| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 22.10.2003 (I R 18/02) BStBl. 2004 II S. 468

Bei Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes gemäß § 10a Satz 2 GewStG ist in den Fällen des § 8 Abs. 4 KStG 1991 nicht nur die Höhe des jeweiligen Verlustbetrages, sondern auch die steuerliche Abzugsfähigkeit dieses Betrages nach Maßgabe der im Feststellungszeitpunkt geltenden Rechtslage für das spätere Abzugsjahr verbindlich festzulegen (Bestätigung des BMF-Schreibens vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455 Tz. 35).

KStG 1991 § 8 Abs. 1 und 4; EStG 1991 § 10d Abs. 3; GewStG § 10a.

Vorinstanz: FG München vom 1. Februar 2002 7 K 704/00 (EFG 2002, 713)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine am 12. Juli 1990 gegründete GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Beteiligung an Unternehmen aller Art, vornehmlich im Bereich der Bürotechnik und Bürokommunikation, ist. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war R.

Im Einzelnen nahm die wirtschaftliche Entwicklung seit der Unternehmensgründung folgenden Verlauf:

Die Klägerin übernahm am 2. Januar 1991 sämtliche Geschäftsanteile der HB-GmbH zu einem Kaufpreis von 2,95 Mio. DM, den sie bei einer Sparkasse fremdfinanzierte. Die Beteiligung wurde bereits 1992 auf einen Erinnerungswert von 1 DM abgeschrieben. Da die Klägerin zur Tilgung der Darlehen nicht in der Lage war, führte das Anwachsen der Zinsverbindlichkeiten zu weiteren Verlusten. In dieser wirtschaftlichen Situation war ihr der Erwerb weiterer Beteiligungen unmöglich.

In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1994 wies die Klägerin einen Kapitalfehlbetrag von 4.505.451,20 DM aus. Der körperschaftsteuerliche Verlustvortrag betrug 4.555.453 DM.

Mit notariellem Vertrag vom 29. Juni 1995 veräußerte R 60 v.H. seiner Beteiligung an der Klägerin zu einem Kaufpreis von 50.000 DM an eine GmbH, die H-Steuerberatungs-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Prozessbevollmächtigte (S), ein Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, war. Mit der Anteilsveräußerung beendete R seine Tätigkeit als Geschäftsführer. Neuer Geschäftsführer wurde X; S wurde zum Prokuristen berufen.

Ebenfalls am 29. Juni 1995 übertrug S seine Anteile an der H-Unternehmensberatungs-GmbH auf die Klägerin.

Zum Zeitpunkt der Anteilsveräußerungen am 29. Juni 1995 waren die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber der Sparkasse auf 4.924.964,48 DM angewachsen. In einer mit R und seiner Ehefrau sowie mit S getroffenen Vereinbarung trat die Sparkasse gegen Zahlung von 200.000 DM diese Ansprüche an S ab. Gegenüber der Klägerin verzichtete S für das Jahr 1995 auf eine Verzinsung der auf ihn übergegangenen Forderungen.

Am 3. September 1996 veräußerte R an S die ihm noch verbliebene 40%ige Beteiligung an der Klägerin. In einer gesonderten Vereinbarung ist dazu allerdings bestimmt, dass S diesen Geschäftsanteil für R treuhänderisch halten sollte. Die Treuhandstellung sollte geheim gehalten werden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte der Klägerin unter Hinweis auf § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1991) den Abzug der aufgelaufenen Verluste und setzte hiernach für das Streitjahr 1996 den Gewerbesteuermessbetrag fest. Der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1996 sowie der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1996 wurden jeweils auf 0 DM festgestellt. Den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1995 sowie den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1995 hatte das FA durch bestandskräftige Bescheide vom 7. August 1996 auf 4.913.551 DM bzw. auf 4.086.226 DM festgestellt.

Die Klage gegen den für das Streitjahr ergangenen Gewerbesteuermessbescheid blieb erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) München vom 1. Februar 2002 7 K 704/00 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 713 abgedruckt.

Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben, den angefochtenen Steuerbescheid zu ändern und den Gewerbesteuermessbetrag 1996 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages 1996.

Das FG hat den Verlustabzug im Ergebnis zu Unrecht versagt. Es hat verkannt, dass die Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1995 und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1995 sich nicht nur auf die Höhe der festgestellten Beträge, sondern auch auf deren Abzugsfähigkeit dem Grunde nach erstrecken.

1. Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht ausgeglichen und in den beiden vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht abgezogen worden sind, sind nach Maßgabe des § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990/1996) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1991 in den folgenden Veranlagungszeiträumen abzuziehen. Gleichermaßen wird der maßgebende Gewerbeertrag nach Maßgabe des § 10a Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrages für die vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrages für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind. Sowohl der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag (§ 10d Abs. 3 EStG 1990/1996 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1991) als auch die Höhe der vortragsfähigen Fehlbeträge (§ 10a Satz 2 GewStG) sind gesondert festzustellen.

2. a) Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1991, für die Ermittlung des Gewerbeertrages i.V.m. § 10a Satz 4 GewStG, ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d EStG 1990 und für die Kürzung des Gewerbeertrages um Fehlbeträge bei einer Körperschaft, dass diese nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. § 8 Abs. 4 KStG 1991 definiert die "wirtschaftliche Identität" einer Körperschaft nicht, sondern bestimmt in Satz 2 lediglich beispielhaft ("insbesondere"; vgl. Senatsurteile vom 13. August 1997 I R 89/96, BFHE 183, 556, BStBl II 1997, 829; vom 8. August 2001 I R 29/00, BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392; Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2001 I R 58/01, BFHE 197, 246, BStBl II 2002, 395), wann eine wirtschaftliche Identität nicht mehr gegeben ist. Die Vorschrift setzt damit aber zugleich mittelbar einen Maßstab für die unter Satz 1 der Vorschrift zu fassenden Sachverhalte. Sie müssen Voraussetzungen erfüllen, die mit den in Satz 2 genannten wirtschaftlich vergleichbar sind.

Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1991 fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn - erstens - bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als 75 v.H. der Geschäftsanteile übertragen werden, - zweitens - überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und - drittens - der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen wieder aufgenommen wird.

b) Das FG hat angenommen, dass im Streitfall jedenfalls die Voraussetzungen für den Ausschluss des Verlustabzugs gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1991 vorliegen. Insbesondere sei das Erfordernis einer Übertragung von mehr als 75 v.H. der Geschäftsanteile in einer mit dem Regelbeispiel nach Satz 2 der Vorschrift wirtschaftlich vergleichbaren Weise erfüllt. Denn in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu der Übertragung von 60 v.H. der Anteile an der Klägerin auf die H-Steuerberatungs-GmbH seien die Bankforderungen auf den S übertragen worden, wodurch diesem eine wirtschaftlich mit einem Anteilseigner vergleichbar starke Stellung eingeräumt worden sei. Diese Stellung habe er trotz der (verdeckten) Treuhandvereinbarung mit R im September 1996 auch rechtlich erlangt. Der Geschäftsbetrieb der Klägerin sei überdies eingestellt und erst mit dem Erwerb der Anteile an der H-Unternehmensberatungs-GmbH wieder aufgenommen worden.

Aufgrund dieser getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sei davon auszugehen, dass R seine Anteile aus wirtschaftlicher Sicht schon am 29. Juni 1995 zu 100 v.H. übertragen und die Klägerin danach ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufgenommen habe. Das FG geht also erklärtermaßen davon aus, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität bereits am 29. Juni 1995 verloren hat und dass für die bis dahin aufgelaufenen Verluste die Abzugsberechtigung zu diesem Zeitpunkt weggefallen ist.

c) Der Senat pflichtet dieser rechtlichen Einschätzung aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die weder gegen die Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und an die er deshalb gebunden ist (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), bei: Der Klägerin ist danach im Zusammenhang mit den verschiedenen Transaktionen im Jahre 1995 erhebliches neues Betriebsvermögen zugeführt worden, was es ihr ermöglichte, ihre Geschäftstätigkeit wieder aufzunehmen. Die wirtschaftliche Stellung des S entsprach überdies spätestens am 29. Juni 1995 aufgrund der Anteilserwerbe sowie der Forderungsabtretung durch die Sparkasse derjenigen eines Anteilseigners (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 196, 178, BStBl II 2002, 392, für die Gestellung von Sicherheiten und Bürgschaften).

3. Waren die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1991 damit bereits am 29. Juni 1995 und nicht - wie das FA nunmehr meint - erst im Zeitpunkt des Erwerbs der restlichen 40 v.H. der Anteile durch den S im Jahre 1996 erfüllt, ist der Klägerin der Verlustabzug unabhängig von der materiellen Rechtslage aus verfahrensrechtlichen Gründen zu gewähren. Denn das FA hat den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1995 nach Maßgabe des § 10d Abs. 3 EStG 1990 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1991 auf 4.913.551 DM und den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31. Dezember 1995 nach Maßgabe des § 10a Satz 2 GewStG auf 4.086.226 DM festgestellt. Zwar hat der Senat (durch Urteil vom 11. Februar 1998 I R 81/97, BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485; s. auch Urteil vom 28. Februar 2001 I R 77/00, BFH/NV 2001, 1293) entschieden, dass der Regelungsgehalt solcher Feststellungen sich darin erschöpft, die Höhe des jeweiligen Verlustbetrages für das spätere Abzugsjahr verbindlich festzulegen. Daraus folgt jedoch nicht, dass es sich in jedem Fall um bloße betragliche Feststellungen handelt. Vielmehr sind die festgestellten Beträge durch ihre steuerliche "Wertigkeit" (so Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 4 KStG n.F. Rz. 148), also ihre steuerliche Abzugsfähigkeit nach Maßgabe der im Feststellungszeitpunkt geltenden Rechtslage qualifiziert. Festzustellen ist der Unterschiedsbetrag zwischen den tatsächlich ausgeglichenen und den "abziehbaren" Beträgen (vgl. § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG 1990/1996). Ein anderweitiges Verständnis, wonach lediglich der absolute Betrag der Verlustvorträge festzustellen wäre, würde dem Regelungssinn nicht gerecht, nämlich eine abgeschichtete (Grundlagen-)Entscheidung über den Verlustabzug zu ermöglichen und die Steuerfestsetzung in den Folgejahren - jedenfalls bei gleich bleibender Gesetzeslage - mit dieser Entscheidung nicht mehr zu belasten (zutreffend Dötsch, ebenda, unter Hinweis auf Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455 Tz. 35; ebenso B. Lang in Ernst & Young, Körperschaftsteuergesetz, § 8 Rz. 1304 ff.; Rengers in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 16. Aufl., § 8 KStG Rz. 955; Ulbrich, Deutsches Steuerrecht 1998, 445; Niedersächsisches FG, Urteil vom 13. Februar 2001 6 K 534/96, EFG 2001, 1238, 1240; FG München, Urteil vom 27. April 2001 6 K 5198/99, EFG 2001, 1237, 1238; anders Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 8 KStG Rz. 193 a; Franzen, Der Betrieb 2000, 874).

Geht man vor diesem Hintergrund mit dem FG und dem FA davon aus, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Identität nach Maßgabe des § 8 Abs. 4 KStG 1991 bereits im Jahr 1995 verloren hat, sind die hiernach festgestellten Beträge für das Streitjahr verbindlich (§ 182 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung). Denn die Gesetzeslage hat sich insoweit im Streitjahr gegenüber dem Vorjahr 1995 nicht geändert. Für eine anderweitige Einschätzung der wirtschaftlichen Identität und damit des Verlustabzugs bestand sonach kein Anlass.

4. Die Vorinstanz hat in diesem Punkt eine abweichende Auffassung vertreten. Ihr Urteil war aufzuheben. Die Ermittlung und Berechnung des antragsgemäß festzusetzenden Gewerbesteuermessbetrages 1996 wird dem FA nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung überlassen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).