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  BFH-Urteil vom 29.8.2002 (V R 30/01) BStBl. 2003 II S. 441

1. Die Internationale Schifffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee (ISHO) vom 22. September 1867 wurde durch das Übereinkommen über die Schifffahrt auf dem Bodensee vom 1. Juni 1973 (BGBl II 1975, 1406) aufgehoben.

2. Es bleibt unentschieden, ob der Bodensee als real geteilt anzusehen ist. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, stünden der Steuerbarkeit von dortigen Kioskumsätzen auf deutschen Schiffen ab dem Jahr 1984 keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts i.S. des Art. 25 GG entgegen.

UStG 1980 §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; 3 Abs.6; ZG § 2 Abs. 3 Nr. 1; GG Art. 25.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 8. Februar 2001 14 K 131/00 (EFG 2001, 929)

Sachverhalt

I.

Die im Streitjahr 1984 in der Bundesrepublik Deutschland ansässig gewesene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gab auf mehreren Bodenseeschiffen der Deutschen Bundesbahn überwiegend Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle ab. Daneben hatte sie auch sog. Kioskumsätze (z.B. durch den Verkauf von verpackten Süßwaren), die nach ihren nicht bestrittenen Angaben rd. 20 % der Gesamtumsätze ausmachten. Nach dem September 1984 vertrat die Klägerin erstmals die Auffassung, die Internationale Schifffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee vom 22. September 1867 (ISHO, Bayerisches Regierungsblatt 1868, 385) verbiete die Erhebung von Abgaben und somit auch von deutscher Umsatzsteuer; ihre Umsätze auf dem Bodensee seien daher nicht steuerbar.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ging dagegen davon aus, dass sich das Erhebungsgebiet i.S. des § 1 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) bis zur Mitte des Bodensees erstrecke (Realteilungstheorie); nach einer Außenprüfung schätzte das FA den Umfang der steuerbaren (Kiosk-)Umsätze auf 90 %, da über die Wegstrecken der Schiffe keine Angaben vorlagen.

Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage gegen den Umsatzsteuer-Änderungsbescheid 1984 für unbegründet (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2001, 929); es bezog sich dabei vor allem auf sein Urteil vom 3. Februar 1994 14 K 147/91 (EFG 1994, 852). Die Umsatzschätzung des FA sei sachgerecht; denn die im nördlichen Teil des Bodensees bewirkten Leistungen seien im Erhebungsgebiet ausgeführt worden, weil die Grenze zu Österreich und der Schweiz in der Mitte des Sees verlaufe - mit Ausnahme des Überlinger Sees, der insgesamt zum deutschen Staatsgebiet gehöre.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe übersehen, dass der Grenzverlauf im Bodensee von den Anrainerstaaten nicht geklärt worden sei. Dies dürfe nicht zu ihren Lasten gehen. Der Bodensee (Obersee und Überlinger See) könne nicht zum Erhebungsgebiet gerechnet werden. Die von ihr ausgeführten Kiosklieferungen seien deshalb nicht steuerbar.

Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer auf 21.048,86 DM festzusetzen.

Das FA tritt der Revision entgegen.

Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) verweist auf die Äußerung der Bundesregierung im Bundestag (Plenarprotokoll 12/216 vom 10. März 1994, S. 18769) wonach der Grenzverlauf im Bodensee ungeklärt und die Steuer in der Form festzustellen sei, dass deren Betrag sowohl nach der - von der Schweiz vertretenen - Realteilungs-(Aufteilung nach der Mittellinie) als auch nach der - von der Republik Österreich vertretenen - Kondominiumstheorie errechnet und der geringere Betrag als "kleinster gemeinsamer Nenner" zugrunde gelegt werde. Die Anrainerstaaten hätten sich dahin verständigt, dass die Bundesrepublik Deutschland gastgewerbliche Leistungen auf deutschen Schiffen in vollem Umfang als steuerpflichtige Umsätze behandele, was auch der Praxis in Österreich entspreche.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Steueränderungsbescheid nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie hat die streitigen Kioskumsätze, d.h. Lieferungen von Gegenständen (z.B. verpackte Süßwaren) im Erhebungsgebiet ausgeführt.

1. Es besteht kein Besteuerungsverbot für Lieferungen auf Bodenseeschiffen nach Art. 1 Abs. 1 ISHO. Diese Vorschrift ist durch Art. 27 Abs. 1 (und die Präambel) des Übereinkommens über die Schifffahrt auf dem Bodensee vom 1. Juni 1973 (BGBl II 1975, 1406; in Kraft seit 1. Januar 1976, BGBl II 1975, 2275) aufgehoben worden.

2. Die Klägerin hat im Erhebungsgebiet geliefert.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Erhebungsgebiet gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. § 1 Abs. 2 UStG 1980 definiert als Erhebungsgebiet den Geltungsbereich des Gesetzes mit Ausnahme der Zollausschlüsse und der Zollfreigebiete und als Außengebiet das Gebiet, das weder zum Erhebungsgebiet noch zum Gebiet der DDR und von Berlin (Ost) gehört.

a) Die Lieferungen sind nicht in einem Zollfreigebiet bewirkt worden, so dass sie nicht deshalb als nicht steuerbar zu beurteilen sind. Zwar sind nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Zollgesetzes (ZG) vom 14. Juni 1961 (BGBl I 1961, 737) deutsche Schiffe in Gebieten, die zu keinem Zollgebiet gehören, Zollfreigebiete. Der Bodensee ist aber kein solches Gebiet.

b) Die Klägerin hat vielmehr die Lieferungen - um die es im vorliegenden Verfahren noch geht - gemäß § 3 Abs. 6 UStG 1980 im Erhebungsgebiet ausgeführt, weil sich die Schiffe mit "ihren" Kiosken bei Verschaffung der Verfügungsmacht an den gelieferten Gegenständen in dem zum Erhebungsgebiet zählenden Teil des Bodensees befanden. Der erkennende Senat braucht aber hier nicht zu entscheiden, ob - wie das FG meint - der Bodensee (im Bereich des Obersees) in völker- und staatsrechtlicher Sicht als real geteilt anzusehen ist:

aa) Sollte dies zutreffen (dafür auch Urteile des Schweizer Bundesgerichts vom 17. Juni 1975 Bachmann gegen Kanton St. Gallen, BGE 101, Ia, 269, und des Reichsfinanzhofs vom 1. Juni 1934 V A 186/33, RFHE 36, 185), wäre die Schätzung des FG aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Januar 1989 X R 10/86, BFHE 156, 110, BStBl II 1989, 549, zu 2.); die Revision wendet sich nicht gegen die Schätzung als solche.

bb) Sollte dagegen ein Kondominat, also eine gemeinsame Gebietshoheit über eigenes Gebiet (Epping in Ipsen, Völkerrecht, 4. Aufl. 1999, § 5 Rn. 26) der Anliegerstaaten vorliegen, wie dies - modifiziert hinsichtlich eines ufernahen Streifens - insbesondere von der Republik Österreich vertreten wird (vgl. Brintzinger, Jahrbuch für Internationales Recht, Bd. 15, 1971, 448; Schweiger, Bayerische Verwaltungsblätter 1995, 65; Graf Vitzthum, Völkerrecht, 1997, 5. Abschn. Rn. 3, 19), so würde das gesamte (Grenz-)Kondominat zum Erhebungsgebiet gehören (vgl. Wachweger, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A, 1961, 321).

cc) Der daraus folgenden Steuerbarkeit der streitigen Lieferungen stünden - jedenfalls ab dem Streitjahr 1984 - keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts als Bestandteil des Bundesrechts i.S. des Art. 25 des Grundgesetzes entgegen. Dies gilt selbst dann, wenn man wegen der gemeinsamen Gebietshoheit von einer allgemeinen Regel des Völkergewohnheitsrechts (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Oktober 1996 2 BvR 1851, 1853, 1875, 1852/94, BVerfGE 95, 96, zu C. I. 1.) des Inhalts ausgeht, dass sich die Rechtsverhältnisse im Kondominat einer einseitigen Gesetzgebung eines beteiligten Staates entzögen (vgl. Wengler, Völkerrecht II, Berlin u.a. 1964, S. 1263; Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Berlin 1960, "Condominium"). Dann würde der bisherige Rechtszustand fortgelten.

Sowohl die österreichische als auch die schweizerische Delegation haben aber bei den Lindauer Gesprächen im November 1983 ausdrücklich keine Einwände gegen die Beibehaltung des Status quo hinsichtlich der deutschen Praxis der Umsatzbesteuerung erhoben. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass später solche Einwände erhoben worden sind (vgl. den entsprechenden Vorbehalt der Zustimmung durch das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten seitens der schweizerischen Delegation).

3. Die vom FG nicht beanstandete Schätzung des FA auf der Grundlage der Realteilungstheorie wäre bei der Bejahung eines Kondominats allenfalls zu niedrig, da das Erhebungsgebiet in diesem Falle größer wäre.