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  BFH-Urteil vom 7.9.2000 (III R 71/97) BStBl. 2001 II S. 41

Der Notfallkoffer eines Arztes und darin enthaltene Geräte, wie Sauerstoffflasche, Beatmungsbeutel, Absauggerät, sind als geringwertige Wirtschaftsgüter i.S. des § 6 Abs. 2 EStG gemäß § 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1993 von der Investitionszulagenförderung ausgenommen, wenn die Anschaffungskosten der Einzelteile 800 DM nicht übersteigen.

InvZulG 1993 § 1, § 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 3; EStG § 6 Abs. 2 Sätze 1 bis 3, § 18.

Vorinstanz: Thüringer FG (EFG 1998, 778)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielt als Kinderärztin Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Im Kalenderjahr 1995 (Streitjahr) erwarb sie einen sog. Notfallkoffer, der im Rahmen ihrer selbständigen Tätigkeit, insbesondere bei der ärztlichen Notversorgung von Patienten anlässlich von Hausbesuchen, Verwendung findet. Der Notfallkoffer, ein schwarzer Kunststoffkoffer mit den Ausmaßen 50 x 40 x 12 cm, beinhaltet eine Sauerstoffflasche, Beatmungsbeutel, ein Absauggerät, Katheter sowie weitere, bei der ärztlichen Erstversorgung zu verwendende Materialien. Die Anschaffungskosten des von Seiten des Herstellers mit Inhalt gelieferten Notfallkoffers betrugen 1.421 DM zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer.

Für die Anschaffung des Notfallkoffers beantragte die Klägerin eine Investitionszulage nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1993. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte die Gewährung einer Investitionszulage mit der Begründung ab, die Anschaffung sei nicht begünstigt, da es sich bei dem Koffer selbst sowie den dazugehörigen Instrumenten um geringwertige Wirtschaftsgüter handele. Den hiergegen gerichteten Einspruch der Klägerin wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 1997 als unbegründet zurück.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 778 veröffentlichten Urteil die Ansicht, der von der Klägerin angeschaffte Notfallkoffer sowie die dazugehörigen Instrumente stellten geringwertige Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG dar, da es sich hierbei lediglich um eine zusammengefügte Ansammlung von einzelnen Wirtschaftsgütern handele, deren Einzelanschaffungspreis 800 DM nicht übersteige. Trotz ihrer Zusammenfügung im sog. "Arztkoffer" bleibe jeder Gegenstand einer selbstständigen Nutzung zugänglich.

Mit der Revision rügt die Klägerin die fehlerhafte Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG. Entgegen der Auffassung des FG handele es sich bei dem Notfallkoffer um ein einziges Wirtschaftsgut und nicht um eine Vielzahl von geringwertigen Wirtschaftsgütern. Die Bestandteile eines Notfallkoffers seien bei Ärzten aller Fachrichtungen identisch. Das im Koffer enthaltene Instrumentarium sei in Form und Gestaltung auf die geringen Abmessungen des Notfallkoffers zugeschnitten. Die einzelnen Gegenstände des darin enthaltenen Instrumentariums seien nicht selbstständig nutzungsfähig, weil die einzelnen Wirtschaftsgüter zur Erreichung eines bestimmten Zwecks - hier der Notversorgung von Patienten anlässlich von Hausbesuchen - im Zusammenhang eingesetzt würden und damit in ihrer Gesamtheit ein einheitliches Ganzes bildeten. Auch in der allgemeinen Verkehrsauffassung werde ein Notfallkoffer, der aus verschiedenen Ausstattungsteilen bestehe, als einheitliches Wirtschaftsgut angesehen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Investitionszulage für das Streitjahr auf 81,71 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, das Verfahren bis zur Entscheidung über den unter dem Az. III R 63/96 bei dem Senat anhängigen Rechtsstreit ruhen zu lassen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin im Streitfall eine Investitionszulage für die Anschaffung des Notfallkoffers nicht zu gewähren ist.

1. Nach § 1 InvZulG 1993 wird Steuerpflichtigen im Sinne des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes, die im Fördergebiet begünstigte Investitionen vornehmen, auf Antrag eine Investitionszulage gewährt. Begünstigte Investitionen sind nach § 2 Satz 1 InvZulG 1993 die Anschaffung und Herstellung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung zum Anlagevermögen eines Betriebs oder einer Betriebsstätte im Fördergebiet gehören, in einer solchen Betriebsstätte verbleiben und in jedem Jahr zu nicht mehr als 10 v.H. privat genutzt werden.

Eine Investitionszulage wird jedoch nicht gewährt für die Anschaffung oder Herstellung geringwertiger Wirtschaftsgüter i.S. des § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG (§ 2 Satz 2 Nr. 1 InvZulG 1993). Der im Investitionszulagenrecht verwendete Begriff des geringwertigen Wirtschaftsguts ist gleichbedeutend mit dem einkommensteuerrechtlichen Rechtsbegriff (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Juli 1998 III R 110/95, BFHE 186, 572, BStBl II 1998, 789, m.w.N.). Demnach zählen zu den geringwertigen Wirtschaftsgütern diejenigen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die einer selbstständigen Nutzung fähig sind, sofern die Anschaffungs- oder Herstellungskosten - vermindert um einen darin enthaltenen Vorsteuerbetrag - 800 DM nicht übersteigen (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ein Wirtschaftsgut ist einer selbstständigen Nutzung nicht fähig, wenn es nach seiner betrieblichen Zweckbestimmung nur zusammen mit anderen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens genutzt werden kann und die in den Nutzungszusammenhang eingefügten Wirtschaftsgüter technisch aufeinander abgestimmt sind. Dies gilt auch, wenn das Wirtschaftsgut aus dem betrieblichen Zusammenhang gelöst und in einen anderen betrieblichen Nutzungszusammenhang eingefügt werden kann (§ 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG).

Die Frage, ob ein Wirtschaftsgut nur zusammen mit anderen Wirtschaftsgütern nutzbar ist oder für sich allein, beurteilt sich nach der konkreten Zweckbestimmung im Betrieb des Steuerpflichtigen. Eine Einbindung des Wirtschaftsguts in einen betrieblichen Nutzungszusammenhang ist anzunehmen, wenn die in dem Nutzungszusammenhang stehenden Wirtschaftsgüter nach außen als einheitliches Ganzes in Erscheinung treten. Eine Verbindung, die die selbständige Nutzbarkeit ausschließt, ist im Allgemeinen immer schon dann anzunehmen, wenn Wirtschaftsgüter über die einheitliche Zweckbestimmung durch den Steuerpflichtigen in seinem Betrieb hinaus durch eine technische Verbindung in der Weise verflochten sind, dass durch die Abtrennung eines der Teile seine Nutzbarkeit im Betrieb verloren geht (BFH-Urteil in BFHE 186, 572, BStBl II 1998, 789, m.w.N.).

In einen betrieblichen Nutzungszusammenhang eingefügte Wirtschaftsgüter sind dann als technisch aufeinander abgestimmt anzusehen, wenn zusätzlich zu einem wirtschaftlichen (betrieblichen) Zusammenhang ihre naturwissenschaftlichen oder technischen Eigenschaften auf einen gemeinsamen Einsatz angelegt sind. Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn einem Gegenstand ohne einen anderen bzw. ohne andere Gegenstände schon aus rein technischen Gründen allein keine Nutzbarkeit zukommt (BFH-Urteil in BFHE 186, 572, BStBl II 1998, 789, m.w.N.). Demgegenüber genügt eine bloße Abgestimmtheit aufgrund bestimmter, branchentypischer Fertigungsnormen für eine technische Abgestimmtheit i.S. des § 6 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht.

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG den von der Klägerin angeschafften Notfallkoffer sowie die darin befindlichen Wirtschaftsgüter zu Recht als nicht investitionszulagenbegünstigt beurteilt. Der Koffer sowie sein Inhalt stellen geringwertige und damit nicht förderungsfähige Wirtschaftsgüter dar, soweit es sich nicht ohnehin um Verbrauchsmaterial wie Binden usw., somit nicht um Anlagevermögen, handelt.

Denn im Streitfall fehlt es an einer technischen Abgestimmtheit der einzelnen, den gesamten Notfallkoffer bildenden Wirtschaftsgüter in dem Sinne, dass das Herausnehmen eines Gegenstandes - etwa einer Sauerstoffflasche - aus technischen Gründen ausgeschlossen wäre. Zwar sind die einzelnen Wirtschaftsgüter in ihrer Zusammenstellung möglicherweise speziell darauf ausgerichtet, bei Hausbesuchen im Notfall die ärztliche Tätigkeit zu unterstützen; gleichwohl kann jedes der enthaltenen Wirtschaftsgüter separat genutzt, einzeln ersetzt und auch entfernt werden, ohne dass man dem entfernten Wirtschaftsgut bzw. den verbleibenden Wirtschaftsgütern die weitere Nutzbarkeit absprechen könnte. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass bei Hausbesuchen im Notfall nach der Lebenserfahrung nicht alle den Notfallkoffer bildenden Wirtschaftsgüter gleichzeitig und zusammen genutzt werden, sondern nur einzelne, für die individuelle Behandlung erforderliche Geräte eingesetzt werden müssen.

Auch der Einwand der Klägerin, die einzelnen Wirtschaftsgüter seien in Form und Gestaltung auf die geringen Abmessungen des Notfallkoffers zugeschnitten, führt nicht zu einer anderen Beurteilung, da eine größen- oder formbedingte Normierung der Gegenstände für eine technische Abgestimmtheit i.S. des § 6 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht ausreicht.