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  BFH-Urteil vom 9.11.2000 (IV R 60/99) BStBl. 2001 II S. 101

Wird nach der unentgeltlichen Übertragung eines (forstwirtschaftlichen) Teilbetriebs der (landwirtschaftliche) Restbetrieb aufgegeben, so steht dem Land- und Forstwirt hierfür der volle Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG a.F. zu.

EStG a.F. § 14, § 16 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1999, 1122)

Sachverhalt

Der im Streitjahr (1994) 68 Jahre alte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterhielt einen verpachteten landwirtschaftlichen und einen selbstbewirtschafteten forstwirtschaftlichen (Teil-)Betrieb. Mit notariell beurkundetem Übergabevertrag vom 20. Oktober 1994 übertrug der Kläger seiner Tochter zum 1. Oktober 1994 den forstwirtschaftlichen Betrieb unentgeltlich und erklärte mit Schreiben vom 9. November 1994 dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -FA-) gegenüber, seinen landwirtschaftlichen Betrieb zum 1. Dezember 1994 aufzugeben. Auf dieses Schreiben verwies der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung 1994 vom Juni 1995.

Nach einer im Mai 1996 durchgeführten Außenprüfung vertrat das FA dem Prüfer folgend die Auffassung, der Kläger habe nur einen (landwirtschaftlichen) Teilbetrieb aufgegeben. Dementsprechend berechnete es neben dem Aufgabegewinn "Landwirtschaft" in Höhe von 230.497 DM auch einen fiktiven Aufgabegewinn "Forstwirtschaft" mit 92.727 DM und ermittelte daraus einen verhältnismäßigen Freibetrag nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 69.013 DM, so dass neben dem laufenden Gewinn von 1.030 DM ein steuerpflichtiger Aufgabegewinn von 161.484 DM verblieb.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der Begründung statt, nach Übertragung des Teilbetriebs Forstwirtschaft habe der Kläger seinen Restbetrieb Landwirtschaft als ganzen Betrieb aufgegeben und damit den vollen Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG in Anspruch nehmen können. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1122 veröffentlicht.

Mit seiner dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 17. April 1980 IV R 99/78 (BFHE 131, 38, BStBl II 1980, 642) trägt das FA vor, Sinn und Zweck des § 16 Abs. 4 EStG sei es, den Freibetrag nur dann in voller Höhe zu gewähren, wenn die stillen Reserven aller Teilbetriebe in einem Zug realisiert würden. Daran fehle es bei der gleichzeitigen unentgeltlichen Übertragung eines Teilbetriebs, so dass für den Restbetrieb nur der anteilige Freibetrag in Betracht komme.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Zu Unrecht hat das FA dem Kläger für die Aufgabe seines landwirtschaftlichen Betriebs nur den anteiligen Freibetrag nach § 14 i.V.m. § 16 Abs. 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes 1994 (EStG a.F.) gewährt.

1. Nach § 14 i.V.m. § 16 Abs. 4 EStG a.F. wird ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er bei der Veräußerung des ganzen Betriebs eines Steuerpflichtigen, der das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist, 120.000 DM und bei der Veräußerung eines Teilbetriebs den entsprechenden Teil von 120.000 DM übersteigt. Dieser Freibetrag ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn bei der Veräußerung des ganzen Betriebs 300.000 DM und bei der Veräußerung eines Teilbetriebs den entsprechenden Teil von 300.000 DM übersteigt. Wird ein Teilbetrieb veräußert oder aufgegeben (§ 14 i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 EStG a.F.), so bestimmt sich der "entsprechende Teil" des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG grundsätzlich nach dem Verhältnis des bei der Veräußerung des Teilbetriebs tatsächlich entstandenen Gewinns zu dem bei einer Veräußerung des ganzen Betriebs erzielbaren (fiktiven) Gewinn (Senatsurteil in BFHE 131, 38, BStBl II 1980, 642).

2. a) Entgegen der Auffassung des FA hat der Kläger im Streitfall jedoch keinen Teilbetrieb, sondern einen eigenständigen landwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben. Dabei kann dahinstehen, ob es sich, wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen, ursprünglich tatsächlich um zwei Teilbetriebe, d.h. zwei mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattete, organisch geschlossene, für sich allein lebensfähige Teile eines land- und forstwirtschaftlichen Gesamtbetriebs handeln konnte (ständige Rechtsprechung, zuletzt Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 18. Oktober 1999 GrS 2/98, BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123 zu V.2.a der Entscheidungsgründe), oder ob -wozu der Senat neigt- mit der Verpachtung des landwirtschaftlichen Teils der für die Annahme von Teilbetrieben erforderliche Zusammenhang zwischen den beiden Nutzungen unterbrochen wurde und dadurch zwei eigenständige Betriebe entstanden sind. Die Frage kann offen bleiben, weil selbst dann, wenn man mit dem FG von der Existenz zweier Teilbetriebe ausginge, der Kläger keinen Teilbetrieb "Landwirtschaft" aufgegeben hätte. Nach der Übertragung des forstwirtschaftlichen Teilbetriebs auf die Tochter hätte der landwirtschaftliche Betrieb seine Teilbetriebseigenschaft verloren und wäre seinerseits zum Hauptbetrieb geworden, so dass der Kläger - wenn auch nur kurze Zeit darauf- in jedem Fall einen eigenständigen Betrieb aufgegeben hätte.

b) Im Anschluss an das Urteil des Senats in BFHE 131, 38, BStBl II 1980, 642 wird im Schrifttum einhellig die Auffassung vertreten, dass der Steuerpflichtige, der nach der Veräußerung oder Aufgabe eines Teilbetriebs den Restbetrieb veräußert oder aufgibt, den vollen Freibetrag erhält, da dann der verbleibende Betriebsteil (wieder) zu einem ganzen Betrieb geworden ist (Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, § 16 Rn. 451; Erdweg in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 16 EStG Anm. 468; Gänger in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, § 16 Rn. 258; Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 16 Rn. 440 a.E.; Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 16 Rn. G 7; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl. 1995 § 16 Rn. 576).

c) Allerdings wird diese Auffassung mit der Einschränkung vertreten, der Steuerpflichtige dürfe die Teilbetriebe nicht aufgrund eines einheitlichen Entschlusses zum Zwecke der Steuerersparnis veräußert haben, weil dann von einer einheitlichen Betriebsaufgabe auszugehen sei (so etwa Reiß, a.a.O.) oder der Umgehungstatbestand des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) verwirklicht werde (so Erdweg, a.a.O.). Weder die Beteiligten selbst, noch das FG haben aber im Streitfall Anhaltspunkte für eine unangemessene Gestaltung gesehen. Der Kläger konnte den Forst im Wege der vorweggenommenen Erbfolge jederzeit auf seine Tochter übertragen und den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung durch Abgabe einer Erklärung frei bestimmen, weil dieser Teil den Grundsätzen der Betriebsverpachtung unterlag. Zweck des durch die Rechtsprechung eingeräumten (grundlegend: Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124) und von der Finanzverwaltung übernommenen Verpächterwahlrechts (R 139 Abs. 5 der Einkommensteuer-Richtlinien) ist es gerade, den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung zur Disposition des Steuerpflichtigen zu stellen.

d) Nach Auffassung des Senats kann diese Wertung auch nicht durch einen einheitlichen Entschluss des Steuerpflichtigen in Frage gestellt werden. Denn spätestens nach der Übertragung des Forstbetriebs auf die Tochter war der verpachtete landwirtschaftliche Teil ein eigenständiger Betrieb, der jederzeit aufgegeben werden konnte. Ein Steuerpflichtiger, der sich wie der Kläger im Rentenalter befindet, wird seine betriebliche Tätigkeit kaum anders als aufgrund eines Gesamtplans beenden. Wenn er sich dazu der Wahlrechte bedient, die ihm die Rechtsordnung zur Verfügung stellt, kann es nicht entscheidend darauf ankommen, dass ihm der Nachweis gelingt, nicht aufgrund eines einheitlichen Gesamtplans gehandelt zu haben. Der Senat kann daher auch der Auffassung des FA nicht folgen, wonach der Streitfall mit dem umgekehrten Ablauf der Ereignisse wirtschaftlich vergleichbar sei. Denn hätte der Kläger die Betriebsaufgabe vor der Übertragung des Forsts auf die Tochter erklärt, so hätte es sich nach Auffassung des FA um eine Teilbetriebsaufgabe gehandelt. Allerdings wäre dann später auch in diesem Fall ein eigenständiger Forstbetrieb übertragen worden; vor allem aber wäre die Rechtsfrage zu entscheiden, ob der Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen einer landwirtschaftlichen Nutzung neben einem selbstbewirtschafteten Forst lediglich Teilbetriebscharakter zukommen kann.

e) Dieser Wertung widerspricht auch nicht das Urteil des Senats vom 6. September 2000 IV R 18/99, wonach der Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils nicht tarifbegünstigt ist, wenn aufgrund einheitlicher Planung und in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung wesentliche Betriebsgrundlagen der Personengesellschaft ohne Aufdeckung stiller Reserven aus dem Betriebsvermögen der Gesellschaft ausgeschieden sind. Denn während dort die einheitliche Planung auf die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils unter gleichzeitiger Übertragung wesentlicher Betriebsgrundlagen der selben Personengesellschaft, an der die Beteiligung besteht, gerichtet ist, bezieht sich die Planung im Streitfall auf die Übertragung und Aufgabe zweier (mindestens) Teilbetriebe, die sich aufgrund ihrer Selbständigkeit jederzeit auch zu eigenständigen, voneinander unabhängigen Betrieben wandeln können. Auf einen derart verselbständigten Betrieb aber ist der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG a.F. in voller Höhe anzuwenden.