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  BFH-Urteil vom 15.7.2003 (VIII R 79/99) BStBl. 2003 II S. 843

Die Tätigkeit als Fremdsprachenassistentin, die darin besteht, in Frankreich an einer Schule Deutschunterricht zu erteilen, ist bei einem Kind, das ein Studium der Politikwissenschaft aufnehmen will, nicht als Teil der Berufsausbildung anzusehen (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 14. Januar 2000 VI R 11/99, BFHE 191, 51, BStBl II 2000, 199).

EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und Buchst. c.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 15. September 1999 II 537/98 (EFG 2000, 221)

Sachverhalt

I.

Die 1977 geborene T, die Tochter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), bewarb sich nach dem Ende ihrer Schulausbildung um einen Studienplatz im Studiengang Politikwissenschaft an der Universität .... Ihre Bewerbung wurde zunächst abgelehnt; mit Schreiben vom 2. Oktober 1997 wies die Universität ihr jedoch im Nachrückverfahren einen Studienplatz für das Wintersemester 1997/98 zu. Voraussetzung dafür sei die persönliche Einschreibung am 9. oder 10. Oktober; bei Nichteinhaltung des Termins sollte der Studienplatz an einen anderen Bewerber vergeben werden. T schrieb sich nicht für das Studium ein. Sie hielt sich zu dieser Zeit vielmehr in Frankreich auf. Dort absolvierte sie bis zum 15. September 1997 ein Praktikum in einem Touristen-Informationsbüro. Danach ergab sich für sie die Möglichkeit, vom 1. Oktober 1997 bis zum 15. Mai 1998 an einer Schule als Fremdsprachenassistentin tätig zu sein. Im Rahmen dieser Tätigkeit gab sie französischen Schülern Deutschunterricht. Eine vorzeitige Beendigung dieser Tätigkeit war nicht möglich.

Mit dem Antrag auf Weiterzahlung des Kindergeldes bestätigte T, sie habe den Zulassungsbescheid für das Wintersemester 1997/98 zu spät erhalten und werde sich zum Sommersemester 1998 erneut bewerben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) setzte mit Bescheid vom 10. Dezember 1997 das Kindergeld ab November 1997 auf 0 DM fest, weil die Voraussetzungen für die Weitergewährung nicht vorlägen, da T den im Nachrückverfahren angebotenen Studienplatz nicht angenommen habe. Der Einspruch der Klägerin, mit dem diese geltend machte, der Zulassungsbescheid für T sei erst am 9. oder 10. Oktober 1997 zugegangen, so dass es ihrer Tochter praktisch unmöglich gewesen sei, sich einzuschreiben, blieb ohne Erfolg.

Im Juli 1998 schrieb T sich an der Universität ... ein und nahm dort zum Wintersemester 1998/99 ein Studium auf. Seit Juli 1998 erhält die Klägerin daher wieder Kindergeld für ihre Tochter.

Das Finanzgericht (FG) wies die gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 221 veröffentlichten Gründen ab.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und c des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den Bescheid vom 10. Dezember 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. März 1998 aufzuheben und ihr Kindergeld für ihre Tochter für die Zeit von November 1997 bis Juni 1998 zu gewähren, hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Ohne Erfolg rügt die Klägerin die Verletzung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 FGO durch das FG. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin im Klageverfahren steht fest, dass T den ihr im Nachrückverfahren angebotenen Studienplatz nicht annehmen konnte, weil sie sich verpflichtet hatte, bis Mai 1998 in Frankreich tätig zu sein. Einer weiteren Aufklärung der Frage, ob es der T theoretisch möglich gewesen wäre, die Einschreibefrist einzuhalten, bedurfte es danach nicht.

2. Der Klägerin steht für die Zeit von November 1997 bis Juni 1998 kein Anspruch auf Kindergeld für T zu.

a) Die Klägerin hatte für diese Zeit keinen Anspruch auf Kindergeld gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG.

Nach dieser Vorschrift wird ein Kind für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Dabei kann offen bleiben, ob T zunächst tatsächlich über keinen Ausbildungsplatz verfügte, weil der Bescheid über die Möglichkeit, sich im Nachrückverfahren für das Wintersemester 1997/98 einzuschreiben, sie zu spät erreicht hat, oder ob eine weitere Sachaufklärung zu dem Ergebnis führen würde, dass es der T möglich und zumutbar gewesen wäre, den angebotenen Studienplatz anzunehmen. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass es der T an einem Ausbildungsplatz mangelte, sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht erfüllt.

Zweck der Vorschrift ist die Gleichstellung von Kindern, die noch erfolglos einen Ausbildungsplatz suchen, mit solchen Kindern, die bereits einen Ausbildungsplatz gefunden haben, weil typisierend davon auszugehen ist, dass in beiden Fällen die gleiche Unterhaltssituation der Eltern besteht (BTDrucks 10/2884, S. 102 f.; Greite in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rz. 50; Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Anm. 88; Jachmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rdnr. C 26; Kanzler in Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 32 EStG Anm. 103; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 32 EStG Anm. 421). Diese Gleichstellung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn das einen Ausbildungsplatz suchende Kind diesen im Erfolgsfall auch antreten könnte. Der Unterschied zu dem in Ausbildung befindlichen Kind muss allein in dem Mangel der Verfügbarkeit eines Ausbildungsplatzes liegen. Der Beginn oder die Fortsetzung der Ausbildung dürfen nicht an anderen Umständen als diesem scheitern. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG liegen demnach nicht vor, wenn das Kind - die Verfügbarkeit des Ausbildungsplatzes unterstellt - diesen ohnehin nicht antreten könnte, weil es die objektiven Anforderungen dafür nicht erfüllt oder es aus anderen Gründen am Antritt gehindert wäre. So liegt es im Streitfall. Unabhängig von der Frage, ob T die Einschreibefrist für den angebotenen Studienplatz für das Wintersemester 1997/98 einhalten konnte, war sie aus anderen Gründen gehindert, das Studium zu diesem Zeitpunkt aufzunehmen. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG hatte sich T ab Anfang Oktober 1997 verpflichtet, bis Mai 1998 als Fremdsprachenassistentin in Frankreich tätig zu sein. Diese Disposition der T, und nicht der Mangel eines Studienplatzes, war der Grund dafür, dass T ihre Ausbildung zunächst nicht fortsetzen konnte. Sofern die Revision demgegenüber nunmehr vorträgt, T habe die Tätigkeit in Frankreich jederzeit aufgeben können und im Falle des Erhaltes eines Studienplatzes auch aufgeben wollen, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht mehr berücksichtigt werden kann.

b) T erfüllte in der Zeit von November 1997 bis Juni 1998 auch nicht den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Danach wird ein Kind für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

aa) Der Aufenthalt der T in Frankreich und ihre Tätigkeit als Fremdsprachenassistentin an einer französischen Schule in der Zeit von Oktober 1997 bis Mai 1998 waren nicht als Teil ihrer Berufsausbildung anzusehen.

In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. April 1997 , , m.w.N.). Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Es kommt nicht darauf an, ob die Ausbildungsmaßnahme in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben ist oder - in Ermangelung einer solchen Regelung - jedenfalls dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dient, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind. Den Eltern und dem Kind steht bei der Gestaltung der Ausbildung vielmehr ein weiter Entscheidungsspielraum zu (BFH-Urteil vom 14. Januar 2000 VI R 11/99, BFHE 191, 51, 52, BStBl II 2000, 199, 200). Gleichwohl erfüllt nicht jeder Auslandsaufenthalt, der zu einer Verbesserung der Kenntnisse in der jeweiligen Landessprache führt, den Tatbestand der Berufsausbildung. Sprachaufenthalte im Ausland können vielmehr nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn sie entweder mit anerkannten Formen der Berufsausbildung verbunden sind (z.B. Besuch eines Colleges oder einer Universität als Schüler bzw. Student) oder - wie dies z.B. bei einem Sprachaufenthalt im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses häufig der Fall ist - von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden, der mit Rücksicht auf seinen Umfang den Schluss auf eine hinreichend gründliche (Sprach-) Ausbildung rechtfertigt (Senatsurteil vom 19. Februar 2002 VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469).

T erhielt nach den Feststellungen des FG während ihres Aufenthaltes in Frankreich selbst keinen theoretisch-systematischen Sprachunterricht. Sie besuchte auch keine Schule oder Universität als Schülerin oder Studentin. Vielmehr gab sie als Fremdsprachenassistentin Deutschunterricht. Die Erteilung von Deutschunterricht ist jedoch dem Besuch einer Schule oder Universität oder einer theoretisch-systematischem Sprachausbildung nicht gleichzustellen. Dem steht nicht entgegen, dass die Tätigkeit eines Anglistikstudenten als Fremdsprachenassistent von der Rechtsprechung als eine Maßnahme der Berufsausbildung angesehen worden ist (BFH-Urteil in BFHE 191, 51, 53, BStBl II 2000, 199, 200). In dem entschiedenen Fall diente die Tätigkeit nicht nur der sprachlichen, sondern auch der pädagogischen Ausbildung des Kindes, das den Lehrberuf anstrebte. T beabsichtigte demgegenüber, Politikwissenschaft zu studieren. Es ist nichts dafür vorgetragen und auch nicht ersichtlich, inwieweit die Tätigkeit als Fremdsprachenassistentin dafür in weiter gehender Weise als durch den Erwerb von Sprachkenntnissen förderlich sein könnte. Insoweit fehlt es aber an dem von der Rechtsprechung geforderten theoretisch-systematischen Sprachunterricht von wöchentlich mindestens 10 Stunden (Senatsurteil in BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469).

bb) Für den Monat Juni 1998 hat die Klägerin keine Umstände vorgetragen, die erkennen ließen, dass die T sich in einer Berufsausbildung befand. Solche Umstände sind auch nicht ersichtlich.

c) Schließlich war T im Juni 1998 auch nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als ein Kind, das sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet, zu berücksichtigen, denn die bis Mai 1998 andauernde Tätigkeit als Fremdsprachenassistentin war aus den unter 2.b)aa) genannten Gründen nicht als Ausbildungsabschnitt im Sinne dieser Vorschrift anzusehen.