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  BFH-Urteil vom 28.6.2000 (I R 89/99) BStBl. 2001 II S. 261

Es ist mit dem GG vereinbar, dass das Einkommen einer am Anrechnungsverfahren teilnehmenden Körperschaft im Fall der Gewinnthesaurierung einer Steuerbelastung von mehr als 50 v.H. unterworfen wird.

GG Art. 14 Abs. 1; KStG § 27, § 43; EStG § 36 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Mecklenburg Vorpommern

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Gesamtsteuerbelastung in Höhe von mehr als 50 v.H. des Einkommens.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin der R, einer eingetragenen Genossenschaft. R betrieb in den Streitjahren (1991 bis 1993) eine Bank. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte ihr gegenüber für die Streitjahre u.a. Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschläge fest. Die Summe jener Steuerbeträge überstieg für alle Streitjahre 50 v.H. des Einkommens der R.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Steuerfestsetzungen den einfach-gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Die Klägerin meint jedoch, dass die sich hieraus ergebende Steuerbelastung die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreite. Zur Begründung verweist sie insbesondere auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 655).

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Körperschaftsteuer sowie die Solidaritätszuschläge für die Streitjahre nach Maßgabe der von ihr angestellten Berechnungen herabzusetzen.

Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die streitigen Steuerfestsetzungen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden sind:

1. Das BVerfG hat in seiner von der Klägerin herangezogenen Entscheidung (Beschluss in BStBl II 1995, 655) u.a. erkannt, dass die Vermögensteuer zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten darf, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt. Welche Folgen sich hieraus für die Ertragsteuern ergeben, ist in Rechtsprechung und Schrifttum streitig (vgl. hierzu z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. August 1999 XI R 77/97, BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771; Weber-Grellet, Betriebs-Berater - BB - 1996, 1415 ff.; Rose, Der Betrieb - DB - 1997, 494 ff.; Seer, Finanz-Rundschau - FR - 1999, 1280; List, BB 1999, 981 ff., m.w.N.). Ebenso herrscht Streit darüber, von welchem Veranlagungszeitraum an eine sich aus der Entscheidung ergebende Belastungsgrenze zu beachten wäre (hierzu z.B. BFH-Beschluss vom 17. Juli 1998 VI B 81/97, BFHE 186, 394, BStBl II 1998, 671; Kanzler, FR 1998, 897; FG Köln, Urteil vom 12. Mai 1999 1 K 5738/96, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1999, 958; Rose, DB 1997, 499). Beide Fragen müssen indessen hier nicht abschließend erörtert werden. Denn die im Streit befindlichen Bescheide unterliegen schon deshalb nicht einem etwa bestehenden Halbteilungsgrundsatz, weil die in ihnen festgesetzte Körperschaftsteuer im Fall der Gewinnausschüttung bei den Anteilseignern anrechenbar ist.

a) Der Senat hat mit Urteil vom 15. Oktober 1997 I R 19/97 (BFH/NV 1998, 746) entschieden, dass die gegenwärtige Belastung von Körperschaften mit Körperschaftsteuer nicht den vom BVerfG (Beschluss in BStBl II 1995, 655) entwickelten Besteuerungsgrundsätzen widerspricht. Dabei hat er vor allem darauf abgestellt, dass die Körperschaftsteuer nicht auf die Besteuerung der unmittelbar belasteten Körperschaft abzielt, sondern wirtschaftlich den Charakter einer an der Quelle abgezogenen Vorauszahlung auf die Kapitaleinkünfte des Anteilseigners hat (Urteil in BFH/NV 1998, 746, 748). An dieser Einschätzung hat er in der Folge festgehalten (Beschlüsse vom 23. September 1998 I B 34/98, BFH/NV 1999, 515, 516; vom 19. Februar 1999 I R 30/98, nicht veröffentlicht - NV -). Das BVerfG hat eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG-Beschluss vom 26. April 1999 1 BvR 546/99, NV). Neue Gesichtspunkte, die die seinerzeit angestellten Überlegungen in Frage stellen könnten, sind nicht erkennbar und auch von der Klägerin nicht aufgezeigt worden.

b) Die vorstehend zitierte Rechtsprechung bezieht sich zwar unmittelbar nur auf die Besteuerung von Kapitalgesellschaften. Sie muss aber für Genossenschaften gleichermaßen gelten. Der gegenteiligen Ansicht der Klägerin vermag sich der Senat nicht anzuschließen:

aa) Die Erträge der Klägerin werden nach denselben Regeln besteuert wie diejenigen von Kapitalgesellschaften. Insbesondere sind von der Klägerin ausgeschüttete Gewinne bei ihren Anteilseignern Einnahmen aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) und führen Gewinnausschüttungen der Klägerin bei dieser zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung (§ 27 i.V.m. § 43 des Körperschaftsteuergesetzes) sowie bei den Anteilseignern zur Anrechnung der Körperschaftsteuer (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG). Damit liegen diejenigen Gründe, die bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften den "Halbteilungsgrundsatz" als nicht einschlägig erscheinen lassen, bei der Klägerin gleichermaßen vor. Daraus folgt, dass die genannte Rechtsprechung auch im Streitfall gilt.

bb) Die Klägerin beruft sich demgegenüber darauf, dass ein Abstellen auf den Vorauszahlungscharakter der Körperschaftsteuer bei Genossenschaften deshalb sachwidrig sei, weil es hier in aller Regel nicht zu nennenswerten Gewinnausschüttungen komme. Hierzu trägt sie vor, Genossenschaften pflegten die erzielten Gewinne typischerweise auf unabsehbare Zeit zu thesaurieren, weshalb es hier gemeinhin weder zu einer Minderung der tariflichen Steuer noch zu deren Anrechnung bei den Anteilseignern komme. Die Belastung mit der tariflichen Steuer könne folglich zu einem lange andauernden und ggf. generationenübergreifenden Zustand werden, der einer Definitivbelastung nahe komme. Damit kann sie jedoch im Ergebnis nicht durchdringen.

Denn eine im Grundsatz verfassungsgemäße gesetzliche Regelung kann nicht allein dadurch verfassungswidrig werden, dass sie bei einem bestimmten unternehmerischen Verhalten zu einer ggf. überhöhten Belastung führt. Das gilt auch dann, wenn das betreffende Verhalten - hier: der Verzicht auf Gewinnausschüttungen - bei einer ganzen Gruppe von Unternehmen generell anzutreffen sein sollte. Abzustellen ist vielmehr immer auf den vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Normalfall, der bei der Körperschaftsteuer darin liegt, dass ein Unternehmen seine Gewinne über kurz oder lang an die Anteilseigner ausschüttet. Sofern dies bei bestimmten Unternehmen oder Unternehmensgruppen aus nicht im Verantwortungsbereich der Unternehmen liegenden Gründen anders sein und hieraus eine verfassungswidrige Überbesteuerung folgen sollte, könnte dies nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung führen, sondern allenfalls Billigkeitsmaßnahmen rechtfertigen. Über solche ist indessen im vorliegenden Verfahren, in dem es allein um die Steuerfestsetzungsbescheide geht, nicht zu entscheiden.