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  BFH-Urteil vom 29.3.2000 (I R 32/99) BStBl. 2000 II S. 496

Der Zinsabschlag gemäß § 43 Abs. 1 EStG ist auch bei einem kommunalen Unternehmen vorzunehmen, dessen Gegenstand die öffentliche Abwasserentsorgung ist. Ist bei einem solchen Unternehmen die Kapitalertragsteuer und die anrechenbare Körperschaftsteuer auf Dauer höher als die gesamte festzusetzende Körperschaftsteuer, so beruht eine solche Überzahlung nicht auf der abstrakten "Art" der Geschäfte i.S. von § 44a Abs. 5 EStG, sondern auf den den kommunalen Gesellschaftern gesetzlich auferlegten Aufgaben und Bindungen, insbesondere dem Kostendeckungsprinzip.

EStG § 43 Abs. 1, § 44a Abs. 5; KStG § 49 Abs. 1; GO LSA § 116 Abs. 3; KAG LSA § 5 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: FG des Landes Sachsen-Anhalt

Sachverhalt

I.

Bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) handelt es sich um eine GmbH, deren Gesellschafter - neben einem Wirtschaftsunternehmen (C-GmbH) - mehrheitlich zwei Abwasserzweckverbände sind und deren Gegenstand das Betreiben eines Klärwerks und damit verbundene Aufgaben, insbesondere solche der öffentlichen Abwasserentsorgung, ist. Sie erzielte in 1992 Zinserträge von 642.886,10 DM und in 1993 von 759.553,62 DM.

Am 7. Oktober 1994 beantragte die Klägerin die Freistellung vom Abzug der Kapitalertragsteuer gemäß § 44a Abs. 5 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie sei sog. Dauerüberzahlerin. Da sie gesetzlich (gemäß § 116 Abs. 3 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt - GO LSA - vom 5. Oktober 1993, Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - 1993, 568) nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet, sondern - ebenso wie die an ihr beteiligten Abwasserzweckverbände (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - KAG LSA - i.d.F. vom 13. Dezember 1996, GVBl 1996, 406) - auf das Kostendeckungsprinzip beschränkt sei, habe sie ein jeweils nur ausgeglichenes Jahresergebnis.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte die Freistellung ab; die Kapitalertragsteuer und die anrechenbare Körperschaftsteuer seien bei der Klägerin nicht, wie aber nach § 44a Abs. 5 EStG erforderlich, aufgrund der "Art" ihrer Geschäfte auf Dauer höher als die gesamte festzusetzende Körperschaftsteuer. Die Gründe hierfür lägen in den Personen ihrer Gesellschafter (vgl. auch Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern, Erlass vom 4. Februar 1994 IV 310 S-2404 6/92, Die Wirtschaftsprüfung - WPg - 1994, 256; Finanzministerium Brandenburg, Erlass vom 7. Februar 1994 34 S-2405 3/94, Finanz-Rundschau - FR - 1994, 207).

Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) folgte dem FA. Die erwähnten gesetzlichen Vorgaben, insbesondere das danach angeordnete Kostendeckungsprinzip, setzten zwar die Ursache für die Überbesteuerung der Klägerin. Die "Art der Geschäfte" i.S. von § 44a Abs. 5 EStG beurteile sich indes nicht hiernach, sondern nach dem abstrakten Charakter der ausgeübten Tätigkeit. Das Prinzip der Kostendeckung sei insoweit aber kein in der Geschäftsstruktur der Klägerin - das Betreiben eines Klärwerks - liegender, sondern ein von außen einwirkender Umstand. Dieses Prinzip finde auf die Klägerin nur deshalb Anwendung, weil zwei ihrer Gesellschafter Abwasserzweckverbände seien.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 44a Abs. 5 EStG.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Freistellung gemäß § 44a Abs. 5 EStG zu erteilen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Gemäß § 44a Abs. 5 EStG (im Streitfall i.V.m. § 49 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG -) ist bei Kapitalerträgen i.S. des § 43 Abs. 1 Nrn. 7 und 8 EStG der Steuerabzug nicht vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragsteuer und die anrechenbare Körperschaftsteuer bei ihm "auf Grund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher" wären als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer, so dass sich eine Überbesteuerungssituation ergibt. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 44a Abs. 5 EStG und nach der Gesetzeskonzeption soll hiernach allerdings nur bei solchen Gläubigern vom Zinsabschlag Abstand genommen werden, bei denen diese Überbesteuerung auf der Geschäftsstruktur beruht (vgl. die Gesetzesbegründung, BTDrucks 12/2501, S. 20). Zu solchen Dauerüberzahlern gehören in erster Linie Lebensversicherungsunternehmen und Verwertungsgesellschaften im Sinne des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die einerseits über große Wertpapierbestände verfügen, die andererseits aufgrund der Art ihrer Geschäfte aber ihre Kapitalerträge größtenteils an ihre Kunden weitergeben (BTDrucks 12/2501, S. 20). Das Tatbestandsmerkmal "aufgrund der Art seiner Geschäfte" ist in Einklang hiermit also nur dann als erfüllt anzusehen, wenn die Überbesteuerungssituation der ausgeübten Geschäftstätigkeit wesensimmanent ist, so dass ein wirtschaftlich besseres Ergebnis zwangsläufig nicht erzielt werden kann.

2. So verhält es sich bei der Klägerin nicht.

a) Allerdings ist diese nach den vom FG getroffenen Feststellungen Dauerüberzahlerin. Dies beruht auf ihrem Unternehmensgegenstand und der diesem zugrunde liegenden kommunal- und abwasserrechtlichen Gesetzeslage:

Unternehmensgegenstand der Klägerin - und damit die von ihr ausgeübten "Geschäfte" - sind der Betrieb des Klärwerks und die Wahrnehmung der öffentlichen Abwasserbeseitigung. Als Aufgabe der Daseinsvorsorge ist die Abwasserbeseitigung grundsätzlich eine Pflichtaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung (vgl. § 151 Abs. 1 des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt - WG LSA - vom 21. April 1998, GVBl 1998, 186 i.V.m. §§ 2 und 4 GO LSA). Deren Durchführung kann zwar nach Maßgabe der einschränkenden Voraussetzungen in §§ 116 ff. GO LSA durch einen Eigenbetrieb in privat-rechtlicher Form vorgenommen werden (vgl. Oberverwaltungsgericht - OVG - für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. Dezember 1994 9 A 2251/93, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1995, 1238, zu der Parallelregelung in § 89 Abs. 2 Satz 2 der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein- Westfalen a.F. vom 13. August 1984, GVBl 1984, 475; Czychowski, Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 18a Rz. 14, 16). Die Klägerin fungiert folglich als Verwaltungshelfer oder Erfüllungsgehilfe und erbringt (ausgelagerte) Dienstleistungen, die an sich ihren mehrheitlich beteiligten Gesellschaften - den Gemeinden in Gestalt der beiden Zweckverbände (vgl. §§ 1 ff. des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit des Landes Sachsen- Anhalt - GKG LSA - vom 26. Februar 1998, GVBl 1998, 81) - obliegen (vgl. auch Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 28. Februar 1991 III ZR 49/90, NVwZ 1991, 606 ff.; Oberlandesgericht - OLG - Köln, Urteil vom 24. Februar 1997 17 W 474/96, NVwZ-Rechtsprechungs - Report - NVwZ-RR - 1998, 469 f.; OVG Nordrhein-Westfalen in NVwZ 1995, 1238); die (Minderheits-)Beteiligung der C-GmbH ändert daran nichts (vgl. auch § 6 Abs. 2 GKG LSA).

Die einschlägigen gesetzlichen Regelungen in § 116 Abs. 3 (hier: Satz 1 Nr. 1) GO LSA stellen indes sicher, dass es sich bei der Klägerin gleichwohl nicht um ein wirtschaftliches Unternehmen, sondern nach wie vor um eine Körperschaft handelt, die hoheitliche Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnimmt (BGH in NVwZ 1991, 606 ff.; OLG Köln in NVwZ-RR 1998, 469 f.; OVG Nordrhein-Westfalen in NVwZ 1995, 1238; Czychowski, a.a.O., § 18a Rz. 24). Es gilt dementsprechend nicht das sog. Ertrags-, sondern das sog. Kostendeckungsprinzip; danach richtet sich auch die Bemessung der gegenüber den sog. Einleitern festzusetzenden Benutzungsgebühren (§ 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 KAG LSA; vgl. auch OVG Nordrhein- Westfalen in NVwZ 1995, 1238; BGH-Urteil vom 10. Oktober 1991 III ZR 100/90, BGHZ 115, 311 ff., 317 f. zu § 6 Abs. 2 Satz 1 des KAG des Landes Schleswig-Holstein vom 17. März 1978, GVBl 1978, 71). Das schließt zwar nicht aus, dass der Betrieb dennoch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen ist (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 2 GO LSA); neben dem Ersatz der unternehmensspezifischen Kosten können deswegen auch Kostenpositionen des allgemeinen Unternehmenswagnisses (kalkulatorischen Gewinns) angesetzt werden (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA; OVG Nordrhein-Westfalen in NVwZ 1995, 1238). Der Klägerin ist es jedoch versagt, einen angemessenen Gewinnaufschlag zu verlangen, selbst in Höhe einer bloßen Eigenkapitalverzinsung (OVG Nordrhein-Westfalen, in NVwZ 1995, 1238). Insofern ist ihre Situation - darin ist ihr recht zu geben - bei Ausübung ihres satzungsmäßigen Unternehmenszwecks aufgrund der kommunal- und wasserrechtlichen Vorgaben von vornherein eine andere als bei einem "normalen" Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Ein gedachter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter, an dessen Verhalten sich im Grundsatz auch die Klägerin messen lassen muss, würde unter den gegebenen Umständen ebenfalls auf einen solchen Gewinnaufschlag verzichten. Folglich lässt sich auch nicht annehmen, dass ein solcher Verzicht aus gesellschaftsrechtlicher Veranlassung erfolgt wäre und dass deswegen im Umfang der dadurch bedingten verhinderten Vermögensmehrungen verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) vorlägen.

b) Trotzdem ist das Tatbestandsmerkmal "aufgrund der Art seiner Geschäfte" in § 44a Abs. 5 EStG nicht erfüllt. Denn daran fehlt es nicht nur, wenn die Überzahlung auf der jeweiligen Marktsituation beruht, also beispielsweise auf einer vorübergehenden Gewinnlosigkeit und daraus folgenden steuerlichen Verlustvorträgen (vgl. das Senatsurteil vom 20. Dezember 1995 I R 118/94, BFHE 179, 396, BStBl II 1996, 199, m.w.N.). Daran fehlt es vielmehr auch dann, wenn die Überbesteuerungssituation auf individualrechtliche Gestaltungen und Gegebenheiten zurückzuführen ist, beispielsweise bei Gewinnlosigkeit oder Gewinnabführungsverträgen (Senatsurteile vom 9. November 1994 I R 5/94, BFHE 176, 248, BStBl II 1995, 255; in BFHE 179, 396, BStBl II 1996, 199), desgleichen bei der Verwaltung öffentlich geförderter Wohnungen, die der Mietpreisbindung unterliegen (Senatsurteil vom 8. April 1997 I R 74/96, BFH/NV 1997, 747), oder auch bei satzungsrechtlich vorbehaltenen Rückvergütungen des Geschäftsüberschusses einer gemäß § 1 Abs. 1 des Genossenschaftsgesetzes nicht auf Gewinnerzielung gerichteten Genossenschaft an ihre Mitglieder (Senatsurteil vom 10. Juli 1996 I R 84/95, BFHE 181, 152, BStBl II 1997, 38).

Entgegen der Annahme der Klägerin ist der Betrieb des Klärwerks und der Vornahme der Abwasserbeseitigung durch einen kommunalen Eigenbetrieb damit durchaus vergleichbar. Ergibt sich hierbei ein Überschuss des Zinsabschlags über die festgesetzte Körperschaftsteuer, so mag dies in der Zusammensetzung der Gesellschafter und der diesen gesetzlich auferlegten Aufgaben und Bindungen begründet sein. Den "Geschäften" der Klägerin als solche, also deren abstrakter "Art", ist dies hingegen, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, keineswegs wesensimmanent. Sichtbar wird dies nicht zuletzt daran, dass anstelle der Gemeinden (bzw. von diesen gebildeter Zweckverbände) durchaus auch Dritte als sog. Abwasserproduzenten (Grundstückseigentümer, gewerbliche Betreiber, Nutzungsberechtigte, vgl. § 151 Abs. 4, 5 und 6 WG LSA; Czychowski, a.a.O., § 18a Rz. 21) in entsprechender Weise mit den Aufgaben der Abwasserbeseitigung verpflichtet werden können. In einem solchen Fall könnte die Klägerin ihren "Geschäften" aber ohne weiteres mit Gewinnerzielungsabsicht nachkommen. Das Kostendeckungsprinzip gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 KAG LSA stünde dem nicht entgegen, ebenso wenig bestünde Veranlassung oder eine gesetzliche Verpflichtung, etwaige Kapitalerträge an die sog. Einleiter weiterzugeben. Die Überbesteuerungssituation eines Klärwerkbetreibers ist sonach nicht strukturell bedingt. Ob es sich, wie die Klägerin unter Hinweis auf den Erlass des Finanzministeriums Brandenburg vom 25. November 1993 (FR 1994, 29) meint, bei Energieversorgungsunternehmen ähnlich oder aber anders verhält, bedarf in diesem Zusammenhang keiner Beantwortung.