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  BFH-Urteil vom 13.11.2002 (I R 74/01) BStBl. 2003 II S. 477

Die im Zustimmungsgesetz zum DBA mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eröffnete Möglichkeit, Steuerfestsetzungen für den Zeitraum der Rückwirkung des Abkommens auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist innerhalb von vier Jahren nach dem Ablauf des Jahres 1996 nachzuholen, gilt entsprechend für den Antrag auf Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1992.

EStG 1992 § 46 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 8; DBA-Vereinigte Arabische Emirate Art. 29 Abs. 2 Buchst. a; Zustimmungsgesetz zum DBA-Vereinigte Arabische Emirate Art. 2 Satz 2.

Vorinstanz: Hessisches FG vom 19. Juni 2001 5 K 5721/00 (EFG 2002, 92)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verpflichtet ist, die Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Streitjahr (1992) zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Die Kläger sind Eheleute und hatten im Streitjahr zwei Kinder. Der Ehemann war während des gesamten Streitjahrs nichtselbständig in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) tätig. Von seinem Arbeitslohn in Höhe von 247.957,54 DM behielt der Arbeitgeber Lohnsteuer ein. Ehefrau und Kinder wohnten im Streitjahr in Deutschland.

Im Mai 1999 gaben die Eheleute eine Einkommensteuererklärung ab, in der sie Zusammenveranlagung beantragten und unter der Rubrik "steuerfreier Arbeitslohn" den Arbeitslohn des Ehemannes für die Tätigkeit in Dubai aufführten. Weitere Einkünfte erklärten sie nicht.

Das FA lehnte die Durchführung einer Veranlagung ab. Einspruch und Klage hiergegen hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass im Streitfall keine Veranlagung von Amts wegen durchzuführen und dass die Frist für einen Antrag auf Veranlagung versäumt worden sei. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 92 abgedruckt.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, sie für das Streitjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist aufzuheben; der Klage ist stattzugeben. Das FA ist verpflichtet, die Kläger für das Streitjahr zur Einkommensteuer zu veranlagen.

1. Nach § 46 des Einkommensteuergesetzes 1992 (EStG 1992) wird, wenn das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit besteht und von diesen Einkünften ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, unter bestimmten Voraussetzungen eine Veranlagung zur Einkommensteuer durchgeführt. Diese Vorschrift ist im Streitfall einschlägig, da der Kläger im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt und sein Arbeitgeber hiervon Lohnsteuer einbehalten hat.

2. Eine Veranlagung wird nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1992 stets durchgeführt, wenn bestimmte Einkommensgrenzen überschritten sind. Diese Grenze liegt für zusammen zu veranlagende Ehegatten bei 54.000 DM. Das FG hat gemeint, dass die maßgebliche Grenze nicht überschritten sei, da das gesamte Einkommen der Kläger nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen vom 9. April 1995 - DBA-VAE - (BGBl II 1996, 518, BStBl I 1996, 588) nicht der deutschen Besteuerung unterliege. Der Senat muss nicht abschließend erörtern, ob diese Annahme zutrifft. Denn jedenfalls ergibt sich das Erfordernis der Veranlagung im Streitfall aus § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1992.

3. Nach dieser Vorschrift ist unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen des § 46 EStG 1992 eine Veranlagung immer dann durchzuführen, wenn sie durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung beantragt wird. Einen solchen Antrag haben die Kläger im Streitfall gestellt. Die Antragstellung ist zwar nicht, wie § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG 1992 es verlangt, innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf des Veranlagungszeitraums erfolgt. Das ist jedoch unschädlich, da die Kläger die in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE vom 22. April 1996 (BStBl I 1996, 588) bestimmte Frist eingehalten haben.

a) Das DBA-VAE ist am 10. August 1996 in Kraft getreten. Es ist auf diejenigen Steuern anzuwenden, die für die am oder nach dem 1. Januar 1992 beginnenden Veranlagungszeiträume erhoben werden (Art. 29 Abs. 2 Buchst. a DBA-VAE). Soweit es hiernach für die Zeit vor seinem In-Kraft-Treten anzuwenden ist, sind gemäß Art. 2 Satz 1 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE bereits ergangene Steuerfestsetzungen aufzuheben oder zu ändern. Ferner bestimmt Art. 2 Satz 2 des Gesetzes u.a., dass Steuerfestsetzungen auch zulässig sind, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzung muss dann lediglich binnen vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres erfolgen, in dem das DBA-VAE in Kraft getreten ist (Art. 2 Satz 2, 2. Halbsatz). Schließlich regelt Satz 3 des Art. 2, dass ein Steuermehrbetrag nicht festgesetzt wird, der sich bis zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Abkommens gegenüber der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Abkommens ergibt.

b) Die im Streitfall zu beurteilende Problematik wird allerdings, wie das FG zu Recht ausgeführt hat, von Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE nicht unmittelbar erfasst. Namentlich Satz 2 der Vorschrift, der die Zulässigkeit nachträglicher Steuerfestsetzungen betrifft, erklärt seinem Wortlaut nach nur den Ablauf der Festsetzungsfrist für unschädlich. Die Regelung knüpft sowohl terminologisch als auch ihrem Ziel nach an § 169 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) an, der eine Steuerfestsetzung nach Ablauf der Festsetzungsfrist ausschließt. Diese Regelung hatte der Gesetzgeber bei der Formulierung des Zustimmungsgesetzes ersichtlich im Auge; nur sie sollte durch die Regelung in Art. 2 Satz 2 des Gesetzes eingeschränkt werden. Die in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1992 bestimmte Frist ist keine Festsetzungsfrist, sondern eine Antragsfrist; eine Sonderregelung zum Ablauf von Antragsfristen enthält das Zustimmungsgesetz zum DBA-VAE indessen nicht.

c) Jedoch ergibt sich aus Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE, dass diese Norm darauf abzielt, einerseits die in Art. 29 DBA-VAE angeordnete Rückwirkung des Abkommens verfahrensrechtlich umzusetzen und dabei andererseits eine rückwirkende Schlechterstellung betroffener Steuerpflichtiger zu vermeiden. Dem dient nicht nur die im Regelfall steuermindernd wirkende Bestimmung zur nachträglichen Durchführung, Änderung und Aufhebung von Steuerfestsetzungen (Satz 2), sondern auch der in Satz 3 angeordnete Verzicht auf die Festsetzung eines sich etwa ergebenden Steuermehrbetrags. Nach dem Gesamtbild der getroffenen Regelungen wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass das Abkommen für die Rückwirkungszeit allenfalls zu einer Verminderung der Steuerbelastung, nicht aber zu steuerlichen Nachteilen führte. Das entspricht zudem dem Zweck des Abkommens, der darin liegt, die Steuerbelastung gegenüber dem abkommenslosen Zustand zu vermindern.

d) Für den Streitfall folgt hieraus, dass die in Art. 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE getroffene Regelung auf die in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1992 bestimmte Antragsfrist entsprechend angewendet werden muss. Denn anderenfalls würde die Rückwirkung des DBA-VAE, wie die Kläger zutreffend ausgeführt haben, zu einer rückwirkenden Verschlechterung der Rechtsposition einzelner vom Abkommen betroffener Bürger führen. So hätten die Kläger, wenn das DBA-VAE nicht rückwirkend für das Streitjahr in Kraft getreten wäre, jedenfalls zu dem in § 46 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1992 genannten Personenkreis gehört und deshalb bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist veranlagt werden können. Diese Frist wäre im Streitfall nicht abgelaufen, so dass die Kläger die Möglichkeit hätten, im Rahmen einer Veranlagung z.B. noch nicht berücksichtigte Werbungskosten oder Sonderausgaben geltend zu machen. Es widerspräche dem mit Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE verfolgten Plan des Gesetzgebers, ihnen diese Möglichkeit im Hinblick auf das rückwirkende In-Kraft-Treten des DBA-VAE abzuschneiden oder zu verkürzen. Dass der Gesetzgeber eine solche Rechtsverkürzung für die hier zu beurteilende Konstellation anordnen wollte oder bewusst hingenommen hat, ist nicht erkennbar. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass er bei der Abfassung des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE den hier vorliegenden Sonderfall nicht bedacht hat. Damit liegt eine planwidrige Gesetzeslücke vor.

Hätte der Gesetzgeber diese Lücke erkannt, so hätte er eine Regelung getroffen, die (auch) im Zusammenhang mit der Frist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1992 Rechtsnachteile des Bürgers verhindert. Eine solche Regelung enthält für den Bereich der Festsetzungsfrist Art. 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE, was die Annahme rechtfertigt, dass der Gesetzgeber bei Kenntnis der Problemlage den Fall des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1992 in vergleichbarer Form geregelt hätte. Deshalb ist die vorhandene Gesetzeslücke durch eine entsprechende Anwendung des Art. 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE zu schließen.

e) Hiernach stand den Klägern für ihren Antrag auf Veranlagung i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 1992 die in Art. 2 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes zum DBA-VAE genannte Frist von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres 1996 (Jahr des In-Kraft-Tretens des DBA-VAE) zur Verfügung. Diese Frist haben sie mit ihrem im Jahr 1999 gestellten Antrag gewahrt. Das FA ist daher verpflichtet, die beantragte Veranlagung durchzuführen.