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  BFH-Urteil vom 15.7.2004 (V R 76/01) BStBl. 2005 II S. 236

Im Falle der Änderung einer Steuerfestsetzung knüpft die Zinsberechnung gemäß § 233a Abs. 5 Sätze 1 und 2 AO 1977 an den Unterschiedsbetrag zwischen der nunmehr festgesetzten und der vorher festgesetzten Steuer an. Sie sieht keine hilfsweisen Nebenberechnungen zur Ermittlung einer von der festgesetzten Steuer abweichenden fiktiven Steuer und der danach zu berechnenden Zinsen vor.

AO 1977 § 233a; UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 26. Juli 2001 5 K 374/00 (EFG 2001, 1414)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und eine ihrer Organgesellschaften erwarben mit Wirkung vom 2. Januar 1992 die Firmen E-OHG und P-OHG bei gleichzeitiger Übernahme der Gesellschafts- und Geschäftsanteile.

Erst im Februar 1995 wurde Einigkeit über den Kaufpreis erzielt. Ferner wurde vereinbart, dass die Verkäufer auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 8 Buchst. f des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG) für die Umsätze von Anteilen an Gesellschaften verzichten und dementsprechend Rechnungen mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer erteilen sollten.

Die daraufhin von den Verkäufern erteilten Rechnungen mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer in Höhe von (1.914.005,94 DM + 319.165 DM =) 2.233.170,94 DM gingen im März 1995 bei der Klägerin ein.

Unter Vorlage dieser Rechnungen reichte die Klägerin am 5. April 1995 bei dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine berichtigte Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 1992 ein und machte insoweit einen (zusätzlichen) Vorsteuerabzug geltend. Dem kam das FA durch - unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellten - Bescheid vom 9. Juni 1995 nach und setzte zu Gunsten der Klägerin Erstattungszinsen in Höhe von 156.338 DM fest.

Im Anschluss an eine 1998 durchgeführte Außenprüfung gelangte das FA zu der Auffassung, dass die Vorsteuerbeträge zu Unrecht bereits für den Besteuerungszeitraum 1992 geltend gemacht und anerkannt worden seien. Denn die Klägerin habe die Rechnungen erst im Jahr 1995 erhalten. Deshalb berücksichtigte das FA die Vorsteuerbeträge erst im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 und änderte die bisherige Umsatzsteuerfestsetzung für 1992 - neben weiteren Änderungen - durch Bescheid vom 16. April 1999 entsprechend. Gleichzeitig setzte das FA in diesem Bescheid gegen die Klägerin Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) fest, die wie folgt berechnet wurden:

Festgesetzte Umsatzsteuer

8.411.872 DM

vorher festgesetzte Umsatzsteuer

6.169.112 DM

 

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Unterschiedsbetrag zu Ihren Ungunsten

2.242.760 DM

 

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zu verzinsen  
2.242.760 DM zu Ihren Ungunsten  
2.242.760 DM vom 1.4.94 bis 31.3.98  
(48 volle Monate zu 0,5 v.H. = 24 v.H.)

538.248 DM

 

----------------

bisher festgesetzte Zinsen (Nachzahlungszinsen)

381.910 DM

 

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Die Klägerin legte gegen die Festsetzung der Nachzahlungszinsen Einspruch ein und erhob nach dessen Zurückweisung Klage. Zur Begründung machte sie geltend: Sie habe aus der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs im Jahr 1995 keinerlei Liquiditätsvorteile erzielt, weil sie ihren Erstattungsanspruch aus der im Jahr 1995 geänderten Umsatzsteuerfestsetzung für 1992 nebst Zinsen an die Verkäufer abgetreten habe und das FA entsprechend verfahren sei. Außerdem verstoße die Zinsfestsetzung gegen die Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob die Zinsfestsetzung auf. Es führte zur Begründung aus:

Nach § 233a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AO 1977 beginne der Zinslauf für eine Steuererstattung "15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist". Nach Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG entstehe das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs und nicht erst im Zeitpunkt des Rechnungserhalts. Die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug sei - anders als die Ausübung desselben - gerade unabhängig von dem Besitz einer Rechnung. § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977 sei daher richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass Entstehungszeitpunkt für die Abzugsberechtigung das Bewirken der Leistung - hier die Übertragung der Gesellschafts- und Geschäftsanteile zum 2. Januar 1992 - sei.

Der Zinslauf beginne damit 15 Monate nach Ablauf des Jahres 1992 und nicht erst - wie das FA meine - mit Ablauf des Jahres 1995.

Dass der mit der Rechnungsstellung ausgeübte Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG auf den Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes (hier 1992) zurückwirke, entspreche ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Hinweis auf BFH-Urteil vom 25. Januar 1996 V R 42/95, BFHE 179, 480, BStBl II 1996, 338).

Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1414 abgedruckt.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA, die Ansicht des FG widerspreche der Rechtsprechung des BFH, wonach materiell-rechtliche Voraussetzung eines Vorsteueranspruchs u.a. der Erhalt einer Rechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer sei (Hinweis auf BFH-Urteil vom 20. Oktober 1994 V R 84/92, BFHE 176, 469, BStBl II 1995, 233, m.w.N.). Dasselbe ergebe sich aus Art. 18 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 77/388/EWG. Im Übrigen knüpfe § 233a AO 1977 an die jeweilige Steuerfestsetzung (hier 1992) an und sehe keine hilfsweisen Nebenberechnungen zur Ermittlung einer von der festgesetzten Umsatzsteuer abweichenden fiktiven Steuer und der darauf zu berechnenden Zinsen vor.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.

Sie beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, den Tenor der FG-Entscheidung entsprechend ihrem ursprünglichen Klageantrag (Festsetzung der Nachzahlungszinsen auf 55.253,39 DM) zu berichtigen, äußerst hilfsweise Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, damit ggf. die Stellung des sachdienlichen Antrags nachgeholt werden könne.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Es ist der Auffassung, die Vorentscheidung könne aus abgabenrechtlichen Gründen keinen Bestand haben.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, das FA hätte gegen die Klägerin keine Nachzahlungszinsen festsetzen dürfen, weil der Anspruch auf Abzug von Vorsteuerbeträgen bereits im Zeitpunkt des Bezugs einer Leistung - unabhängig vom Besitz einer Rechnung - entstehe.

1. Nach der im Streitfall anzuwendenden Fassung des § 233a AO 1977 ist eine Steuernachforderung, die sich aus einer Umsatzsteuerfestsetzung ergibt, gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (§ 233a Abs. 2 Satz 1 AO 1977), hier für die Umsatzsteuer 1992 also am 1. April 1994. Er endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird, spätestens vier Jahre nach seinem Beginn (§ 233a Abs. 2 Satz 3 AO 1977). Wird die Umsatzsteuerfestsetzung - wie im Streitfall - geändert, ist der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer maßgebend für die Zinsberechnung (§ 233a Abs. 5 Sätze 1 und 2 AO 1977).

Zweck der Regelungen in § 233a AO 1977 ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (Begründung zum Gesetzentwurf, BTDrucks 11/2157, S. 194). Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, sollen mit Hilfe der sog. Vollverzinsung ausgeglichen werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BFH-Urteile vom 15. Oktober 1998 IV R 69/97, BFHE 187, 198; vom 23. Oktober 2003 V R 2/02, BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39, unter II. 2. b aa).

Im Übrigen fehlt es nicht - wie die Klägerin meint - deswegen an einem Liquiditätsvorteil, weil die Klägerin nach zunächst (zu Unrecht) erfolgter Anerkennung der streitigen Vorsteuerbeträge im Umsatzsteuerbescheid vom 9. Juni 1995 mit entsprechender Herabsetzung der Steuer und Festsetzung von Erstattungszinsen (zu ihren Gunsten) über den Erstattungsanspruch sowie den Anspruch auf Erstattungszinsen durch Abtretung verfügt hat.

2. Im Streitfall beträgt der Unterschiedsbetrag zwischen der durch den Umsatzsteuerbescheid für 1992 vom 9. Juni 1995 festgesetzten Steuer und der durch den geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1992 vom 16. April 1999 festgesetzten Steuer 2.242.760 DM zu Ungunsten der Klägerin. Hiervon ausgehend hat das FA einen zu verzinsenden Betrag von 538.248 DM errechnet und nach Abzug der durch Bescheid vom 9. Juni 1995 festgesetzten Erstattungszinsen in Höhe von 156.338 DM nunmehr festzusetzende Zinsen (Nachzahlungszinsen) in Höhe von 381.910 DM ermittelt.

Gegen diese Berechnung hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben.

3. Entgegen der Ansicht des FG ist die angefochtene Zinsfestsetzung nicht deshalb rechtswidrig, weil der Anspruch der Klägerin auf Abzug der streitigen Vorsteuerbeträge bereits im Besteuerungszeitraum 1992 und nicht erst nach Erhalt der Rechnungen im Besteuerungszeitraum 1995 entstanden sei.

a) Zum einen knüpft die Zinsfestsetzung im Falle einer Änderung einer Steuerfestsetzung - wie hier - gemäß § 233a Abs. 5 Sätze 1 und 2 AO 1977 an den Unterschiedsbetrag zwischen der nunmehr festgesetzten und der vorher festgesetzten Steuer an. Sie sieht keine hilfsweisen Nebenberechnungen zur Ermittlung einer von der festgesetzten Steuer abweichenden fiktiven Steuer und der danach zu berechnenden Zinsen vor, wie sie das FG hier vorgenommen hat (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Rz. 55, 59 ff.; Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Rz. 49, 54 ff.; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 233a Rz. 43 ff.).

b) Zum anderen können die streitigen Vorsteuerbeträge entgegen der Ansicht des FG nicht bereits im Besteuerungszeitraum 1992 berücksichtigt werden.

Denn der Unternehmer kann Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum abziehen, in dem die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG insgesamt vorliegen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 176, 469, BStBl II 1995, 233, m.w.N.). Zu diesen Voraussetzungen gehört eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis (vgl. BFH-Urteile vom 26. April 1979 V R 46/72, BFHE 128, 110, BStBl II 1979, 530, unter II. 2. a; vom 16. April 1997 XI R 63/93, BFHE 182, 440, BStBl II 1997, 582; vom 1. Juli 2004 V R 33/01, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Diese Auslegung ist auch gemeinschaftsrechtlich geboten. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat mit Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-152/02 - Terra Baubedarf - (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 2004, 323) auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 21. März 2002 V R 33/01 (BFHE 198, 226; UR 2002, 336; Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2002, 228) entschieden, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden nach Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich dass

- die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurden und dass

- der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann.

Danach konnte die Klägerin ihren Anspruch auf Abzug der streitigen Vorsteuerbeträge erst in dem Besteuerungszeitraum ausüben, in dem ihr die zugrunde liegenden Rechnungen mit Steuerausweis vorlagen (hier 1995).

4. Hiervon ausgehend kann das FG-Urteil keinen Bestand haben. Vielmehr ist die Klage abzuweisen.