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  BFH-Urteil vom 23.10.2003 (V R 48/01) BStBl. 2004 II S. 196

1. Bei der in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 bezeichneten Frist handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist.

2. Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Verlängerung der Antragsfrist nach § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 ergibt sich auch nicht aus Abschn. 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1992.

UStG 1980/1991/1993 § 18 Abs. 9; UStDV 1980/1991/1993 § 61 Abs. 1 Satz 2; UStR 1988/1992 Abschn. 243 Abs. 5; Richtlinie 79/1072/EWG Art. 7 Abs. 1 Satz 4.

Vorinstanz: FG Köln vom 24. Mai 2000 2 K 5838/97

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist in Großbritannien ansässig. Sie führte in Deutschland in den Streitjahren 1990 bis 1993 keine steuerpflichtigen Umsätze aus. Ihr wurde von Hotels u.a. für Übernachtungsleistungen Umsatzsteuer berechnet. Die Klägerin beantragte am 29. Dezember 1994 durch ihren steuerlichen Vertreter Vergütung von Vorsteuerbeträgen für die Jahre 1990 bis 1993. Gleichzeitig stellte sie den Antrag, dafür die Abgabefrist rückwirkend nach § 109 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu verlängern, weil ihr die Möglichkeit der Vergütung nicht bekannt gewesen sei.

Die Anträge auf rückwirkende Fristverlängerung lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Bundesamt für Finanzen - BfF -) mit Bescheiden vom 6. Januar 1995 ab und wies die Einsprüche dagegen durch die Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 1997 als unbegründet zurück. Über die Einsprüche gegen die Ablehnung der Vergütungsanträge ist - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - noch nicht entschieden worden.

Zur Begründung der nunmehr erhobenen Klage legte die Klägerin dar, die Ermessensentscheidung des BfF über die Ablehnung der rückwirkenden Verlängerung der Frist für die Abgabe von Anträgen auf Vorsteuervergütung sei ermessensfehlerhaft, weil nach der Verwaltungspraxis bis zum 30. September 1994 nachträglichen Fristverlängerungsanträgen gemäß Abschn. 243 Abs. 5 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 1992 entsprochen worden sei. Es sei unerheblich, dass sie, die Klägerin, bereits 1991 einen Vergütungsantrag fristgerecht gestellt habe. Es sei auch nicht erheblich, ob sie die verspätete Antragstellung verschuldet habe. Für die Fristverlängerung sei nicht entscheidend, dass ein Fristverlängerungsantrag erst nach Fristablauf gestellt worden sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, die angefochtenen Ablehnungsbescheide seien rechtmäßig, weil die Antragsfrist des § 61 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) 1980/1991/1993 i.V.m. § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980/1991/1993 in der in den Streitjahren geltenden Fassung eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist sei. Diese Frist könne nicht nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 rückwirkend verlängert werden, weil die einschlägigen umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften vorgingen. Die Ermächtigung in § 18 Abs. 9 UStG 1993 reiche für den Erlass von § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 aus, weil damit Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige - 79/1072/EWG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1979 Nr. L 331, 11, im Folgenden: Achte Richtlinie) umgesetzt werde. Die Mitgliedstaaten hätten bis zum 1. Januar 1981 der Achten Richtlinie entsprechende Vorschriften schaffen müssen. Dabei seien ihnen nach Art. 249 Unterabs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften vom 25. März 1957 in der Fassung des Vertrages über die Europäische Union (EGV) vom 7. Februar 1992 - ABlEG 1992 Nr. C 224/6 - (vorher Art. 189 Abs. 3 EWGV) die Wahl der Form und der Mittel überlassen worden. Die Änderung des § 18 Abs. 9 UStG 1993 und die Übernahme der Fristenregelung in die gesetzliche Vorschrift durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) sei lediglich aus Gründen der Rechtsklarheit erfolgt, wie sich aus der Begründung zu § 18 Abs. 9 UStG ergebe (BTDrucks 13/1173 i.V.m. BTDrucks 13/901, S. 151). Wiedereinsetzungsgründe (§ 110 AO 1977) seien nur im Verfahren gegen den Vergütungsbescheid zu prüfen.

Mit der Revision begehrt die Klägerin sinngemäß, das BfF zu verpflichten, die Antragsfrist zur Abgabe der Anträge auf Vorsteuervergütung für 1990 bis 1993 zu verlängern. Die Klägerin rügt Verletzung von § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 i.V.m. § 18 Abs. 9 UStG 1993 und § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993. In der Rechtsprechung (FG Saarland, Urteil vom 7. Dezember 1984 I 216/83, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 316), von der Verwaltung (u.a. Abschn. 243 Abs. 5 UStR 1992) und von der Literatur werde angenommen, dass § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 eine rückwirkende Verlängerung der Frist für den Antrag auf Vorsteuervergütung zulasse. Selbst das BfF habe diese Vorschrift angewendet. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Oktober 1999 V R 76/98 (BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 2000, 167) stehe dem nicht entgegen; denn es betreffe ausschließlich die seit Geltung des Jahressteuergesetzes 1996 anwendbare Rechtslage. Für die Streitjahre könne die Frist des § 61 UStDV nicht aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung der Bestimmung als Ausschlussfrist angesehen werden, weil die Achte Richtlinie erst am 6. Dezember 1979 erlassen worden und am 1. Januar 1981 in Kraft getreten, die UStDV hingegen bereits am 21. Dezember 1979 erlassen worden sei. Es habe sich daher insoweit um rein nationales Recht gehandelt. Die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie werde in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich, teilweise ohne Fristbegrenzung, gehandhabt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und das BfF zur Verlängerung der Antragsfrist zur Abgabe der Anträge auf Vorsteuervergütung für 1990 bis 1993 zu verpflichten.

Das BfF ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorentscheidung hält den Angriffen der Revision stand. Das FG hat zutreffend entschieden, dass das BfF nicht verpflichtet war, die Fristen für den jeweiligen Antrag auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen zu verlängern.

1. § 18 Abs. 9 UStG 1980/1991/1993 in der in den Streitjahren maßgebenden Fassung lautet: "Zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens kann der Bundesminister/das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15) an nicht im Erhebungsgebiet (ab 1.1.1991: an im Ausland) ansässige Unternehmer abweichend von § 16 und von den Absätzen 1 bis 4, in einem besonderen Verfahren regeln. Dabei kann angeordnet werden, dass der Unternehmer die Vergütung selbst zu berechnen hat."

§ 61 Abs. 1 UStDV 1980/1991/1993 regelte das Verfahren u.a. wie folgt:

"Der Unternehmer hat die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem Bundesamt für Finanzen oder bei dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu beantragen. Der Antrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. In dem Antrag hat der Unternehmer die Vergütung selbst zu berechnen ..."

Mit Wirkung vom 3. Juni 1995 (vgl. Art. 41 Abs. 6 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250) wurde § 18 Abs. 9 UStG 1993 durch Art. 20 Nr. 13 Buchst. d des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) wie folgt geändert:

"Zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens kann das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 und von den Absätzen 1 bis 4, in einem besonderen Verfahren regeln. Dabei kann angeordnet werden, dass die Vergütung nur erfolgt, wenn sie eine bestimmte Mindesthöhe erreicht. Der Vergütungsantrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. Der Unternehmer hat die Vergütung selbst zu berechnen und die Vorsteuerbeträge durch Vorlage von Rechnungen und Einfuhrbelegen im Original nachzuweisen. ..."

Der zuvor zitierte § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 wurde gleichzeitig aufgehoben (Art. 21 Nr. 18 Buchst. a des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl I 1995, 1250).

Danach hat die Klägerin die Anträge vom 29. Dezember 1994 auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen für 1990 bis 1993 verspätet gestellt.

2. Die Frist für die Anträge der Klägerin auf Verlängerung der Frist für die Anträge auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen 1990 bis 1993 konnte nicht verlängert werden.

a) Bei der in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 bezeichneten Frist handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist (vgl. auch FG Schleswig-Holstein vom 11. März 1992 IV 682/89, EFG 1992, 426). Nach dem Wortlaut ("Der Antrag ist binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen") handelt es sich um eine eindeutige Handlungsfrist, die der Steuerpflichtige zur Wahrung seiner Rechte einhalten muss. Die Versäumung schließt ihn von den antragsabhängigen Rechten aus, sofern keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt. Derartige Ausschlussfristen (vgl. dazu Klein/ Brockmeyer, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 108 Anm. 1 bis 3) sind nicht - insbesondere nicht rückwirkend - verlängerbar (so inzwischen die Finanzverwaltung, Bundesministerium der Finanzen - BMF - vom 18. Juli 1995 IV C 4 -S 7359- 110/95, BStBl I 1995, 382). Auf dieser Ansicht beruht die Rechtsprechung des Senats zur wortgleichen Vorschrift des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 1993, die seit 3. Mai 1995 die Regelung in § 61 UStDV 1991 ersetzt (BFH-Urteil in BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214, UR 2000, 167).

b) Diese Auslegung des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 ist gemeinschaftsrechtlich geboten.

Die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie ihre Aufgabe gemäß Art. 5 des Vertrages der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - EWG-Vertrag - (jetzt Art. 10 EGV), alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, obliegt allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten (siehe u.a. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 26. September 1996 Rs. C-168/95 - Arcaro -, Slg. 1996, I-4705 Randnr. 41). Daraus folgt, dass sich ein nationales Gericht, wenn es nationales Recht bei dessen Anwendung auszulegen hat, dabei so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag (jetzt Art. 249 Abs. 3 EGV) nachzukommen (EuGH-Urteile vom 11. Juli 2002 Rs. C-62/00 - Marks & Spencer -, Slg. 2002, I-6325, UR 2002, 436; vom 13. November 1990 Rs. C-106/89 - Marleasing -, Slg. 1990, I-4135 Randnr. 8; vom 16. Dezember 1993 Rs. C-334/92 - Wagner Miret -, Slg. 1993, I-6911 Randnr. 20).

So muss der nationale Richter bei der richtlinienkonformen Auslegung das zur Durchführung der Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften (EG-Richtlinie) erlassene Gesetz "unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auslegen und anwenden" (EuGH-Urteile vom 10. April 1984 Rs. 14/83 - Colson -, Slg. 1984, 1891, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1984, 2021 Randnr. 18; in Slg. 1990, I-4135 Randnr. 8).

Durch § 18 Abs. 9 UStG 1980/1991/1993 und § 61 Abs. 1 UStDV 1980/1991/1993 wurde Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie umgesetzt.

Die Richtlinienbestimmung lautet:

"Der Antrag ist spätestens sechs Monate nach Ende des Kalenderjahres, in dem die Steuer fällig geworden ist, an die ... zuständige Behörde zu stellen."

Diese Bestimmung der Achten Richtlinie ist für die Mitgliedstaaten verbindlich (vgl. Art. 5 Abs. 1, 2 i.V.m. Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag; Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Art. 249 Unterabs. 3 EGV). Der Senat hatte in seinem Urteil in BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214, UR 2000, 167) keine Zweifel, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie eine Fristverlängerung ausschließt. Daran hält er fest. Die Bestimmung ist inhaltlich eindeutig ("spätestens"). Dem trägt § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 durch die Fassung "binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres" Rechnung.

Auch der Österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in der Entscheidung vom 25. April 2002 (Zl. 2000/15/0032) ausgeführt, dass es mit dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie, wonach der Antrag "spätestens" sechs Monate nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen ist, unvereinbar wäre, wenn die Antragsfrist verlängert werden könnte. Anderslautende Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten sind dem Senat nicht bekannt.

c) Der richtlinienkonformen Auslegung des § 61 Abs. 1 UStDV 1980/1991/1993 steht auch der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Achten Richtlinie nicht entgegen. Die Richtlinie ist nicht - wie die Klägerin vorträgt - erst am 1. Januar 1981 in Kraft getreten. Dieses Datum bezeichnet lediglich den Zeitpunkt, an dem die Mitgliedstaaten die Richtlinie spätestens umsetzen müssen (vgl. Art. 10 Satz 1 der Achten Richtlinie). Eine frühere Umsetzung der Richtlinie - wie hier durch § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 vom 21. Dezember 1979 (BGBl I 1979, 2359, BStBl I 1980, 19) - war jedoch rechtlich zulässig, denn als an die Mitgliedstaaten gerichteter Rechtsakt des Gemeinschaftsrechts war sie mit ihrer (notwendig einstimmigen) Verabschiedung durch den Rat am 6. Dezember 1979 und der Bekanntgabe im Amtsblatt (ABlEG 1979 Nr. L 331, 11 vom 27. Dezember 1979) wirksam. Die kurzfristige Umsetzung der Achten Richtlinie in deutsches Recht war möglich, weil dem Gesetz- und Verordnungsgeber die beabsichtigten gemeinschaftsrechtlichen Regelungen bekannt waren.

Der Verordnungsgeber hat seinen auf Umsetzung der Achten Richtlinie gerichteten Willen außerdem dadurch bekräftigt, dass er mit der Änderung der UStDV 1980 durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 9. Juni 1983 (BGBl I 1983, 680), die in ihrem Art. 1 Nr. 9 und 10 auch die §§ 59 ff. UStDV - wenn auch nur klarstellend (vgl. BRDrucks 125/83, S. 15) - betrifft, den Regelungsgehalt der bezeichneten Richtlinie wiederholt.

d) Die Umsetzung der vorgegebenen Bestimmung von Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie durch eine Rechtsverordnung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993) ist bedenkenfrei (vgl. auch BFH-Beschluss vom 14. März 2002 V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038).

Bei der Umsetzung von Bestimmungen einer Richtlinie ist ein Mitgliedstaat nur an das zu erreichende Ziel, nicht aber an eine bestimmte Form und an besondere Mittel gebunden. Deshalb ist dem Mitgliedstaat auch nicht vorgeschrieben, in welcher gesetzlichen Form (förmliches Gesetz oder Rechtsverordnung) er Gemeinschaftsrecht in nationales Recht umsetzt. Er muss die Richtlinie nur sinngetreu und ihrem Zweck entsprechend umsetzen (vgl. EuGH-Urteil vom 9. September 1999 Rs. C-102/97 - Kommission/Deutschland -, Slg. 1999, I-5051, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft - EuZW - 1999, 689, m.w.N.). Die Ausnahme, nach der eine EG-Richtlinie nicht durch eine bloße Verwaltungspraxis umgesetzt werden darf, wenn sie die Verwaltung beliebig ändern kann und wenn sie nur unzureichend bekannt ist (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Juli 1999 Rs. C-203/98 - Kommission/Belgien -, Slg. 1999, I-4899 Randnr. 14), liegt im Streitfall nicht vor.

e) Inhalt, Zweck und Ausmaß des in der Verordnung zu regelnden Gegenstands sind durch Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie i.V.m. § 18 Abs. 9 UStG 1980/1991/1993 so bestimmt vorgegeben, dass dadurch i.V.m. § 18 Abs. 9 UStG 1980/1991/1993 eine ausreichende Ermächtigung i.S. von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes vorlag. Die eindeutige Antragsfrist in Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie, die dem nationalen Gesetzgeber keinen Umsetzungsspielraum lässt, brauchte deswegen nicht in § 18 Abs. 9 UStG 1980/1991/1993 geregelt zu werden.

Mit der Übernahme der (inhaltlich unveränderten) Antragsfrist aus der Rechtsverordnung (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993) in das Gesetz (§ 18 Abs. 9 Satz 3 UStG ab 3. Juni 1995) ist keine Rechtsänderung verbunden, weil sie lediglich "aus Gründen der Rechtsklarheit" erfolgte (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 1996, zu § 18 Abs. 9 UStG, BRDrucks 171/95, S. 151 zu Art. 11 Nr. 5 Buchst. e; unverändert in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 31. Mai 1995, BTDrucks 13/1558, S. 173). Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass sich das Vergütungsverfahren (§ 18 Abs. 9 UStG 1993) nach den Bestimmungen der Achten und Dreizehnten Richtlinie des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Umsatzsteuern 86/560/EWG - Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige (ABlEG 1986 Nr. L 326) richte.

Der Gesetzgeber machte von der Wahlfreiheit bei der Bestimmung der Form der Umsetzung Gebrauch. Eine (rückwirkende) inhaltlich neue Regelung war nur insoweit mit der Vorschrift verbunden, als er auch die Möglichkeit nutzte, die Vorsteuervergütung bei Unternehmern, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig waren, von der Gegenseitigkeit abhängig zu machen und sie bei bestimmten Vorumsätzen auszuschließen (§ 18 Abs. 9 Sätze 6 und 7 UStG 1993), um Missbrauchseffekte zu verhindern (Arzberger, Der Betrieb - DB - 1995, 2184, 2191; Kraeusel, UR 1995, 357, 374).

3. Eine rückwirkende Verlängerung der Ausschlussfrist für den Antrag auf Vorsteuervergütung ist auch durch § 109 AO 1977 nicht zugelassen. Die Vorschrift, nach der die Frist für die Einreichung einer Steuererklärung verlängert werden kann, findet keine Anwendung, weil ihr die spezielleren Verfahrensvorschriften der § 18 Abs. 9 UStG 1980/1991/1993 i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 vorgehen.

4. Eine Verpflichtung zur rückwirkenden Fristverlängerung ergibt sich auch nicht aus Abschn. 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1988/1992, der ausführt: "Die Antragsfrist (§ 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV) kann verlängert werden (§ 109 AO)." Denn diese Verwaltungsregelung ist nach den oben dargestellten Rechtsgrundsätzen rechtswidrig und entfaltet im Streitfall keine Bindungswirkung.

Im Streitfall kann offen bleiben, ob eine Verwaltungsregelung dazu führen kann, dass ein Mitgliedstaat - für eine bestimmte Übergangszeit - eine Rechtspraxis beibehält, die dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Denn bereits aus den nationalen Rechtsgrundsätzen ergibt sich, dass die Klägerin aus der bezeichneten Verwaltungsanordnung keinen Anspruch auf Fristverlängerung herleiten kann.

a) Bei Abschn. 243 Abs. 5 UStR 1988/1992 handelt es sich nicht um eine die Ausübung des Verwaltungsermessens regelnde Anordnung, für die der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung gilt (BFH-Urteil vom 10. Juni 1992 I R 142/90, BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784), sondern um eine norminterpretierende Regelung, an die jedenfalls die Gerichte nicht gebunden sind (BFH-Urteil vom 30. September 1997 IX R 39/94, BFH/NV 1998, 446).

b) Eine Bindung folgt auch nicht aus dem BMF-Schreiben in BStBl I 1995, 382, Heft 11 vom 10. August 1995. In dem Schreiben wird u.a. ausgeführt:

"Es ist daher vorgesehen, die Antragsfrist in den Umsatzsteuerrichtlinien 1996 als Ausschlussfrist zu behandeln ...

Im Hinblick auf die geltende Rechtslage kann Abschnitt 243 Abs. 5 Satz 1 UStR 1992 nicht beibehalten werden, nach dem die Antragsfrist aufgrund von § 109 AO verlängert werden kann.

...

Die bisherigen Grundsätze (Anwendung des § 109 AO) gelten noch für Fristverlängerungsanträge, die bis zur Veröffentlichung dieses Schreibens im Bundessteuerblatt bei den Finanzbehörden eingegangen sind."

Sog. norminterpretierende Verwaltungsvorschriften stehen konkludent unter dem Vorbehalt einer davon abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung (z.B. BFH-Urteil vom 5. Mai 1999 XI R 1/97, BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653, m.w.N.). Für den Fall einer rückwirkenden verschärfenden Änderung der Rechtsprechung ist es Sache der obersten Verwaltungsbehörden, auf der Grundlage der §§ 163 oder 227 AO 1977 (früher § 131 AO) unbillige Auswirkungen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes durch Übergangsregelungen zu vermeiden, die auch von den Steuergerichten grundsätzlich zu beachten sind (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 417, BStBl II 1984, 751, 757, zu C.I.1.).

Eine die Verwaltungspraxis bestätigende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verlängerbarkeit der Frist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 war jedoch nicht vorhanden. Vielmehr hatte das FG Schleswig-Holstein durch Urteil in EFG 1992, 426 entschieden, dass es sich bei der Antragsfrist in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist handele.

Im Übrigen setzt die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben eine besondere Vertrauenssituation zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt voraus. Diese kann grundsätzlich nur durch die Erteilung einer verbindlichen Zusage oder Auskunft geschaffen werden, nicht hingegen durch den Erlass allgemeiner norminterpretierender Verwaltungsrichtlinien (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil in BFHE 189, 57, BStBl II 1999, 653, m.w.N.). Für Übergangsregelungen zu rechtswidrigen norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften gilt nichts anderes.

5. Die Vorentscheidung erwiese sich im Ergebnis auch dann als zutreffend, wenn das BfF die Antragsfrist für Anträge auf Vorsteuervergütung nach § 109 Abs. 1 AO 1977 hätte verlängern dürfen. Die Ablehnung der Fristverlängerung war im Streitfall nicht ermessensfehlerhaft. Aus der Übergangsregelung des BMF in dem Schreiben in BStBl I 1995, 382 zur Anwendung des § 109 Abs. 1 AO 1977 ergibt sich nicht, dass auch eine rückwirkende Fristverlängerung hätte gewährt werden müssen.

§ 109 Abs. 1 AO 1977 bestimmt hierzu :

"...

Sind solche Fristen bereits abgelaufen, so können sie rückwirkend verlängert werden, insbesondere wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen."

Da die Vorschrift der Verwaltungsbehörde für die Entscheidung über eine Fristverlängerung nach Fristablauf Ermessen (§ 5 AO 1977) einräumt, kann die Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag nur darauf überprüft werden, ob das BfF bei der Ausübung seines Ermessens die gesetzlichen Grenzen überschritten oder das Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das BfF ist in seiner Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 1997 von der für die Klägerin günstigeren Anwendbarkeit des § 109 AO 1977 ausgegangen. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Insbesondere war es nicht ermessensfehlerhaft, ein Verschulden der Klägerin an der verspäteten Antragstellung anzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juli 1999 V R 52/98, BFH/NV 2000, 98). Dem steht nicht der Vortrag der Klägerin entgegen, es sei für ausländische Unternehmer aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten schwierig, die gesetzliche Frist für den Antrag auf Gewährung der Vorsteuervergütung von sechs Monaten einzuhalten. Denn hieraus ergibt sich nicht, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, vor Fristablauf Fristverlängerung zu beantragen.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das BfF mit der Ablehnung der Fristverlängerung gegen eine sein Ermessen bindende Verwaltungspraxis verstoßen hätte. Nach den nicht widerlegten Ausführungen des BfF in der Einspruchsentscheidung wurde Anträgen auf Fristverlängerung entsprochen wenn sie vor dem Ablauf der sechsmonatigen Antragsfrist des § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980/1991/1993 gestellt worden waren. Wenn der Fristverlängerungsantrag nach Ablauf dieser Frist gestellt worden war, wurde die Frist nur verlängert, wenn der Antrag unverschuldet verspätet gestellt worden war. Dieser Praxis entspricht die Entscheidung des BfF im Streitfall.