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  BFH-Beschluss vom 18.12.2003 (II B 31/00) BStBl. 2004 II S. 237

Ergeht während des Verfahrens über eine zulässige, aber unbegründete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein Änderungsbescheid zu Lasten des Steuerpflichtigen, ist die Vorentscheidung entsprechend § 127 FGO aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

FGO § 68, § 127.

Vorinstanz: FG Köln vom 17. Januar 2000 3 K 9331/97

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist in den Jahren 1995 und 1996 zusammen mit ihrem Ehemann unter Vorbehalt der Nachprüfung auf den 1. Januar 1989 bis 1992 zur Vermögensteuer veranlagt worden, und zwar in Höhe von 145.465 DM, 288.965 DM, 636.615 DM bzw. 692.590 DM. Im Dezember 1996 beantragten die Eheleute unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655), die Vermögensteuerbescheide gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben, da ihre, der Eheleute, steuerliche Gesamtbelastung die vom BVerfG entwickelte Belastungsobergrenze (Halbteilungsgrundsatz) übersteige. Dies lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) mit Verfügung vom 20. Januar 1997 ab. Den dagegen eingelegten Einspruch wies er mit Entscheidung vom 6. November 1997 zurück. Auch die dagegen eingelegte Klage der Eheleute blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die vom BVerfG angeordnete Weitergeltung des Vermögensteuerrechts bis Ende 1996 stehe einer Berufung auf den Halbteilungsgrundsatz entgegen. Abgesehen davon sei nicht zu erkennen, dass die Eheleute in den Streitjahren über die 50 v.H.-Grenze hinaus belastet worden seien.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machten zunächst beide Eheleute geltend, der Sache komme grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage zu, ob und inwieweit der Halbteilungsgrundsatz auch für die Zeit der angeordneten Weitergeltung des Vermögensteuerrechts bis zum 31. Dezember 1996 auf die Vermögensteuer anzuwenden und was die Bezugsgröße für die Halbteilung ist.

Während des Beschwerdeverfahrens sind aus anderen Gründen nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderte Vermögensteuerbescheide ergangen, und zwar auf den 1. Januar 1989 und 1990 am 7. Dezember 2000 und auf den 1. Januar 1991 und 1992 am 6. Juni 2002. Durch die Änderungsbescheide ist die Vermögensteuer auf 126.590 DM und 393.505 DM bzw. 445.276,43 € und 561.216,98 € festgesetzt worden. Zudem ist über das Vermögen des Ehemanns während des Beschwerdeverfahrens am 23. Mai 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das FA hat mit Schriftsatz vom 7. November 2003 beantragt, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen.

Entscheidungsgründe

II.

A. Das Verfahren hinsichtlich der Vermögensteuer 1989 ist abgetrennt worden.

B. In dem danach verbliebenen Umfang ist die Beschwerde hinsichtlich der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1990 unzulässig (geworden) und hinsichtlich der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1991 und 1992 mit der Maßgabe begründet, dass die Sache in entsprechender Anwendung des § 127 FGO an das FG zurückzuverweisen ist.

1. Das Beschwerdeverfahren ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Ehemanns gemäß § 155 FGO i.V.m. § 240 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen worden. Es konnte gemäß § 185 i.V.m. § 180 Abs. 2 InsO durch Aufnahme des Rechtsstreits fortgesetzt werden. Zur Aufnahme waren die Beteiligten beider Seiten berechtigt (Schumacher in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 2, 2002, § 185 Anm. 12), nachdem die Steuerforderungen im Prüfungstermin vom Insolvenzverwalter bestritten worden sind (§ 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 2 InsO). Das FA hat von seinem Recht zur Aufnahme des Verfahrens mit Schriftsatz vom 7. November 2003 Gebrauch gemacht.

2. Bei Unterbrechung des Beschwerdeverfahrens waren sämtliche ursprünglich angefochtenen Vermögensteuerbescheide durch Änderungsbescheide ersetzt, wobei die Änderung auf den 1. Januar 1989 zugunsten und die Änderungen auf den 1. Januar 1990 bis 1992 zu Lasten der Eheleute ausgefallen waren. Die Auswirkungen der Änderungsbescheide auf das anhängige Beschwerdeverfahren bestimmen sich nach § 68 FGO, der auch im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision Anwendung findet, und zwar unabhängig davon, ob das Beschwerdeverfahren eine Anfechtungsklage oder wie im Streitfall - wenn auch vom FG verkannt - eine Verpflichtungsklage betrifft (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Juli 1991 III R 3/87, BFHE 165, 143, BStBl II 1991, 854), und unabhängig davon, ob die Änderungsbescheide noch vor In-Kraft-Treten der Neufassung des § 68 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I, 1757) oder erst danach ergangen sind (vgl. zu § 68 FGO a.F.: BFH-Beschlüsse vom 29. September 1988 X B 166/87, BFH/NV 1989, 380, sowie vom 10. November 1999 VII B 124/99, BFH/NV 2000, 604, und zu § 68 FGO n.F.: BFH-Beschlüsse vom 13. März 2003 VII B 153/02, BFH/NV 2003, 1065; vom 8. April 2003 V S 13/02, juris-Dokument Nr. StRE 200350566, sowie vom 28. August 2003 IV B 184/01, juris-Dokument Nr. StRE 200351020). Allerdings hatten die Änderungsbescheide unterschiedliche Rechtsfolgen für das Beschwerdeverfahren, je nachdem, ob sie noch zur Zeit der Geltung des § 68 FGO a.F. oder erst zur Zeit der Geltung des § 68 FGO n.F. ergangen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Januar 2002 I R 41/01, BFH/NV 2002, 672).

a) Der Änderungsbescheid auf den 1. Januar 1990 vom 7. Dezember 2000 ist nicht zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden. Nach § 68 FGO a.F. wurden nach Klageerhebung ergangene Änderungsbescheide nur auf Antrag der Klägerseite zum Gegenstand des Verfahrens. Der Antrag war innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der neuen Verwaltungsakte zu stellen, worauf in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen war. Unterblieb der Hinweis auf die Monatsfrist, verlängerte sich die Antragsfrist entsprechend § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO auf ein Jahr (BFH-Urteil vom 24. Januar 1995 IX R 22/94, BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328). Im Streitfall enthielt der Änderungsbescheid auf den 1. Januar 1990 keinen Hinweis auf § 68 Satz 3 FGO a.F. Die Kläger haben jedoch weder innerhalb eines Monats noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe der Bescheide einen Antrag nach Satz 1 der Vorschrift gestellt. Da sie stattdessen Einspruch gegen den Änderungsbescheid eingelegt und diesen aber später - nämlich mit Schriftsatz vom 16. August 2002 - wieder zurückgenommen haben, ist dieser Änderungsbescheid bestandskräftig geworden. Der geänderte ursprüngliche Bescheid ist mangels eines Antrags nach § 68 Satz 1 FGO a.F. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geblieben. Allerdings ist insoweit das Rechtsschutzbedürfnis für das Beschwerdeverfahren entfallen, weil dem geänderten Bescheid keine Rechtswirkung mehr zukommt (Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231, unter III. 3.). Damit ist die Beschwerde insoweit unzulässig geworden.

b) Dagegen sind die Änderungsbescheide auf den 1. Januar 1991 und 1992 vom 6. Juni 2002 gemäß § 68 Satz 1 FGO n.F. zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden. Die durch sie bewirkte Verböserung für die Eheleute ist bisher jedoch erstinstanzlich noch nicht überprüft worden. Selbst wenn sich insoweit nur rechtliche Einwendungen vorbringen ließen, deren Beurteilung keine weiteren tatsächlichen Feststellungen erforderte, könnte diese Beurteilung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorgenommen werden. Diesem Umstand, der für sich genommen keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO darstellt, ist für den Fall, dass die Beschwerde - wie im Streitfall - ansonsten unbegründet wäre, auf zweierlei denkbare Weise abzuhelfen. So könnte trotz fehlendem Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO eine Zulassung der Revision erwogen werden, um eine rechtliche Überprüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen. Diese Vorgehensweise eröffnete für den Fall, dass weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich werden, gemäß § 127 FGO auch die Möglichkeit einer Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz. Als Alternative bietet sich eine entsprechende Anwendung des § 127 FGO auf das Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision an, um die infolge des § 68 FGO n.F. aufgerissene Gesetzeslücke im Bereich des Revisionszulassungsrechts zu füllen. Der Senat befürwortet diese zweite Alternative (vgl. auch Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 127 FGO Anm. 13 i.V.m. Anm. 7). Sie hat den Vorzug, dass den Beschwerdeführern bezüglich der durch den Erlass eines Änderungsbescheides aufgeworfenen Rechtsfragen keine Instanz genommen wird und dass das Revisionsverfahren vermieden wird, wenn bereits im Beschwerdeverfahren die Notwendigkeit weiterer Tatsachenfeststellungen infolge der Änderungsbescheide erkennbar ist. Sie führt im Streitfall zur Aufhebung der Vorentscheidung insoweit, als diese die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1991 und 1992 betrifft, sowie zur Zurückverweisung an das FG.

3. Der Senat weist informatorisch auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach für die Dauer der befristeten Weitergeltung des Vermögensteuerrechts ein im Einzelfall sich ergebendes Überschreiten der vom BVerfG mit Beschluss in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 entwickelten Belastungsobergrenze jedenfalls im Rahmen einer Veranlagung zur Vermögensteuer hinzunehmen ist (so BFH-Entscheidungen vom 29. Oktober 1997 II B 67/97, BFH/NV 1998, 361; vom 19. Mai 1998 II B 14/98, BFH/NV 1998, 1275; vom 6. August 1998 II B 53/98, BFH/NV 1999, 228; vom 30. September 1998 II R 47/97, BFH/NV 1999, 452; vom 30. Juni 1999 II B 110/98, BFH/NV 1999, 1653, sowie vom 23. Oktober 2000 II B 157/99, BFH/NV 2001, 498). Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats in BFH/NV 1999, 452, dem diese Auffassung des Senats zugrunde liegt, ist vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluss vom 20. Januar 1999 1 BvR 2136/98).