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  BFH-Urteil vom 16.3.2000 (III R 19/99) BStBl. 2000 II S. 520

1. Die Anordnung einer förmlichen Zustellung nach § 122 Abs. 5 AO 1977 stellt mangels eigenen Regelungsinhalts keinen Verwaltungsakt dar.

2. Die Finanzbehörde ist daher nicht verpflichtet, die tragenden Erwägungen ihrer Ermessensentscheidung über die Art der Zustellung schriftlich in besonderer Form in den Steuerakten niederzulegen. Es genügt insoweit, dass ihr Wille, den betreffenden Verwaltungsakt durch förmliche Zustellung zu übermitteln, in anderer Weise aus dem Akteninhalt deutlich wird.

3. Es liegt eine zwingende Verletzung der Vorschriften über die förmliche Zustellung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG vor, wenn die zuzustellende Sendung nicht mit einer ausreichenden, den Inhalt der Sendung einwandfrei identifizierenden Geschäftsnummer versehen ist. Es genügt insoweit nicht, wenn die Postzustellungsurkunde und oder die Sendung als "Geschäftsnummer" lediglich die Steuernummer ausweist.

AO 1977 § 121 Abs. 1, § 122 Abs. 5, § 124 Abs. 1 Satz 1, § 157, § 162; VwZG § 3 Abs. 1 Satz 2 Abs. 3, § 9 Abs. 1; ZPO § 195 Abs. 2; FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2, § 143 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb in den Kalenderjahren 1993 und 1994 (Streitjahre) einen Lebensmittelhandel in X. Daneben erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen schätzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) und erließ am 23. bzw. 25. August 1995 entsprechende Bescheide über Einkommensteuer 1993 und 1994 sowie Umsatzsteuer 1994.

Der Einkommensteuerbescheid für 1993 vom 23. August 1995 sowie der Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom gleichen Tage wurden dem Kläger - offenbar - zusammen in einer Sendung mittels Postzustellungsurkunde zugestellt. Diese weist unter der Gliederungsnummer "1.1 Geschäftsnummer" die um die dreistellige Kennnummer des veranlagenden FA ergänzte Steuernummer des Klägers aus. Neben dem Anschriftenfeld befindet sich ein handschriftlicher Vermerk "ESt 93, USt 94". Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde die Sendung am 25. August 1995 durch Niederlegung zugestellt.

Der Einkommensteuerbescheid 1994 wurde dem Kläger - in einer eigenen Sendung - ausweislich der Postzustellungsurkunde ebenfalls am 25. August 1995 durch Niederlegung zugestellt. Auch hier ist auf der Postzustellungsurkunde die Steuernummer des Klägers eingetragen und neben dem Anschriftenfeld das Kürzel "ESt 94" vermerkt.

Eine schriftlich formulierte Anordnung der Bekanntgabe der streitgegenständlichen Bescheide durch Zustellung gemäß § 122 Abs. 5 Satz 1, 2. Alternative AO 1977 ist in den dem Senat vorgelegten Steuerakten nicht enthalten.

Mit Schreiben vom 25. September 1995 legte der steuerliche Berater des Klägers gegen die streitgegenständlichen Bescheide Einspruch ein. Das Schreiben ist mit dem Eingangsstempel des FA vom 28. September 1995 versehen. Das FA forderte den Kläger im Einspruchsverfahren zunächst zum Nachreichen der Steuererklärungen auf, verwarf den Einspruch dann jedoch wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, die angefochtenen Steuerbescheide seien wegen verfahrensrechtlicher Verstöße gegen die Bekanntgabevorschrift des § 122 Abs. 5 AO 1977 rechtswidrig; sie seien deshalb bislang nicht gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wirksam bekannt gegeben. Die vom FA für die Bekanntgabe gewählte förmliche Zustellung sei außer in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen gemäß § 122 Abs. 5 AO 1977 nur zulässig, wenn sie behördlich angeordnet sei. An einer solchen Anordnung fehle es im Streitfall. Aus den Steuerakten lasse sich keinerlei Willensbildung über die vorzunehmende förmliche Postzustellung erkennen. Eine schriftliche Dokumentation dieser Willensbildung sei jedoch erforderlich, wobei ein im Verfügungsteil des Bescheides angebrachter handschriftlicher Vermerk "mit PZU" oder "PZU" die knappste, noch nachvollziehbare aber auch ausreichende Art der Willensdokumentation durch die Behörde darstelle. Es reiche hingegen nicht aus, dass ein Behördenbediensteter das Formular der Postzustellungsurkunde in den Adressfeldern tatsächlich beschrifte; denn insoweit bleibe offen, ob die Benutzung der Urkunde durch eine behördliche Anordnung gedeckt sei. Da das FA den Einspruch des Klägers als unzulässig verworfen habe, sei dieser Bekanntgabemangel auch nicht durch die Einspruchsentscheidung geheilt. Offen bleiben könne, ob die Angaben im Anschriftenfeld der Postzustellungsurkunde den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen genügten.

Mit seiner - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen - Revision rügt das FA die fehlerhafte Auslegung des § 122 Abs. 5 AO 1977. Das Erfordernis einer schriftlichen Willensdokumentation hinsichtlich der Anordnung der Zustellung lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Durch das Ausfüllen des Adressfeldes der Zustellungsurkunde bringe die Finanzbehörde hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sie eine Postzustellung für geboten halte. Durch den vom FG geforderten zusätzlichen schriftlichen Vermerk "mit PZU" werde kein höherer Grad an Deutlichkeit hinsichtlich der Ermessensausübung durch das FA erreicht. Zudem hätte der Gesetzgeber, wenn er eine schriftliche Dokumentation der Willensbildung bei der Anordnung der Bekanntgabe durch Postzustellung für erforderlich gehalten hätte, dies in § 122 Abs. 5 AO 1977 ausdrücklich - ähnlich wie in § 157 AO 1977 - zum Ausdruck bringen müssen. Einer Begründung der Anordnung habe es ferner schon deshalb nicht bedurft, weil der Kläger damit habe rechnen müssen, dass das FA wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen sowohl hinsichtlich der Art der Steuerfestsetzung als auch hinsichtlich der Form der Bekanntgabe ein anderes Verfahren als im Normalfall wählen würde.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Ein Steuerverwaltungsakt wird gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Für die Bekanntgabe schriftlicher Verwaltungsakte eröffnet § 122 AO 1977 unterschiedliche Übermittlungsmöglichkeiten; die Finanzbehörde entscheidet im Einzelfall im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens, welche Art der Übermittlung sie nach den Umständen des Einzelfalles für sachgerecht hält. Die förmliche Zustellung eines schriftlichen Steuerverwaltungsaktes hat nach § 122 Abs. 5 AO 1977 in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen zu erfolgen; daneben steht es im Ermessen der Finanzbehörde, die förmliche Zustellung auch in anderen Fällen - etwa, wie im Streitfall, bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen - behördlich anzuordnen.

2. Ermessensentscheidungen sind (unter den Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 AO 1977) zu begründen, wenn sie den Gegenstand eines schriftlichen Verwaltungsaktes bilden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 121 AO 1977 Tz. 11). Die Wahl der Zustellungsart - hier die Anordnung einer förmlichen Zustellung nach § 122 Abs. 5 AO 1977 - ist zwar eine Ermessensentscheidung; sie stellt mangels eigenen Regelungsinhalts indes keinen Verwaltungsakt dar (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. November 1990 III B 300/90, BFH/NV 1991, 335; Tipke/Kruse, a.a.O., § 2 VwZG Tz. 2). Als verwaltungsinterne verfahrensrechtliche Entscheidung bedarf die Anordnung nach § 122 Abs. 5 AO 1977 daher keiner ausdrücklichen schriftlichen Begründung (vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl., § 41 Rdnr. 25).

Dementsprechend war das FA auch nicht verpflichtet, die tragenden Erwägungen seiner Entscheidung schriftlich in besonderer Form in den Steuerakten niederzulegen. Es genügt insoweit, dass der Wille des FA, die streitgegenständlichen Bescheide durch förmliche Zustellung zu übermitteln, in anderer Weise aus dem Akteninhalt deutlich wird. Dieses Erfordernis ist im Streitfall erfüllt. Denn mit dem Ausfüllen der Postzustellungsurkunde durch den zuständigen Sachbearbeiter wird in Zusammenschau mit dem übrigen Akteninhalt - im Streitfall der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen - ausreichend dokumentiert, dass sich der Bekanntgabewille des FA auch auf die besondere Art der Bekanntgabe erstreckt.

3. Die streitgegenständlichen Bescheide sind gleichwohl nicht schon durch die Niederlegung am 25. August 1995 wirksam bekannt gegeben worden, da sie unter Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zugestellt worden sind.

Die Regelungen des VwZG über die förmliche Zustellung zeichnen sich insgesamt durch Formstrenge aus, weil anders der vom Gesetz beabsichtigte Zweck, eine rasche und mühelose Feststellung darüber zu ermöglichen, ob eine Zustellung wirksam ist, nicht verwirklicht werden kann (BFH-Urteil vom 12. Januar 1990 VI R 137/86, BFHE 160, 103, BStBl II 1990, 602, m.w.N.). Danach liegt eine zwingende Verletzung des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG vor, wenn die zuzustellende Sendung (hier: der die streitgegenständlichen Bescheide enthaltende verschlossene Umschlag) nicht mit einer ausreichenden, den Inhalt der Sendung einwandfrei identifizierenden Geschäftsnummer versehen ist. Denn eine Postzustellungsurkunde bezeugt nicht die Übergabe des - in einem verschlossenen Umschlag beförderten - Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer mit einer Geschäftsnummer bezeichneten Sendung (§ 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. § 195 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -). Dabei stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung und in der Postzustellungsurkunde die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her. Insoweit genügt es für eine wirksame Zustellung nach § 3 VwZG nicht, wenn die Postzustellungsurkunde und/oder die Sendung (d.h. der Briefumschlag) als Geschäftsnummer lediglich die Steuernummer ausweisen (BFH-Urteil in BFHE 160, 103, BStBl II 1990, 602, m.w.N.; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 6. Aufl., § 122 Anm. 7).

Diesen strengen Anforderungen hat das FA bei der Zustellung der angefochtenen Bescheide nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Der Einkommensteuerbescheid für 1993 vom 23. August 1995 sowie der Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom selben Tag wurden zusammen in einer Sendung mittels Postzustellungsurkunde zugestellt. Die Postzustellungsurkunde weist unter der Gliederungsnummer "1.1 Geschäftsnummer" lediglich die um die dreistellige Kennnummer des veranlagenden FA ergänzte Steuernummer des Klägers aus. Unter der Gliederungsnummer "1.2 Ggf. weitere Kennz." sind keine Eintragungen vorgenommen. Neben dem für die Aufnahme der Empfängeranschrift vorgesehenen Adressfeld befindet sich - ohne direkten räumlichen und inhaltlichen Bezug zu einer Gliederungsnummer - ein handschriftlicher Vermerk "ESt 93, USt 94". Auch auf der Postzustellungsurkunde, die die Zustellung der den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 25. August 1995 enthaltenden Sendung bezeugen soll, ist unter der Gliederungsnummer 1.1 lediglich die um die Kennnummer des veranlagenden FA ergänzte Steuernummer des Klägers eingetragen, die Gliederungsnummer 1.2 weist keine Eintragung auf. Auch hier ist in räumlicher Nähe zu dem den Empfänger ausweisenden Anschriftenfeld ohne Beziehung zu einer Gliederungsnummer das Kürzel "ESt 94" vermerkt.

Aufgrund dieser Angaben auf den Postzustellungsurkunden lässt sich eine urkundliche Beziehung zwischen den Postzustellungsurkunden und den zuzustellenden Schriftstücken nicht herstellen. Denn die Angabe der Steuernummer als Geschäftsnummer unter der Gliederungsnummer 1.1 der Postzustellungsurkunde reicht für eine Identifizierung der zugestellten Sendung nicht aus (BFH-Urteil in BFHE 160, 103, BStBl II 1990, 602, m.w.N.). Hinzu kommt, dass sich der Inhalt der Sendung bei verständiger Würdigung aller Einzelfallumstände auch nicht anhand weiterer Vermerke auf der Postzustellungsurkunde oder in den Steuerakten identifizieren lässt. Dies folgt insbesondere daraus, dass auf den Postzustellungsurkunden unter der Gliederungsnummer "1.2 Ggf. weitere Kennz." eine weitere Konkretisierung des Inhalts der Sendung nicht vorgenommen worden ist.

Es genügt insoweit auch nicht, dass auf den Postzustellungsurkunden die Vermerke "ESt 93", "ESt 94", "USt 94" angebracht wurden. Denn zum einen stehen diese Vermerke nicht in einer hinreichend nahen räumlichen Beziehung zu der die Sendung identifizierenden Geschäftsnummer, zum anderen ließe sich aus den Kurzbezeichnungen "ESt" und "USt" auch dann keine hinreichende Konkretisierung eines Bescheides entnehmen, wenn eine derartige räumliche oder inhaltliche Beziehung zur verwendeten Geschäftsnummer unterstellt würde. Denn die verwendeten Kürzel bezeichnen lediglich die Begriffe "Einkommensteuer" bzw. "Umsatzsteuer". Ein Rückschluss dahingehend, dass diese Kürzel die streitgegenständlichen Bescheide - hier also die Bescheide vom 23. bzw. 25. August 1995 über die erstmalige Veranlagung für Einkommensteuer betreffend die Veranlagungszeiträume 1993 und 1994 bzw. die erstmalige Festsetzung der Umsatzsteuer für den Veranlagungszeitraum 1994 - bezeichnen, ist nicht zulässig. Ebenso gut könnte es sich um Änderungsbescheide, um Vorauszahlungsbescheide oder andere Verwaltungsakte betreffend die Einkommensteuer bzw. die Umsatzsteuer der betreffenden Jahre handeln.

4. Die förmliche Zustellung der angefochtenen Bescheide vom 23. und 25. August 1995 war daher mit einem Formmangel behaftet. Verstößt aber die Zustellung gegen die zwingende Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG, ist sie unwirksam (Tipke/Kruse, a.a.O., § 9 VwZG Tz. 1).

Die Unwirksamkeit einer Zustellung wirkt sich dann jedoch nicht auf die Bekanntgabe des Steuerverwaltungsaktes aus, wenn und sobald der Empfangsberechtigte ihn nachweislich erhalten hat (§ 9 Abs. 1 VwZG; s. auch BFH-Urteil vom 25. Oktober 1995 I R 16/95, BFHE 179, 202, BStBl II 1996, 301, Abschn. II Nr. 7 sowie Tipke/Kruse, a.a.O., § 9 VwZG Tz. 1). Im Streitfall hat daher nicht die fehlgeschlagene förmliche Zustellung, sondern erst der - unstreitig später erfolgte - tatsächliche Zugang der streitgegenständlichen Bescheide beim Kläger die Einspruchsfrist in Lauf gesetzt. Dieser Zeitpunkt ist bislang nicht festgestellt. Bleibt er trotz des Nachweises des tatsächlichen Zugangs beim Kläger ungewiss, geht dies zu Lasten des FA (Tipke/Kruse, a.a.O., § 9 VwZG Tz. 1, m.w.N.).

5. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie geht nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an die Vorinstanz zurück, da das FG von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt ausgehend keine Feststellungen zum Zeitpunkt der tatsächlichen Bekanntgabe der streitgegenständlichen Bescheide getroffen hat.