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  BFH-Beschluss vom 21.12.2004 (I R 107/03) BStBl. 2005 II S. 490

Ohne eine vertragliche Grundlage scheidet die gewinnmindernde Berücksichtigung einer Gewerbesteuerumlage bei der Organgesellschaft jedenfalls dann aus, wenn beim Organträger wegen eigener Verluste keine Gewerbesteuer anfällt und deswegen kein gesetzlicher Ausgleichsanspruch gegenüber der Organgesellschaft entsteht.

EStG § 5 Abs. 1; GewStG § 2 Abs. 2 Satz 2; HGB § 246 Abs. 1, § 247 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Nürnberg vom 4. November 2003 I 257/1999 (EFG 2004, 592)

Sachverhalt

I.

Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen), Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH, waren ab 1993 als Organgesellschaften mit dem Beigeladenen - dieser als Organträger - im Rahmen eines gewerbesteuerrechtlichen Organschaftsverhältnisses verbunden. Ab 1995 bestand zwischen der Klägerin zu 1 und dem Beigeladenen ein Gewinnabführungsvertrag mit der Folge einer auch körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft. Der Geschäftsbetrieb der Klägerin zu 2 wurde zum 31. Dezember 1995 auf den Beigeladenen übertragen.

In ihren Bilanzen zum 31. Dezember 1993 und zum 31. Dezember 1994 (Klägerin zu 1) und zum 31. Dezember 1993 (Klägerin zu 2) wiesen die Klägerinnen als Verbindlichkeiten gegenüber dem Beigeladenen den sie betreffenden Gewerbesteueraufwand aus, obwohl beim Beigeladenen wegen entsprechender eigener Verluste in den Jahren 1993 bis 1995 keine Gewerbesteuer angefallen war. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) löste die gebuchten Bilanzpositionen auf, weil tatsächlich keine Gewerbesteuerbelastung vorliege.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen gegen die hiernach ergangenen Körperschaftsteuerbescheide blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) Nürnberg wies sie durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 592 abgedruckte Urteil vom 4. November 2003 I 257/1999 als unbegründet ab.

Ihre Revisionen stützen die Klägerinnen auf Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Körperschaftsteuer für die Streitjahre 1993 und 1994 (Klägerin zu 1) und 1993 (Klägerin zu 2) jeweils unter Berücksichtigung der Gewerbesteuerumlagen festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss. Er hält die - zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen (vgl. § 73 Abs. 1 FGO) - Revisionen einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind vorher davon unterrichtet und gehört worden.

Das FG hat die von den Klägerinnen passivierten Verbindlichkeiten zur Zahlung von Gewerbesteuerumlagen gegenüber dem Beigeladenen zu Recht nicht anerkannt.

Ein gewinnmindernder Schuldausweis von Gewerbesteuer, die an den organschaftlich verbundenen Beigeladenen im Wege der Umlage zu erstatten gewesen wäre, kam zu den streitgegenständlichen Bilanzstichtagen nicht in Betracht. Derartige Erstattungspflichten bestanden nicht. Ihnen fehlt die rechtliche wie wirtschaftliche Grundlage, so dass die Klägerinnen hierdurch wirtschaftlich nicht belastet waren (vgl. § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -, § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - i.V.m. § 246 Abs. 1, § 247 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs - HGB -).

1. Ob im Rahmen einer gewerbesteuerrechtlichen Organschaft (§ 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -) die Organgesellschaft durch eine Steuerumlage des Organträgers mit der Gewerbesteuer belastet wird, die angefallen wäre, wenn das Organschaftsverhältnis nicht bestünde, ist umstritten.

Im Ausgangspunkt wird dabei zwischen zwei verschiedenen Umlagemethoden unterschieden: Es ist dies zum einen das sog. Verteilungsverfahren, bei welchem die effektiv vom Organträger geschuldete und abgeführte Gewerbesteuer anteilig auf die Organgesellschaften und den Organträger verteilt wird. Es ist dies zum anderen das sog. Belastungsverfahren (oder auch "Stand- alone-Verfahren"). Hiernach werden der Organgesellschaft die hypothetischen Steuern belastet, die bei dieser entstanden wären, wenn sie keine Organgesellschaft, sondern als selbständiger Gewerbesteuerpflichtiger zu behandeln wäre. Nach dem Verteilungsverfahren werden die unmittelbaren Vorteile, die sich aus der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft und der im Organkreis erfolgenden Verrechnung der Erträge mit Verlusten insgesamt ergeben, auf alle Organschaftsbeteiligten verteilt, während beim Belastungsverfahren etwaige organschaftliche Steuerminderungseffekte allein beim Organträger verbleiben.

Für das Zivilrecht hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Belastungsverfahren verworfen (Urteile vom 22. Oktober 1992 IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50, Der Betrieb - DB - 1993, 368; vom 1. März 1999 II ZR 312/97, BGHZ 141, 79, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1999, 724). Dieser Weg sei nicht gangbar: Im Rahmen des zwischen den Organschaftsbeteiligten gebotenen gesamtschuldnerischen Ausgleichsanspruchs gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) könne nicht von einer fiktiven Steuerschuld allein bei der Organgesellschaft ausgegangen werden; vielmehr sei die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer zugrunde zu legen. Für eine rechtsgeschäftlich vereinbarte Gewerbesteuerumlage gelte dasselbe; die Vereinbarung der Umlage nach Maßgabe des Belastungsverfahrens ziehe einen Nachteil zu Lasten der Organgesellschaft i.S. von § 311 des Aktiengesetzes (AktG) nach sich, wodurch wiederum ein Schadensersatzanspruch gegen den Organträger ausgelöst werde. Zur Stützung dieser Argumentation verweist der BGH auch und gerade auf die Behandlung der nach der Belastungsmethode erhobenen Umlage im Steuerrecht als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA). Dieser Auffassung des BGH haben sich W. Müller (in Budde/Moxter/Offerhaus, Handelsbilanzen und Steuerbilanzen, Festschrift für Beisse, 1997, 363), Kleindiek (DStR 2000, 559), Maul (Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht - NZG - 1999, 658), Schneider/Singhoff (Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht II A § 317 AktG 1.99), Marx (DB 1996, 950), Habersack (in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 2. Aufl., § 311 AktG Rz. 50), Kropff (in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz - MünchKomm -, § 311 Rz. 203 ff.), Kiethe (Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen - WM - 2000, 1182), Kast/ Peter (Deutsche Steuer-Zeitung 2003, 271) und Gosch (Steuerliche Betriebsprüfung 2002, 149) angeschlossen.

Demgegenüber verweisen andere Stimmen im Schrifttum auf die Nachteile, welche umgekehrt dem Organträger drohen, indem dieser Gewerbeverluste infolge ihrer Verrechnung mit ihm zugerechneten (positiven) Gewerbeerträgen der Organgesellschaft "verliert". Mittels des Verteilungsverfahrens kämen die darin verkörperten Vermögenswerte der Organgesellschaft zugute, ungeachtet dessen, dass diese trotz der organschaftlichen Verbundenheit als solche selbständig bleibe. Die Organgesellschaft sei aus bereicherungsrechtlichen Grundsätzen (§§ 812 ff. BGB) gehalten, dem Organträger die "aufgewendeten" Verluste ganz oder zumindest anteilig zu erstatten. Richtigerweise sei deswegen die Belastungsmethode anzuwenden. Diese Auffassung wird (teilweise mit Differenzierungen dem Umfang nach) von Simon (DStR 2000, 431 und 537; Der Konzern 2003, 77), Feddersen (Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2000, 523), Wiedemann/Fleischer (Juristenzeitung 2000, 159), Pyszka (GmbH-Rundschau - GmbHR - 1999, 646 und 812), Krebühl (DStR 2001, 1730, 1736 f.), Roth (in Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, AktG 1965, § 311 Nr. 1), Schauhoff (Steuerberater-Jahrbuch - StbJb - 2000/01, 325), Herlinghaus (GmbHR 2002, 989), Berg/Schmich (Finanz-Rundschau 2003, 11), Walther (in Ernst & Young, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz. 853) und Dietlein (Juristische Rundschau 2000, 282) vertreten.

2. Welcher Lösung zu folgen ist, kann im Streitfall dahinstehen. Eine abschließende Beurteilung erübrigt sich, weil sich die Klägerinnen nach den tatrichterlichen Feststellungen des FG mit dem Beigeladenen als Organträger vertraglich nicht auf Gewerbesteuerumlagen verständigt haben. Diese Einschätzung des FG ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und bindet den Senat (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). Sie verstößt nicht gegen die Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze. Sie wurde von den Klägerinnen auch nicht wirksam als verfahrensfehlerhaft gerügt. Fehlt es aber an individualvertraglichen Verpflichtungen der Klägerinnen, entsprechende Beträge zu zahlen, wäre die Bildung entsprechender Passivpositionen nur dann gerechtfertigt, wenn dem Beigeladenen außervertragliche Ansprüche zustünden, die die Klägerinnen aus Sicht des streitgegenständlichen Bilanzstichtages wirtschaftlich belasteten. Dafür ist jedoch nichts ersichtlich.

Das betrifft namentlich etwaige zivilrechtliche Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812, § 818 Abs. 2 BGB), und zwar sowohl Ansprüche aus Gründen der sog. Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB als auch Ansprüche aus Gründen der sog. Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative BGB: An den Voraussetzungen einer Leistungskondiktion fehlt es, weil der Beigeladene an die Klägerinnen keine Leistung erbracht hat. Die - denkbare - Einbuße eines Verlustvortrages, den er bei Anwendung der Belastungsmethode zu einem späteren Zeitpunkt hätte nutzen können, stellt keine Leistung dar. Der Verlust gebührt originär nur ihm selbst; auch eine anteilige "Vergütung" dieser Verlustnutzung durch die Organgesellschaft, wie vor allem von Schauhoff (StbJb 2000/01, 325, 332 ff.) befürwortet, kommt deshalb nicht in Betracht. Die Organgesellschaft wird umgekehrt von keiner sie treffenden Steuerschuld befreit. An solchen Schulden fehlt es, weil ihr Einkommen dem Organträger zuzurechnen ist (s. Senatsurteil vom 27. Juni 1990 I R 183/85, BFHE 161, 157, 160, BStBl II 1990, 916, 918). Letztlich aus denselben Erwägungen - der fehlenden eigenen Gewerbesteuerbelastung - haben die Klägerinnen durch den Verlustverbrauch auch nicht losgelöst von einer Leistung in sonstiger Weise etwas von dem Beigeladenen auf dessen Kosten erlangt und scheidet deswegen eine Eingriffskondiktion aus. Unabhängig davon, welchen bereicherungsrechtlichen Aspekt man zugrunde legt, stellt die gesetzliche Fiktion in § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG den maßgeblichen Rechtsgrund dar, der einen Bereicherungsanspruch ausschließt (erneut z.B. W. Müller, Festschrift Beisse, a.a.O., 363, 367; Kiethe, WM 2000, 1182, 1184; Maul, NZG 1999, 660, 661; Kleindiek, DStR 2000, 559, 563).

Der in diesem Zusammenhang von den Klägerinnen angestellte Vergleich mit den Fällen der Verbindung, Vermischung und Verarbeitung nach §§ 946 bis 950 BGB ändert daran nichts. Denn für diese Fälle ordnet § 951 Abs. 1 BGB die Entschädigung für den gesetzlich herbeigeführten Rechtsverlust nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen ausdrücklich an. Die auszugleichende Vermögensverschiebung findet ihren Rechtsgrund also erklärtermaßen nicht in jenen Vorschriften, die die Vermögensverschiebung herbeiführen. Für die Rechtsfolge des § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG fehlt jedoch eine gesetzliche Verweisung auf bereicherungsrechtliche Ansprüche. Die hierdurch herbeigeführte Benachteiligung des Organträgers in Gestalt des Verlustverbrauchs beschränkt sich sonach nicht auf die formelle Rechtswirkung, sondern ist als materiell gerechtfertigt gewollt (s. zur Unterscheidung z.B. Sprau in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 812 Rn. 96 ff.; Einf. v. § 812 Rn. 17 ff., m.w.N.).

3. Die Vorinstanz ist im Ergebnis von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sie hat die Klagen hiernach zu Recht abgewiesen, weil bei dem Beigeladenen innerhalb der Zeit der Verbundenheit mit den Klägerinnen im Rahmen der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft keine Gewerbesteuer angefallen ist und deswegen auch eine anteilige Umlage der Gewerbesteuerbelastung der Klägerinnen bezogen auf die gesamte Dauer dieser Organschaft - als Totalperiode - (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 141, 79, DStR 1999, 724, 725 f., unter II.2.c der Entscheidungsgründe; Senatsurteil vom 7. November 2001 I R 57/00, BFHE 197, 161, BStBl II 2002, 369; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12. September 2002, GmbHR 2002, 1090; Oberfinanzdirektion Koblenz, Verfügung vom 28. Oktober 2002, GmbHR 2002, 1264, jeweils m.w.N.) und damit auch in den Streitjahren nicht in Betracht kam. Infolge des im Jahre 1995 abgeschlossenen Ergebnisabführungsvertrages zwischen der Klägerin zu 1 und dem Beigeladenen und der nachfolgenden Übertragung der Klägerin zu 2 auf den Beigeladenen bestimmten sich Umfang und Grenzen etwaiger Steuererstattungsansprüche des Organträgers gegenüber den Organgesellschaften seitdem - allein - nach den für den Ergebnisabführungsvertrag geltenden Grundsätzen (vgl. BGH-Urteil vom 1. Dezember 2003 II ZR 202/01, GmbHR 2004, 258).