben die auf ihn entfallenden Einkünfte und Bezüge unberücksichtigt.

d) Diese Auslegung ist geboten, weil sie der Entstehungsgeschichte entspricht, verfassungsrechtliche Vorgaben beachtet und unbillige Ergebnisse vermeidet.

aa) Die Entstehungsgeschichte des § 32 Abs. 4 EStG lässt nach Überzeugung des erkennenden Senats keinen rückwirkenden Verlust des Kindergeldanspruchs auf Grund von Einkünften zu, die im letzten Ausbildungsmonat nach Ausbildungsende anfallen (ebenso Hessisches FG, Urteil vom 21. September 1998 2 K 2191/98, EFG 1999, 31; Niedersächsisches FG, Urteil vom 29. September 1998 I 857/97 Ki, EFG 1999, 178). Die Bestimmung des § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG, nach dem die auf Kürzungsmonate entfallenden Einkünfte und Bezüge nicht angerechnet werden, ist der Vorschrift des § 33a Abs. 4 Satz 2 EStG vergleichbar. Letztere wurde durch Art. 7 Nr. 10 des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) als Reaktion auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. September 1980 VI R 53/79 (BFHE 131, 486, BStBl II 1981, 92) eingefügt. In diesem Urteil wurde entschieden, dass Einkünfte und Bezüge den Ausbildungsfreibetrag unabhängig davon mindern können, ob sie vor Beginn, nach Abschluss oder zwischen Ausbildungsabschnitten zugeflossen sind. Diese als ungerecht empfundene Rechtsfolge sollte vermieden und durch eine Regelung ersetzt werden, bei der eine gerechtere Anrechnung der Einkünfte und Bezüge der unterstützten Person erfolgt (BTDrucks 10/4513 S. 9 und 22). Gesetzgeberisches Ziel ist somit in § 33a Abs. 4 Satz 2 EStG wie in § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG tendenziell, die auf die Ausbildungszeit entfallenden Entlastungen durch Ausbildungsfreibeträge bzw. Kindergeld nicht durch Einkünfte und Bezüge des Kindes in Frage zu stellen, die auf Zeiten außerhalb der Ausbildung entfallen.

bb) Gegen eine Einbeziehung der im letzten Ausbildungsmonat erzielten Einkünfte sprechen auch verfassungsrechtliche Überlegungen. Bei der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs im Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I, 1250, BStBl I, 438) ging es im Wesentlichen um die Erfüllung

- des sich aus Art. 6 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebotes, bei der Besteuerung von Familien das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei zu belassen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12. Juni 1990 1 BvL 72/86, BVerfGE 82, 198, BStBl II 1990, 664) und

- des sich aus Art. 3 GG ergebenden Gebotes, eine aufgrund von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber einem Kind verminderte Leistungsfähigkeit sachgerecht zu berücksichtigen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 29. Mai 1990 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653).

Eine danach zu berücksichtigende Unterhaltssituation der Eltern liegt typischerweise während der Berufsausbildung ihres Kindes vor. Einkünfte und Bezüge aus einer Zeit nach Ausbildungsende dürfen deshalb regelmäßig nicht zum rückwirkenden Wegfall der Kindergeldberechtigung für Monate der Berufsausbildung führen, für die angesichts der gesetzlichen Typisierung von einer Unterhaltspflicht der Eltern auszugehen ist. Dies gilt umso mehr, als Fälle wie der Vorliegende nicht atypisch sind, sondern häufig vorkommen. Die Kindergeldberechtigung darf somit nicht von der Zufälligkeit abhängen, an welchem Kalendertag nach Abschluss der Ausbildung das Kind seine Berufstätigkeit aufgenommen hat (vgl. dazu Schlepp, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 12).

cc) Würden auch Einkünfte und Bezüge des Monats angerechnet, in denen das Kind von der Berufsausbildung in die Berufstätigkeit wechselt, könnte das zum rückwirkenden Wegfall des Kindergeldanspruchs bis zum Anfang des Kalenderjahres führen. Denn dann gehörte der letzte Ausbildungsmonat nicht zu den Kürzungsmonaten, mit der Folge, dass die in diesem Monat bezogenen Einkünfte nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG in voller Höhe in die Berechnung des anteiligen Kindeseinkommens eingingen. Der anteilige Jahresgrenzbetrag könnte dann allein wegen solcher Einkünfte überschritten sein, die im letzten Ausbildungsmonat nach Abschluss der Berufsausbildung angefallen sind.

3. Der Klägerin steht das Kindergeld - wie beantragt - für die Monate Januar bis Juni 1997 zu. T befand sich bis zum 8. Juli 1997 in Berufsausbildung und wurde unmittelbar darauf in ein Angestelltenverhältnis übernommen; die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG liegen mithin nicht an allen Tagen des Monats Juli vor. Der Juli gehört deshalb zu den Kürzungsmonaten i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG, so dass der anteilige Jahresgrenzbetrag 6.000 DM beträgt. Dementsprechend gehen nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG nur die auf den Jahresabschnitt Januar bis Juni 1997 entfallenden Einnahmen (nach Feststellung des FG 5.892 DM) in die Berechnung der Einkünfte ein, so dass der anteilige Jahresgrenzbetrag (6.000 DM) nicht überschritten ist.