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  BFH-Urteil vom 22.4.2004 (V R 72/03) BStBl. 2004 II S. 684

1. Bestreitet der Leistungsempfänger substantiiert Bestehen und Höhe des vereinbarten Entgelts, kommt eine Berichtigung der Umsatzsteuer nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG 1999 in Betracht. Eine Forderung ist aber nicht schon dann uneinbringlich, wenn der Leistungsempfänger die Zahlung nach Fälligkeit verzögert, sondern erst, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltsforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit nicht durchsetzen kann.

2. § 137 Satz 1 FGO ist dahin auszulegen, dass die Entscheidung auf dem verspäteten Tatsachenvortrag oder Beweis beruhen muss; die Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Entscheidung bei rechtzeitigem Tatsachenvortrag oder Beweis genauso ausgefallen wäre.

UStG 1999 § 17 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: Sächsisches FG vom 22. Oktober 2003 1 K 1964/00

Sachverhalt

I.

Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (ARGE), erhielt im September 1998 von der WohnbauG den Auftrag, eine Wohnanlage in B zu sanieren. Hierfür wurde ein Pauschalfestpreis von 1.480.029,24 DM (einschließlich Umsatzsteuer) vereinbart.

Im Februar 1999 zogen die ersten Mieter in das Gebäude ein. Bis dahin hatte die ARGE mehrere Abschlagszahlungen erhalten. Die WohnbauG erstellte am 17. Februar 1999 eine Schlussabrechnung, in der sie u.a. einen Rückbehalt bis zur ordnungsgemäßen Fertigstellung der Fassade in Höhe von 227.400 DM geltend machte. Handschriftlich wurde seitens der Klägerin auf der Schlussabrechnung vermerkt: "Bedingungen: 1) Nach ordnungsgemäßer Fertigstellung Fassade - Zahlung 227.400, -".

Im Zuge der Verhandlungen über die Abnahme des Baus kam es im Jahre 1999 zwischen der Klägerin und der WohnbauG zu Streitigkeiten, ob Mängel an der Fassade des Bauvorhabens noch nachgebessert werden könnten und müssten.

Die Klägerin erklärte sich zunächst mit Schreiben vom 16. Februar 1999 mit einem vorläufigen Einbehalt in Höhe von 63.000 DM einverstanden, da die komplette Erneuerung der Fassade diesen Aufwand erfordere. In der Folgezeit holte sie eine gutachterliche Stellungnahme des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen D vom 1. Mai 1999 ein, die zu dem Ergebnis kam, dass eine Neuherstellung des Putzes zur Mängelbeseitigung erforderlich, aber unangemessen sei. Mit Schreiben vom 4. Juni 1999 vertrat die Klägerin gegenüber der WohnbauG die Auffassung, eine Neuherstellung des Putzes sei unverhältnismäßig, weswegen sie hierzu nicht verpflichtet sei; sie sei mit einer Minderung des Werklohnes in Höhe von 9.000 DM einverstanden.

Demgegenüber war die WohnbauG aufgrund einer von ihr in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen U vom 6. Juli 1999 der Meinung, die vorhandenen Mängel an der Fassade seien mit einem Aufwand von 130.000 DM zu beseitigen. Sie habe Anspruch auf einen neuwertigen mangelfreien Putz, so dass sie den Betrag von 227.400 DM bis zur ordnungsgemäßen Fertigstellung nicht bezahlen müsse. Dies sei mit der Klägerin in der Schlussrechnung auch so vereinbart worden. Dies teilte die WohnbauG der Klägerin u.a. mit Schreiben vom 8. Oktober 1999 mit.

Nachdem eine außergerichtliche Einigung nicht zustande kam, erhob die Klägerin am 18. Februar 2000 beim Landgericht (LG) X Klage auf Zahlung von 218.400 DM (227.400 DM - 9.000 DM), weil ihr die Mängelbeseitigung nicht zumutbar sei. Eine Vereinbarung zur Mängelbeseitigung sei in der Schlussrechnung nicht getroffen worden. In der Klageerwiderung erklärte die WohnbauG, sie müsse die Forderung nicht bezahlen, da die geschuldete vertragsgemäße Leistung seitens der Klägerin noch nicht erbracht sei.

Am 7./8. Dezember 2000 schlossen die Klägerin und die WohnbauG einen Vergleich, demzufolge die WohnbauG noch 140.000 DM bezahlen müsse und damit alle gegenseitigen Ansprüche abgegolten seien. Die Klage vor dem LG wurde nach erfolgter Zahlung zurückgenommen.

Aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung ging der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) davon aus, dass die Werklieferung im Februar 1999 erfolgt und daher das zurückbehaltene Entgelt in die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer einzubeziehen sei. Dementsprechend setzte es die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Februar 1999 abweichend von der Voranmeldung fest.

Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des Klageverfahrens wurde - wiederum unter Einbeziehung des zurückbehaltenen Entgelts - mit Umsatzsteuerbescheid für 1999 vom 18. Januar 2001 die Umsatzsteuer auf 79.703 DM festgesetzt. Der Bescheid wurde gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens.

Mit der Klage machte die Klägerin geltend, im Jahre 1999 dürften nur die geleisteten Abschlagszahlungen besteuert werden, da die Abnahme des Werks ausdrücklich verweigert worden sei. Selbst wenn die Werklieferung im Jahre 1999 ausgeführt worden sei, sei die Bemessungsgrundlage um das zurückbehaltene Entgelt zu ermäßigen. Ihre Forderung sei in dieser Höhe im Jahre 1999 uneinbringlich geworden, da sie für geraume Zeit nicht durchsetzbar gewesen sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Es meinte, die Werklieferung sei zwar im Jahre 1999 ausgeführt worden, das Entgelt sei jedoch bereits im Jahre 1999 in Höhe von 196.034,48 DM (entspricht einem Bruttobetrag von 227.400 DM) uneinbringlich geworden.

Die Kosten des Klageverfahrens erlegte das FG unter Berufung auf § 135 Abs. 1, § 137 FGO ganz der Klägerin auf, da diese erst im finanzgerichtlichen Verfahren die Umstände geltend gemacht habe, die die Annahme der teilweisen Uneinbringlichkeit der Forderungen gerechtfertigt hätten.

Gegen die Änderung der Bemessungsgrundlage wegen Uneinbringlichkeit des Entgelts wendet sich das FA mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision. Das FA meint, im vorliegenden Fall sei nicht erkennbar, in welcher Höhe das Entgelt substantiiert bestritten worden sei. In zwei Gutachten sei jeweils eine Entgeltsminderung von 9.000 DM bzw. 130.000 DM eingeräumt worden, andererseits sei jedoch eine Minderung von 227.400 DM beansprucht worden. Erst im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs im Dezember 2000 sei die tatsächliche Höhe des uneinbringlichen Entgelts festgelegt worden, so dass erst zu diesem Zeitpunkt die Umsatzsteuer habe berichtigt werden können.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung insoweit abzuändern, als sie davon ausgeht, dass das Entgelt für die Werklieferung bereits im Jahre 1999 in Höhe von 196.034,48 DM uneinbringlich geworden sei.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen und dem FA 3/5 der Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens aufzuerlegen.

Die Klägerin meint, nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Oktober 1981 I R 89/80 (BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150) sei § 137 FGO auch dann nicht anzuwenden, wenn die Finanzbehörden dem Einspruch auch bei rechtzeitigem Vorbringen der verspätet vorgebrachten Tatsachen nicht stattgegeben hätten. Dies sei hier der Fall, wie die Einlegung der Revision durch das FA nochmals bestätige.

Entscheidungsgründe

II.

1. Die Revision des FA ist unbegründet.

Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) haben der leistende Unternehmer den für seine Leistung geschuldeten Umsatzsteuerbetrag und der Leistungsempfänger den entsprechenden Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt für die steuerpflichtige Lieferung uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG). Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind der Umsatzsteuerbetrag und der Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG).

a) § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG definiert den Begriff der Uneinbringlichkeit nicht; das Gesetz geht davon aus, dass trotz "Uneinbringlichkeit" noch Zahlungen eingehen können (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG). Der Begriff der Uneinbringlichkeit ist hiernach auch mit Rücksicht auf den Zweck der Vorschrift auszulegen. Die in § 17 Abs. 2 UStG getroffene Sonderregelung für die Fälle der Uneinbringlichkeit ist nur ein besonders erwähnter Unterfall des § 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG, der ebenfalls nur den Grundsatz verwirklichen soll, dass sich die Umsatzbesteuerung (letztlich) auf den Umfang der tatsächlich vereinnahmten Gegenleistung beschränkt. Die Vorschrift berücksichtigt auch, dass die Besteuerung nach dem Sollprinzip - Entstehen der Umsatzsteuer und die Abziehbarkeit der in Rechnung gestellten Vorsteuer mit Ausführung der Leistung ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Vereinnahmung der Gegenleistung (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG und § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) - auf der am Regelfall orientierten Erwartung des Gesetzes beruht, der Leistungsempfänger werde die Forderung des Leistenden befriedigen und damit das betragsmäßige Gleichgewicht von Vorsteuerabzug und Umsatzsteuerschuld herstellen.

Für den Fall der (vollständigen oder teilweisen) Uneinbringlichkeit ermöglicht § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen Umsatzsteuer und Vorsteuerabzug die Korrektur der Steuerbelastung, gleichzeitig aber auch die Rückforderung der Vorsteuer. "Uneinbringlich" ist eine Forderung jedoch nicht schon, wenn der Leistungsempfänger die Zahlung nach Fälligkeit verzögert, sondern erst, wenn der Anspruch auf Entrichtung des Entgelts nicht erfüllt wird und bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltsforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit nicht durchsetzen kann. Diese Voraussetzungen liegen auch vor, wenn und ggf. soweit der Leistungsempfänger das Bestehen dieser Forderung ganz oder teilweise substantiiert bestreitet und damit erklärt, dass er die Forderung (ganz oder teilweise) nicht bezahlen werde. Damit entfällt seine Berechtigung für den Abzug der Vorsteuer und dementsprechend ist die Umsatzsteuerschuld des Leistenden nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu korrigieren (BFH-Urteil vom 31. Mai 2001 V R 71/99, BFHE 196, 330, BStBl II 2003, 206, m.w.N.).

b) Das FG ist unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil in BFHE 196, 330, BStBl II 2003, 206 von diesen Grundsätzen ausgegangen. Dass sich der vorliegende Sachverhalt und der dem Urteil in BFHE 196, 330, BStBl II 2003, 206 zugrunde liegende Sachverhalt in mannigfacher Hinsicht unterscheiden, hindert nicht, dass beide Fälle nach denselben Grundsätzen zu entscheiden sind.

Das FG ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zum Ergebnis gelangt, dass die WohnbauG die Werklohnforderung der Klägerin in Höhe von 227.400 DM substantiiert bestritten hat und dass deshalb im Streitjahr 1999 damit zu rechnen war, dass die Klägerin insoweit ihre Werklohnforderung auf absehbare Zeit nicht durchsetzen konnte. Das FG hat in diesem Zusammenhang wörtlich ausgeführt: "Während die Klägerin meinte, die Forderung sei fällig und (mit einer Minderung) zu bezahlen, weil ihr die Mängelbeseitigung unzumutbar sei, hat sich die Wohnbau ... auf den Standpunkt gestellt, die vertragsmäßige mangelfreie Leistung sei zumutbar und noch nicht erbracht; die Vergütung sei insoweit - zuzüglich Druckeinbehalt - nicht zu bezahlen. Da jeder der Vertragsparteien unter Einschaltung von Sachverständigen auf seinem Standpunkt beharrte, konnte die Klägerin nicht damit rechnen, dass die Wohnbau ... die von ihr als existent betrachtete Forderung begleichen würde. Der Streitfall liegt daher anders als die Fälle, in denen der Abnehmer des Werkes die fällige Leistung ohne substantiiertes Bestreiten der Forderung nur verzögert oder nach dem Willen beider Vertragsparteien die Baumängel noch beseitigt werden sollen."

Entgegen der Revisionsbegründung hat das FG damit gerade nicht entschieden, dass eine Berichtigung der Umsatzsteuer bereits in dem Zeitpunkt vorzunehmen ist, in dem die Forderung durch den Leistungsempfänger bestritten wird, unabhängig davon, ob und in welcher Höhe die Einwendungen gerechtfertigt sind.

Der Berichtigung der Umsatzsteuer im Streitjahr 1999 steht auch nicht entgegen, dass die Umsatzsteuer bei Zahlung der 140.000 DM, auf die sich die Klägerin und die WohnbauG im Dezember 2000 verglichen haben, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen ist; denn die Frage, ob eine Berichtigung zulässig ist, ist grundsätzlich ohne Berücksichtigung späterer Ereignisse zu beantworten.

c) Falls der Leistungsempfänger (hier: die WohnbauG) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, ist es Aufgabe des FA, durch Hinzuziehung oder Beantragung der Beiladung sicherzustellen, dass die Uneinbringlichkeit beim Leistenden und beim Leistungsempfänger gleich beurteilt wird.

2. Die Anschlussrevision der Klägerin ist begründet.

a) In dem Schriftsatz der Klägerin vom 5. Januar 2004 ist eine wirksam eingelegte Anschlussrevision zu sehen. Der Schriftsatz ist zwar nicht ausdrücklich als Anschlussrevision bezeichnet worden. Dies ist jedoch auch nicht erforderlich, da jede Erklärung ausreicht, die den Willen des Anschlussrevisionsklägers zum Ausdruck bringt, ebenfalls eine Änderung des angefochtenen Urteils zu erreichen (BFH-Urteil vom 21. August 1990 VIII R 25/86, BFHE 163, 524, BStBl II 1991, 564).

Die Anschlussrevision ist innerhalb der Frist des § 554 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung eingelegt worden.

Der Zulässigkeit der Anschlussrevision steht nicht entgegen, dass sie sich auf die Anfechtung der Entscheidung im Kostenpunkt beschränkt (BFH-Urteile vom 2. Juni 1971 III R 105/70, BFHE 102, 563, BStBl II 1971, 675; vom 13. November 1991 I R 45/90, BFHE 166, 335, BStBl II 1992, 429, und vom 23. September 1998 XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460).

b) Das FG durfte § 137 Satz 1 FGO im Streitfall nicht anwenden. Nach dieser Vorschrift können einem Beteiligten die Kosten ganz oder teilweise auch dann auferlegt werden, wenn er obsiegt hat, die Entscheidung aber auf Tatsachen beruht, die er früher hätte geltend machen oder beweisen können oder sollen. Diese Vorschrift ist dahin auszulegen, dass die Entscheidung (hier: das Urteil des FG) auf dem verspäteten Tatsachenvortrag oder Beweis beruhen muss; die Vorschrift findet keine Anwendung, wenn das Urteil bei rechtzeitigem Tatsachenvortrag oder Beweis genauso ausgefallen wäre (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 137 Rz. 4). Dies ist hier der Fall, da das FA auch bei rechtzeitigem Tatsachenvortrag den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid aufrechterhalten und Klageabweisung beantragt hätte.