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  BFH-Beschluss vom 17.9.2002 (IX R 68/98) BStBl. 2003 II S. 2

Dem Großen Senat wird gemäß § 11 Abs. 2 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Verlängert sich die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner vermuteten Bekanntgabe (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977), wenn das Fristende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend fällt, bis zum nächstfolgenden Werktag?

AO 1977 § 108 Abs. 3, § 122 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 25. Juni 1998 V 95/98

A. Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) legte gegen die Einkommensteuerbescheide 1993 bis 1995 jeweils Einspruch ein. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) wies die Einsprüche zurück. Die Einspruchsentscheidung ist nach dem in den Steuerakten enthaltenen Abgangsvermerk am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, zur Post gegeben worden. Die dagegen erhobene Klage ging beim Finanzgericht (FG) am Donnerstag, dem 22. Januar 1998, ein. Auf den Hinweis des FA, dass die Klage unzulässig sei, und den Hinweis des Berichterstatters des FG, dass die Klagefrist von einem Monat am 21. Januar 1998 geendet habe, führte der Kläger aus: Die Einspruchsentscheidung sei seinem Bevollmächtigten tatsächlich erst am 22. Dezember 1997 zugegangen und mit dem Eingangsstempel der Kanzlei versehen worden. Die Post werde über das Postfach des Bevollmächtigten beim örtlichen Postamt zugestellt. Das Postfach werde von Montag bis Freitag jeweils nach Dienstbeginn (9.00 Uhr) geleert. Am Freitag, dem 19. Dezember 1997, habe die Einspruchsentscheidung morgens noch nicht im Postfach gelegen (Beweis: Zeugnis einer namentlich benannten Kanzleimitarbeiterin). Sie sei erst am folgenden Montag zugegangen; denn eine in das Postfach des Adressaten eingelegte Briefsendung sei in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem das Postfach normalerweise geleert werde.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die Klagefrist sei bereits am 21. Januar 1998 abgelaufen, weil die Einspruchsentscheidung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) als am Sonntag, dem 21. Dezember 1997, bekannt gegeben gelte. Die Einspruchsentscheidung sei am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, zur Post gegeben worden. Der Kläger könne die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht dadurch widerlegen, dass im Betrieb seines Bevollmächtigten sonnabends nicht gearbeitet und das Postschließfach nur arbeitstäglich von montags bis freitags geleert werde. Das Einlegen eines Briefes in ein Postfach sei nicht anders zu beurteilen als die Auslieferung in der Wohnung oder der Einwurf in einen Hausbriefkasten. Es gebe auch keinen Grund zu der Annahme, dass die Einspruchsentscheidung nicht spätestens am Sonnabend, dem 20. Dezember 1997, in das Postfach eingelegt worden sei. Nach Auskunft der Post erreichten 94 v.H. aller Briefe den Empfänger am nächsten Tag, 98 v.H. am übernächsten Tag; Sendungen würden in die Postfächer morgens zwischen 7.00 Uhr und 9.00 Uhr eingelegt, auch sonnabends, jedoch nicht sonntags.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer entsprechend den Steuererklärungen herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

B. Stellungnahme des beschließenden Senats zu der vorgelegten Rechtsfrage

Der beschließende Senat bejaht die vorgelegte Rechtsfrage. Er hält die Revision für begründet, weil die Einspruchsentscheidung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 108 Abs. 3 AO 1977 erst am Montag, dem 22. Dezember 1997, als bekannt gegeben gilt, so dass das FG die Klage zu Unrecht als verspätet abgewiesen hat. Der Senat beabsichtigt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), damit das FG über die Klage durch Sachurteil entscheidet. Dem stehen jedoch Entscheidungen des III., IV. und X. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) entgegen (dazu unten D.).

I. Gesetzliche Entwicklung und bisherige Rechtsprechung

1. Nach § 17 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes in der bis zum 31. Dezember 1976 geltenden Fassung (VwZG a.F.) galt bei Zusendung durch einfachen Brief die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass das zuzusendende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen war; im Zweifel hatte die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt nachzuweisen. Für die Berechnung von Fristen im Besteuerungs- und außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren ordnete § 82 der Reichsabgabenordnung (RAO) die Geltung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an. Nach § 193 BGB verlängert sich eine Frist, deren letzter Tag auf einen Sonntag, Feiertag oder Sonnabend fällt, bis zum nächsten Werktag, wenn innerhalb der Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken ist.

Aufgrund dieses Normgefüges entschied der BFH, dass die nach § 17 Abs. 2 VwZG a.F. am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post endende Frist, wenn der dritte Tag ein Sonntag, Feiertag oder Sonnabend ist, nicht gemäß § 193 BGB erst am nächsten Werktag endet. § 193 BGB gelte nur für die dort genannten sogenannten eigentlichen (Handlungs-)Fristen. § 17 Abs. 2 VwZG a.F. enthalte jedoch keine solche eigentliche, sondern eine uneigentliche Frist (BFH-Urteile vom 21. Januar 1971 IV 93/65, BFHE 101, 204, BStBl II 1971, 286; vom 14. August 1975 IV R 150/71, BFHE 119, 201, BStBl II 1976, 764; vom 7. Oktober 1976 VIII R 76/72, BFHE 120, 142, BStBl II 1977, 133). Allerdings wies der BFH bereits im Urteil in BFHE 101, 204, BStBl II 1971, 286 darauf hin, dass diese Beschränkung auf Handlungsfristen nach anderen Prozessordnungen nicht besteht. Dort sei zwar auch bestimmt, dass für Fristen die Vorschriften des BGB gelten, jedoch eine Vorschrift angefügt, nach der sich eine "Frist" verlängert, wenn ihr Ende auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt (§ 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -, § 57 Abs. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, § 64 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, § 43 Abs. 2 der Strafprozessordnung - StPO -, § 17 Abs. 2 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FGG -, § 54 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Aus den genannten Vorschriften könne jedoch kein allgemeiner Rechtsgedanke abgeleitet werden, dass für alle prozessualen Fristen der Anwendungsbereich des § 193 BGB ausgeweitet worden sei, dass er also auch für die RAO gelten müsse. Die RAO sei angesichts der ausdrücklichen Regelung in § 82 RAO i.V.m. § 193 BGB nicht lückenhaft.

2. Mit Einführung der AO 1977 änderte sich der Normzusammenhang. Die Regelung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 übernahm im Wesentlichen den Inhalt des aufgehobenen § 17 Abs. 2 VwZG a.F. Die Verweisung auf die Fristbestimmungen des BGB wurde in § 108 Abs. 1 AO 1977 übernommen, allerdings mit der Änderung, dass diese Verweisung nur gilt, soweit nicht durch die Absätze 2 bis 5 der Vorschrift etwas anderes bestimmt ist. Die gegenüber Absatz 1 vorrangige, in Anlehnung an § 31 Abs. 3 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VwVfG - (vgl. dazu BTDrucks 7/910, S. 54) neu eingeführte Regelung des § 108 Abs. 3 AO 1977 bestimmt, dass eine "Frist", deren Ende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend fällt, mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags endet. Der BFH hielt die Frage, ob § 108 Abs. 3 AO 1977 auch für die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 AO 1977 gilt, zunächst für ernstlich zweifelhaft (Beschluss vom 24. November 1983 IV B 40/81, juris-Nr. STRE845005860). Mit Urteil vom 5. März 1986 II R 5/84, (BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462) hat er diese Frage sodann verneint: § 108 Abs. 3 AO 1977 habe gegenüber der früheren Rechtslage nichts geändert. Die Vorschrift gelte zwar nun für alle Fristen, aber nicht für Zeiträume, innerhalb derer wie bei § 122 Abs. 2 AO 1977 das Gesetz aus Praktikabilitätsgründen für einen Vorgang eine pauschalierte Zeitdauer vermute; denn dabei handele es sich um keine Frist, sondern um eine widerlegliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises, die durch schlüssig begründetes Vorbringen entkräftet werden könne.

Dem hat sich die nachfolgende Rechtsprechung angeschlossen (BFH-Urteile vom 13. März 1991 I R 38/90, nicht veröffentlicht - n.v. -; vom 13. März 1991 I R 39/90, BFH/NV 1992, 146; vom 13. März 1991 I R 40/90, n.v.; Beschluss vom 22. April 1996 XI B 2/96, BFH/NV 1996, 727; Urteile vom 26. Juni 1996 X R 97/95, BFH/NV 1997, 90; vom 17. Juni 1997 IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828; Beschlüsse vom 12. August 1998 IV B 145/97, BFH/NV 1999, 286; vom 18. Dezember 1998 X B 147/98, BFH/NV 1999, 745; vom 30. Juni 1999 IX B 53/99, BFH/NV 1999, 1620; Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175; ebenso Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 19. März 1957 10 RV 609/56, BSGE 5, 53, - zu § 4 Abs. 1 VwZG -; offen gelassen indes im Urteil vom 6. Dezember 1996 13 RJ 19/96, BSGE 79, 293; dem BFH folgend ferner Verwaltungsgerichtshof (VGH) München, Beschluss vom 23. Juli 1990 Gr.S. 1/90-19 B 88.185, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1991, 1250; VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Dezember 1991 3 S 2492/91, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1992, 799; Oberverwaltungsgericht - OVG - Münster, Beschluss vom 7. März 2001 19 A 4216/99, NVwZ 2001, 1171).

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat offen gelassen, ob sich die Dreitagesfrist des § 4 Abs. 1 VwZG verlängert, wenn der letzte Tag ein Sonntag gewesen ist (Urteil vom 27. Mai 1983 7 C 79/81, NJW 1983, 2344).

II. Auffassungen im Schrifttum

1. a) Die Vorlagefrage wird im steuerrechtlichen Schrifttum überwiegend mit der Begründung verneint, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 regele keine Frist, sondern einen Zeitpunkt (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl. München 2000, § 122 Rz. 52; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 108 AO Rz. 41 f.; Schwarz, Abgabenordnung, § 108 Rz. 2; Schaffhausen in Pump/Lohmeyer, Abgabenordnung, § 108 Randnr. 45 f.; Mösbauer in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl. 1996, § 108 Rz. 15; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl. 1995, Bem. 4 zu § 122 AO; im Ergebnis auch Haarmann/Schmieszek, Rechtsschutz in Steuer- und Abgabensachen, F. 12101 Rn. 111), zum Teil wird als Begründung angeführt, die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 sei deshalb keine "Frist" i.S. von § 108 Abs. 3 AO 1977, weil es sich um eine "uneigentliche Frist" handele (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 122 AO Tz. 54, § 108 AO Tz. 8, 22; Söhn in HHSp, a.a.O.).

b) Ein Teil des steuerrechtlichen Schrifttums bejaht die Vorlagefrage, weil § 108 Abs. 3 AO 1977 anwendbar sei (Spanner in HHSp, a.a.O., § 122 Rz. 25a; Güroff in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 122 AO Rz. 34 f.; ebenso bereits Offerhaus, NJW 1977, 1512, 1513; Späth, Betriebs-Berater - BB - 1974, 1468).

2. Hingegen wird die Vorlagefrage im verwaltungsrechtlichen Schrifttum zu § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG (entspricht § 108 Abs. 3 AO 1977) und § 41 Abs. 2 VwVfG (entspricht § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) überwiegend bejaht (Obermayer/Grün, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 1999, § 31 Rn. 34; Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2001, § 31 Rn. 35; Knack/Hennecke, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2000, § 41 Rn. 19; Meyer/Borgs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1982, § 41 Rn. 14; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 5. Aufl. 1991, § 31 Rn. 14, § 41 Rn. 41; a.A. Obermayer/Liebetanz, a.a.O., § 41 Rz. 35; Kopp/Ramsauer, a.a.O., 7. Aufl. 2000, § 31 Rn. 32, § 41 Rn. 53). Die Auffassungen im sozialrechtlichen Schrifttum zu den entsprechenden Vorschriften des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB X - (§ 26 Abs. 3, § 37 Abs. 2 SGB X) sind gespalten (Nachweise zum Streitstand bei Schneider-Danwitz, Sozialgesetzbuch, Sozialversicherung, Gesamtkommentar, § 37 SGB X Anm. 41).

III. Auffassung des beschließenden Senats

Der beschließende Senat bejaht die vorgelegte Rechtsfrage. An der entgegenstehenden Auffassung in seinem Urteil in BFH/NV 1997, 828 und im Beschluss in BFH/NV 1999, 1620 hält er aus folgenden Gründen nicht mehr fest:

Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Gemäß § 108 Abs. 3 AO 1977 endet, wenn das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags.

1. Der Dreitageszeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ist eine "Frist" in diesem Sinne.

a) Der Begriff der "Frist" bedeutet nach dem Sprachgebrauch des BGB einen abgegrenzten, bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren Zeitraum (Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 8. Juni 1928 III 426/27, RGZ 120, 355, 362). Eine Frist kann den unterschiedlichsten Zwecken dienen (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl. 2001, § 186 Rn. 3). Im Prozessrecht wird der Begriff der Frist hingegen enger verstanden: Danach ist zu unterscheiden zwischen Fristen im engeren Sinne (eigentlichen Fristen) zur Vornahme einer Parteihandlung oder Vorbereitung der Partei auf einen Termin und uneigentlichen Fristen, für die allein der Ablauf einer bestimmten Zeitspanne entscheidend ist und die den prozessrechtlichen Normen für Fristen nicht unterstehen (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl. 1993, S. 398; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 54 Rz. 3 f.).

Für die Auslegung des § 108 AO 1977 ist, wie aus der Verweisung auf die Fristbestimmungen des BGB in Abs. 1 der Vorschrift und dem Vorrang der Absätze 2 bis 5 hervorgeht, der weitere Fristbegriff des Bürgerlichen Rechts maßgebend. Danach ist der Dreitageszeitraum des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 eine "Frist" i.S. von § 108 Abs. 3 AO 1977, weil es sich um einen abgegrenzten, durch das Gesetz bestimmten Zeitraum handelt, der mit einem bestimmten Ereignis (Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post) beginnt und am dritten Tag danach endet.

Auch die bisherige Rechtsprechung des BFH ist - allerdings ohne daraus entsprechende Rechtsfolgen abzuleiten - davon ausgegangen, dass es sich um eine "Frist" handelt ("Dreitagesfrist": BFH-Urteile vom 12. August 1981 I R 140/78, BFHE 134, 213, BStBl II 1982, 102; vom 23. Oktober 1986 IV R 21/85, BFH/NV 1987, 412; vom 6. September 1989 II R 233/85, BFHE 158, 297, BStBl II 1990, 108; vom 8. Februar 1996 III R 127/93, BFH/NV 1996, 850; in BFH/NV 1997, 828; Beschlüsse des BFH in BFH/NV 1999, 286; vom 28. Februar 2001 X B 162/00, BFH/NV 2001, 747; BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 90).

b) Dieses Auslegungsergebnis wird durch einen Vergleich der Vorschrift des § 108 AO 1977 mit der ihr vorangehenden Regelung des § 82 RAO bestätigt. Während die Regelung des § 82 RAO i.V.m. § 193 BGB eine Verlängerung der an einem Sonntag, Feiertag oder Sonnabend ablaufenden Fristen nur dann vorsah, wenn eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken war, enthält § 108 Abs. 3 AO 1977 - in Anlehnung an § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG - diese Einschränkung nicht mehr, sondern erweitert - nach dem Vorbild des § 222 ZPO - die Regelung des § 193 BGB auf alle Arten von Fristen (BTDrucks 7/910, S. 54). Der Zweck des § 193 BGB, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung übliche Fünftagewoche zu berücksichtigen (Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 193 Rn. 1), wird mithin durch § 108 Abs. 3 AO 1977 (und § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG; ebenso § 222 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 2 FGO) auf alle Arten von Fristen erstreckt.

c) Gleichwohl hat die Rechtsprechung des BFH bisher die Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO 1977 auf die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht angewendet. Zur Begründung ist angeführt worden, § 108 Abs. 3 AO 1977 habe gegenüber der früheren Rechtslage nichts geändert. Die Vorschrift gelte zwar nun für alle Fristen, aber nicht für Zeiträume, innerhalb derer wie bei § 122 Abs. 2 AO 1977 das Gesetz für einen Vorgang eine pauschalierte Zeitdauer vermute; denn dabei handele es sich um keine Frist, sondern um eine widerlegliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises (BFH-Urteil in BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462).

Dieser Argumentation vermag der beschließende Senat nicht zu folgen. Die Frage, ob der in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 bestimmte dreitägige Zeitraum nach der schon vom RG entwickelten Begriffsbestimmung als (uneigentliche) "Frist" und damit auch als Frist i.S. von § 108 Abs. 3 AO 1977 zu beurteilen ist, wird durch die an das Ende des Dreitageszeitraums geknüpfte widerlegbare Vermutung des Zugangs nicht berührt. Dem im Gesetz geregelten Dreitageszeitraum kann die Eigenschaft als "Frist" nicht allein deshalb abgesprochen werden, weil an seinem Ende die Vermutungswirkung eintritt.

Überdies regelt § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht allein den fiktiven Zeitpunkt der Bekanntgabe, also einen Zeitpunkt (so aber das oben B. II. 1. a nachgewiesene Schrifttum), und beinhaltet auch nicht allein eine Bekanntgabevermutung. Vielmehr begründet die Vorschrift nach der Rechtsprechung des BFH darüber hinaus besondere Substantiierungspflichten für den Steuerpflichtigen. Da nach der Rechtsprechung der einfache Vortrag des Steuerpflichtigen, er habe den Verwaltungsakt erst nach Ablauf der Dreitagesfrist erhalten, zur Erschütterung der Zugangsvermutung nicht ausreicht, zwingt § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 den Steuerpflichtigen dazu, die Zugangsvermutung für jeden einzelnen Tag der Dreitagesfrist durch substantiierte Angaben zu erschüttern (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 828; vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365). Die Regelungswirkung der Vorschrift, wie sie sich in der Rechtsprechung des BFH entwickelt hat, umfasst mithin im Ergebnis den gesamten Dreitageszeitraum nach der Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post. Es handelt sich folglich um eine dreitägige Frist, deren Ablauf die Rechtsfolgen der Bekanntgabe auslöst. Dass die Bekanntgabevermutung erschüttert werden kann und ihre Rechtsfolgen dann nicht eintreten, steht der Beurteilung des dreitägigen Zeitraums als "Frist" i.S. des § 108 Abs. 3 AO 1977 nicht entgegen.

Auch die Begründung, die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 sei deshalb keine Frist i.S. von § 108 Abs. 3 AO 1977, weil es sich um eine "uneigentliche Frist" handele (Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 122 AO, Tz. 54, § 108 AO, Tz. 8, 22; Söhn in HHSp, a.a.O.), rechtfertigt es nicht, § 108 Abs. 3 AO 1977 entgegen seinem Wortlaut und seinem Zweck nicht anzuwenden. Eine Unterscheidung von "eigentlichen" und "uneigentlichen" Fristen entsprach zwar der Regelung des § 193 BGB i.V.m. § 82 RAO, ist aber nicht mit der Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO 1977 vereinbar, die nicht mehr zwischen verschiedenen Arten von Fristen unterscheidet.

2. Wenn man die Norm des § 108 Abs. 3 AO 1977 nicht unmittelbar für anwendbar hält, weil § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nur eine Vermutung regelt, so ist jedenfalls ihre entsprechende Anwendung geboten. Dies erfordert sowohl der Zweck des § 108 Abs. 3 AO 1977 als auch der des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977.

a) Der der Vorschrift des § 108 Abs. 3 AO 1977 zugrunde liegende Zweck, die Sonn- und Feiertagsruhe zu wahren und die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung übliche Fünftagewoche zu berücksichtigen, betrifft auch die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977. Dies zeigt sich insbesondere bei Sachverhalten wie im Streitfall, in dem die Beteiligten - nach Einholung einer Auskunft der Post - darüber streiten, ob der Verwaltungsakt am Sonnabend in das Postfach eingelegt worden sein kann und ob die Zugangsvermutung deshalb erschüttert ist, weil das Postfach des Bevollmächtigten des Klägers an Sonnabenden generell nicht geleert wird. Auch derartige Streitigkeiten, die letztlich den Umfang der Berufspflichten der steuerberatenden Berufe an Sonnabenden betreffen, sollten durch die generelle Berücksichtigung der Fünftagewoche in § 108 Abs. 3 AO 1977 (und in § 31 Abs. 3 Satz 1 VwVfG) ersichtlich vermieden werden. Ebenso, wie sich das auf einen Sonnabend fallende Ende einer Rechtsbehelfsfrist stets auf den folgenden Montag verschiebt, selbst wenn der Steuerpflichtige bei entsprechenden Anstrengungen den Rechtsbehelf auch noch am Sonnabend hätte einlegen können, verschiebt sich das auf einen Sonntag fallende Ende der Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf den folgenden Montag, ohne dass es darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige schon am Sonnabend sein Postamt hätte aufsuchen und bei der Leerung seines Postfachs den Verwaltungsakt hätte zur Kenntnis nehmen können. Andernfalls würde die mit dem (vermuteten) Zugang beginnende Rechtsbehelfsfrist, die der Steuerpflichtige als Überlegungs- und Bearbeitungsfrist grundsätzlich voll nutzen können soll (st. Rspr., vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1990 VI R 10/86, BFHE 163, 400, BStBl II 1991, 437) unzulässig verkürzt, weil dann die Rechtsbehelfsfrist bereits am Sonntag beginnt, obwohl an diesem Tag keine Möglichkeit des Zugangs bestand und am Sonnabend eine Abholung vom Postamt aus dem Postfach nicht erwartet werden konnte. Der Grundsatz, dass die Rechtsbehelfsfrist mit Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) nicht durch sachlich nicht gebotene Einschränkungen verkürzt werden darf, gilt nicht nur für das Ende, sondern auch für den Beginn einer Rechtsbehelfsfrist; denn in beiden Fällen wird die Überlegungsfrist gleichermaßen geschmälert. Auch wenn, worauf der X. Senat in seiner Antwort gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO hinweist, die Rechtsbehelfsfrist nur geringfügig verkürzt wird und die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand besteht (§ 110 Abs. 1 AO 1977, § 56 FGO), kann die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist um einen Tag zum endgültigen Rechtsverlust führen. Da der Gesetzeswortlaut des § 108 Abs. 3 AO 1977 für eine Verlängerung der Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auf den nächsten Werktag spricht, bedeutet die bisherige Rechtsprechung, nach der die Dreitagesfrist zwar nach dem allgemeinen und dem zivilrechtlichen Sprachgebrauch eine Frist, aber dennoch keine Frist i.S. von § 108 Abs. 3 AO 1977 ist, eine verfahrensrechtliche Stolperschwelle; sie erschwert ohne sachliche Notwendigkeit den Rechtsschutz. Dass § 108 Abs. 3 AO 1977 in Fällen der vorliegenden Art nicht anwendbar sein soll, vermag der Rechtssuchende nicht aus dem Gesetz abzuleiten. Vielmehr wird er in die Irre geführt, wenn er sich auf den Wortlaut des § 108 Abs. 3 AO 1977 verlässt und die bisherige, die Rechtslage aus der Zeit vor Geltung der AO 1977 fortschreibende Rechtsprechung nicht kennt. Vorschriften des Verfahrensrechts sind aber gemäß Art. 19 Abs. 4 GG im Zweifel so auszulegen, dass der Zugang zu den Gerichten eröffnet wird (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802, unter C. III. 2. b dd, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

b) Die Anwendung des § 108 Abs. 3 AO 1977 auf die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 entspricht auch dem Zweck der Zugangsvermutung, für das steuerrechtliche Massenverfahren eine wenig verwaltungsaufwändige, praktikable, möglichst rechtssichere und möglichst streitvermeidende Form der Bekanntgabe von Verwaltungsakten zu eröffnen. Von einem solchen Vereinfachungszweck der Vorschrift geht im Übrigen auch der X. Senat in seiner Antwort gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO aus.

aa) Wenn sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 für den Fall auf den nächsten Werktag verlängert, dass der dritte Tag nach der Aufgabe zur Post ein Sonnabend, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist, so können beide Verfahrensbeteiligte auf einfache, leicht nachprüfbare und rechtssichere Weise den fiktiven Bekanntgabetag errechnen, an dem die Rechtsbehelfsfrist beginnt. Dadurch werden eine Reihe von Problemen vermieden, mit denen die Rechtsprechung wiederholt befasst worden ist, und die für die Beteiligten unvorhergesehene und sachlich nicht erforderliche Zugangsschranken für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bilden. So brauchen, wenn § 108 Abs. 3 AO 1977 angewandt wird, die Finanzämter, Finanzgerichte und auch die steuerberatenden Berufe sich nicht mit der Frage zu befassen, auf welche Weise die Zugangsvermutung für Sonnabende sowie Sonn- und Feiertage erschüttert werden kann, z.B. wenn Absprachen mit dem Postboten bestehen, die Post erst am Montag statt am Sonnabend zu bringen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 828; in BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175), wenn die Post antragsgemäß beim Postamt zur Abholung bereitgehalten wird (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 90), wann ein Postfach üblicherweise geleert zu werden pflegt (Beschluss in BFH/NV 1999, 745) und ob ein Anwalt oder Steuerberater sich an Sonnabenden persönlich zur Post begeben und seine Post aus dem Postfach abholen muss, wenn sein Kanzleipersonal aufgrund der Fünftagewoche nicht verfügbar ist (Beschluss in BFH/NV 1999, 286).

bb) Überdies wird, da die Erschütterung der Bekanntgabevermutung in Fällen der vorliegenden Art häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist, der Streit oftmals zusätzlich um die Frage geführt werden, ob der Verwaltungsakt tatsächlich an dem in den Akten vermerkten Datum zur Post gegeben worden ist. Da die Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post nicht im Wege des Anscheinsbeweises nachgewiesen werden kann (BFH-Urteil vom 28. September 2000 III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 unter II. 3. b) und die Finanzämter die Feststellungslast für den tatsächlichen Zeitpunkt der Aufgabe zur Post tragen (BFH-Urteile vom 26. April 1989 I R 86/88, BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695 unter II. 5.; in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 unter II. 3. a), droht dann die Finanzverwaltung hinsichtlich der Einzelheiten des Postabsendeverfahrens im steuerrechtlichen Massenverfahren in Beweisnot zu geraten (vgl. BFH-Urteile vom 19. Dezember 1984 I R 7/82, BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485; in BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695). Auch der Streitfall wirft in diesem Punkt Probleme auf (dazu im Einzelnen unten C.). All diese Streitigkeiten werden hingegen in Fällen der vorliegenden Art weitgehend vermieden, wenn sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 jeweils gemäß § 108 Abs. 3 AO 1977 bis zum nächsten Werktag verlängert.

C. Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage

Die dem Großen Senat vorgelegte Rechtsfrage ist für das vom vorlegenden Senat in Aussicht genommene Urteil entscheidungserheblich.

I. Entscheidung im Fall der Bejahung der Vorlagefrage

Bejaht man die Vorlagefrage, so ist die Revision begründet. Die Klage ist dann rechtzeitig erhoben. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, damit es über die Klage durch Sachurteil entscheidet (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

II. Entscheidung im Fall der Verneinung der Vorlagefrage

1. Verneint man die Vorlagefrage, so hängt die Rechtzeitigkeit der Klage unter anderem davon ab, ob die gegen den Kläger ergangene Einspruchsentscheidung am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, zur Post gegeben worden ist, so dass sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 am folgenden Sonntag als bekannt gegeben gilt (unten C. II. 2.), und, wenn dies zu bejahen ist, ob die gesetzliche Bekanntgabevermutung im Streitfall, insbesondere aufgrund der jahreszeitlichen Besonderheiten, erschüttert ist (unten C. II. 3.). Auch wenn wegen dieser Fragen die Vorentscheidung aufgehoben und der Streitfall an das FG zurückverwiesen werden müsste, wäre die Vorlagefrage gleichwohl entscheidungserheblich. Die Entscheidungserheblichkeit der vom anrufenden Senat dem Großen Senat vorgelegten Rechtsfrage ist nicht deshalb zu verneinen, weil der anrufende Senat mit einer anderen rechtlichen Begründung und dann ohne Anrufung des Großen Senats zum gleichen Ergebnis gelangen könnte (Beschlüsse des Großen Senats vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132; vom 10. November 1997 GrS 1/96, BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83, unter B. II.).

Abgesehen davon bedeutet die Zurückverweisung an das FG bei Verneinung der Vorlagefrage ein anderes Prüfprogramm für den zweiten Rechtszug, mithin ein anderes Entscheidungsergebnis, so dass die Vorlagefrage auch aus diesem Grund entscheidungserheblich ist (unten C. II. 4.).

2. Der Beginn der in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 genannten Frist von drei Tagen setzt voraus, dass der Tag feststeht, an dem der Verwaltungsakt zur Post gegeben worden ist. Dazu hat das FG im Streitfall keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

a) Da die absendende Behörde nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 im Zweifel den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat, trägt sie auch die Feststellungslast für den tatsächlichen Zeitpunkt der Aufgabe zur Post (BFH-Urteil in BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695 unter II. 5.; ebenso BFH-Urteil in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 unter II. 3. a zur vergleichbaren Problematik des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977). Die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Finanzämter trifft, darf nicht zu Lasten der Steuerpflichtigen umgekehrt werden (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1365). Deshalb reicht der bloße Vermerk in den Steuerakten über das Datum der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post als Nachweis nicht aus, zumal wenn er nicht von der Poststelle des FA stammt (vgl. BFH-Urteile vom 5. Mai 1999 II R 96/97, BFH/NV 1999, 1341; in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 unter II. 3. b). Vielmehr hat das FG den Sachverhalt insoweit aufzuklären (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 1365). Andernfalls würde dem Steuerpflichtigen als dem Empfänger der - regelmäßig unmögliche - Nachweis auferlegt, dass der Vermerk nicht den Tatsachen entspricht. Will die Behörde Streit darüber vermeiden, ob ein abgesandter schriftlicher Verwaltungsakt auch angekommen ist, so kann sie den Verwaltungsakt förmlich zustellen oder die Bekanntgabe in der Form des Einschreibens wählen (vgl. bereits BFH-Urteil vom 23. September 1966 III 226/63, BFHE 87, 203, BStBl III 1967, 99). Macht sie von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch, so besteht kein Grund dafür, die gesetzlich zu Lasten der Behörde vorgenommene Beweislastverteilung zu verändern (BFH-Urteil in BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695 unter II. 5.).

Das in den Akten vermerkte Datum der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post kann mithin den tatsächlichen Tag der Absendung nur dann beweisen, wenn das in dem FA praktizierte Postabsendeverfahren zur Überzeugung des FG jeden atypischen Geschehensablauf ausschließt. Auch bloße Zweifel gehen zu Lasten der Behörde (BFH-Urteil in BFHE 157, 19, BStBl II 1989, 695 unter II. 5.). Solche Zweifel können sich insbesondere daraus ergeben, dass der Steuerpflichtige - wie im Streitfall - die Richtigkeit des Abgangsvermerks bestreitet (BFH-Urteile in BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485; in BFH/NV 2001, 1365). Deshalb muss das FG jeweils prüfen, ob das Datum der Aufgabe zur Post von einem Bearbeiter in den Akten vermerkt wurde, der die Absendung persönlich vornahm oder sich in anderer Weise von ihrem Vollzug überzeugte. In diesem Fall käme dem Vermerk ein erhöhter Beweiswert zu. Sollte dagegen der Vermerk von einem Bearbeiter stammen, der lediglich glaubte, den Tag der Aufgabe zur Post voraussagen zu können, dann ist darüber zu entscheiden, ob angesichts des im FA geregelten Postabsendeverfahrens eine solche Voraussage mit hinreichender Gewissheit gemacht werden konnte. Verbleibende Zweifel gehen auch insoweit zu Lasten der Behörde (BFH-Urteil in BFHE 143, 200, BStBl II 1985, 485).

b) Im Streitfall hat das FG ausgeführt, bei Würdigung aller Umstände sei die Einspruchsentscheidung am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, zur Post gegeben worden. Dies hat das FG aus dem Abgangsvermerk in der Begleitverfügung zur Einspruchsentscheidung geschlossen sowie aus dem vom FA geschilderten Organisationsablauf, nach dem die abzusendende Post von der Mitarbeiterin der Rechtsbehelfsstelle vormittags an die Poststelle des FA übergeben und von dort jeden Nachmittag gegen 15.00 Uhr zur Post gebracht werde. Der vom FA geschilderte Geschehensablauf reiche trotz Fehlens eines Postausgangsbuches für den Nachweis des Absendetages aus.

Diese Würdigung hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil das FG keine Feststellungen getroffen hat, die die Beurteilung ermöglichen, ob es im FA eine hinreichende Postausgangskontrolle gab. Das FG hat schon nicht festgestellt, wer den Absendevermerk in der Begleitverfügung gefertigt hat. Falls der Absendevermerk von der Mitarbeiterin der Rechtsbehelfsstelle stammte, und wenn diese Mitarbeiterin sodann ihre mit dem Abgangsvermerk versehene Ausgangspost der Poststelle des FA zugeleitet hätte, so läge schon darin eine mögliche Fehlerquelle (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 134, 213, BStBl II 1982, 102). Deshalb hätte weiter geprüft werden müssen, ob sich die Mitarbeiterin der Rechtsbehelfsstelle selbst von der Absendung überzeugt hat oder weshalb sie sonst zuverlässig voraussagen konnte, dass die Post noch am selben Tag abgesandt werden würde. Das FG hat nicht festgestellt, welche generellen Anweisungen zur Absendung der Dienstpost im FA bestanden. Der vom FA geschilderte Ablauf allein reicht dazu nicht aus. Er kann nämlich auch auf einen üblichen Arbeitsablauf der Poststelle hindeuten, der nicht im Einzelnen geregelt ist und sich zwar für die Masse der Sendungen in dieser Form vollzieht, im Einzelfall aber durchaus Verzögerungen oder andere Fehler bei der Postabsendung zulässt. So liegt es nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, dass etwa ein abzusendendes Schriftstück die Poststelle nicht erreicht oder aufgrund eines "Doppelgriffs" irrtümlich mit einem anderen Schriftstück zusammengelegt wird (BFH-Urteil in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 unter II. 3. b). Auch wenn im FA die Anweisung gegolten haben sollte, dass die am Vormittag an die Poststelle übergebene Ausgangspost ausnahmslos am selben Tag abzusenden ist, ermöglicht dies allein nicht den Schluss, dass auch die für den Kläger bestimmte Einspruchsentscheidung tatsächlich am Tag des vermerkten Aufgabedatums abgesandt worden ist, da nicht festgestellt ist, auf welche Weise (etwa durch regelmäßige Stichproben) die Einhaltung der Anweisungen im FA kontrolliert worden ist. Eine solche Kontrolle ist für den Beweiswert des Abgangsvermerks und die Verlässlichkeit des Postabsendeverfahrens unerlässlich. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass die für die Beförderung der Ausgangspost im FA verfügten Anweisungen auch ohne entsprechende Kontrollen stets lückenlos umgesetzt werden. Der Nachweis der Absendung kann nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises geführt werden (BFH-Urteil in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 unter II. 3. b).

Keiner Entscheidung bedarf hier die weitergehende Frage, ob das FA, wenn es für die Absendung eines Bescheides beweispflichtig ist, nicht wie ein Rechtsanwalt oder Steuerberater ein Postausgangsbuch führen muss (so Klein/Rüsken, a.a.O., § 169 Rz. 39; a.A. BFH in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211 unter II. 3. b; zur Notwendigkeit der Ausgangskontrolle bei fristwahrenden Schriftsätzen der Finanzämter im Gerichtsverfahren s. z.B. BFH-Beschluss vom 26. August 1997 VII R 11/96, BFH/NV 1998, 70, m.w.N.: "individuelle Ausgangskontrolle").

3. Die Vorentscheidung verletzt ferner § 122 AO 1977, weil das FG, wenn man die Absendung der an den Kläger gerichteten Einspruchsentscheidung am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, unterstellt, jedenfalls die Vermutung des Zugangs am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post zu Unrecht ohne weitere Ermittlungen als nicht erschüttert angesehen hat.

Bestreitet der Empfänger, den Verwaltungsakt innerhalb der Dreitagesfrist erhalten zu haben, so hat er substantiiert Tatsachen vorzutragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und deshalb Zweifel an der Zugangsvermutung begründen (BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 828; in BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175). Danach müssen Tatsachen angegeben werden, die für jeden Tag des Dreitageszeitraums den Zugang zweifelhaft erscheinen lassen. Dem Begriff des Zweifels entspricht es, dass auch unbewiesene Tatsachen dieser Art die Nachweispflicht der Behörde auslösen. Der durch schlüssige Darlegung begründete und nicht widerlegte Zweifel am Zugang zu dem gesetzlich vermuteten Zeitpunkt genügt für den Übergang der vollen Beweislast auf die zustellende Behörde (BFH-Urteil vom 7. November 1985 V R 3/83, BFH/NV 1987, 274).

a) Für Sonntag, den 21. Dezember 1997, bedurfte es keines solchen Vortrags des Klägers, weil die Einspruchsentscheidung dem Kläger an diesem Tag nicht zugegangen sein kann. An Sonntagen wird üblicherweise keine Post zugestellt. Auch hat das FG durch Einholung einer Auskunft der Post festgestellt, dass an Sonntagen keine Post in die Postfächer gelegt wird.

b) Für Freitag, den 19. Dezember 1997, hat der Kläger die Zugangsvermutung durch substantiierten Vortrag erschüttert. Danach hat eine namentlich benannte Mitarbeiterin das Postfach gegen 9.00 Uhr geleert und die Einspruchsentscheidung dort nicht vorgefunden. Nach der vom FG eingeholten Auskunft der Post werden Sendungen jeweils zwischen 7.00 Uhr und 9.00 Uhr in die Postfächer gelegt.

c) Für Sonnabend, den 20. Dezember 1997, hat das FG die Zugangsvermutung zu Unrecht ohne weitere Ermittlungen als nicht erschüttert angesehen. Erhebliche Zweifel am Zugang der für den Kläger bestimmten Einspruchsentscheidung an diesem Tag ergeben sich schon daraus, dass es sich um den Sonnabend vor Heiligabend handelt. Es ist allgemein bekannt, dass vor den Weihnachtsfeiertagen die Post regelmäßig überlastet und deshalb stets mit deutlichen Verzögerungen zu rechnen ist. Diesen Erfahrungssatz hat das FG zu Unrecht nicht berücksichtigt. Der Schluss des FG, es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass die Einspruchsentscheidung nicht spätestens am Sonnabend, dem 20. Dezember 1997, in das Postfach eingelegt worden sei, weil 98 v.H. aller Briefe den Empfänger am übernächsten Tag erreichten, ist wegen Verletzung des genannten Erfahrungssatzes rechtsfehlerhaft. Die statistischen Angaben der Post sind für die Postlaufzeiten während der besonderen Überlastung vor den Weihnachtsfeiertagen nicht aussagekräftig. Vielmehr ist es durchaus wahrscheinlich, dass eine Briefsendung, die vor den Weihnachtsfeiertagen über größere Entfernungen im ländlichen Raum übermittelt werden muss (im Streitfall von Itzehoe in Schleswig-Holstein nach X in der Lüneburger Heide), den Empfänger nicht schon am übernächsten Tag erreicht.

4. Bei Verneinung der Vorlagefrage wäre wegen der vorgenannten beiden Aufhebungsgründe (oben C. II. 2. und 3.) die Vorentscheidung aufzuheben und der Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen. Das FG, das im zweiten Rechtszug hinsichtlich der tragenden Aufhebungsgründe und der Gründe für die Zurückverweisung an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts gebunden ist (§ 126 Abs. 5 FGO; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 126 Rz. 21 f.), hätte Ermittlungen darüber anzustellen, ob die Einspruchsentscheidung tatsächlich am Donnerstag, dem 18. Dezember 1997, zur Post gegeben worden ist. Sollten die Ermittlungen ergeben, dass dies der Fall war, so hätte das FG ferner unter Berücksichtigung des oben genannten Erfahrungssatzes zu prüfen, ob der Zugang der Einspruchsentscheidung am Sonnabend, dem 20. Dezember 1997, wegen der typischen Postverzögerungen in der Vorweihnachtszeit mit so großen Zweifeln behaftet ist, dass deshalb die Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erschüttert ist.

Dieser Prozessstoff des zweiten Rechtszuges unterscheidet sich grundlegend von demjenigen, der sich bei Bejahung der Vorlagefrage ergibt: Wenn sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gemäß § 108 Abs. 3 AO 1977 verlängert, hat das FG von der Rechtzeitigkeit der Klage auszugehen und durch Sachurteil zu entscheiden. Mithin ist die Vorlagefrage entscheidungserheblich. Ihre Beantwortung führt jeweils zu einem anderen Ergebnis, weil der Prozessstoff des zweiten Rechtszuges mit Bindungswirkung jeweils in unterschiedlicher Form vorgeprägt wird.

D. Rechtsgrund der Vorlage

Die Anrufung des Großen Senats ist gemäß § 11 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 FGO geboten.

Der erkennende Senat weicht mit seiner Auffassung von Entscheidungen des II. Senats (Urteil in BFHE 146, 27, BStBl II 1986, 462), des III. Senats (Urteil in BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175), des IV. Senats (Beschluss in BFH/NV 1999, 286), des X. Senats (Urteil in BFH/NV 1997, 90; Beschluss in BFH/NV 1999, 745) und des XI. Senats (Beschluss in BFH/NV 1996, 727) ab. Der II. und der XI. Senat haben auf Anfrage der Abweichung zugestimmt. Hingegen haben der III., der IV. und der X. Senat der Abweichung nicht zugestimmt.

Ferner weicht der erkennende Senat von den Urteilen des I. Senats in BFH/NV 1992, 146 und vom 13. März 1991 I R 38/90, I R 40/90 (n.v.) ab. Eine Anfrage gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FGO kommt aber insoweit nicht in Betracht, weil die maßgebliche Rechtsfrage für den I. Senat seinerzeit nicht entscheidungserheblich war (vgl. Beschluss des BFH vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207). In den vom I. Senat entschiedenen Fällen, in denen die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 an einem Sonntag endete und der I. Senat § 108 Abs. 3 AO 1977 nicht anwandte, waren die Klagen um zwei Tage verspätet erhoben; sie wären mithin auch bei Anwendung des § 108 Abs. 3 AO 1977 verspätet gewesen.

Die Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe vom 19. Juni 1968 - RsprEinhG - (BGBl I, 661) ist nicht geboten. Das der Auffassung des vorlegenden Senats widersprechende Urteil des BSG in BSGE 5, 53 ist nicht zu den § 108 Abs. 3, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 entsprechenden Vorschriften der § 31 Abs. 3 Satz 1, § 41 Abs. 2 VwVfG, sondern zu § 4 Abs. 1 VwZG und zudem vor In-Kraft-Treten des RsprEinhG ergangen (zu Letzterem Beschluss des BFH vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252, unter 5. d).