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BFH-Urteil vom 18.5.2005 (VIII R 100/02) BStBl. 2005 II S. 735

Wurden bei der erstmaligen Steuerfestsetzung keine Erstattungs- oder Nachzahlungszinsen festgesetzt, weil die Frist des § 233a Abs. 2 AO 1977 noch nicht abgelaufen war, so sind nach einer Änderung der Steuerfestsetzung Zinsen auf der Grundlage des Unterschieds zwischen dem neuen und dem früheren Soll gemäß § 233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977 zu berechnen.

AO 1977 § 233a.

Vorinstanz: FG Köln vom 26. Juli 2002 14 K 53/02 (EFG 2002, 1424)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte in den Streitjahren 1990 und 1991 Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte die Einkommensteuer für 1990 und 1991 durch Steuerbescheide vom 16. Juli 1991 und vom 23. April 1992 zunächst antragsgemäß auf 120 DM (1990) und 444 DM (1991) fest. Nach Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer ergab sich für 1990 ein verbleibender Steuerbetrag von ./. 3.263 DM und für 1991 von ./. 3.979 DM. Nachdem dem FA bekannt wurde, dass die Einkünfte der Klägerin aus Kapitalvermögen tatsächlich höher waren als erklärt, erließ es am 28. Juni 2000 geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen es die Einkommensteuer für 1990 auf 3.037 DM und für 1991 auf 4.789 DM festsetzte. Nach Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer ergaben sich nunmehr verbleibende Steuerbeträge von ./. 2.010 DM (1990) und ./. 1.333 DM (1991). Für die Differenz zwischen dem jeweils verbleibenden Betrag und dem vorher festgesetzten Betrag von 1.253 DM für 1990 und 2.646 DM für 1991 (jeweils gerundet auf volle hundert DM) berechnete das FA gemäß § 233a Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Zeit vom 1. April 1992 bis 31. März 1996 bzw. vom 1. April 1993 bis 31. März 1997 (für volle 48 Monate 0,5 % = 24 %) Nachzahlungszinsen von 288 DM für 1990 und 624 DM für 1991. Die Nachzahlungszinsen setzte das FA durch mit der Einkommensteuerfestsetzung verbundene Zinsbescheide fest. Aufgrund nachgereichter Belege über anrechenbare Quellensteuern änderte das FA mit Bescheid vom 14. Dezember 2001 die Zinsbescheide und setzte die Nachzahlungszinsen nunmehr auf 264 DM (1990) und 528 DM (1991) fest.

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1424 veröffentlichten Urteil vom 26. Juli 2002 14 K 53/02 abgewiesen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 233a Abs. 5 AO 1977).

Sie beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Zinsfestsetzung für 1990 im Bescheid vom 14. Dezember 2001 ersatzlos aufzuheben und die Zinsfestsetzung für 1991 dahin zu ändern, dass Erstattungszinsen von 49,08 € festgesetzt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Entscheidung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat geht mit dem FG davon aus, dass § 233a Abs. 5 AO 1977 auch bei Änderung einer Einkommensteuerfestsetzung anzuwenden ist, die selbst nicht zu einer Zinsfestsetzung geführt hat, weil es innerhalb der Karenzzeit zu einer Steuererstattung kam. Dies entspricht Wortlaut, systematischer Stellung und Zweck des § 233a Abs. 5 AO 1977.

1. Wird die Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO 1977 berichtigt, ist gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz AO 1977 eine bisherige Zinsfestsetzung zu ändern. Gemäß § 233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977 ist für die Zinsberechnung der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer maßgeblich, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und die anzurechnende Körperschaftsteuer.

Nach seinem Wortlaut setzt § 233a Abs. 5 AO 1977 bei einer Korrektur der Steuerfestsetzung an. Der bestimmte Artikel ("die Steuerfestsetzung") macht deutlich, dass eine Steuerfestsetzung ergangen sein muss. Rechtsfolge von deren Korrektur ist die Änderung einer bisherigen Zinsfestsetzung. Deren Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung trägt die Auslegung, dass § 233a Abs. 5 AO 1977 auch eingreift, wenn im Einzelfall eine bisherige Zinsfestsetzung nicht vorliegt. Die Rechtsfolgenbestimmung von § 233a Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz AO 1977 ist immer anzuwenden, wenn eine Steuerfestsetzung korrigiert wurde, auch wenn mit der korrigierten Steuerfestsetzung ursprünglich keine Zinsfestsetzung erfolgt war.

2. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Systematik des § 233a AO 1977. § 233a Abs. 5 AO 1977 trägt verfahrensrechtlich der Abhängigkeit der Zinsen als steuerlicher Nebenleistung von der Steuer als der ihnen zurunde liegenden Hauptforderung Rechnung und regelt - als lex specialis zu den §§ 172 ff. AO 1977 - abschließend die Folgen einer Änderung der Steuerfestsetzung für die Zinsfestsetzung (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Rz. 66, m.w.N.; Kögel in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 233a AO 1977 Rz. 96; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 233a AO 1977 Tz. 49, m.w.N.). Materiell-rechtliche Bedeutung hat § 233a Abs. 5 AO 1977 insoweit, als er die Berechnung des Unterschiedsbetrags regelt. Die Änderung der Steuerfestsetzung hat nach § 233a Abs. 5 Satz 1 AO 1977 eine entsprechende Korrektur der Zinsfestsetzung zur Folge. Waren bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung wegen der Frist des § 233a Abs. 2 AO 1977 keine Zinsen zu berechnen, so kommt es - mangels einer § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 entsprechenden Regelung für Zinsen - nicht zum Erlass eines Zinsbescheids. Das ändert aber nichts an der Abhängigkeit des Zinsanspruchs von der Steuerfestsetzung.

§ 233a Abs. 5 AO 1977 knüpft in der Weise systematisch an § 233a Abs. 3 AO 1977 an, dass Abs. 3 allgemein die Maßstäbe für die Zinsberechnung bestimmt, während Abs. 5 diese Maßstäbe speziell für die dort genannten Fälle der Korrektur der Steuerfestsetzung modifiziert. Damit ist die in § 233a Abs. 5 AO 1977 geregelte besondere Bemessungsgrundlage nicht nur in den Fällen maßgebend, in denen aufgrund der geänderten Steuerfestsetzung ein früherer Zinsbescheid zu ändern ist, sondern auch dann, wenn aufgrund der geänderten Steuerfestsetzung erstmals die Voraussetzungen für die Festsetzung von Zinsen erfüllt sind. Das trifft insbesondere in den Fällen zu, in denen bei der erstmaligen Steuerfestsetzung eine Verzinsung entfiel, weil die Karenzzeit noch nicht abgelaufen war (Heuermann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 233a AO 1977 Rz. 70). Dass dieser Zinsbescheid dann als erstmaliger Bescheid anzusehen ist (Kögl in Beermann, a.a.O., § 233a AO 1977 Rz. 102; Loose in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 233a AO 1977 Tz. 57 a.E.), ändert nichts an der Anwendbarkeit von § 233a Abs. 5 AO 1977.

3. § 233a AO 1977 soll im Interesse der Besteuerungsgleichheit einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, "aus welchen Gründen auch immer", zu unterschiedlichen Zeiten festgesetzt und fällig werden (BTDrucks 11/2157, 194; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. September 1995 X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53, 54). Diesem Zweck entspricht es, in Fällen, in denen bei der erstmaligen Steuerfestsetzung Zinsen wegen noch laufender Karenzfrist nicht festgesetzt wurden, bei der erstmaligen Zinsfestsetzung infolge einer Korrektur der Steuerfestsetzung gemäß § 233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977 die Zinsen ausgehend vom Unterschied zwischen sog. neuem und ursprünglichem Soll zu berechnen. Wollte man demgegenüber § 233a Abs. 3 AO 1977 anwenden, so würde in Fällen eines aufgrund eines Änderungsbescheids geminderten Erstattungsbetrags - entgegen der Zwecksetzung von § 233a Abs. 5 AO 1977 - ein Steuerpflichtiger, dessen Erstbescheid innerhalb der Karenzzeit und damit ohne Zinsfestsetzung erging und dessen Zinsen für den Änderungsbescheid nach § 233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 ermittelt würden (lediglich Erstattungszinsen), gegenüber einem Steuerpflichtigen besser gestellt, dessen Erstbescheid außerhalb der Karenzzeit erging und bei dem nach § 233a Abs. 3 Satz 1 AO 1977 zunächst Erstattungszinsen und dann entsprechend der Minderung des Erstattungsbetrags Nachzahlungszinsen festzusetzen wären.

4. Im vorliegenden Verfahren ist nicht zu prüfen, ob ein Erlass der streitigen Zinsen aus Billigkeitsgründen in Betracht kommt. Über einen Erlass festgesetzter Nachzahlungszinsen ist nicht im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Zinsbescheid, sondern in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden (BFH-Urteil vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3).

Der Senat weist jedoch darauf hin, dass im Streitfall keine Umstände vorgetragen sind, die einen Erlass der Nachzahlungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit (§ 163 AO 1977) rechtfertigen könnten.