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  BFH-Urteil vom 10.4.2003 (IV R 30/01) BStBl. 2003 II S. 827

Ist der Verwaltungsakt, mit dem der Beginn einer Außenprüfung festgesetzt wurde, rechtswidrig und hat der Steuerpflichtige ihn oder die Prüfungsanordnung angefochten, so beinhaltet ein Antrag auf AdV der Prüfungsanordnung nicht auch einen Antrag auf Verschiebung des Beginns der Prüfung i.S. des § 197 Abs. 2 AO 1977.

Der Lauf der Festsetzungsfrist wird in einem solchen Fall nicht gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 gehemmt (Abgrenzung zu den BFH-Urteilen vom 18. Oktober 1988 VII R 123/85, BFHE 154, 446, BStBl II 1989, 76, und vom 25. Januar 1989 X R 158/87, BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483).

AO 1977 § 171 Abs. 4, § 197 Abs. 1 und 2; BpO St § 5 Abs. 4.

Vorinstanz: FG Köln vom 22. März 2001 7 K 4758/97 (EFG 2001, 946)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt als Land- und Forstwirt zwei Forstbetriebe, von denen einer als Großbetrieb eingestuft ist. Er gab im Jahr 1992 Einkommensteuererklärungen für 1989 und 1990 sowie die Vermögensteuererklärung für 1990 ab. Eine Umsatzsteuererklärung für 1989 wurde nicht abgegeben.

Unter dem 26. November 1996 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) eine Betriebsprüfungsanordnung gemäß § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Danach sollten die Einkommensteuer und Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 1989 bis 1994 und die Vermögensteuer bezüglich der Veranlagungszeiträume 1986 bis 1995 geprüft werden. Ausdrücklich wurden auch die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft hinsichtlich der Wirtschaftsjahre 1988/89 bis 1994/95 als Prüfungsgegenstand genannt. Als voraussichtlicher Prüfungsbeginn wurde der 17. Dezember 1996 benannt.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 1996 legte der Kläger Einspruch gegen die Anordnung der Betriebsprüfung hinsichtlich aller aufgeführten Steuerarten und -jahre ein. Außerdem beantragte er die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Zur Begründung führte er u.a. aus, die Prüfungsanordnung sei nicht angemessene Zeit vor Beginn der Prüfung bekannt gegeben worden. Zwar sei gemäß § 5 Abs. 4 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO St - bei Großbetrieben in der Regel eine vierwöchige Vorbereitungsfrist angemessen, doch sei im Hinblick auf die Weihnachtsfeiertage zumindest eine zweimonatige Vorbereitungszeit erforderlich. Zudem habe die letzte Betriebsprüfung zu außergewöhnlichen Anforderungen an das Unternehmen des Klägers geführt.

Das FA sah den eingelegten Einspruch in Verbindung mit dem Antrag auf AdV als Antrag auf Verschiebung des Beginns der Außenprüfung an. Es erklärte sich mit Schreiben vom 18. Dezember 1996 zum einen bereit, den Prüfungsbeginn auf den 30. Dezember 1996 zu verschieben. Zum anderen ordnete es den Beginn der Betriebsprüfung auf den 4. Februar 1997 an und gewährte bis zu diesem Termin AdV.

Demgemäß ist der Betriebsprüfer im Jahr 1996 nicht mehr beim Kläger erschienen. Zu Beginn des Jahres 1997 machte der Kläger außerdem geltend, die Prüfungsanordnung sei am 1. Januar 1997 hinsichtlich der Veranlagungszeiträume vor dem 1. Januar 1991 und der Bilanzstichtage vor dem 1. Juli 1991 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung rechtswidrig geworden. Eine Prüfungsanordnung hinsichtlich verjährter Zeiträume sei ermessensfehlerhaft, sie verstoße gegen das Übermaßverbot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Das FA gab dem Einspruch gegen die Betriebsprüfungsanordnung hinsichtlich der Vermögensteuer 1986 bis 1989 statt und wies ihn hinsichtlich der Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1989 und 1990 sowie der Vermögensteuer 1990 als unbegründet zurück. Es führte u.a. aus, es habe mit Schreiben vom 18. Dezember 1996 die ursprüngliche Prüfungsanordnung geändert und den Prüfungsbeginn auf den 30. Dezember 1996 festgelegt. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 gehemmt, weil der Antrag des Klägers auf AdV als Antrag auf Prüfungsaufschub (§ 197 Abs. 2 AO 1977) zu qualifizieren sei und der Beginn der Prüfung entsprechend auf den 4. Februar 1997 verschoben worden sei. Der Kläger habe nämlich erreichen wollen, dass die Prüfung nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt stattfinde.

Mit der Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er beantragte, die Prüfungsanordnung in Gestalt der Einspruchsentscheidung insoweit aufzuheben, als die Einkommensteuer 1989 und 1990, die Umsatzsteuer 1989 sowie die Vermögensteuer zum 1. Januar 1990 betroffen sind, hilfsweise insoweit deren Rechtswidrigkeit festzustellen. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2001, 946).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 196, 197 AO 1977.

Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat die Prüfungsanordnung hinsichtlich der noch streitigen Steuerarten und Zeiträume zu Recht aufgehoben. Das Rechtsschutzinteresse des Klägers ist nicht durch Zeitablauf entfallen; denn die durch eine Prüfungsanordnung begründete Duldungspflicht endet erst mit dem Abschluss der Prüfung (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Februar 1988 V R 57/83, BFHE 152, 217, BStBl II 1988, 413). Erledigt hat sich lediglich der Verwaltungsakt, mit dem das FA den Prüfungsbeginn festgelegt hat (BFH-Urteil vom 25. Januar 1989 X R 158/87, BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483, unter III.1.). Seine Aufhebung hat der Kläger jedoch nicht beantragt.

1. Die Prüfungsanordnung ist insoweit mit Ablauf des Jahres 1996 rechtswidrig geworden, als sie sich auf Zeiträume erstreckt, für die die normale Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 mit diesem Zeitpunkt ablief.

Allerdings ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, eine Prüfung für solche Steuern anzuordnen, für die Festsetzungsverjährung eingetreten ist, weil sich die Frage der Verjährung vielfach erst nach der Klärung des Sachverhalts durch die Außenprüfung zuverlässig beantworten lässt (BFH-Urteil vom 23. Juli 1985 VIII R 48/85, BFHE 145, 3, BStBl II 1986, 433). Anders verhält es sich jedoch, wenn der Eintritt der Festsetzungsverjährung auf der Hand liegt, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Festsetzungsfrist ausnahmsweise noch nicht abgelaufen sein könnte (vgl. Senatsurteil vom 3. Juli 1986 IV R 258/84, BFH/NV 1987, 685). Zwar hat der VIII. Senat in seinem Beschluss vom 29. Mai 2001 VIII B 1/01 (BFH/NV 2001, 1569) die Offenkundigkeit des Eintritts der Festsetzungsverjährung mit der Begründung verneint, dass möglicherweise der als Antrag auf Verlegung des Prüfungsbeginns zu wertende Antrag auf AdV der Prüfungsanordnung den Fristablauf nach § 171 Abs. 4 AO 1977 gehemmt habe. Diese Aussage betrifft jedoch nur den damals entschiedenen Einzelfall und kann nicht verallgemeinert werden. Maßgeblich muss sein, ob die Außenprüfung etwas zur Klärung des Verjährungseintritts beitragen könnte. Das ist hier zu verneinen.

Dem Ablauf der Festsetzungsfrist stand im Streitfall nicht die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO 1977 entgegen. Bis zum Ablauf des Jahres 1996 hatte das FA noch nicht mit einer Außenprüfung begonnen. Der Prüfer ist nicht beim Kläger erschienen. Die vom FA im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Vorbereitungsarbeiten des Prüfers hat das FG ohne Verstoß gegen die Denkgesetze nicht als Prüfungsbeginn gewertet. Entgegen der Auffassung des FA war der Beginn der Außenprüfung auch nicht auf Antrag des Klägers hinausgeschoben worden.

2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass weder der Einspruch des Klägers gegen die Prüfungsanordnung noch sein Antrag auf AdV als Antrag auf Hinausschieben des Prüfungsbeginns i.S. von § 171 Abs. 4 und § 197 Abs. 2 AO 1977 zu verstehen sind.

a) Allerdings hat der BFH mehrfach entschieden, ein Antrag auf AdV einer Prüfungsanordnung schließe das Begehren ein, den Beginn der Prüfung hinauszuschieben und sei daher einem Antrag i.S. von § 197 Abs. 2 AO 1977 (§ 171 Abs. 4 AO 1977) gleichzustellen (s. insbesondere BFH-Urteil in BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483, unter III.1.). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass - nicht notwendigerweise die Prüfungsanordnung - wohl aber der Verwaltungsakt, mit dem der Prüfungsbeginn festgesetzt wurde, rechtmäßig war. Ist ein solcher Verwaltungsakt - etwa wegen der Kürze der zwischen dem Prüfungsbeginn und seiner Bekanntgabe liegenden Zeit - rechtswidrig, so muss der Steuerpflichtige die Möglichkeit haben, ihn oder die Prüfungsanordnung anzufechten und AdV zu erreichen, ohne dass hierin zugleich ein Antrag auf Terminsverschiebung zu sehen wäre. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, dass andernfalls das FA den Eintritt der Festsetzungsverjährung verhindern könnte, indem es wenige Tage vor Jahresende eine Prüfungsanordnung erlässt und diese mit einer rechtswidrigen Terminsbestimmung verbindet. Mit seiner Auffassung weicht der Senat nicht vom BFH-Urteil vom 18. Oktober 1988 VII R 123/85 (BFHE 154, 446, BStBl II 1989, 76) ab. In jenem Fall hatte der Steuerpflichtige ausdrücklich einen Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns gestellt. Es ging nur darum, ob die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO 1977 möglicherweise deshalb nicht eintrat, weil die - allerdings nicht angefochtene - Festsetzung des Prüfungsbeginns rechtswidrig war. Diese Frage hat der VII. Senat - unter Hinweis auf die Tatbestandswirkung der Festsetzung des Prüfungsbeginns - verneint. Davon ist jedoch die hier maßgebliche Frage zu unterscheiden, ob ein Antrag auf AdV einer Prüfungsanordnung bei rechtswidriger Festlegung des Prüfungstermins als Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns zu werten ist.

b) Im Streitfall war die Festsetzung des Prüfungsbeginns auf den 17. Dezember 1996 durch den Verwaltungsakt vom 26. November 1996 rechtswidrig. Nach § 197 Abs. 1 AO 1977 ist dem Steuerpflichtigen der voraussichtliche Beginn der Prüfung angemessene Zeit vor deren Beginn bekannt zu geben. Die Angemessenheit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nach § 5 Abs. 4 BpO St ist bei Großbetrieben in der Regel eine vierwöchige Vorbereitungsfrist angemessen. Diese Frist muss auch für die Prüfung der Steuern des Klägers gelten, da zu seinem Unternehmen jedenfalls auch ein Großbetrieb i.S. des § 5 Abs. 4 BpO St gehört. Die dem Kläger im Verwaltungsakt vom 26. November 1996 eingeräumte Vorbereitungsfrist betrug dagegen nur drei Wochen. Bei § 5 Abs. 4 BpO St handelt es sich um eine Ermessensrichtlinie, von der die Finanzbehörden nach dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung nicht ohne triftige Gründe abweichen dürfen (BFH-Urteil vom 23. April 1991 VIII R 61/87, BFHE 164, 422, BStBl II 1991, 752). Solche Gründe hat das FA nach den Feststellungen des FG nicht vorgetragen. Sie sind auch nicht ersichtlich. Insbesondere rechtfertigt es der drohende Ablauf der Festsetzungsfrist im Allgemeinen nicht, eine angemessene Frist abzukürzen (BFH-Urteil in BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483, unter III.2.)

Darauf, ob die mit der Verfügung vom 18. Dezember 1996 angeordnete Verschiebung des Prüfungsbeginns auf den 30. Dezember 1996 rechtmäßig war, kommt es nicht an, weil es lediglich um die Frage geht, ob der Antrag des Klägers auf AdV vom 12. Dezember 1996 als Antrag auf Verlegung der Prüfung i.S. von § 197 Abs. 2 AO 1977 zu werten ist.

Es kommt ferner nicht darauf an, ob die angefochtene Prüfungsanordnung im Zeitpunkt ihres Ergehens am 26. November 1996 rechtmäßig war. Sie ist jedenfalls mit Ablauf der Festsetzungsfrist zum Jahreswechsel rechtswidrig geworden. Das hatte das FA gemäß § 367 Abs. 2 AO 1977 in seiner Einspruchsentscheidung zu beachten. Jedenfalls in der Form der Einspruchsentscheidung hat das FG die Prüfungsanordnung im angefochtenen Umfang zu Recht aufgehoben.