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  BFH-Urteil vom 17.12.2003 (IX R 60/98) BStBl. 2004 II S. 646

1. Es stellt keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO 1977 dar, wenn auf die Ausübung eines im Zusammenhang mit einer Grundstücksübertragung eingeräumten unentgeltlichen Wohnungsrechts verzichtet und stattdessen zwischen dem Übertragenden und dem neuen Eigentümer des Grundstücks ein Mietvertrag geschlossen wird; der Fortbestand des dinglichen Wohnungsrechts allein hindert die Wirksamkeit des Mietvertrages nicht (Fortentwicklung des BFH-Urteils vom 27. Juli 1999 IX R 64/96, BFHE 190, 125, BStBl II 1999, 826).

2. Auf die Unentgeltlichkeit des Wohnungsrechts kann konkludent durch den Abschluss des Mietvertrages verzichtet werden.

EStG § 9, § 21; AO 1977 § 42.

Vorinstanz: Thüringer FG vom 2. September 1998 III 326/97 (EFG 1998, 1642)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Streitjahr 1995 mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Mit notariellem Vertrag vom 21. Mai 1992 übertrugen die Eltern des Klägers und deren Schwägerin ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück als Miteigentum zu je 1/2 auf den Kläger und seine Ehefrau. Die Vertragsparteien vereinbarten u.a. ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnungsrecht sowie eine Pflegeverpflichtung des Klägers und seiner Ehefrau zugunsten der Eltern des Klägers. Die Kosten für Licht, Gas, Wasser und Heizung tragen die Eltern danach selbst, sonstige Abgaben der Kläger und seine Ehefrau. Das Wohnungsrecht wurde als beschränkt persönliche Dienstbarkeit, das Betreuungs- und Pflegerecht als Reallast vereinbart; beides wurde im August 1993 zusammengefasst als Altenteilsrecht im Grundbuch eingetragen.

Im Dezember 1994 verzichteten die Eltern des Klägers wegen erheblicher anstehender Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten auf das unentgeltliche Wohnungsrecht und erklärten, es in ein unbefristetes Mietverhältnis umzuwandeln. Mit Vertrag vom 1. Januar 1995 schlossen sie mit dem Kläger und seiner Ehefrau einen Mietvertrag über die von ihnen genutzte Wohnung für einen in bar gegen Quittung zu zahlenden Mietzins in Höhe von monatlich 379,80 DM (4,50 DM pro qm).

Während des Klageverfahrens erteilten die Berechtigten im November 1997 eine Bewilligung zur Löschung des Wohnungsrechts; die Löschung erfolgte im Dezember 1997.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ den vom Kläger und seiner Ehefrau in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten Werbungskostenüberschuss bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung unberücksichtigt, da das Mietverhältnis wegen des noch bestehenden dinglichen Nutzungsrechts nicht anzuerkennen sei.

Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1998, 1642).

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 21 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977).

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG den Werbungskostenüberschuss bei den Einkünften des Klägers und seiner Ehefrau aus Vermietung und Verpachtung des ihnen übertragenen Hauses bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr berücksichtigt.

1. Entgegen der Ansicht des FA ist das FG zu Recht (stillschweigend) von einer Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers ausgegangen; denn die Beteiligten haben sich ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 2. September 1998 dahin tatsächlich verständigt, dass "die im Streitjahr angesetzte Miethöhe im Bereich dessen liegt, was auch fremde Dritte für die streitige Wohnung zahlen" würden. Im Übrigen hält nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) das zivilrechtlich wirksam vereinbarte Mietverhältnis nach Inhalt und Durchführung dem Fremdvergleich stand.

2. Dem streitigen Mietverhältnis ist entgegen der Auffassung des FA nicht wegen Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO 1977) die steuerrechtliche Anerkennung zu versagen.

a) Ein Gestaltungsmissbrauch im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung: Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Januar 1996 IX R 13/92, BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214; vom 14. Januar 2003 IX R 5/00, BFHE 201, 246, BStBl II 2003, 509, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 39/99, BFHE 190, 173, BStBl II 2000, 224). Auch Angehörigen steht es danach frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH in BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214).

b) Danach liegt ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts bei Abschluss eines Mietvertrages unter Angehörigen nicht schon deshalb vor, weil das Objekt vor der Vermietung vom jetzigen Mieter auf den Vermieter übertragen wurde.

Dem Eigentümer eines Immobilienobjekts steht es nämlich frei, dieses ohne jede Auflage oder Einschränkung zu übertragen oder im Zuge der entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung mit dem Erwerber eine - wie auch immer geartete - Nutzungsmöglichkeit für sich vorzusehen (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1988 III R 268/84, BFHE 156, 403, BStBl II 1989, 872). Deshalb ist es nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nicht unangemessen, ein Grundstück unter gleichzeitiger Vereinbarung eines Mietvertrages mit dem vormaligen Eigentümer - auch wenn es sich um einen Angehörigen handelt - zu übertragen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 12. September 1995 IX R 54/93, BFHE 178, 542, BStBl II 1996, 158; vom 26. November 1996 IX R 51/94, BFH/NV 1997, 404; BFH-Beschluss vom 29. November 1996 IX B 80/96, BFH/NV 1997, 406, m.w.N.).

Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass die Eigentumsübertragung einerseits und die anschließende Vermietung andererseits jeweils zivilrechtlich und wirtschaftlich getrennt und deshalb auch steuerrechtlich grundsätzlich unabhängig voneinander zu beurteilen sind.

c) Auch ein Nebeneinander von Wohnungsrecht und Mietvertrag ist zivilrechtlich zulässig und steuerrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Über dieselbe Wohnung kann ein Mietvertrag und gleichzeitig oder auch nachträglich ein dingliches Nutzungsrecht bestellt werden (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. Januar 1974 V ZR 68/72, Der Deutsche Rechtspfleger, 1974, 187; vom 10. Mai 1968 V ZR 221/64, Betriebs-Berater 1968, 767; vom 13. November 1998 V ZR 29/98, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht - ZIP - 1999, 404; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, S. 372 f.; Rothe in Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des BGH, § 1093 Rdnr. 5). Dementsprechend steht ein Nebeneinander von Mietvertrag und Wohnungsrecht grundsätzlich auch der steuerrechtlichen Berücksichtigung des Mietvertrags nicht entgegen (BFH-Urteil vom 27. Juli 1999 IX R 64/96, BFHE 190, 125, BStBl II 1999, 826).

d) Gleiches gilt dann, wenn ein bestehendes Wohnungsrecht oder - wie im Streitfall - die insoweit bestehende (schuldrechtliche) Vereinbarung über dessen Unentgeltlichkeit aufgegeben und zwischen Wohnungsrechtsinhaber und Eigentümer ein - fremdüblicher - Mietvertrag abgeschlossen und tatsächlich durchgeführt wird (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1998 IX R 38/96, BFHE 185, 379, BStBl II 1998, 539; BFH-Beschluss vom 31. August 2000 IX B 72/00, BFH/NV 2001, 309).

aa) Ein solcher Verzicht - wie hier zugunsten von Angehörigen - stellt grundsätzlich keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten dar. Denn der Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs durch Verzicht auf das Wohnungsrecht oder - wie im Streitfall - auf dessen Unentgeltlichkeit steht regelmäßig entgegen, dass selbst eine umfassendere, vorbehaltlose Schenkung eines Grundstücks mit anschließender (Rück-)Anmietung durch den Schenker nach der ständigen BFH-Rechtsprechung nicht als unübliche Gestaltung anzusehen ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 178, 542, BStBl II 1996, 158; in BFH/NV 1997, 404).

Nach der Rechtsprechung liegt ein Gestaltungsmissbrauch durch Aufgabe des Nutzungsrechts und anschließenden Abschluss eines Mietvertrages deshalb nur vor, wenn der Vermieter den (Nutzungs-)Berechtigten im Zusammenhang mit der Aufgabe des Nutzungsrechts im Ergebnis durch ein Entgelt für diese Aufgabe so stellt, als ob dieser unverändert sein Nutzungsrecht - unentgeltlich - ausüben würde (Urteil des Senats vom heutigen Tage IX R 56/03).

Ersetzen die Vertragspartner aber tatsächlich - wie im Streitfall - eine bisher gewährte unentgeltliche Nutzungsüberlassung durch eine entgeltliche (ohne dass für diese Ersetzung eine Gegenleistung erbracht wird), stellen sie eine materiell-rechtliche Lage her, die sie bereits bei Eigentumsübergang rechtskonform hätten herstellen können (vgl. BFH-Urteile in BFHE 178, 542, BStBl II 1996, 158; in BFH/NV 1997, 404) und deren Herstellung zu einem späteren Zeitpunkt als dem des Übergangs keiner anderen rechtlichen Würdigung unterworfen sein kann (ebenso Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghof, Einkommensteuergesetz, § 21 Rdnr. B 187).

bb) Die Aufgabe eines dinglichen Rechts setzt im Übrigen eine entsprechende formelle vertragliche Vereinbarung und deren Eintragung sowie erforderlichenfalls die Löschung des Rechts voraus (vgl. dazu wie auch zu Ausnahmen BFH-Urteil vom 21. Oktober 1997 IX R 57/96, BFHE 184, 470, BStBl II 1998, 108); ist die Unentgeltlichkeit der Nutzungsüberlassung lediglich schuldrechtlich regelbar und tatsächlich vereinbart, so genügt insoweit allerdings eine schuldrechtliche Vereinbarung.

Da die - im Streitfall betroffene - Vereinbarung über die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit eines dinglichen Wohnungsrechts nicht Inhalt der beschränkt persönlichen Dienstbarkeit i.S. des § 1093 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sondern nur Inhalt der ihr zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarung sein kann (vgl. Palandt/Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl., § 1093 Rz. 14, m.w.N.; ebenso Bayrisches Oberlandesgericht vom 30. Oktober 1992 2 Z BR 89/92, Neue Juristische Woche - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht - NJW-RR - 1993, 283; Stein, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1997, 1469, 1471), kann diese mithin auch schuldrechtlich geändert werden. Diese Änderung kann konkludent durch den späteren Abschluss eines Mietvertrages herbeigeführt werden. Auf den Fortbestand des dinglichen Rechts kommt es dabei entgegen der Auffassung des FA nicht an, weil das Wohnungsrecht einem Mietvertrag über die wohnrechtsbelastete Wohnung nicht entgegensteht (vgl. BFH-Entscheidung in BFHE 190, 125, BStBl II 1999, 826).

e) Im Übrigen ist der zwischen den Vertragsparteien geschlossene Mietvertrag steuerrechtlich anzuerkennen, wenn er zum einen bürgerlich-rechtlich wirksam geschlossen ist und darüber hinaus sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht; dabei schließt nicht jede Abweichung vom Üblichen notwendigerweise die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus (BFH-Urteile vom 20. Oktober 1997 IX R 38/97, BFHE 184, 463, BStBl II 1998, 106; vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196).

3. Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nicht gegeben und das abgeschlossene Mietverhältnis steuerrechtlich anzuerkennen.

Das bloße Nebeneinander von dinglichem Wohnungsrecht und Mietvertrag stellt nach den vorstehenden Maßstäben keinen Gestaltungsmissbrauch dar. Die spätere Löschung des Wohnungsrechts im Jahre 1997 ist insoweit ohne rechtlichen Belang. Die ursprüngliche Unentgeltlichkeit des Wohnungsrechts wurde durch den später abgeschlossenen Mietvertrag konkludent und wirksam aufgehoben. Auch dies ist nicht rechtsmissbräuchlich.