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  EuGH-Urteil vom 29.4.2004 (C-17/01) BStBl. 2004 II S. 806

Die Prüfung des Verfahrens, das zum Erlass der Entscheidung 2000/186/EG des Rates vom 28. Februar 2000 zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den Artikeln 6 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - abweichende Regelungen anzuwenden, geführt hat, hat keinen Mangel erkennen lassen, der die Gültigkeit dieser Entscheidung beeinträchtigen könnte.

Artikel 3 der Entscheidung 2000/186 ist ungültig, soweit er die rückwirkende Geltung der Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland durch den Rat der Europäischen Union ab dem 1. April 1999 vorsieht.

Artikel 2 der Entscheidung 2000/186 entspricht den inhaltlichen Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung und ist nicht ungültig.

Richtlinie 77/388/EWG Art. 27 Abs. 1, Art. 17, Art. 6; Entscheidung 2000/186/EG Art. 3, Art. 2.

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Mit Beschluss vom 30. November 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Januar 2001, hat der Bundesfinanzhof gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Gültigkeit der Artikel 2 und 3 der Entscheidung 2000/186/EG des Rates vom 28. Februar 2000 zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den Artikeln 6 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage - abweichende Regelungen anzuwenden (ABl. L 59, S. 12), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

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Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Finanzamt Sulingen und Herrn Sudholz über den Betrag der Mehrwertsteuer auf den Kauf eines von Herrn Sudholz teils für unternehmerische und teils für private Zwecke genutzten Personenkraftwagens (PKW).

Die Gemeinschaftsregelung

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Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (nachfolgend: Sechste Richtlinie) bestimmt:

"Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden".

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Artikel 27 Absätze 1 bis 4 der Sechsten Richtlinie sieht vor:

"(1) Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten. Die Maßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen.

(2) Der Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen einführen möchte, befasst die Kommission damit und übermittelt ihr alle zur Beurteilung zweckdienlichen Angaben.

(3) Die Kommission macht den anderen Mitgliedstaaten hiervon innerhalb eines Monats Mitteilung.

(4) Der Beschluss des Rates gilt als gefasst, wenn innerhalb von zwei Monaten nach der Mitteilung nach Absatz 3 weder die Kommission noch ein Mitgliedstaat beantragt hat, die Angelegenheit im Rat zu erörtern."

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Am 28. Februar 2000 erließ der Rat die Entscheidung 2000/186, mit der die Bundesrepublik Deutschland ermächtigt wurde, von den Artikeln 6 und 17 der Sechsten Richtlinie abweichende Regelungen anzuwenden.

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In den Begründungserwägungen 5 und 9 der Entscheidung 2000/186 heißt es:

"(5) Die zweite [abweichende] Regelung ... zielt darauf ab, den Vorsteuerabzug im Sinne von Artikel 17 Absatz 2 [der Sechsten Richtlinie] auf 50% der Gesamtausgaben für Fahrzeuge, die nicht ausschließlich für betriebliche Zwecke genutzt werden, zu beschränken sowie die für die Nutzung von Personenkraftfahrzeugen für private Zwecke geschuldete MwSt. nicht zu erheben. Diese Beschränkung des Vorsteuerabzugs ist dadurch gerechtfertigt, dass die Zuordnung der Ausgaben für derartige Gegenstände zu betrieblichen bzw. privaten Zwecken nur schwer zu kontrollieren ist und dementsprechend die Gefahr der Steuerhinterziehung und des Steuermissbrauchs besteht. Darüber hinaus wird es durch diese Maßnahme ermöglicht, die Besteuerungsregelung für die private Nutzung von Fahrzeugen zu vereinfachen.

...

(9)

Die Genehmigung dieser Ausnahmeregelungen ist daher bis zum Inkrafttreten der vorgeschlagenen Richtlinie, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2002, falls die Richtlinie bis dahin noch nicht in Kraft getreten sein sollte, zu befristen. ..."

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Artikel 2 der Entscheidung 2000/186 lautet:

"Die Bundesrepublik Deutschland wird ermächtigt, abweichend von Artikel 17 Absatz 2 der Richtlinie 77/388/EWG in der Fassung ihres Artikels 28f und abweichend von Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a) der genannten Richtlinie den Abzug der Mehrwertsteuer auf die Gesamtausgaben für Fahrzeuge, die nicht ausschließlich für betriebliche Zwecke genutzt werden, auf 50% zu beschränken und die Nutzung eines zum Unternehmen des Steuerpflichtigen gehörenden Fahrzeugs für private Zwecke nicht der Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichzustellen.

Absatz 1 gilt weder für Fahrzeuge, die Umlaufvermögen des Steuerpflichtigen darstellen, noch für solche Fahrzeuge, die höchstens bis zu 5% für private Zwecke genutzt werden."

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Artikel 3 Absatz 1 der Entscheidung 2000/186 bestimmt:

"Diese Entscheidung gilt mit Wirkung vom 1. April 1999."

Das nationale Recht

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§ 15 Absatz 1b des Umsatzsteuergesetzes 1999 (nachfolgend: UStG bzw. Umsatzsteuergesetz) lautet:

"Nur zu 50 vom Hundert abziehbar sind Vorsteuerbeträge, die auf die Anschaffung oder Herstellung, die Einfuhr, den innergemeinschaftlichen Erwerb, die Miete oder den Betrieb von Fahrzeugen i. S. des § 1b Abs. 2 entfallen, die auch für den privaten Bedarf des Unternehmers oder für andere unternehmensfremde Zwecke verwendet werden."

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Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass PKW Fahrzeuge im Sinne des § 1b Absatz 2 UStG sind.

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§ 27 Absatz 3 UStG bestimmt:

"§ 15 Abs. 1b und ... sind erstmals auf Fahrzeuge anzuwenden, die nach dem 31. März 1999 angeschafft oder hergestellt, eingeführt, innergemeinschaftlich erworben oder gemietet werden."

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Herr Sudholz (nachfolgend: Kläger) betreibt ein Malerunternehmen. Im April 1999 erwarb er einen PKW zum Preis von 55 086,21 DM zuzüglich 16% Umsatzsteuer in Höhe von 8 813,79 DM. Er ordnete diesen PKW seinem Unternehmen zu und nutzte ihn zu 70% für unternehmerische und zu 30% für unternehmensfremde Zwecke.

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In seiner Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat April 1999 machte der Kläger die gesamte Umsatzsteuer aus dem Kauf des PKW und nicht nur einen Teil davon als Vorsteuer geltend. Er war insoweit der Auffassung, § 15 Absatz 1b UStG, wonach er nur 50% der gezahlten Vorsteuer abziehen könne, verstoße gegen Gemeinschaftsrecht. Diese Bestimmung ist am 1. April 1999 in Kraft getreten und gilt für Fahrzeuge, die nach dem 31. März 1999 erworben wurden.

14

Das Finanzamt Sulingen (nachfolgend: Beklagter) berücksichtigte im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für April 1999 nur 50% der Vorsteuerbeträge als abziehbar.

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Das vom Kläger angerufene Finanzgericht gab der Klage mit der Begründung statt, dass sich der Kläger auf die günstigere Regelung des Artikels 17 der Sechsten Richtlinie berufen könne. Gemäß dieser Vorschrift sei der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer die gesamte Vorsteuer abzuziehen, die auf den Ausgaben laste, die seine steuerpflichtigen Umsätze beträfen.

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Der Beklagte legte beim vorlegenden Gericht unter Berufung auf Artikel 2 der Entscheidung 2000/186 Revision ein.

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Das vorlegende Gericht führt aus, dass der Kläger das fragliche Fahrzeug zu 70% für unternehmerische Zwecke genutzt habe. Da dieses Fahrzeug nach dem 31. März 1999 erworben worden sei, falle es in den Anwendungsbereich des im Einklang mit der Entscheidung 2000/186 erlassenen § 15 Absatz 1b UStG, so dass nur 50% der auf seinen Kauf angefallenen Steuer abgezogen werden könnten.

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Da das vorlegende Gericht jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der Entscheidung 2000/186 mit dem Gemeinschaftsrecht hat, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 2 der Entscheidung 2000/186/EG des Rates vom 28. Februar 2000 zur Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den Artikeln 6 und 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern abweichende Regelungen anzuwenden, ungültig, weil das der Entscheidung vorangegangene Verfahren nicht den Vorgaben des Artikels 27 der Richtlinie 77/388/EWG entspricht?

2. Ist Artikel 3 Absatz 1 der Entscheidung 2000/186/EG, wonach die Entscheidung auf den 1. April 1999 zurückwirkt, gültig?

3. Entspricht Artikel 2 der Entscheidung 2000/186/EG den inhaltlichen Anforderungen, die an eine derartige Ermächtigung zu stellen sind, und ergeben sich hieraus Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Vorschrift?

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Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Entscheidung 2000/186 deshalb ungültig ist, weil das ihrem Erlass vorangegangene Verfahren nicht ordnungsgemäß war.

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Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte ein erster Mangel darin liegen, dass die Entscheidung 2000/186 nach dem Erlass abweichender Maßnahmen durch die deutschen Stellen ergangen sei. Die Entscheidung des Rates nach Artikel 27 der Sechsten Richtlinie sei aber eine Ermächtigungsentscheidung, die den auf sie gestützten nationalen Maßnahmen zwangsläufig vorausgehen müsse.

21

Dazu ist festzustellen, dass die deutsche Fassung von Artikel 27 der Sechsten Richtlinie das Verb "ermächtigen" verwendet, das dem französischen "habiliter" entspricht, während die meisten anderen Sprachfassungen einen Begriff verwenden, der dem in der französischen Fassung verwendeten Wort "autoriser" entspricht, das nicht zwangsläufig eine Vorzeitigkeit der Ermächtigung durch den Rat im Verhältnis zu den vom betroffenen Mitgliedstaat erlassenen Maßnahmen impliziert.

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Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der genannte Artikel 27 für das zum Erlass einer Entscheidung durch den Rat führende Verfahren verschiedene Abschnitte vorsieht, darunter den, in dem der betreffende Mitgliedstaat die Kommission vorab von seinem Wunsch unterrichtet, eine abweichende Maßnahme einzuführen, dass aber hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Entscheidung des Rates ergehen kann, keine zeitlichen Grenzen gezogen sind.

23

Somit schließt Artikel 27 der Sechsten Richtlinie nach seinem Wortlaut nicht aus, dass die Entscheidung des Rates im Nachhinein ergeht. Diese ist nicht allein deshalb ungültig, weil sie nach der abweichenden Maßnahme ergangen ist.

24

Ein zweiter etwaiger Mangel der Entscheidung 2000/186 liegt nach Ansicht des vorlegenden Gerichts darin, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren Ermächtigungsantrag nicht veröffentlicht habe.

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Insoweit genügt die Feststellung, dass dem Text von Artikel 27 der Sechsten Richtlinie an keiner Stelle zu entnehmen ist, dass ein solcher Ermächtigungsantrag veröffentlicht werden müsste. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift muss der Mitgliedstaat nur die Kommission unter Übermittlung aller zur Beurteilung zweckdienlichen Angaben mit den beabsichtigten Maßnahmen befassen, die dann den anderen Mitgliedstaaten davon Mitteilung macht.

26

Ein dritter Mangel der Entscheidung 2000/186 könnte nach Ansicht des vorlegenden Gerichts in ihrer fehlerhaften Begründung liegen. Der Rat habe diese Entscheidung in deren fünfter Begründungserwägung damit begründet, dass § 15 Absatz 1b UStG u. a. die Vereinfachung der Besteuerungsregelung für die private Nutzung von Fahrzeugen bezwecke, obwohl die Bundesrepublik Deutschland diesen Zweck in ihrem Antrag nicht ausdrücklich angeführt habe.

27

Es ist darauf hinzuweisen, dass es von Bedeutung ist, auf welche Zwecke ein Antrag auf Ermächtigung zur Einführung einer von der Sechsten Richtlinie abweichenden Maßnahme gestützt wird. Nur zwei Zwecke sind in Artikel 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie vorgesehen, nämlich die Vereinfachung der Mehrwertsteuererhebung und die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen. Zum Zweck der Vereinfachung erlassene Maßnahmen sind an die in Artikel 27 Absatz 1 Satz 2 der Sechsten Richtlinie genannte Voraussetzung geknüpft.

28

Für die Prüfung, ob der Rat in der Begründung der Entscheidung 2000/186 nicht über die von der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Antrag genannten Zwecke hinausgegangen ist, ist auf dessen Wortlaut abzustellen.

29

Aus den dem Gerichtshof von der deutschen Regierung und vom Rat übermittelten Informationen ergibt sich, dass die deutschen Stellen ihren Antrag vom 11. November 1998 damit begründeten, dass nicht immer ohne weiteres ersichtlich sei, welcher Teil der Ausgaben des Steuerpflichtigen auf eine geschäftliche und welcher Teil auf eine private Nutzung des Fahrzeugs entfalle. In ihrem Schreiben vom 19. Februar 1999 ergänzten die deutschen Stellen ihren Antrag außerdem durch den Hinweis darauf, dass sich die Betriebsprüfer einem enormen Prüfungsbedarf gegenübersähen und sich nicht nur auf die den Finanzbehörden von den Steuerpflichtigen vorgelegten Steuererklärungen stützen könnten.

30

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Rat dem Wortlaut des Ermächtigungsantrags der deutschen Behörden entnehmen durfte, dass dieser insbesondere auf eine Vereinfachung der Umsatzsteuererklärung und der Betriebsprüfung abzielte und nicht nur auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen. Folglich ist der Rat in der Begründung der Entscheidung 2000/186 nicht über den Wortlaut dieses Antrags hinausgegangen.

31

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Prüfung des Verfahrens, das zum Erlass der Entscheidung 2000/186 geführt hat, keinen Mangel hat erkennen lassen, der die Gültigkeit dieser Entscheidung beeinträchtigen könnte.

32

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 3 der Entscheidung 2000/186, der die rückwirkende Geltung der Ermächtigung vorsieht, gültig ist.

33

Dazu ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit es im Allgemeinen verbietet, den Beginn der Geltungsdauer eines Gemeinschaftsrechtsakts auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen. Dies kann ausnahmsweise dann anders sein, wenn das angestrebte Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist (Urteile vom 25. Januar 1979 in der Rechtssache 98/78, Racke, Slg. 1979, 69, Randnr. 20, und vom 22. November 2001 in der Rechtssache C-110/97, Niederlande/Rat, Slg. 2001, I-8763, Randnr. 151).

34

Ferner müssen Rechtsakte der Gemeinschaft, wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, eindeutig sein, und ihre Anwendung muss für die Betroffenen vorhersehbar sein (Urteil vom 22. November 2001 in der Rechtssache C-301/97, Niederlande/Rat, Slg. 2001, I-8853, Randnr. 43). Dieses Gebot der Rechtssicherheit gilt in besonderem Maße, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell belastend auswirken kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1987 in der Rechtssache 326/85, Niederlande/Kommission, Slg. 1987, 5091, Randnr. 24).

35

Somit ist zu prüfen, ob die Entscheidung 2000/186, die ab dem 1. April 1999, also einem nach ihrer Veröffentlichung am 4. März 2000 liegenden Zeitpunkt, gilt, dennoch durch das mit ihr verfolgte Ziel gerechtfertigt ist und ob das berechtigte Vertrauen der Betroffenen beachtet wurde.

36

Was das Ziel der Entscheidung 2000/186 anbelangt, so ergibt sich aus ihren Gründen keineswegs, dass es erforderlich gewesen wäre, die Ermächtigung mit Rückwirkung zu versehen.

37

Zum berechtigten Vertrauen der Betroffenen, zu denen der Kläger zählt, ist darauf hinzuweisen, dass, wenn sich der Steuerpflichtige dafür entscheidet, dass ein Gut, das sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet wird, als Gegenstand des Unternehmens behandelt wird, die beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldete Vorsteuer grundsätzlich vollständig und sofort abziehbar ist (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-97/90, Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 26, und vom 8. Mai 2003 in der Rechtssache C-269/00, Seeling, Slg. 2003, I-4101, Randnr. 41). Da keine Bestimmung es den Mitgliedstaaten erlaubt, das Recht auf Vorsteuerabzug einzuschränken, muss dieses somit für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden können (vgl. u. a. Urteile Lennartz, Randnr. 27, und vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-37/95, Ghent Coal Terminal, Slg. 1998, I-1, Randnr. 16).

38

Solange eine vom Rat nach Artikel 27 der Sechsten Richtlinie genehmigte abweichende nationale Maßnahme nicht erlassen war, durften die Betroffenen wie der Kläger also zu Recht davon ausgehen, dass sie die gesamte Steuer auf den Kauf ihres PKW abziehen konnten.

39

Die von den deutschen Stellen getroffene Maßnahme datiert vom 24. März 1999 und sieht eine Begrenzung des Vorsteuerabzugs in Bezug auf nach dem 31. März 1999 angeschaffte PKW vor. Sie war jedoch unstreitig zum Zeitpunkt ihres Erlasses vom Rat nicht genehmigt worden. Folglich entsprach die nach dieser Maßnahme vorgesehene Begrenzung der Abzugsbefugnis zum letztgenannten Zeitpunkt nicht Artikel 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie, und die Betroffenen durften zu Recht weiter vom Grundsatz des vollen Mehrwertsteuerabzugs ausgehen.

40

Soweit Artikel 3 der Entscheidung 2000/186 die rückwirkende Geltung von § 15 Absatz 1b UStG vorsieht, genehmigt er die Anwendung einer nationalen Regelung, die geeignet ist, das berechtigte Vertrauen der Betroffenen zu verletzen. Der Gerichtshof hat aber bereits entschieden, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes dem entgegensteht, dass einem Steuerpflichtigen durch eine Änderung des nationalen Rechts rückwirkend ein auf der Grundlage der Sechsten Richtlinie erworbenes Recht auf Vorsteuerabzug genommen wird (Urteil vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-62/00, Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 45).

41

Indem Artikel 3 der Entscheidung 2000/186 die rückwirkende Geltung von § 15 Absatz 1b UStG gestattet, verstößt er also gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und ist deshalb für ungültig zu erklären.

42

Das Vorbringen der deutschen Behörden, dass der Rat die Ermächtigung wegen der verzögerten Behandlung des Antrags der Bundesrepublik Deutschland durch die Kommission mit Verspätung erteilt habe, kann die Rückwirkung der Entscheidung 2000/186 nicht rechtfertigen.

43

Deshalb ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 3 der Entscheidung 2000/186 ungültig ist, soweit er die rückwirkende Geltung der Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland durch den Rat ab dem 1. April 1999 vorsieht.

44

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Entscheidung 2000/186, insbesondere ihr Artikel 2, gegen die inhaltlichen Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie verstößt und aus diesem Grund ungültig ist.

45

Da mit der Entscheidung 2000/186 eine vom allgemeinen Grundsatz des Vorsteuerabzugs abweichende Maßnahme genehmigt wird, ist an ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie ein strikter Maßstab anzulegen (vgl. u. a. Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-63/96, Skripalle, Slg. 1997, I-2847, Randnr. 24).

46

Hierbei ist zu prüfen, ob die pauschale Begrenzung des zugelassenen Abzugs auf 50% der entrichteten Vorsteuer als zur Verwirklichung der Ziele der Entscheidung 2000/186 erforderlich und geeignet angesehen werden konnte und ob davon ausgegangen werden konnte, dass sie geeignet ist, die Ziele und Grundsätze der Sechsten Richtlinie geringstmöglich zu beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 19. September 2000 in den Rechtssachen C-177/99 und C-181/99, Ampafrance und Sanofi, Slg. 2000, I-7013, Randnr. 43).

47

In Randnummer 30 des vorliegenden Urteils ist festgestellt worden, dass gemäß dem Antrag der deutschen Behörden zu den Zielen der Entscheidung 2000/186 nicht nur die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen gehörte, sondern auch die Vereinfachung der Mehrwertsteuererhebung.

48

Nach Ansicht der Kommission ist diese Entscheidung zur Verfolgung des erstgenannten Zieles, nämlich der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen, nicht erforderlich und geeignet und verstößt damit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da ein Steuerpflichtiger wie der Kläger, der seinen PKW zu 70% für unternehmerische Zwecke nutze und dies nachweisen könne, gleichwohl nur 50% der beim Kauf des Fahrzeugs entrichteten Vorsteuer abziehen dürfe.

49

Die Kommission macht unter Berufung auf Randnummer 56 des Urteils Ampafrance und Sanofi geltend, dass, soweit in einem solchen Fall keinerlei Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung bestehe, eine Begrenzung des Abzugsrechts des Steuerpflichtigen auf 50% nicht durch das Ziel einer Bekämpfung einer solchen Gefahr gerechtfertigt sei. Die auferlegte Begrenzung sei deshalb unverhältnismäßig.

50

Die Rechtssache Ampafrance und Sanofi betraf das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer auf Aufwendungen für Unterkunft, Bewirtung, Empfänge und Aufführungen.

51

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung, um die es im Urteil Ampafrance und Sanofi ging, anders als die im Ausgangsverfahren strittige Entscheidung einen vollständigen Ausschluss des Abzugsrechts und nicht dessen pauschale Begrenzung betraf. Außerdem hatte diese Entscheidung nur die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen und nicht die Vereinfachung der Mehrwertsteuererhebung zum Ziel. Schließlich unterlagen die fraglichen Aufwendungen einem System wirksamer Kontrolle an Ort und Stelle oder anhand von Belegen im Rahmen der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer, während die deutschen Behörden im Ausgangsverfahren keinen wirksamen Kontrollmechanismus genannt haben.

52

Im Übrigen hat der Gerichtshof in Randnummer 62 des Urteils Ampafrance und Sanofi die Frage nach anderen denkbaren Mitteln zur Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen, etwa einer pauschalen Begrenzung des Betrages der erlaubten Abzüge, offen gelassen, ohne sich zur Zulässigkeit solcher Mittel zu äußern.

53

Hinsichtlich der Entscheidung 2000/186 ist also erstens zu prüfen, ob die pauschale Begrenzung des Vorsteuerabzugsrechts gültig ist.

54

Dazu sind die von den deutschen Behörden genannten und weder von der Kommission noch vom Rat bestrittenen Gegebenheiten zu prüfen, nämlich die Schwierigkeit für den Steuerpflichtigen, im Voraus den jeweiligen Anteil der Nutzung seines Fahrzeugs für private bzw. unternehmerische Zwecke zu bestimmen, die Schwierigkeit, bei Prüfungen genau festzustellen, wie das Fahrzeug genutzt wurde, und die Entdeckung von Unregelmäßigkeiten bei fast allen Prüfungen.

55

Diese Gegebenheiten lassen eine ernsthafte Gefahr von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen erkennen. Unter diesen Umständen erscheint die Anwendung einer pauschalen Begrenzung des Abzugsrechts als eine Maßnahme, die es erlaubt, diese Gefahr zu bekämpfen und gleichzeitig die Prüfungen zu erleichtern und das System der Mehrwertsteuererhebung zu vereinfachen.

56

Zweitens ist zu prüfen, ob die Schwelle von 50% gemessen am verfolgten Ziel verhältnismäßig ist.

57

Nach Angabe der deutschen Behörden entspricht dieser Prozentsatz der durchschnittlichen Nutzung der betroffenen Fahrzeuge für private Zwecke. Er entspreche auch dem in anderen Mitgliedstaaten angewandten Prozentsatz sowie demjenigen, den die Kommission in ihrem Vorschlag vom 17. Juni 1998 für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388 bezüglich des Vorsteuerabzugs (ABl. C 219, S. 16) ins Auge gefasst habe.

58

Es ist festzustellen, dass das von den deutschen Behörden angegebene Ausmaß der durchschnittlichen Nutzung der Fahrzeuge für private Zwecke nicht bestritten worden ist. Dass sich auch andere Mitgliedstaaten und die Kommission im genannten Richtlinienvorschlag für dieselbe Pauschalbegrenzung entschieden haben, bestätigt zudem die Fundiertheit dieser Begrenzung.

59

Da im Übrigen die Vorsteuerabzugsbegrenzung auf 50% einem Durchschnittswert entspricht, hielt es der Rat für erforderlich, ihre Anwendung auf Fälle unterhalb eines bestimmten Nutzungsniveaus zu verhindern, d. h., wenn das Fahrzeug zu höchstens 5% für private Zwecke genutzt wird. Die Entscheidung 2000/186 schließt somit die Anwendung dieser Begrenzung auf solche Sonderfälle aus.

60

Im Licht dieser Feststellungen durfte der Rat zu Recht davon ausgehen, dass eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer außer in den in der vorstehenden Randnummer genannten Sonderfällen auf 50% begrenzt, ein zur Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen sowie zur Vereinfachung der Mehrwertsteuererhebung erforderliches und geeignetes Mittel darstellte.

61

Die daraus folgende Unmöglichkeit für manche Personen, die ihr Fahrzeug zu mehr als 50% für unternehmerische Zwecke zu nutzen beabsichtigen, im selben Maße die Mehrwertsteuer auf den Kauf ihres Fahrzeugs abzuziehen, steht somit in einem inneren Zusammenhang mit der Maßnahme zur Vereinfachung der Mehrwertsteuererhebung.

62

Eine Vereinfachungsmaßnahme verfolgt nämlich naturgemäß einen umfassenderen Ansatz als die durch sie ersetzte Regel und entspricht deshalb nicht unbedingt der genauen Lage jedes einzelnen Steuerpflichtigen.

63

Dürfte, wie die Kommission es befürwortet, jeder Steuerpflichtige, der eine Nutzung seines Fahrzeugs zu mehr als 50% für unternehmerische Zwecke nachweisen kann, im selben Maße die Mehrwertsteuer auf den Kauf seines Fahrzeugs abziehen, so würde die angestrebte Vereinfachungswirkung zunichte gemacht. Denn dieser Ansatz würde für all diejenigen, die eine solche Nutzung ihres Fahrzeugs geltend machen, erneut die zuvor genannten Probleme aufwerfen, nämlich die Komplexität einer zutreffenden Bestimmung des Anteils der Nutzung der Fahrzeuge für private bzw. unternehmerische Zwecke, die Schwierigkeit, die Richtigkeit der Angaben zu überprüfen, und damit die Gefahr von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen.

64

Daher verstößt die mit der Entscheidung 2000/186 genehmigte Maßnahme weder gegen die Ziele noch gegen die Grundsätze der Sechsten Richtlinie und beachtet den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

65

Zur besonderen Voraussetzung des Artikels 27 Absatz 1 Satz 2 der Sechsten Richtlinie, wonach eine Vereinfachungsmaßnahme den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße beeinflussen darf, haben die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Rat und die Kommission in der Sitzung nach der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zusätzliche Erklärungen abgegeben.

66

Die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Rat haben geltend gemacht, dass diese Voraussetzung allgemein und nicht Fall für Fall unter Berücksichtigung der gesamten Mehrwertsteuer geprüft werden müsse, die auf für gemischte Zwecke genutzte PKW anfalle.

67

Nach Ansicht der Kommission kommt es darauf an, ob eine Vielzahl von Einzelfällen über eine Doppelbesteuerung des Endverbrauchers zu einer nicht unerheblichen Änderung der im Stadium des Endverbrauchs fälligen Mehrwertsteuer führt.

68

Insoweit ist davon auszugehen, dass bei einer Vereinfachungsmaßnahme wie bei der Prüfung der Einhaltung der ersten Voraussetzung ein umfassender Ansatz geboten ist. Die Zahl der Fälle, in denen ein Lieferant wie der Kläger im Vergleich zur gemeinsamen Abzugsregelung nach der Sechsten Richtlinie einen Steuermehrbetrag zahlt, kann insoweit, als in der fraglichen Maßnahme ein Durchschnittswert zum Ausdruck kommt, alles in allem der Zahl der Fälle entsprechen, in denen weniger Steuer entrichtet wird. Dieselbe Überlegung gilt, soweit die pauschale Abzugsregelung das Preisniveau - und damit die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer - beeinflussen kann, im Hinblick auf die Endverbraucher von Gegenständen oder Dienstleistungen, die von einem Steuerpflichtigen wie dem Kläger geliefert bzw. erbracht werden. Die Auswirkung auf die von der Gemeinschaft als Eigenmittel vereinnahmte Mehrwertsteuer insgesamt erscheint somit unerheblich.

69

Im Übrigen sind die Auswirkungen auf die im Stadium des Endverbrauchs fällige Mehrwertsteuer selbst im Einzelfall begrenzt, da der Lieferant die Möglichkeit hat, die Mehrwertsteuer auf sämtliche Erzeugnisse aufzuteilen, die er in den Jahren verkauft, in denen er sein Fahrzeug behält.

70

Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass Artikel 2 der Entscheidung 2000/186 den inhaltlichen Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie entspricht und nicht ungültig ist.