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  BFH-Urteil vom 29.8.2000 (VII R 42/00) BStBl. 2001 II S. 118

Eine "praktische" Tätigkeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG ist eine solche, bei der das theoretische Wissen, das der Bewerber bei der in dieser Bestimmung umschriebenen wissenschaftlichen Vorbildung erworben hat, beruflich aktiv angewandt wird. Diese Voraussetzung erfüllt die Anfertigung einer Dissertation nicht.

StBerG § 36 Abs. 1 Nr. 1 a.F.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit dem ... 1999 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Schreiben vom ... 1999 bat er den Beklagten und Revisionsbeklagten (FinMin) um die Erteilung einer verbindlichen Auskunft darüber, ob er die Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung im Jahre 2000 erfülle. Der Zulassungsausschuss erteilte ihm diese Auskunft mit Bescheid vom ... 1999 dahin, dass die Gesamtdauer der praktischen Tätigkeit bis zu diesem Tage 1 Jahr 3 Monate und 9 Tage betragen habe, so dass er die Voraussetzungen für die Zulassung mit Ablauf des 2. Juni 2001 erfüllen würde. Dabei berücksichtigte der Zulassungsausschuss die Zeit nicht, in der der Kläger vom ... 1997 bis zum ... 1998 während seiner Ausbildung als Rechtsreferendar seine Dissertation über ein steuerrechtliches Thema angefertigt hat. Hierin sah der Zulassungsausschuss keine praktische Tätigkeit. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass eine Konkretisierung der aufgewendeten Wochenarbeitszeit nicht möglich und die Dissertation neben dem Referendardienst angefertigt worden sei.

Mit seiner Klage verfolgte der Kläger sein Ziel weiter, eine verbindliche Auskunft des Inhalts zu bekommen, dass er die Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung 2000 erfülle. Zur Begründung führte er zusammengefasst aus, die Zeit, in der er die Dissertation angefertigt habe, sei bei der Berechnung der nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) erforderlichen 3-jährigen hauptberuflichen praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern zu berücksichtigen. Außerdem erscheine es sachlich nicht begründet, von einem Rechtsanwalt die Erfüllung der in § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG genannten Voraussetzung 3-jähriger praktischer Tätigkeit zu verlangen; insoweit sei die Vorschrift verfassungswidrig.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Die Zeit, in der der Kläger die Dissertation mit steuerrechtlichem Inhalt angefertigt habe, könne nicht als hauptberufliche praktische Tätigkeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG angerechnet werden, weil es sich dabei um eine wissenschaftlich- theoretische Arbeit und nicht um eine praktische Tätigkeit gehandelt habe. Die Bedenken des Klägers wegen der Verfassungswidrigkeit des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG teilte das FG nicht.

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, das FG habe gegen § 76 Abs. 1, § 118 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen, weil das Urteil mehrere erhebliche Verfahrensfehler enthalte, was zu fehlerhaften Schlüssen des FG in der Entscheidung geführt habe. Außerdem rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht (§ 118 FGO, § 36 StBerG). Das Thema der wirtschaftswissenschaftlichen Dissertation betreffe das "Gebiet der von den Bundes- oder Landesbehörden verwalteten Steuern" i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG. Die Bearbeitung der Dissertation erfülle auch das Merkmal der praktischen Berufstätigkeit. Er, der Kläger, habe sich im Rahmen seiner Ausbildung und seiner Referendartätigkeit umfassende theoretische Steuerrechtskenntnisse erworben, die er bei der Anfertigung der Dissertation praktisch angewandt und umgesetzt habe. Wenn eine Lehrtätigkeit, wie vom Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 22. Februar 1978 VII R 86/77 (BFHE 124, 474, BStBl II 1978, 393) ausgeführt, ausreiche, müsse dies für eine Dissertation in gleicher Weise gelten. In einem vergleichbaren früheren Fall habe auch das FinMin die Zeit für die Anfertigung einer Dissertation angerechnet. Im Übrigen habe der Betreuer der Arbeit und der damalige Präsident des Bundesfinanzhofs die erhebliche praktische Bedeutung der Dissertation des Klägers bestätigt. Das StBerG gehe in seinem § 38 davon aus, dass eine rein wissenschaftliche Tätigkeit ausreiche. Es dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass er bis zur Prüfung im Jahre 2000 ohnehin 2 1/2 Jahre der erforderlichen Zeit durch entsprechende unstreitige Tätigkeiten erfüllt haben werde und die Zeit der Dissertation weniger als 1/3 der 3-Jahres-Zeit ausmache. Aus Gründen der Gesetzessystematik (§ 38 StBerG), der Gleichbehandlung (Art. 3 des Grundgesetzes - GG -) und der Verhältnismäßigkeit sei deshalb die Zeit der Dissertationsbearbeitung voll anzurechnen.

Sollte der BFH den vorstehenden Ausführungen nicht folgen, so werde die Verfassungswidrigkeit des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG insoweit geltend gemacht, als auch für zugelassene Rechtsanwälte die 3-jährige Berufserfahrung verlangt werde (§ 118 FGO, Art. 3, Art. 12 GG).

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FinMin zu verpflichten, die verbindliche Auskunft vom ... 1999 dahin gehend zu ändern, dass der Kläger zur Steuerberaterprüfung 2000 zuzulassen ist.

Das FinMin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet; seine Bedenken gegen das erstinstanzliche Urteil greifen nicht durch. Das FG hat richtig erkannt, dass die Anfertigung einer Dissertation keine hauptberufliche praktische Tätigkeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG darstellt.

1. Der Senat versteht den Klage- und Revisionsantrag dahin, dass der Kläger mit ihm begehrt, den ihm erteilten Bescheid vom 21. Dezember 1999 über die Erfüllung der Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung (§ 7 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften - DVStB - vom 12. November 1979, BGBl I, 1922, mit späteren Änderungen) dahin zu ändern, dass er die Voraussetzungen nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG bereits für die im Oktober 2000 stattfindende Steuerberaterprüfung erfüllt. Nach den Ausführungen des FG und denen der Beteiligten kommt es hierfür nur darauf an, ob die Zeit, die der Kläger für die Anfertigung seiner wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Dissertation über ein steuerrechtliches Thema benötigt hat, als Teil der nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG zu erfüllenden 3-jährigen hauptberuflichen praktischen Tätigkeit anzurechnen ist; ohne die Anrechnung dieser Zeit würde der Kläger die geforderten 3 Jahre nicht erfüllen.

2. Rechtsgrundlage für die Beurteilung der dem Kläger erteilten verbindlichen Auskunft ist nach wie vor das StBerG vom 4. November 1975 (BGBl I, 2735) in der durch Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 1998 (BGBl I, 3836) geänderten Fassung (StBerG a.F.). Denn nach § 157 Abs. 4 des StBerG i.d.F. von Art. 1 Nr. 100 des insoweit zum 1. Juli 2000 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Tätigkeit der Steuerberater (7. StBÄndG) vom 24. Juni 2000 (BGBl I, 874) sind die durch dieses Gesetz geänderten Vorschriften über die Zulassung zur Prüfung erstmals auf die Zulassung zur Prüfung im Jahr 2001 anzuwenden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung im Jahre 2000 bestimmen sich daher noch nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. Danach ist es erforderlich, dass der Bewerber nach Abschluss eines wirtschaftswissenschaftlichen oder anderen Universitätsstudiums mit wirtschaftswissenschaftlicher Fachrichtung mit einer Regelstudienzeit von mindestens 8 Semestern oder eines rechtswissenschaftlichen Studiums 3 Jahre auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern hauptberuflich praktisch tätig gewesen ist. Erst für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung im Jahre 2001 ist die Zeit der erforderlichen praktischen Tätigkeit nach Abschluss des Studiums auf 2 Jahre reduziert und der Umfang der Tätigkeit auf 16 Wochenstunden festgelegt worden (§ 36 Abs. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 3 i.d.F. von Art. 1 Nr. 26 des 7. StBÄndG).

3. Die Anfertigung einer wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Dissertation mit einem steuerrechtlichen Thema ist keine berufspraktische Tätigkeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F.

Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 124, 474, BStBl II 1978, 393 ausgeführt, dass eine "praktische" Tätigkeit i.S. der betreffenden Vorschriften eine solche ist, bei der das theoretische Wissen, das der Bewerber bei der durch das StBerG umschriebenen allgemeinen und beruflichen Vorbildung erworben hat, angewandt wird. In der genannten Entscheidung hat der Senat die Erteilung von Unterricht über das Steuerrecht und über seine Anwendung als praktische Tätigkeit anerkannt. Um eine solche praktische Tätigkeit handelt es sich bei der Anfertigung einer Dissertation nicht. Unter der nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG vorausgesetzten "praktischen" Tätigkeit kann nur eine berufliche Tätigkeit verstanden werden, bei der das theoretisch erworbene Wissen im täglichen Beruf angewandt und erprobt wird, um die notwendigen Erfahrungen für den Beruf des Steuerberaters zu erwerben. Abgesehen vom Wortlaut der Bestimmung, die in ihrer alten Fassung eine "hauptberufliche" praktische Tätigkeit voraussetzt, ergibt sich dies ebenfalls daraus, dass neben bestimmten Ausbildungszeiten Zeiten der praktischen Tätigkeit verlangt werden. Praktische Tätigkeit ist daher im Gegensatz zur Ausbildung als aktive Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zu verstehen. Von diesem Verständnis ist der Senat stillschweigend auch in der genannten Entscheidung ausgegangen, denn die seiner Zeit in Rede stehende Tätigkeit bei einem Repetitor für Steuerrecht war ohne Zweifel eine berufliche, so dass der Senat keinen Anlass zu Ausführungen darüber hatte, ob unter einer praktischen Tätigkeit nur eine berufliche zu verstehen sei.

Unter einer beruflichen Tätigkeit ist eine solche zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist und dem Betreffenden seine Lebensgrundlage schaffen und sichern soll. An dieser Ausrichtung fehlt es einem Doktoranden, der die Förderung der Wissenschaft durch seine Dissertation nicht im Rahmen einer auf Dauer angelegten Tätigkeit betreibt, um sich dadurch seinen Lebensunterhalt zu schaffen und zu sichern, sondern um seiner geistigen Vervollkommnung und des Erwerbs eines akademischen Titels willen promoviert. Die Dissertation dient gemäß § 30 des Hessischen Hochschulgesetzes vom 3. November 1998 (Gesetz- und Verordnungsblatt I S. 431, 559) zum Nachweis einer über den Hochschulabschluss hinaus erworbenen, besonderen wissenschaftlichen Qualifikation, die zur Promotion in dem gewählten Fach führt. Die Anfertigung einer Dissertation ist deshalb keine berufspraktische Tätigkeit, wie sie § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. verlangt. Dies gilt bei der gebotenen typisierenden Betrachtung unabhängig von der Qualität der Dissertation und unabhängig davon, ob die in der Dissertation gefundenen Ergebnisse mehr oder weniger große Bedeutung für die Praxis haben.

Aus § 38 StBerG a.F. folgt nichts anderes. Danach sind zwar Professoren, die an einer deutschen Hochschule mindestens 10 Jahre auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern gelehrt haben, von der Steuerberaterprüfung zu befreien. Daraus lässt sich aber nicht entnehmen, dass eine wissenschaftliche mit einer berufspraktischen Tätigkeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. gleichzusetzen ist. Vielmehr folgt daraus nur, dass die Berücksichtigung wissenschaftlicher Lehre, die dort übrigens auch im Rahmen eines Berufs ausgeübt wird, in ganz besonderer Weise geregelt ist.

4. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder der Gleichbehandlung kann auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger bereits als Rechtsanwalt zugelassen ist und dass nur noch etwa ein halbes Jahr an der für die Zulassung erforderlichen Zeit fehlt, nicht zur Berücksichtigung der auf die Dissertation verwendeten Bearbeitungszeit im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. führen. Die Vorschrift enthält eine klare und eindeutige Regelung, die die Berücksichtigung dieser Zeit - wie ausgeführt - nicht vorsieht und keine Ausnahmen für zugelassene Rechtsanwälte oder in Fällen zulässt, in denen nur noch eine verhältnismäßig kurze Zeit an der Erfüllung der 3-jährigen berufspraktischen Tätigkeit fehlt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestattet es nicht, eindeutige Gesetzesregelungen über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden. Ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum, im Rahmen dessen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten wäre, ist der Verwaltung insoweit vom Gesetzgeber aber nicht eingeräumt worden.

Auch der Grundsatz der Gleichbehandlung vermag nicht dazu zu führen, dass im Falle des Klägers von der Beachtung der Vorschrift abgesehen wird. Das würde selbst für den Fall gelten, dass das FinMin tatsächlich - wie vom Kläger behauptet - in einem früheren Fall die Dissertationszeit bei der Berechnung der 3-jährigen praktischen Tätigkeit berücksichtigt haben sollte. Denn auf eine Gleichbehandlung im Unrecht besteht kein Anspruch.

5. Soweit der Kläger meint, er sei als Rechtsanwalt in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG beeinträchtigt, weil § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. eine "Wartezeit" von 3 Jahren für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung verlange, ist diese Rüge unbegründet. Der Senat verweist zur Verfassungsmäßigkeit des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. auf seine Ausführungen in dem Urteil vom 7. März 1995 VII R 84/94 (BFHE 177, 189, BStBl II 1995, 557). Danach bestehen nicht einmal im Hinblick darauf Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift, dass die allgemein anwaltliche Tätigkeit nicht als eine solche anzusehen ist, die den Anforderungen an eine berufspraktische Tätigkeit auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern entspricht. Den Ausführungen des Klägers sind keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die so gewichtig wären, dass sie den Senat zu einer Überprüfung seiner damals vertretenen Rechtsauffassung, dass gegen die Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, veranlassen könnten.

Der Senat sieht ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG a.F. gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen könnte. Der Kläger hat seine gegenteilige Auffassung in der Revisionsschrift nicht näher begründet. Schon deshalb besteht kein Anlass, auf diesen Gesichtspunkt näher einzugehen.

6. Im Übrigen können auch die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen nicht zum Erfolg führen. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung seiner Entscheidung ab (Art.1 Nr.8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).